Raschig Werk

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Denkmalpflege
Gemeinde(n): Borna, Rötha
Kreis(e): Leipzig
Bundesland: Sachsen
Koordinate WGS84 51° 10′ 33,79″ N: 12° 29′ 29,36″ O 51,17605°N: 12,49149°O
Koordinate UTM 33.324.657,72 m: 5.672.394,20 m
Koordinate Gauss/Krüger 4.534.476,02 m: 5.671.344,72 m
  • Raschig-Werk (Objektgruppe), Luftbild von Westen.

    Raschig-Werk (Objektgruppe), Luftbild von Westen.

    Fotograf/Urheber:
    Ronald Heynowski
    Medientyp:
    Bild
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Das in Ludwigshafen beheimatete Chemieunternehmen Dr. F. Raschig GmbH beschließt 1939 den Bau einer Zweigniederlassung zur Aufbereitung und Verarbeitung von Braunkohlenphenolen in Espenhain. Die Entwürfe der Werksgebäude übernimmt zwischen 1940 und 1941 der Architekt Otto Schittenhelm aus Ludwigshafen. 1940 wird mit dem Bau des Werks begonnen. Dafür wird Personal aus Ludwigshafen nach Espenhain versetzt. Das Werk erhält Anschluss an eine Braunkohlenschwelanlage der Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW) Espenhain und wird darüber hinaus von dort mit Strom, Wasser und Dampf versorgt. 1943 wird der Betrieb aufgenommen. Die Leitung des zu diesem Zeitpunkt hoch modernen Werks übernimmt Dr. Hans Derlon aus dem Ludwigshafener Stammwerk. In den nächsten zwei Jahren werden in sieben großen und einigen kleinen Fabrikationsbauten große Mengen reiner Phenole gewonnen und zu Kunstharzen sowie Kunstharzpressmassen für die Elektroindustrie, den Fahrzeugbau und die Rüstungsindustrie verarbeitet.

Am 20./21. Oktober 1943 werden Teile des Werks durch Bomben der US Airforce beschädigt. Die Luftangriffe nehmen ab Februar 1944 zu und weiten sich auf den gesamten Industriekomplex Espenhain aus und damit auch auf das Zweigwerk Raschig. Einige dieser Zerstörungen durch Bombensplitter sind noch heute durch sichtbare Ausbesserungen im Mauerwerk zu sehen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt die Sowjetische Militäradministration mit der Demontage des Werks. Anders als die meisten von der ASW betriebenen Werke in Espenhain wird das Zweigwerk Raschig nicht sofort enteignet, in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAGs) überführt und unter die Kontrolle der Sowjetischen Militäradministration gestellt, sondern bleibt zunächst als eigenständiges Unternehmen weiterbestehen. Direktor Dr. Derlon gelingt es, einige Apparate und Maschinen nach deren Demontage neu zu beschaffen und das Werk wieder in Gang zu setzen. 1948 wird das Zweigwerk in Espenhain jedoch als »volkseigener Betrieb« verstaatlicht und die Werksleitung verhaftet. Dr. Derlon, Ingenieur Schuler und der Betriebsratsvorsitzende Baum werden 1949 aus der Haft entlassen und kehren danach zum Stammwerk in Ludwigshafen zurück.
Das Zweigwerk Espenhain firmiert bis 1989 als VEB Plasta Chemische Fabrik Espenhain bzw. VEB Plasta Kunstharz- und Pressmassewerk Espenhain. Nach der Verstaatlichung kommt es immer wieder zu Umstrukturierungen und zu wechselnden Zugehörigkeiten des Werks. So ist es bis 1989 u. a. ein Betriebsteil der VEB Sprela-Werke Spremberg sowie der VEB Elguwa Leipzig und gehört der VEB Kombinat Plast- und Elastverarbeitung Berlin an. 1990 wird der bis dahin volkseigene Betrieb in die privatwirtschaftliche Plasta GmbH Espenhain umgewandelt und unter die Verwaltung der Treuhand gestellt. Noch im selben Jahr kauft die Raschig AG in Ludwigshafen das Unternehmen. Das Werk firmiert fortan als Espla GmbH. 1997 wird die Raschig AG in eine GmbH umgewandelt. Im selben Jahr verschmilzt die Espla GmbH mit der Raschig GmbH und trägt fortan den Namen Raschig GmbH Espenhain. Bis heute produziert Raschig in seinem Zweigwerk in Espenhain u.a. duroplastische Formmassen und chemisch aufbereitete Kunststoffe, jedoch inzwischen nicht mehr auf Basis von Braunkohlephenolen.
Von der ASW Espenhain bzw. vom späteren VEB Kombinat Espenhain wird das Raschig-Werk über Rohrleitungen mit Energie, Wasser und Dampf sowie mit Rohphenolen versorgt, die als Abfallprodukte bei der Verschwelung von Braunkohle in Espenhain anfallen. Diese werden im Raschig-Werk mittels Destillation zu hochwertigeren Kresolen und Phenolen chemisch aufbereitet, die sowohl zur Weiterverarbeitung an andere chemische Unternehmen geliefert werden als auch im Werk selbst zu Kunststoffharzen bzw. duroplastischen Formmassen weiterverarbeitet werden.
Für die internen Produktionsprozesse wird von Beginn an ein umfangreiches Rohrleitungssystem angelegt, das die einzelnen Produktionsbereiche miteinander verbindet. Dieses System verläuft größtenteils unterirdisch durch Kellergänge, die alle ursprünglich errichteten Werksgebäude miteinander verbindet und in qualitativ hochwertigem Stahlbeton ausgeführt sind. Darüber hinaus findet die Destillation, die Lagerung der aufbereiteten Chemikalien sowie die Herstellung von Phenolharzen und Formmassen durchweg in geschlossenen und robusten Fabrikgebäuden statt. Für diese ist besonders charakteristisch, dass sie in Stahlbetonkonstruktionsweise errichtet und mit dunklem Klinker verkleidet werden. So bleibt die Produktion vor Schäden durch Bombensplitter sowie vor den Einblicken durch Spionage-Flugzeuge geschützt und ist damit von Beginn an den Bedingungen des Zweiten Weltkriegs angepasst.
Zu DDR-Zeiten und nach der Deutschen Einheit werden weitere Fabrikgebäude auf dem Werksgelände errichtet und bestehende Teile des ursprünglichen Werks umgebaut, erweitert und rückgebaut. Für die aktuelle Produktion wird nur noch ein kleiner Teil des gesamten Geländes benötigt. Große Teile des Werks liegen inzwischen brach und bleiben ungenutzt.
Das Objekt liegt unmittelbar an der B95 zwischen den Ortschaften Gestewitz im Süden und Espenhain im Norden sowie dem Hainer See im Westen und der Hochhalde Trages im Osten und grenzt damit an den südöstlichen Rand des Industriekomplexes Espenhain, der inzwischen weitgehend rückgebaut ist. Das Gelände des Raschig-Zweigwerks ist nach Südwesten in Richtung Bundesstraße und nach Südosten zu den Nachbargrundstücken begrenzt. Nach Nordosten hin schmiegt sich die Grenze des Firmenareals an das bogenförmig verlaufende Gleis der Werksbahn von Gestewitz nach Espenhain an und nach Nordwesten hin ist es durch eine Baumreihe zum Nachbargrundstück abgegrenzt. Das Werksgelände ist über eine von der Bundesstraße in Richtung Nordosten abzweigende Stichstraße (Leipziger Straße) erreichbar, die in Verlängerung direkt auf die mit einer Schranke versehene Einfahrt des Zweigwerks führt. Hinter der Schranke erstrecken sich links und rechts der zentralen Werksstraße zunächst die in der ersten Bauphase zwischen 1940 und 1943 errichteten Firmengebäude mit ihren charakteristischen dunklen Klinkersteinen. Dieses ursprünglich angelegte Gebäudeensemble endet an seiner Stirnseite in einem auf dem Gelände zentral gelegenen Firmengebäude bestehend aus zwei Seitenflügeln und einem turmartigen mittleren Risalit, in dem sich das Treppenhaus befindet und an dessen höchster Stelle eine weit sichtbare Turmuhr angebracht ist. Weitere Werksgebäude aus späteren Bauphasen gruppieren sich um dieses ursprüngliche Gebäudeensemble, das ein inzwischen selten gewordenes und umfangreich erhaltenes Beispiel eines karbo-chemischen Werks als Folgeindustrie der Braunkohlenwirtschaft im Mitteldeutschen Revier darstellt. Dessen charakteristische Gestaltung mit dunklem Klinker fügt sich in die Ästhetik des direkt angrenzenden Braunkohlenindustriekomplexes Espenhain ein und ist deshalb auch architekturgeschichtlich für die Gegend typisch. Als einziges, noch erhaltenes Objekt der von 1940 bis 1990 beherrschenden Karbochemie in dieser Region ist es zusätzlich ein signifikantes Zeugnis der Industrie-, Wirtschafts- und Technikgeschichte im Leipziger Südraum.

(Christian Schmidt, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, 2022)

Datierung:
  • Erbauung 1940–1943

Quellen/Literaturangaben:
  • Baumert, Martin: Autarkiepolitik in der Braunkohlenindustrie. Ein diachroner Systemvergleich anhand des Braunkohlenindustriekomplexes Böhlen-Espenhain, 1933 bis 1965. Berlin/München/Boston 2021, S. 17
  • Diehl: Von unserem im Entstehen begriffenen Werk in Mitteldeutschland. Über der Braunkohle I. In: Betriebsgemeinschaft Dr. F. Raschig GmbH. Werkzeitschrift 4 (1941), H. 1, S. 3-4.
  • Diehl: Von unserem im Entstehen begriffenen Werk in Mitteldeutschland. Über der Braunkohle II. In: Betriebsgemeinschaft Dr. F. Raschig GmbH. Werkzeitschrift 4 (1941), H. 2, S. 20-21.
  • Diehl: Von unserem im Entstehen begriffenen Werk in Mitteldeutschland. Über der Braunkohle III. In: Betriebsgemeinschaft Dr. F. Raschig GmbH. Werkzeitschrift 4 (1941), H. 3, S. 29-30.
  • Diehl: Von unserem im Entstehen begriffenen Werk in Mitteldeutschland. Über der Braunkohle IV. In: Betriebsgemeinschaft Dr. F. Raschig GmbH. Werkzeitschrift 4 (1941), H. 4, S. 37-38.
  • Ihle, Ernst A.: 75 Jahre chemische Forschung, chemische Technik, chemische Fertigung. Raschig 1891 - 1966. Frankfurt am Main 1966, S. 55-56.
  • Schwärzel, Renate: Deutsche Wirtschafts-Archive. Nachweis historischer Quellen in Unternehmen, Körperschaften des Öffentlichen Rechts (Kammern) und Verbänden der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Stu
  • Sperling, Wolfgang: 700 Jahre Espenhain 1322-2022. Espenhain 2022, S. 208-211, 320.
  • Sperling, Wolfgang: Mölbis. Lexikon zur Geschichte des Dorfes und die konkreten historischen Beziehungen zu Dahlitzsch, Dittmannsdorf, Dreiskau, Espenhain, Eula, Gestewitz, Großpötzschau, Hain, Hainic

Bauherr / Auftraggeber:
  • Bauherr: Dr. F. Raschig GmbH (GND: 74617-4)
  • Eigentümer: Dr. F. Raschig GmbH (GND: 74617-4)
  • Eigentümer: VEB Plasta Kunstharz- und Pressmassewerk Espenhain
  • Eigentümer: Plasta GmbH
  • Eigentümer: Raschig AG
  • Eigentümer: Raschig GmbH
  • Entwurf: Schittenhelm, Otto
  • Ausführung: Brömme, C.
  • Ausführung: Max Pommer Eisenbetonbau (GND: 6031181-2)

BKM-Nummer: 31200006

Raschig Werk

Schlagwörter
Ort
Gestewitz
Fachsicht(en)
Denkmalpflege
Erfassungsmaßstab
Keine Angabe
Erfassungsmethode
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„Raschig Werk”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/BKM-31200006 (Abgerufen: 28. März 2025)
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