Diese Objektgruppe versammelt historische Radsportanlagen unterschiedlichen Typs und Alters im Rheinland, darunter Radsportbahnen, Radsporthallen und Radrennstrecken. Da zahlreiche Radsportanlagen auch für Motorrad- und teils auch Autorennen genutzt wurden, bestehen einige Überschneidungen zur Objektgruppe der historischen Motorsportanlagen im Rheinland.
Kulturgeschichtliche Bedeutung Die bis heute erhaltenen Radrennbahnen, aber auch die in anderer Nutzung überbauten oder mittlerweile verschwundenen Radsport-Anlagen gelten als Kulturelles Erbe der Sportgeschichte. In gleicher Weise gilt es aber auch, die historischen Zweiräder sowie überkommenen historischen Zeugnisse in Form von technischen Geräten für die Radrennen sowie Schrift-, Bild- oder Film zu bewahren. Aus archäologischer Sicht schreibt Mergen (2023, S. 214) den heute noch als „Ovale in der Landschaft“ existierenden Relikten von Radsport-Rennstätten eine besondere Bedeutung als archäologisches Kulturerbe zu, da „moderne Sportanlagen mit ihrem historischen Quellenpotenzial das Themenspektrum einer, bislang deutlich von Konfliktthematiken und Industriegeschichte geprägten, Archäologie der Moderne [erweitern].“
Entwicklung des Radsports im Rheinland Ausgehend von der Erfindung des ersten Laufrades, der nach ihrem Erfinder Karl Freiherr von Drais (1785-1851) benannten Draisine von 1817, und über dessen weitere Entwicklung über das Hochrad hin zum Sicherheitsniederrad mit Tretkurbel-Pedalantrieb ab den 1850/60er Jahren, wurde das Fahrrad in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur zu einem kostengünstigen Verkehrsmittel, sondern das Radfahren entwickelte sich gleichzeitig auch zu einem Freizeitvergnügen und zu einer wettkampfmäßig betriebenen Sportart. Bereits in den 1860ern fanden die ersten Eintages-Straßenrennen statt und das bis heute berühmteste Etappenrennen über große Distanz wurde mit der ersten, rund 2.400 Kilometer langen Tour de France im Jahr 1903 ins Leben gerufen.
Ein wahrer Segen für die frühen Radsportpioniere, deren Gefährte man gerne als bone-shaker (engl. 'Knochenschüttler') bezeichnete, war um 1888 die Entwicklung des luftgefüllten Gummireifens durch den irischen Tierarzt John Boyd Dunlop (1840-1921). Der regelrechte „Fahrradboom“ ab den 1890er Jahren wird auch auf die seitdem deutlich komfortableren 'Velozipede' zurückgeführt (vom französischen vélocipède bicycle, 'zweirädriger Schnellfuß', später englisch bicycle): Hatte es bis dahin im gesamten Deutschen Kaiserreich nur etwa 50.000 Fahrräder gegeben, so waren es nur fünf Jahre später bereits zehnmal so viele. Gleichwohl blieb die Anschaffung für viele Menschen immer noch unerschwinglich: Mindestens 230 Goldmark kostete frühes Fahrrad, was in etwa dem Monatseinkommen eines Gymnasiallehrers entsprach (rc-duesseldorpia.de).
In Deutschland und speziell im Rheinland wird der Radsport neben dem Boxen als die vielleicht bedeutendste und beliebteste Sportart überhaupt für die Zeit von der Jahrhundertwende bis zu den Weltkriegen eingeschätzt. Die Gründungsjahre zahlreicher, teils heute noch bestehender Radsportvereine liegen häufig in diesen Jahrzehnten. In Düsseldorf sollen zeitweise mindestens fünf Radrennbahnen bestanden haben, die aber teils nur kurzlebig waren und von denen heute keine mehr besteht. Auch in Köln herrschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine enorme Begeisterung für das Radfahren als solches wie auch für den wettkampfmäßig betriebenen Vereinssport, was durch die ansässige Fahrrad- und Reifenindustrie nochmals begünstigt wurde (z.B. Allright / Allreit aus Lindenthal oder die Sülzer Cito-Fahrradwerke). In der Domstadt entstanden alleine zwischen 1889 und 1928 fünf größere Radsportanlagen (Wilhelm 2008). Lokale Radsportler der Frühzeit - beispielhaft genannt seien hier etwa Peter Günther (1882-1918), Wilhelm Robert „Willy“ Schmitter (1884-1905), Albert Richter (1912-1940) oder Anton „Toni“ Merkens (1912-1944) - waren überaus populäre Helden, deren Prominenz und Verehrung durchaus mit der heutiger Spitzensportler vergleichbar war: Zur Beerdigung des bei einem Rennunfall tödlich verunglückten Willy Schmitter pilgerten im September 1905 rund 50.000 trauernde Menschen zum Mülheimer Friedhof!
Radsportanlagen Straßenrennen konnten in den Anfangsjahren des Radsports (fast) überall durchgeführt werden, während Bahnrad-Rennen besondere Sportstätten benötigten, die z.B. über die notwendigen überhöhten Steilkurven verfügten. Anderen Nutzungen stand dabei nichts im Wege und so wurden im Innenfeld so mancher Radrennbahn auch andere Sportarten betrieben oder im Winter Schlittschuh gelaufen: „Das charakteristischste Merkmal der Bahnen und Voraussetzung zum Halten hoher Renngeschwindigkeit sind die überhöhten Steilkurven. Die Bahnlängen waren meist so genormt, dass gewisse Rundenanzahlen ganze Kilometer ergaben. Die gängigsten Maße waren 166,66, 200, 250, 333,33, 400 und 500 m. Die einfachste Art von Radrennbahnen bestand in einfachen Aschen- oder Erdbahnen. ... Viele Innenflächen wurden als Freizeit-, Trainings- und Wettkampfflächen für Fußball, Faustball, Feldhandball, Turnfeste, Boxkämpfe und Artistik Shows benutzt. Im Winter wurden sie teils geflutet, um Eislaufflächen zu schaffen, wie dies für die Bahnen in Köln-Riehl und an der Bonner Reuterstraße belegt ist. Abseits des Sports wurden die Velodrome auch für andere gesellschaftliche und politische Großveranstaltungen genutzt. Auf dem Weg zu einer Wahlkampfrede auf der Radrennbahn von Düsseldorf-Lörick wurde Adolf Hitler 1932 mit Pferdeäpfeln und faulem Obst beworfen.“ (Mergen 2023, S. 212-213)
Die als erstes deutsches Bahnradrennen geltende Veranstaltung am 26. Juni 1880 in München fand auf der „Lautnerschen Eisbahn“ statt, einer für diesen Zweck hergerichteten Schlittschuh- und Eisbahn (www.cycling4fans.de). Vor allem in den 1920/30er Jahren waren Steherrennen überaus beliebte Publikumsmagneten und für Veranstalter lukrative Einnahmequellen. Bei diesen Bahnrennen nutzen die Radrennfahrer den Windschatten eines knapp vorausfahrenden Motorrades und erzielen dadurch ein deutlich höheres Tempo. Ähnlich populär waren die Kölner Sechstagerennen in der Helios-Rheinlandhalle (1928-1933) und später in der Deutzer Sporthalle (1958/59-1998).
Einige der historischen Radsportstätten sind verschwunden, sind heute geschlossen oder werden nicht mehr als solche betrieben - dies sicher auch, weil sich der vielfältige Radsport auch in andere Richtungen (weiter-) entwickelt hat. Einige einst populäre Bahnradsportarten wie die Steher- und Sechstagerennen sind erkennbar auf dem Rückzug, während andere Disziplinen entweder nachhaltig boomen (Mountainbike, Triathlon-Wettbewerbe) oder einen durchgängig stabilen Zuspruch erfahren, etwa die internationalen Straßenrennen oder das „ganz banale“ Radeln aus gesundheitlichen und/oder touristischen Gründen.
Internet www.radsportarchiv.de: Internationales Radsportarchiv, dort: Suche nach Bahnen (abgerufen 31.05.2019) www.cycling4fans.de: Geschichte Deutscher Radsport, historischer Rückblick 1868-2002 (abgerufen 18.10.2019) www.cycling4fans.de: Die ersten deutschen Radrennen und Radrennbahnen (abgerufen 18.10.2019) rc-duesseldorpia.de: Radclub RC Düsseldorpia 1890 e.V., Vereinsgeschichte von Klaus Dieter Schmidt (abgerufen 31.10.2019) de.wikipedia.org: Geschichte des Fahrrads (abgerufen 18.10.2019) de.wikipedia.org: Radsport (abgerufen 18.10.2019)
Czepiczka, Friedgard; Hinrichs, Hans Werner (2014)
Als die Rad-Champions durch Witzhelden fegten. Die Rad-Weltmeisterschaft auf dem Solinger Klingenring vor 60 Jahren. In: Rheinisch Bergischer Kalender 2014, S. 210-212. Bergisch Gladbach.
Franz, Renate (2007)
Der vergessene Weltmeister – das rätselhafte Schicksal des Kölner Radrennfahrers Albert Richter. 2. überarbeitete Ausgabe, unter Mitarbeit von Andreas Hupke und Bernd Hempelmann. Bielefeld.
Mergen, Jost (2023)
Ovale in der Landschaft - vergessene Radrennbahnen als archäologisches Kulturerbe? In: Archäologie im Rheinland 2022, S. 211-215. Oppenheim.
Ohm, Dieter / Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Bonn, Rhein-Sieg (Hrsg.) (2017)
200 Jahre Fahrrad - eine Erfolgsgeschichte. Von der Laufmaschine des Freiherr von Drais zum modernen Rad - wie Hochräder erst den Hofgarten und dann ganz Bonn eroberten. (Jubiläumsbuch des ADFC Bonn/Rhein-Sieg.) Bonn.
Schmidt-Arndt, Udo (1996)
Die Kölner Radrennbahnen 1889-1996. Köln.
Wilhelm, Jürgen (Hrsg.) (2008)
Das große Köln-Lexikon. S. 360-361, Köln (2. Auflage).
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