Idee, Bau und Geschichte bis zur Eröffnung 1933
Weitere Geschichte und NS-Zeit
Die Nachkriegszeit bis zum Abriss 1952
Lage und Objektgeometrie
Quellen, Internet, Literatur
Idee, Bau und Geschichte bis zur Eröffnung 1933
Die Errichtung der Sportstätte „Im Straßer Feld“ nördlich der heutigen Straße „An der Rennbahn“ im Jahr 1932 geht auf niederländische Investoren zurück, welche - mit holländischem Kapital und auf deutschen Boden - den damaligen Boom des Radsports in beiden Ländern nutzen wollten, um mit einer Radrennbahn Geld zu verdienen:
„Als Standort haben sie ein Grundstück auf der deutschen Seite gegenüber dem niederländischen ‚Holz' ausgesucht. An ‚Holz' den fast rechtwinkelig nach Westen vorspringenden Grenzstück an der Neustraße, stand damit die von damaligen Experten schönste, schnellste, größte und modernste Radrennbahn in Europa. Internationale Radrennstars brachten große Zuschauermassen in die Halle.“ (geschichtsfreunde-kohlscheid.de)
Der Würselener Radsport-Experte Franz Kropp wusste der Aachener Zeitung 2023 zum 90-jährigen Jubiläum der Errichtung der Bahn zu berichten:
„Die Idee war beidseitig der Grenze in der Hochzeit des Bahnsportes entstanden. Die deutschen und niederländischen Investoren konnten sogar den weltbekannten Bahnbauer Clemens Schürmann aus Münster für ihre Sache begeistern.“ (www.aachener-zeitung.de, vgl. auch radsportgalerie.schuermann-muenster.de)
Traditionell arbeiteten die Menschen hier in der unmittelbaren Grenzregion eng zusammen und so teilten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Deutsche und Niederländer auch die damalige Begeisterung für den Radsport.
Ein Zeugnis dafür sind wohl auch die verschiedenen „grenzüberschreitenden“ Namen für die neue Bahn, die sich regional finden lassen, darunter „Kirchrather Radrennbahn“, „Sportarena Herzogenrath-Kirchrath“ (Kirchrath ist der eingedeutschte Name für Kerkrade) oder „Wielerbaan te Kerkrade-Holz“ (niederländisch Wielerbaan = Velodrom, Radrennbahn).
Die neue Rennbahn lag jeweils nur rund 1,5 Kilometer vom Herzogenrather Bahnhof der Eisenbahnstrecke Aachen-Mönchengladbach sowie vom Bahnhof Kerkrade der Eisenbahnstrecke Schaesberg-Simpelveld entfernt und war damit sehr gut erreichbar; die Aachener Straßenbahn bediente die Rennbahn auf ihrer Strecke nach Herzogenrath und Merkstein. Hinweise darauf, dass die Radrennbahn - wie seinerzeit häufig üblich - auch für Motorradrennen genutzt wurde, finden sich keine (Semmeling 2009).
In den Jahren 1932/33 wurden gut 100.000 Mark in den Bau der etwa 6.500 Quadratmeter Grundfläche einnehmenden, und damit auch für heutige Verhältnisse imposanten Sportarena mit rund 6.000 Zuschauerplätzen investiert. Die notwendigen Mittel waren rein privat von Bürgern der beiden heutigen Schwesterstädte Kerkrade und Herzogenrath aufgebracht worden. Die 200 Meter lange und sechs Meter breite Bahn Holzfahrbahn wurde von Experten als die zweitschnellste Rennpiste in Europa bezeichnet (www.aachener-zeitung.de).
Zu der feierlichen Eröffnung der Bahn am Samstag dem 6. Mai 1933 und den nachfolgenden Rennen an fast jedem Wochenende strömten aktive Radsportler wie auch Fans aus Deutschland und den Niederlanden.
Die Chronik des RC Zugvogel Aachen datiert die Einweihung bereits auf den 22. April 1933 - dieser war ebenfalls ein Samstag, womöglich gab es zwei Termine, eine formale Einweihung der Bauten und eine sportliche Eröffnung mit Radrennveranstaltung (vgl. auch nl.wikipedia.org). Das Radsportarchiv führt die „Radrennbahn Arena Herzogenrath“ lediglich für die Jahre „1934-1951“ an (www.radsportarchiv.de)
Die Geschichtsfreunde Kohlscheid berichten, dass die Eröffnung (hier am 6. Mai) bei schlechtem Wetter, aber vor zahlreichen Radsportbegeisterten aus den limburgischen Grenzkreisen und den Nachbarländern erfolgte. Es heißt dort ferner, dass der Vertreterin der Investoren, einer Frau Huijnen, durch einen Defekt am Auslösemechanismus der Starterpistole ein Finger so gequetscht wurde, dass dieser noch am gleichen Abend im Aachener Krankenhaus amputiert werden musste.
Weitere Geschichte und NS-Zeit
Zur Eröffnung schwebte über allem aber bereits „das Damoklesschwert der braunen Herrschaft“ der NS-Machthaber in Deutschland. Schon 1934 verboten die Nationalsozialisten Sportveranstaltungen mit mehr als 30 Prozent Teilnehmern nichtdeutscher Herkunft, worunter in der Folge auch das Interesse des Auslandes abzuflauen begann.
„An einen Sommerabend aber geschah das weit größere Unglück. Ein Besucher wurde als gesuchter politischer Flüchtling erkannt und nach kurzer Jagd - während drinnen in der Arena der Beifall tobte - am Stacheldraht hinter der Bahn erschossen. Zur nächsten Veranstaltung im September - man schrieb immer noch das Jahr 1933 - marschierten Demonstranten an der Holz auf. Das Urteil über die Rennbahn war gefällt. Die Bahn sah noch ein paar Parteiaufmärsche und -kundgebungen.“ (geschichtsfreunde-kohlscheid.de)
Bei dem vorab genannten erschossenen Flüchtling handelte es sich um den deutschstämmigen, staatenlos gewordenen 33-jährigen O. Gerards. Dieser hatte in den Niederlanden eine Witwe geheiratet und zusammen mit einem ihrer Söhne mit dem Radfahren begonnen. 1933 war er Vorsitzender des Wielerclub Roda. Am 11. August des Jahres wurde er von einem Nachbarn beim einen deutschen Agenten am Grenzposten namens Mommers denunziert, Gerards sei Kommunist. Beim Versuch der Festnahme flüchtete er zurück über die Grenze, wurde aber gestellt und - obwohl Gerards sich mit erhobenen Händen ergeben hatte - aus nächster Nähe von Mommers angeschossen. Währenddessen drehten die Fahrer weiter ihre Runden und die Musik spielte weiter („Op de wielerbaan draaiden de renners hun rondjes, de musiek bleef luid spelen.“).
Wenige Tage später verstarb Gerards an den Folgen. Die Empörung in den Niederlanden war groß, zumal der angeblich auf einer Liste gesuchter Spione stehende Gerards sich häufig an der Radrennbahn aufhielt und dort bekannt war (Willigenburg 2018).
„Im kurzen Leben der Radrennbahn gab es unter anderem mehrere Sechstage-Rennen, bei denen Fahrer wie die Kölner Viktor Rausch und Gottfried Hürtgen oder die Holländer Piet van Kampen und Jan Pijnenburg die schnellsten Spurter waren, um nur einige der damaligen Europa-Asse zu nennen.“ (www.aachener-zeitung.de)
Daneben werden als Herzogenrather Lokalmatadoren auch die beiden sehr erfolgreichen Rennfahrer Peter Hohnen und Peter Fallmann als hier Startende genannt sowie als umjubelte Rennfahrer bei der Eröffnung der zuvor im benachbarten Benelux-Ausland erfolgreiche Gerhard Esser und der Aachener Alfred Ebeling. Ebenso ist davon auszugehen, dass hier während seiner langen Karriere auch der für den RC Zugvogel startende Bahnradfahrer Jakob Kropp (~1918-1951) am Start war, der später bei einem Unfall während des Trainings auf der Aachener Rennbahn Krummerück tödlich verunglückte.
Versuche der Nazis, die Radrennbahn als „rein deutsche“ Sportstätte zu betreiben, scheiterten aus organisatorischen Gründen wie auch durch das Fortbleiben der teils mit Gewalt eingeschüchterten niederländischen Fans bereits in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg.
Den Annalen von Franz Kropp zufolge schlossen sich die Türen der Sportarena nach gerade einmal 16 Radrennen und einer Boxveranstaltung und öffneten sich danach nur noch einmal, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Am 16. August 1939 stellte Hermann Schild (1913-2006), der Vorjahressieger der Deutschland-Rundfahrt, hier vor geladenen NS-Größen mit 43,296 gefahrenen Kilometern einen neuen deutschen Stundenrekord auf.
Seit 1940 fanden dann keine Rennen mehr statt und die Anlage wurde vor dem deutschen Überfall auf die Niederlande, Belgien und Luxemburg im Mai 1940 als geheimer Sammelpunkt für deutsche Soldaten genutzt.
Die Nachkriegszeit bis zum Abriss 1952
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Holz der Bauten als dringend benötigtes Heizmaterial von der Bevölkerung geplündert und auch und Metallstreben der Hallenkonstruktion fanden in den Notzeiten Verwendung:
„Vergebens bemühte sich die Stadtverwaltung Herzogenrath, von den noch lebenden Gesellschaftern wenigstens so viel Vollmacht zu erhalten, um den Bau vor weiteren Plünderungen bewahren zu können. Vorsorglich wurde ein Wachmann in der Anlage postiert. Eines Nachts wurde der Wachmann bei seinem Rundgang erschlagen. Die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten.“ (geschichtsfreunde-kohlscheid.de)
Im Jahr 1952 wurden die traurigen Überreste der Rennbahn durch die Stadt Herzogenrath abgerissen und verschrottet. Heute sind obertägig keine Spuren der einstigen Radrennbahn mehr sichtbar.
Lage und Objektgeometrie
Die älteren historischen Karten der Preußischen Neuaufnahme (1891-1912) lassen vor Ort noch keinerlei Bebauung erkennen. Auf den topographischen Karten TK 1936-1945 lässt sich das hier als „Rennbahn“ benannte ovale Stadion gut ausmachen (die hier eingezeichnete Geometrie folgt der TK, vgl. Kartenansicht).
Die Lage der zu diesem Zeitpunkt bereits abgebrochenen Radsport-Halle ist im Luftbild von 1953 noch gut zu erkennen, im Jahr 1962 sind dann vor Ort nur noch Fragmente im ehemals östlichen Bereich der Bahn auszumachen.
„Als auf dem Gelände 1968 eine neue Bebauung errichtet wurde, nannte man eine der Straßen ‚An der Rennbahn', das letzte heute noch sichtbare Zeichen einer früheren, großen Sportarena unserer Region.“ (www.aachener-zeitung.de)
(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2024)
Quellen
- Freundliche Hinweise von Frau Renate Franz, Köln, 2024.
- Freundliche Hinweise, Zeitungsartikel und Aufnahmen von Herrn Dr. des. Jost Mergen, LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, 2024.
- Luftbildplan 1:5000, Nr. 5102 Herzogenrath-West (hier: Aufnahmen der Plan und Karte GmbH vom 06.06.1953 und der Hansa Luftbild GmbH vom 22.04.1962).
- Topographische Karte 1:50000, L 5102 Geilenkirchen, hrsg. vom Landesvermessungsamt Nordrhein-Westfalen 1963 (hier: 2. Auflage 1969 und 4. Auflage 1979).
Internet
www.aachener-zeitung.de: Vor 90 Jahren errichtet - Wo einst die zweitschnellste Radrennpiste Europas stand (Text Wolfgang Sevenich, Aachener Zeitung vom 28.04.2023, abgerufen 09.04.2024)
geschichtsfreunde-kohlscheid.de: Radrenngeschichten (abgerufen 23.04.2024)
zugvogel-aachen.de: Vereinschronik des Radsportklubs RC Zugvogel 09 Aachen e.V., erschienen zum 100-jährigen Jubiläum (Text Ralf Schröder, Volltext-PDF mit zahlreichen historischen Aufnahmen, 3,1 MB, abgerufen 23.04.2024)
nl.wikipedia.org: Nieuwstraat Kerkrade (niederländische Wikipedia, abgerufen 07.05.2024)
radsportgalerie.schuermann-muenster.de: Portrait Clemens Schürmann (1888-1957) (abgerufen 23.04.2024)
www.radsportarchiv.de: Internationales Radsportarchiv, dort: Suche nach Bahnen, Herzogenrath (abgerufen 12.04.2024)