Bergarbeitersiedlung Kitzscher

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Denkmalpflege
Gemeinde(n): Kitzscher
Kreis(e): Leipzig
Bundesland: Sachsen
Koordinate WGS84 51° 09′ 55,54″ N: 12° 33′ 7,63″ O 51,16543°N: 12,55212°O
Koordinate UTM 33.328.855,80 m: 5.671.069,94 m
Koordinate Gauss/Krüger 4.538.724,84 m: 5.670.192,77 m
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    Bergarbeitersiedlung Kitzscher, Schrägluftbild von Norden

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    Ronald Heynowski
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    Bergarbeitersiedlung Kitzscher, Schrägluftbild von Süden

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Die Entwicklung der Stadt Kitzscher vom Rittergutsdorf, dessen Ersterwähnung in das Jahr 1251 zurückreicht, zum Industrie-Wohnstandort für Berg- und Energiearbeiter ist eng mit der Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW) und deren Nachfolgeorganisationen verbunden. Die ASW betrieb seit 1924 den Abbau von Braunkohle und deren Veredelung und plante seit Ende der 1930er Jahre dieses Produktionsprofil mit Espenhain zu einem Großindustriestandort auszubauen. Im Kontext der Kriegsvorbereitungen und dem Ziel einer vom Import unabhängigen Treibstoffversorgung entstand von 1937 bis 1944 das Braunkohleveredelungswerk Espenhain und erfolgte ab 1937 die Erschließung des Tagesbaus Espenhain. Dies hatte unmittelbare Folgen für die Entwicklung des Dorfes Kitzscher mit Anfang der 1930er Jahre etwa 350 Einwohnern, denn die ASW forderte 1938 die Ansiedlung von Arbeitskräften im Raum Borna-Kitzscher. Die geringe Entfernung zum Werk, die Lage außerhalb der Windrichtung und außerhalb potentieller Kohleaubbaufelder sowie die Angliederung an eine vorhandene Ortschaft mit entsprechender Infrastruktur und der unkomplizierte Landerwerb begünstigten die Standortwahl von Kitzscher. Mit Unterstützung der zuständigen Landesministerien und NSDAP-Funktionäre wurde im Frühjahr 1939 der Bau der Siedlung beschlossen und der Dresdner Hochschullehrer Prof. Adolf Muesmann mit der Vorplanung beauftragt. Die hohe Bedeutung des Projektes mit der Bezeichnung »Vierjahresplansiedlung Kitzscher« wird mit der Unterstellung des kriegswichtigen Vorhabens unter einen Staatskommissar für die ASW-Bauten im Rahmen des Vierjahresplanes in Espenhain deutlich. Sowohl beim Bau und Betrieb des Werkes als auch bei der Errichtung der Siedlung wurde auf Zwangsarbeiter (Kriegsgefangene und Ostarbeiter) zurückgegriffen, die im Barackenlager im Werk Espenhain oder in kleineren Lagern der Umgebung untergebracht waren.
Die städtebauliche Gestaltung der Werkssiedlung unterlag der künstlerischen Oberleitung des Leipziger Architekten Curt Schiemichen, der auf der Vorplanung von Prof. Muesmann aufbauend, sich mit diesem auch die Bearbeitung der Entwürfe aufteilte. Als Bauherr für die Wohngebäude wirkten die Bergmanns-Wohnstätten-Gesellschaft Borna mit ihrem Architekten Schiemichen und die Gemeinnützige Bau- und Grundstücksgesellschaft Dresden mit Muesmann, der auch für den Entwurf des Schulgebäudes (heute Rathaus) beauftragt war. Die Bauleitung lag in der Verantwortung der Leipziger Zweigstelle der Landessiedlungsgesellschaft Sachsen. Bis zum kriegsbedingten Baustopp 1942/43 war das Gelände nördlich des Gutsparkes erschlossen und mit etwa 400 Wohnungseinheiten bebaut. Auf dem östlich der Trageser Straße gelegenen und bis dahin nur zum Teil erschlossen Baufeld konnten nur 200 der etwa 400 geplanten Wohneinheiten errichtet werden. Von der Schule war 1944 nur der erste Bauabschnitt im Rohbau fertiggestellt und wurde bis Kriegsende von der Wehrmacht als Flak-Kaserne beansprucht. Schiemichens städtebauliche Pläne von 1942 sahen ein weiteres Anwachsen der Siedlung in nordwestliche Richtung vor.
Die städtebauliche Gesamtanlage der ersten Bauphase der Werksiedlung überzeugt in der Ausgewogenheit zwischen dem Bezug auf die historische dörfliche Lage und eine klar abgesetzte, eigenständige Struktur. Kontextuelle Bezüge zeigen sich in der nördlichen Verlängerung der Trageser Straße und der zum Park orientieren Wohnstraßen mit ihren gestaffelten Baumassen und daraus ergebenden Blickbeziehungen. Die Ost-West-Achse um einen angerartigen Aufmarschplatz schafft hingegen eine eigenständige Ortsmitte und leitet mit einem Stadtausgang in Richtung Werk über. Im Einklang mit der Geländetopographie wird der Höhenhorizont der Bebauung zur Ortsmitte mit dem dominanten Schulgebäude im Sinne einer Stadtkrone gesteigert. Die Einbettung in die Landschaft gelingt durch an den Randbereichen flachgehaltene Bebauung mit dahinterliegenden Hausgärten. Die Straßenräume innerhalb der Siedlung sind trotz vielfältiger Baufluchtnuancen mit straßenbegleitender Bebauung und zusammenhängender Vorgärten klar gefasst. Der kleinstädtische und heimatverbundene Charakter der Siedlungsanlage wird durch die differenzierte Verwendung des traditionellen Städtebaurepertoires mit betonenden Erker- oder Zwerchgiebelmotiven an Knick- oder Eckpunkten der Straßenräume und einer zurückhaltenden Fassadengestaltung mit klarer Adressbildung der ein- bis zweigeschossigen Wohnhäuser deutlich. Die traditionalistische Gestaltung überspielt geschickt eine stark typisierte Entwurfspraxis und weitgehend rationalisierte und standardisierte Bauweise im Mauerwerksbau. Die Ausstattung der Wohnungen mit Bad und Innen-WC entsprach einem hohen Standard damaliger Arbeiterhaushalte. Nicht nur allen Reihenhäusern, sondern auch einem Großteil der Mehrfamilienwohnhäuser stand ein Gartenbereich zur Verfügung.
Die vorwiegend dem Bergbau entnommenen Straßennamen kennzeichnen seit 1942 diese Bauphase. Trotz enormer Schäden am Werk Espenhain blieb Kitzscher mit 1945 etwa 3.500 Einwohnern selbst von unmittelbaren Kriegsschäden verschont.

Nach Kriegsende bestimmte die Wiederherstellung des stark beschädigten Werkes Espenhain und die Unterbringung von Umsiedlern sowie die allgemeine Versorgung die Entwicklung unter den neuen politischen Verhältnissen in Kitzscher. Die wirtschaftliche Bedeutung der Braunkohle als Rohstoff- und Energieträger in der 1949 gegründeten DDR war ausschlaggebend für die Aufstellung eines »Landessonderplan Kitzscher ein sozialwirtschaftliches Notstandgebiet« und die damit verbundene Wiederaufnahme des Wohnungsbauprogramms. In Fortführung der Grundzüge des Bebauungsplanes von Schiemichen wurden im Baufeld östlich der Trageser Straße die Siedlungsfragmente insbesondere durch Wohnbauten der Arbeiterwohnungsgenossenschaft des Werkes Espenhain aufgefüllt. So entstanden etwa 200 Wohneinheiten in traditioneller, straßenbegleitender und zumeist zweigeschossiger Bebauung, davon ein Viertel als Einfamilienreihenhäuser. Ende der 1950er Jahre ging man zugunsten einer höheren Baulandausnutzung und effektiveren Montagetechnologie zur Großblock- und Streifenbauweise über. Die nach Plänen des Entwurfsbüros für Hochbau des Rates des Bezirkes Leipzig im südöstlichen Bereich von Nordstraße und Robert-Koch-Straße errichteten dreigeschossigen Gebäuderiegel erreichen in ihrer Querstellung zur Straße nicht mehr die zwischen öffentlichem und privatem Raum klar differenzierten stadträumlichen Qualitäten. Teil des Sonderplanes waren aber auch umfangreiche Planungen für soziale Einrichtungen. Zur Sicherstellung der Versorgung entstand als Lückenschließung auf der südlichen Marktseite 1953 das Gebäude eines Landesambulatoriums und 1958 die Ladenzeile. Mit dem Schulneubau der Ernst-Schneller-Oberschule von 1959 an der Robert-Koch-Straße und der Anlage eines Sportplatzes am Rande des Gutsparkes waren die Möglichkeiten für weitere geplante Gemeinschaftseinrichtungen wie Turnhalle, Schwimmbad, Rathaus oder Kulturzentrum erschöpft.
Im Zusammenhang mit dem Bau und der Inbetriebnahme des Großkraftwerks Thierbach von 1964 bis 1970 und der Erweiterung des Tagebaus Espenhain erfolgte die Planung und Realisierung des Wohngebietes Kitzscher-Nord mit etwa 1400 Wohneinheiten. Vergleichbar mit Eisenhüttenstadt, Hoyerswerda, Schwedt oder Halle-Neustadt nur auf Kleinstadtniveau entstand mit dem Neubaugebiet ein bauliches Zeugnis sozialistischer Stadtplanung mit Umsetzung der für den komplexen Wohnungsbau verbindlichen Ausstattungsvorgaben. So erhielt Kitzscher-Nord neben zwei Vorschuleinrichtungen ein sogenanntes Kompaktzentrum am Zugang westlich der Trageser Straße, bestehend aus einer 20-Klassen-Schule mit Turnhalle, Kaufhalle, Klubgaststätte einschließlich Schulspeisung und einer Poststelle. Für den städtebaulichen Entwurf waren Planungskollektive um Helmut Bauer und Gottfried Schwarze, für die Freiflächengestaltung Lothar Meding und für die Hochbauten Manfred Röhricht verantwortlich. Mit der ausschließlichen Verwendung von fünf- und in den 1980er Jahren auch sechsgeschossigen Segmenthäusern in Plattenbauweise (Typ Magdeburg, Brandenburg und WBS 70) wurde eine differenzierte städtebauliche Raumbildung aufgegeben. Auch den sozialen Einrichtungen wie die mit Wellblech verkleidete Klubgaststätte (Entwurf: Birgit Fuchs), Kinderkrippe, Polytechnische Oberschule und HO-Kaufhalle in Stahlleichtbauweise (Entwurf: Georg Hädicke) lagen staatliche Typenentwürfe zu Grunde, die allenfalls durch Kunst am Bau noch individuell künstlerisch gestaltet wurden.
Die mit der politischen Wende 1989 einher gegangenen wirtschaftlichen Strukturveränderungen führten zu einem drastischen Verlust an Arbeitsplätzen im Braunkohletagebau und deren Verarbeitung. Einwohnerschwund und Lehrstand waren prägend, was zum Rückbau zahlreicher Wohnblöcke im östlichen Siedlungsteil und Kitzscher-Nord sowie zur Aufgabe von sozialen Einrichtungen wie dem Heimattiergarten im Gutspark führte. Mit dem 1991 begonnenen städtebaulichen Förderprogramm konnten jedoch auch städtebauliche Missstände wie am Markt behoben, das Rathaus saniert und Modernisierungsmaßnahmen an den Wohnhäusern realisiert werden.

(Nils Schinker, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, 2021)



Quellen/Literaturangaben:
  • Kitzscher: 750 Jahre Kitzscher: 1251 - 2001 / [Hrsg.: Stadtverwaltung Kitzscher]. Altenburg 2001
  • Nabert, Thomas/Pro Leipzig e.V (Hg.): Im Pleiße- und Göselland: zwischen Markkleeberg, Rötha und Kitzscher. Leipzig 1999.
  • Bauakademie der DDR, Institut für Städtebau und Architektur/Bund der Architekten der DDR/Institut für Denkmalpflege in der DDR (Hgg.): Architekturführer DDR. Bezirk Leipzig; Berlin 1976.
  • Kaden, Ben: Die Schule in Kitzscher. Über eine Ansichtskarte. In: retraceblog, 14.04.2019. URL: https://retraceblog.wordpress.com/2019/04/14/die-schule-in-kitzscher-uber-eine-ansichtskarte/.
  • Bauaktenarchiv Kitzscher, Bauakte B258, Gymnasium.
  • Bauaktenarchiv Kitzscher, Bauakte B262, Gymnasium.
  • Bauaktenarchiv Kitzscher, Bauakte B265, Gymnasium.
  • Bauaktenarchiv Kitzscher, Bauakte B269, Gymnasium.
  • Kreisarchiv des Landkreises Leipzig in Grimma, B15033, Kitzscher, Gymnasium.
  • Kreisarchiv des Landkreises Leipzig in Grimma, B15234, Kitzscher, Gymnasium.
  • Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20640, Nr. 008.
  • Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20640, Nr. 020.


BKM-Nummer: 30100034

Bergarbeitersiedlung Kitzscher

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Ort
Kitzscher
Fachsicht(en)
Denkmalpflege
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„Bergarbeitersiedlung Kitzscher”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/BKM-30100034 (Abgerufen: 23. März 2025)
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