Industriedorf und Umsiedlungsort Deutzen

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Denkmalpflege
Gemeinde(n): Neukieritzsch
Kreis(e): Leipzig
Bundesland: Sachsen
Koordinate WGS84 51° 06′ 40,1″ N: 12° 25′ 39,94″ O 51,11114°N: 12,42776°O
Koordinate UTM 33.319.951,43 m: 5.665.330,92 m
Koordinate Gauss/Krüger 4.530.061,53 m: 5.664.095,20 m
  • Schrägluftbild aus Südwesten, am linken Bildrand der ehemalige Werksstandort mit der Wasserkugel, rechts der historische Ortskern Röthigen, im Hintergrund die Adria und damit der einstige Standort von Alt-Deutzen

    Schrägluftbild aus Südwesten, am linken Bildrand der ehemalige Werksstandort mit der Wasserkugel, rechts der historische Ortskern Röthigen, im Hintergrund die Adria und damit der einstige Standort von Alt-Deutzen

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    Ronald Heynowski
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Etwa auf dem heutigen Gebiet von Ost-Deutzen entstand 1910 der bis 1960 aktive Braunkohlentagebau Deutzen »Kraft II«. Damit wurden auch die ersten Wohnhäuser für Arbeitende des Werkes in der Straße des 15. Oktobers und an der Adria errichtet. Ein weiterer und noch bedeutenderer Betrieb sollte mit dem Bau der Brikettfabrik ab 1912 zwischen Tagebau und Bahnlinie im Nordosten geschaffen werden. Nur zwei größere Siedlungen der Bergmanns-Wohnstättengesellschaft wurden in den 1920er Jahren in Röthigen und im Südosten Deutzens erbaut, was, verglichen mit umgebenden Braunkohlenorten und der Gesamtzahl an Braunkohlensiedlungen in Deutzen, relativ wenig ist. Das Braunkohlenwerk expandierte Ende der 1930er Jahre durch die Vergrößerung der Brikettfabrik und die Errichtung eines Schwelwerkes und einer Mahltrocknung. Dies führte zu einer umfangreichen städtischen Bauphase, in der bis in die 1940er Jahre Arbeiterwohnungen im Osten und Nordwesten von Deutzen entstanden. All diese Siedlungs- inklusive Sonderbauten wurden mit Ausnahme entlang der Bahnlinie und An der Adria auf verkipptem Gelände des einstigen Tagebaus Deutzen errichtet. Aufgrund dessen entwickelte sich der Ort Deutzen nicht aus einem Zentrum heraus. Zunächst konnte unverritztes Gelände genutzt werden, später wurden die ersten rekultivierten Grundstücke in Ost-Deutzen, danach in West-Deutzen sukzessive für eine städtebauliche Entwicklung freigegeben. Neben einer allgemeinen Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg führte die anstehende braunkohlenbedingte Devastierung des historischen Ortskerns (heute als Alt-Deutzen bezeichnet) sowie benachbarter Dörfer wie Görnitz und Hartmannsdorf zu einer letzten und größten Bautätigkeit hauptsächlich in den 1950er und 1960er Jahren. Nicht nur mussten Ersatzwohnungen (sie entstanden im Südwesten), sondern auch Versorgungseinrichtungen, Verkehrsinfrastruktur und Stätten der Bildung, Religion, Freizeit und Erholung geschaffen werden. 1948 wurde beispielsweise ein neuer Ersatzfriedhof geplant, in den 1970er Jahren konnte der Kulturpark und die Sportstätte »Glück Auf« eröffnet werden. In all den Jahren entwickelte sich kein Ortszentrum mit einer kommunalen Verwaltung und Repräsentation. Am Markt entstanden nur Gebäude des Einzelhandels und Serviceeinrichtungen wie Friseurläden.
Das Erscheinungsbild von Deutzen ist durch den enormen Zuzug von Arbeitenden des Werkes sowie als Umsiedlungsstandort mit zahlreichen Ersatzbauten geprägt. Menschen zogen aus Ostpreußen, Schlesien, Ungarn, dem Vogtland und Erzgebirge her. Viele siedelten auch aus dem Bayerischen Wald über und brachten Ihre Traditionen und Kultur mit. In dieser Folge entstand auch die große katholische Kirche St. Konrad. Deutzen wandelte sich von einem agrarisch geprägten Dorf zu einem Industriedorf. In diesem Zusammenhang sei auch die Persönlichkeit von Georg Bilkenroth erwähnt, welcher sich als Werksdirektor in Deutzen, späterer Technischer Direktor des VEB Projektierungs- und Konstruktionsbüro Kohle und Mitentwickler der Braunkohlenhochtemperaturvergasung zur Herstellung von Braunkohlenhochtemperaturkoks einen Namen machte. Er bewohnte wie andere Deutzener Werksdirektoren das Rittergutsschloss in Deutzen. Aufgrund dieses damals vorhandenen herrschaftlichen Gebäudes wurde – wie sonst üblich – keine Direktorenvilla in Deutzen errichtet. Mit Begründung des Werkes 1910 wohnten nur 350 Menschen in Deutzen (Röthigen gehörte noch nicht dazu). Im Jahr 1940 waren es bereits 3000 Einwohner. Das absolute Maximum an Deutzenern ist mit 4300 für das Jahr 1968 belegt. Hierin zeigen sich die Folgen der Dorfabbrüche für den Tagebau. 1974 wurde die Schwelerei stillgelegt, doch der abrupte Strukturwandel setzte 1992 mit der Stilllegung des Industriekraftwerkes und der Brikettfabrik Deutzen ein. Abrisse und Leerstände folgten. 2008 lebten noch 1839 Einwohner im Ort.
Deutzen ist ein städtebauliches, sozial- und wirtschaftsgeschichtliches Zeugnis von großer Besonderheit. In ihm zeigen sich typische städtebauliche Entwicklungen, die mit dem Bau und der Vergrößerung des lokalen Braunkohlenwerkes einhergehen. Darüber hinaus ist es ein seltenes Beispiel einer Ortsverlegung innerhalb des Ortes, bei dem der historische Ortskern dennoch komplett getilgt wurde. Die neue Gemeinde war abhängig und bestimmt vom Werk. Bis heute erhält der Ort finanzielle Unterstützungen beispielsweise für den Spielplatz durch das Bergbauunternehmen MIBRAG, welches den unmittelbar angrenzenden Tagebau Vereinigtes Schleenhain betreibt.


(Josephine Dreßler, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, 2023)

Datierung:
  • Erbauung seit 1911

Quellen/Literaturangaben:
  • Berkner, Andreas/Kulturstiftung Hohenmölsen e. V. (Hg.): Bergbau und Umsiedlungen im Mitteldeutschen Braunkohlenrevier. Beucha/Markkleeberg 2022, S. 232.
  • Heimatverein Regis-Breitingen und Umgebung e. V., Heimatgruppe Deutzen (Hg.): 100. Gedenktag des 1. Spatenstichs zur Gewinnung der Braunkohle in Deutzen. Begleitheft zur Ausstellung der Heimatgruppe Deutzen. Deutzen 2010.
  • Bräutigam, Claus: 775 Jahre Deutzen. Ein Heimatbuch. Borna 2013.
  • Naß, Werner: Chronik zur Teilortsverlegung von Altdeutzen, hg. von Braunkohlenwerk Deutzen. Deutzen 1969.
  • Feiner, Karl-Heinz: Deutzen, der Ort verändert sich. Alt/Neu - verschiedene Objekte von damals und heute gegenübergestellt. Unveröffentlicht 2017.
  • Heimatverein Regis-Breitingen, Rote Mappe der Schule Deutzen, etwa 1970, o. S.
  • Kreisarchiv des Landkreises Leipzig in Grimma, Findbuch Bauakten Deutzen.
  • Kreisarchiv des Landkreises Leipzig in Grimma, Findbuch Bauakten Röthigen.

BKM-Nummer: 30200300

Industriedorf und Umsiedlungsort Deutzen

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Ort
Deutzen
Fachsicht(en)
Denkmalpflege
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i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
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„Industriedorf und Umsiedlungsort Deutzen”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/BKM-30200300 (Abgerufen: 26. März 2025)
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