Geschichte
Der industrielle Aufschwung Frechens in der Braunkohlen-, Quarzsand-, vor allem aber in der Steinzeugindustrie löste einen rasanten Anstieg der Einwohnerzahlen aus: Während der Industrialisierungsphase zwischen 1885 und 1914 verdoppelte sich die Bevölkerungszahl auf ca. 11.500 Menschen (Details s. Kiegelmann 2003, S. 18). Dieser starke Einwohneranstieg, sowie die nach dem Ersten Weltkrieg kriegsbedingten wirtschaftlichen Schwankungen mit tiefgreifenden Auswirkungen auf den Bau- und Wohnungsmarkt (Baustoffmangel) und die daraus resultierende Wohnungsnot veranlassten die Gemeinde Frechen, ein Programm zur Schaffung bezahlbaren Wohnraumes für kinderreiche Familien zu initiieren. Im Rahmen dieses Programmes konnten ab dem Jahr 1924 350 Wohnungen fertiggestellt werden (VHS Frechen 1987, S. 77). Zur Finanzierung stellte die Gemeinde Frechen drei Millionen Reichsmark aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung (Buschmann et al. 2020, S. 488).
Siedlungs- und Wohnungsbau unter den Architekten Noven & Willach (u.a.)
Zunächst überließ die Gemeinde die Bauleitung der Wohnungs-und Siedlungsbauvorhaben dem Architektenbüro Noven & Willach aus Köln. Unter deren Regie entstanden in den Jahren 1926 - 1927 folgende Bauten bzw. Umbauten:
- Siedlung „Roter Block“ in Frechen-Bachem
- Blockrandbebauung am Freiheitsring
- Doppelwohnhhaus am Johann-Schmitz-Platz 32-34
- Wohnhhaus am Johann-Schmitz-Platz 13
- Umbau der Gemeinschaftsgrundschule Ringschule
- Beamten- und Lehrerwohnhäuser in der Bartmannstraße
- Wohnhäuser in der Klarengrundstraße
Neues Bauen in Frechen - Die Regiebauarchitektur des Julius Gatzen
Ab 1927 führten Unstimmigkeiten zwischen der Gemeinde und den Architekten jedoch dazu, dass die Gemeinde unter Leitung des Bürgermeisters Dr. Toll die Bauleitung selbst übernehmen wollte. Zu diesem Zweck wurde 1928 eigens eine Hochbauabteilung innerhalb der Bauverwaltung eingerichtet, die mit dem Bautechniker Georg Klein und dem Kölner Architekten Julius Gatzen als Leiter personell besetzt wurde.
Julius Gatzen war Vertreter der modernen Architektur des Neuen Bauens. „Ziel des Neuen Bauens war es, durch Rationalisierung und Typisierung, den Einsatz neuer Werkstoffe und Materialien sowie durch sachlich-schlichte Innenausstattungen eine völlig neue Form des Bauens zu entwickeln, bei der der Sozialverantwortung (viel Sonne, Luft und Licht gegen Mietskasernen, Hinterhöfe und beengte Räume) eine zentrale Bedeutung zukam“ (Wikipedia. Neues Bauen). Dr. Toll wollte genau das in Frechen umsetzen: „architektonisch anspruchsvolle und trotzdem möglichst billige Wohnungen“ (Heeg 1992, S. 83).
Im „Gatzen'schen Regiebau“ waren nun „die verschiedensten geometrischen Bauformen erhalten; vorwiegend orthogonale (rechwinklige), dazu aber auch dreieckige und runde (im Grundriß). Die Formen sind nicht festgelegt. Ihre Verwendung richtet sich nach dem Inhalt und Zweck des jeweiligen Baus und wird aufgrund dessen von Gatzen mit dem entsprechenden formalen Ehrgeiz logisch entworfen (…). Auch in der Gestaltung des äußeren Kleides eines Hauses ist Gatzen nicht festgelegt. Allerdings bevorzugt er eindeutig Klinkerfassaden“ (Heeg 1992, S. 83).
Auch die Ooms'sche Baukeramik wird bei der Errichtung der Gatzen'schen Siedlungsbauten eingesetzt: „Für Dr. Toll und die Gemeinde Frechen ist es mittlerweile selbstverständlich, daß dieses Frechener Produkt, als Baustoff und als Kunstkeramik grundsätzlich zu Frechener Bauten gehört“ (Heeg 1992, S. 84). In enger Zusammenarbeit zwischen Dr. Toll, Gatzen, Ooms und Albermann werden passende Baukeramiken für die geplanten Gebäude, darunter vorherrschend Klinkerbauten, entworfen. „Passend zur funktionsbezogenen Ausführung der Bauten werden jetzt vor allem Keramikprofile variationsreich in einfachen geometrischen Formen gestaltet und verwendet“ (Heeg 1992, S. 85).
Die Siedlungen am Freiheitsring
Für eine Ortserweiterung bzw. das Siedlungsbauvorhaben geeignet erschien das Gelände circa 200 Meter nördlich des historischen Ortskernes von Frechen, wo bereits seit 1912 die „Katholische Schule an der Hüchelner Straße“, die heutige Gemeinschaftsgrundschule Ringschule stand. Westlich der Schule wurde ab 1922 die Bergbausiedlung an der Heinrichstraße, Friedenstraße und Bartmannstraße von der Rheinischen Wohnungsbaugesellschaft für das Braunkohlengebiet errichtet (Heeg 1984, S. 77), die nun auch infrastrukturell an den Ortskern angebunden werden sollte. Der Anschluss an die Hauptstraße bzw. den Ortskern erfolgte über zwei rechtwinklig in den Freiheitsring mündende „Zubringerstraßen“, nämlich die Keimesstraße (ehemals Blumenstraße) und die Dr.-Tusch-Straße (ehemals Klosterstraße).
Ab 1926 wurde der Freiheitsring, also die „Ringstraße“, ausgebaut und präsentierte sich als „schnurgerade(r), breite(r), mit Bäumen umsäumter Boulevard mit den architektonisch eindrucksvollen Bauschöpfungen jener Jahre an seiner Seite (...)“ (Heeg 1984, S. 75). Dazu gehörten sowohl die Kommunal- wie auch private Wohnhäuser (Buschmann et al. 2020, S. 488).
Die Siedlungsbauten wurden als zwei- bis dreigeschossige Reihen- und Laubenganghäuser mit Flachdach und unter Einsatz neuer Materialien, wie Backstein, Glas, Stahl und Beton - nach den Prinzipien des Neuen Bauens - realisiert. Für die Planung der Siedlungen entwarf er drei Reihenhaustypen und zwei Laubenganghaustypen.
Als identitätsstiftende Note und Besonderheit wurde der oben erwähnte Fassadenschmuck aus Baukeramik der Abteilung für Fein- und Baukeramik der Steinzeugfabrik „J. Kalscheuer & Cie.“ unter der Leitung von Toni Ooms (Ooms'sche Keramik) und des künstlerischen Leiters und Bildhauers Franz Albermann hergestellt.
Zu den Bauten des Wohnraumprogrammes entlang des Freiheitsringes und den beiden anderen Straßen zählen:
- Laubenganghaus I (Freiheitsring 69-73)
- Laubenganghaus II (Freiheitsring 110)
- Einfamilien-Reihenhaus Typ 1 (Keimesstraße 26-54, 25-65) und Keimesstraße 24/ Hasenweide
- Reihenhaustyp 2 Freiheitsring 58-84 mit Kopfbauten und Dr. Tusch-Straße 15-33
- Reihenhaustyp 3 (Freiheitsring 51-69)
- Evangelische Volksschule Frechen
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise und stetig sinkender Einnahmen musste Frechen, dass seit 1930 in Sachen Wohnungsbau führend im Rheinland war, sämtliche geplanten Bauprogramme fast gänzlich einstellen. Insbesondere galt dies für den Regiebau - das Hochbauamt wurde bis 1932 aufgelöst (Heeg 1992, S. 122).
Kulturhistorische Bedeutung
Insgesamt erfuhr der kommunale Siedlungsbau überregional eine hohe Beachtung: „Die Pläne für die Siedlung am Freiheitsring wie auch die Häuser der Siedlung selbst entstanden 1927-1931. Zeichnungen, Modelle und Lichtbilder wurden 1929 auf einer Ausstellung in Aachen gezeigt und in mehreren Publikationen veröffentlicht. Hervorgehoben wird mehrfach das hohe fachliche Interesse am kommunalen Wohnungsbau in Frechen wegen seiner architektonisch-städtebaulichen Qualität und vor allem wegen der durch Rationalisierungen und Typisierung erreichten ökonomischen Bauweise“ (Buschmann et al. 2020, S. 488). Das Laubenganghaus Typ I ist das erste seiner Art im Rheinland (Buschmann et al. 2020, S. 498).
Die Bauten und Siedlungen besitzen einen hohen Zeugniswert für die Zeit der Industrialisierung, der damit einhergehende Wohnungsnot, sowie die kommunalen Maßnahmen zur Wohnraumbeschaffung. Zudem repräsentieren sie eindrücklich die Bauformen des Neuen Bauens unter Einbeziehung lokaler aber überregional bekannter Besonderheiten wie der Köln-Frechener bzw. Ooms'schen Keramik.
Die Siedlungs- und Wohnungsbauten dieser Zeitstellung sind zum überwiegenden Teil denkmalgeschützt.
(Nicole Schmitz, LVR-Abteilung Kulturlandschaftspflege, 2021/2024)
Internet
de.wikipedia.org: Neues Bauen (abgerufen am 28.05.2024)