Der heutige Duisburger Stadtteil Rheinhausen entstand durch die Siedlungsbautätigkeit der Friedrich-Alfred-Hütte (Hüttenwerk Rheinhausen) des Krupp-Konzerns, einer montanindustriellen Standortgründung „auf der grünen Wiese“ - unmittelbar am Rhein gelegen, inmitten der ländlich-bäuerlichen Idylle des vorindustriellen südlichen Linken Niederrheins.
Mit der Grundsteinlegung des Hüttenwerks 1896 war klar, dass die vorhandenen Ver- und Entsorgungseinrichtungen, der Wohnraum und die Verkehrsinfrastruktur in Qualität und Quantität den industriellen Bedürfnissen und der Zahl der hinzuziehenden Arbeiter angepasst werden mussten. „Anpassen“ bedeutete dabei hier wie überall dort, wo die Pioniere des Industriezeitalters im Ruhrgebiet ihre Produktionsstandorte gründeten, dass vorhandene Strukturen in kürzester Zeit radikal überprägt wurden. Die Landschaft veränderte sich im Einflussgebiet der späteren Montankonzerne in einer bisher nie dagewesenen Geschwindigkeit und mit ungekannter Nachhaltigkeit, so dass der Begriff der „industriellen Revolution“ als Bezeichnung für einen umwälzenden Prozess mehr als passend ist.
An eine übergeordnete kommunale Raumplanung war zu jener umwälzenden Aufbruchzeit Ende des 19. Jahrhunderts nicht zu denken. In einzelnen Abschnitten, angepasst an den Zuzug der Arbeiter, entstanden im Umfeld der Industriestandorte Wohnsiedlungen und Infrastrukturen. Im Ruhrgebiet bildeten sich so ganze Städte durch das Aneinanderreihen von Werkssiedlungen.
Die Industriellen schufen durch Landankäufe und Industriestandortgründungen in kurzer Zeit städtebauliche Tatsachen, die die Regierenden nur noch zur Kenntnis nehmen konnten - wenngleich wohlwollend, spülten sie doch bald hohe Einnahmen in die Kassen.
So zog auch die örtliche wirtschaftliche Dominanz von Krupp in Rheinhausen intensive Verflechtungen der vor- und nachgelagerten Betriebe nach sich. Ergebnis war ein stark ausgeprägtes montanindustrielles Cluster, eine wirtschaftliche Monostruktur, deren landschaftlicher Ausdruck (Siedlungsstruktur, Architektur) maßgeblich die Handschrift des Kruppschen Baubüros (Leitung 1891-1924: Robert Schmohl) trug. Der Montankonzern Krupp wurde in Rheinhausen zum Städtebauer, der Arbeitersiedlungsbau zum stadtbildprägenden Element.
Rheinhausen war Krupp
Im heutigen Gebiet des Stadtteils Rheinhausen gab es vor der Hüttengründung lediglich einige Weiler und Dörfer, häufig in Form von an Geländeformen und Entwässerungslinien orientierten Reihensiedlungen. Die einzelnen Ortschaften und Bürgermeistereien waren: Hochemmerich und Friemersheim, Bergheim, Oestrum, Trompet, Asterlagen, Schwarzenberg, Bliersheim und Hohenbudberg. Die Bevölkerungsdichte war sehr gering: Bliersheim zum Beispiel zählte um 1850 160 Einwohner (Wehling 1994, S. 14).
Durch den hohen Arbeitskräftebedarf des Kruppschen Hüttenwerks (siehe nachfolgende Tabelle) entstand in kurzer Zeit ein „Industriedorf“, das namensgebend für die 1923 gegründete Landgemeinde Rheinhausen wurde. Herausragende Beispiele für den Kruppschen Siedlungsbau in Rheinhausen sind die Beamtensiedlung Bliersheim (1903-10) und die Arbeitersiedlung Margarethenhof (ab 1903).
Tabelle: Entwicklung der Belegschaft des Hüttenwerks Rheinhausen und Bevölkerungsentwicklung
Jahr | Belegschaft | Friemersheim | Bliersheim | Hochemmerich | Bergheim | Oestrum |
1895 | 1408 | 458 | 1778 | 668 | 915 | |
1900 | 444 | 1999 | 743 | 2326 | 882 | 1056 |
1905 | 3593 | 2974 | 1448 | 5483 | 1244 | 1275 |
1910 | 5126 | 5190 | 2136 | 8372 | 1743 | 1472 |
1915 | 8199 | 5586 | 2091 | 14784 | 3244 | 1826 |
Der Gesamtcharakter des Kruppschen Rheinhausen, wie es bis 1939 entstanden war, war geprägt durch eine ansprechende architektonische Gestaltung der Siedlungen mit starken Einlfüssen des Gartenstadtideals (Ebenezer Howard). Die Wohnungen wiesen einen im Zeitvergleich guten bis sehr guten Standard auf. Geschwungene Straßenführung, eingestreute Plätze und offene Gartenanlagen sollten nicht nur einen dörflichen Charakter vermitteln, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl und die Verbundenheit mit der Hütte stärken. Diese Kalkulation ging auf: die „Kruppianer“ identifizierten sich wie keine andere Arbeiterschaft mit „ihrer“ Firma und trugen maßgeblich zum Entstehen des „Mythos Krupp“ bei (siehe auch: Tor 1).
1928 besaß die Hütte 1669 Werkswohnungen (Bongertz 1946, S. 24), 1939 waren es 1840 (Wehling 1994, S. 14). Der Kruppsche Bodenbesitz in Rheinhausen bestand 1914 aus 484 ha, bis 1966 erweiterte sich diese Fläche auf 665 Hektar, was 23,1% des Stadtgebiets entsprach (ebd.).
Unter direkter oder indirekter Einflussnahme der Firma Krupp entstanden wesentliche Gemeinschafts- und Versorgungseinrichtungen. Beipielhaft seien genannt: 1902 Sparkasse Friemersheim, 1904 Bertha-Krankenhaus, 1905 Sparkasse Hochemmerich. Der Eisenbahnhaltepunkt Rheinhausen-Ost wurde auf Antrag der Firma Krupp erbaut und 1907 eröffnet. 1908 folgten der Bau des Wasser- und Elektrizitätswerk, 1918 die Eröffnung der höheren Schule (heute Bezirksrathaus Rheinhausen), 1921-24 Kanalisationsarbeiten, 1934/35 der Bau des Gaswerks, 1928/30 die Anlage des Volksparks Rheinhausen. Weitere öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen, Lebensmittelgeschäfte (Konsum), Sportanlagen etc. ergänzen diese Liste.
1912 begann im Rheinhausener Raum der Bergbau durch die Zechen Diergardt und Mevissen. Verglichen mit der Siedlungstätigkeit durch die Friedrich-Alfred-Hütte nimmt sich der kulturlandschaftliche Einfluss dieser Bergwerke aber bescheiden aus. Sie blieb zudem räumlich auf Bergheim und Oestrum begrenzt.
Die Stadt Rheinhausen 1934-1975
Unter den Nationalsozialisten wurde Rheinhausen 1934 zur Stadt ernannt. Dieser Verwaltungsakt spiegelt nicht nur die Bevölkerungsentwicklung, sondern auch die wirtschaftliche Bedeutung des Hüttenwerks.
Die unmittelbare städtebauliche Gestaltung durch den Krupp-Konzern kann am Vorabend des Zweiten Weltkriegs als abgeschlossen angesehen werden. Nachkriegszeitlich schließt sich eine mittelbare Beeinflussung an, denn die hohen Gewerbesteuereinnahmen aus dem Kruppschen Hüttenwerk ermöglichten es der Kommune Rheinhausen, in den 1960er und 1970er Jahren viele Projekte zu realisieren. Zum Beispiel wurden Straßen als Alleen gestaltet, die Rheinhausen bis heute ein sehr grünes Aussehen verleihen. Darüber hinaus wurden soziale Einrichtungen wie Schwimmbäder und Jugendzentren, die Rheinhausenhalle (1977), die Sporthalle Krefelder Straße oder das Freizeitgelände Toeppersee erbaut. Der Status der selbstständigen Industriestadt endete 1975 mit der Eingemeindung nach Duisburg.
Der Stadtteil Rheinhausen repräsentiert den späten Typus der Industriestadt (Stadtrechte 1934). Die junge Zeitstellung ergibt sich aus der vergleichsweise späten Erschließung der industriellen Westflanke des Ruhrgebiets (Rheinzone). Kennzeichnend sind räumlich und funktional aufeinander bezogene Elemente und Strukturen eines autarken Siedlungskörpers, der keinen zentralen vorindustriellen Kern aufweist. Diese Situation ist strukturell und baulich noch heute erkennbar, auch wenn das Hüttenwerk flächensaniert wurde. Da die ehemalige Industriefläche weiterhin gewerblich genutzt wird, sind die enorme Größe des ehemaligen Werks als auch seine Nahtlage zum Siedlungskörper ablesbar geblieben.
An der Raumentwicklung im Umfeld des Hüttenwerks Rheinhausen zeigt sich deutlich die Flächenextensität der Eisen- und Stahlindustrie und die von ihr ausgehende hohe landschaftliche Komplexität. In idealer Weise ist hier ablesbar, wie ein peripher gegründeter Industriestandort zum Kristallisationskern für eine Stadtentwicklung geworden ist. Einige der Gebäude aus der Krupp-Zeit stehen heute unter Denkmalschutz (z.B. Siedlungen Bliersheim und Margarethenhof, Bezirksrathaus).
Abgrenzung
In der Kartendarstellung ist der Bereich abgegrenzt, der sich aus einem strukturellen Vergleich mit der topographischen Karte 1:25.000 von 1938 ergibt. In diesem Kernbereich Rheinhausens lässt sich bis heute strukturell und flächenhaft die Siedlungsbautätigkeit Krupps besonders deutlich ablesen. Der Zeitschnitt ist deswegen ideal, da das Hüttenwerk in den 1930 Jahren die höchsten Belegschaftszahlen erreichte und sich diese über den Wohnraum in der Siedlungsfläche widerspiegeln.
Industriedörfer
Aus ihnen bestand bis ins 20. Jahrhundert ein Drittel der Siedlungen des Ruhrgebiets (Vonde 1989, S. 17). Wie der Name anzeigt, handelt es sich kommunalrechtlich und physiognomisch-strukturell um Dörfer, die im Gefolge industrieller Standortgründungen in der Phase der Hochindustrialisierung (ab ca. 1870) entstanden sind. Impulsgeber im Ruhrgebiet waren vor allem Eisen-/ Stahlwerke und Zechen.
(Martina Gelhar, LVR Fachbereich Umwelt, 2013)
Der Objekteintrag Kruppsches Rheinhausen war KuLaDig-Objekt des Monats im Februar 2023.