Tor 1 als Erinnerungs- und Ereignisort
Architektur
Der Arbeitskampf
Info kompakt: Chronologie eines langsamen Todes
Tor 1 als Erinnerungs- und Ereignisort
Am Werkstor 1 des Krupp Hüttenwerks Rheinhausen fanden 1987/88 während des mit 160 Tagen längsten Arbeitskampfes in der deutschen Nachkriegsgeschichte Mahnwachen statt. Verblassende Inschriften („Krupp muß leben“) unter der benachbarten Eisenbahnüberführung erinnern noch heute als stumme Zeugen daran.
Der Gesamtzustand des Pförtnerhauses war Ende 2012 so ruinös, dass die Stadt Duisburg dessen Abriss veranlasste. Es gab bereits in der Vergangeheit Initiativen, das Gesamtdenkmal (Dach mit Pförtnerhaus) neu zu nutzen und als Erinnerungsort in Wert zu setzen, diese wurden aber maßgeblich wegen ungeklärter Zuständigkeiten nicht realisiert. Schließlich wurde bis Oktober 2013 das Gelände unter dem denkmalgeschützten Dach begrünt und die Böschung mit Gabionen abgefangen. An der Position des ehemaligen Pförtnerhauses stehen jetzt zwei Gedenktafeln, die an die geschichtliche und heutige Nutzung des Geländes erinnern. Die Kosten für die Umgestaltung trug die Duisburger Hafen AG. Damit wird die Erinnerungsfunktion des Ortes wieder unterstrichen. Architektur
Das noch erhaltene, denkmalgeschützte und sanierte Stahlbetonschwebedach der ehemaligen Toranlage entstand 1957/58 durch den Architekten Peter Neufert (1925-1999). Es war sein Versuch, den funktionalistischen Bauhaus-Stil der Vorkriegszeit weiterzuentwickeln. Die entstandene neue Stilform bezeichnete er selbst als „Ultramoderne“. Der Bau des Tores erfolgte Ende der 1950er Jahre vor allem im Hinblick auf einen hohen Symbolgehalt. Das verbaute Material - Spannstahl und Spannbeton - sind typische Baustoffe der Nachkriegszeit und wesentlich mit dem Namen Krupp verbunden. Die Firma besaß das Patent auf Spannstahl, der das Grundgerüst aller Spannbetonkonstruktionen bildet.
Nach Jahren, in denen die Produktion kriegswichtiger Waffen das Kerngeschäft der Kruppschen Werke war, erinnerte man sich in Friedenszeiten dieses Patentes. Tor 1 ist damit vor Allem ein Ausdruck des mit den genannten Werkstoffen technisch Machbaren – ein Werbemittel, das die Auftragsbücher des Rheinhausener Werks füllen sollte. Die dreiflügelige Dachkonstruktion und die darunter befindliche Pförtnerloge symbolisieren insgesamt einen Helikopter. Das Dach erinnert an Rotorblätter, deren äußere Enden zwecks Aerodynamik hochgebogen sind, der Pförtnerbau an die Pilotenkanzel. Das gesamte Bauwerk scheint zu schweben – ein Effekt, der durch den dunkel gestrichenen Sockel des Hauses und die zwischen seinem Dach und dem Tordach sichtbaren Säulen zu Stande kommt. Der Arbeitskampf
„Das Symbol für das Schicksal der Stahlindustrie im Revier ist das ehemalige 'Stahlwerk Duisburg-Rheinhausen', genauer: der Arbeitskampf, der vom Winter 1987 bis zum Frühjahr 1988 ausgefochten wurde und ganz Deutschland bewegte. Die Geschichte ist (...) wertneutral betrachtet ein Lehrstück für wirtschaftliche Profitorientierung und deren soziales Konfliktpotenzial“ (Boldt / Gelhar 2008, S. 64).
Das Motto des Arbeitskampfes „Rheinhausen muß leben!“ brachte die damalige Situation auf den Punkt: der Stadtteil Rheinhausen war symbiotisch verwachsen mit der Hütte, ohne die Hütte wäre Rheinhausen nicht als bis in die 1970er Jahre selbstständige Stadt entstanden - und eine Stilllegung des Stahlwerks bedrohte unmittelbar oder mittelbar die Existenz nahezu eines jeden Einwohners. Zudem ging es hier um die sprichwörtliche „Heilige Kuh der Kruppianer“, denn das Werk war in der Unternehmensgeschichte vorbildlich und im Gegensatz zur Kruppstahlfabrik in Essen der Demontage durch die Alliierten entgangen.
Der Hauptakteur auf Arbeitgeberseite war der Aufsichtsratsvorsitzende der Krupp Stahl AG, Gerhard Cromme (*1943), der die Stahlproduktion vor dem Hintergrund der Stahlkrise Ende der 1980er Jahre an wenigen Standorten konzentrieren und durch Fusionen von Stahlkonzernen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlbranche wiederherstellen wollte. Zunächst führte er die „feindliche Übernahme“ von Hoesch durch (1992: KruppHoesch AG), 1999 die Fusion mit dem Rivalen Thyssen zur ThyssenKrupp AG. Die Modernisierung der Stahlbranche des Ruhrgebietes ist ihm damit gelungen, gleichzeitig bedeutete sein Vorgehen aber eine Veränderung der bisherigen Unternehmenskultur, indem er massiv bisherige gesellschaftliche Werte zur Disposition stellte. Die heute alltäglichen Auswirkungen der Globalisierung nahm er damit vorweg.
1987 kündigte Cromme trotz zuvor gegenteiliger Aussagen die Schließung des defizitär wirtschaftenden Hüttenwerks Rheinhausen an.
Es folgte der längste Arbeitskampf in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands, der zivilen Ungehorsam, Klassenkampf und Sozialismus auf den Straßen wiederaufleben ließ und die Solidarität im Ruhrgebiet bislang letztmalig aufzeigte. Die Protestaktionen griffen von Rheinhausen auf das gesamte Ruhrgebiet über, zumal zeitgleich die Schließung der Henrichshütte in Hattingen erfolgte. Die Protestaktionen gipfelten in der Besetzung der Rheinhausener Rheinbrücke durch 100.000 Stahlkocher und Bergleute am 10.12.1987. Die Brücke wurde damit zum Symbol für die Solidarität des Ruhrgebietes in diesem Arbeitskampf und später durch die Stadt Duisburg offiziell in „Brücke der Solidarität“ umbenannt. Auch Prominente wie der Schauspieler Götz George (1938-2016, „Schimanski“) und Bundespräsident Johannes Rau (1931-2006) solidarisierten sich mit den Arbeitern.
Bis vor wenigen Jahren stand auf dem Gelände von Tor 1 eine Lore mit der Inschrift „Todestag 15.8.1993“. Sie erinnerte an den letztendlich doch erfolglosen Ausgang der Proteste, denn nach einem Aufschub und der Kooperation mit den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann auf der gegenüberliegenden Rheinseite kam die endgültige Stilllegung des Werks 1993 zugunsten der betriebsinternen Sicherung des KruppHoesch Werks Phonix in Dortmund, das – Ironie des Schicksals – nach der Fusion von Krupp mit Thyssen ebenfalls stillgelegt wurde. Die rheinferne Lage erwies sich hier als Nachteil. Das Rheinhausener Hüttenwerk hätte im Zuge der Stahlkonjunktur der letzten Jahre exzellente Standortvoraussetzungen geboten und die Kapazitätsprobleme der beiden verbliebenen Stahlstandorte in Duisburg beheben können.
Auf den Ortseingangsschildern von Rheinhausen konnte man noch für längere Zeit mit roter Farbe übergesprüht „Tothausen“ lesen. Info kompakt: Chronologie eines langsamen Todes
- 1986: Berthold Beitz (1913-2013, seit 1970 Aufsichtsratsvorsitzender) beruft Gerhard Cromme als Vorstandsvorsitzenden an die Spitze der Krupp Stahl AG
- 1987: Stilllegungspläne werden öffentlich
- Ende 1987/Anfang 1988: Arbeitskampf
- Kompromiss: Sozialverträglicher Abbau von Arbeitsplätzen, unter anderem Verlagerung zu HKM
- 15.08.1993: Endgültige Stilllegung
- Randnote: 1992 feindliche Übernahme des Hoesch Konzerns
(Martina Gelhar, Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V., 2013) Internet
deu.archinform.net: Peter Neufert (abgerufen 07.07.2017)