Braunkohlen- und Großkraftwerk Espenhain (ehem.); VEB Kombinat Espenhain; Braunkohlenveredelungswerk Espenhain

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Denkmalpflege
Gemeinde(n): Borna, Rötha
Kreis(e): Leipzig
Bundesland: Sachsen
Koordinate WGS84 51° 11′ 7,07″ N: 12° 29′ 14,89″ O 51,1853°N: 12,48747°O
Koordinate UTM 33.324.412,00 m: 5.673.431,74 m
Koordinate Gauss/Krüger 4.534.188,16 m: 5.672.371,41 m
  • Braunkohlenveredelungswerk Espenhain,  Schrägluftbild, Blick nach Nordost

    Braunkohlenveredelungswerk Espenhain, Schrägluftbild, Blick nach Nordost

    Fotograf/Urheber:
    Ronald Heynowski
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    Bild
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Das im Nordwesten von Borna direkt an der B 95 gelegene Braunkohleveredelungswerk Espenhain wurde von der Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW), eine der größten und für die Kriegsvorbereitung wichtigsten Aktiengesellschaften im Dritten Reich, zur Treibstoffgewinnung im Rahmen des zu erwartenden Krieges in der sehr kurzen Bauzeit von nur fünf Jahren (1937 bis 1942) errichtet. Es verarbeitete die aus dem Tagebau Böhlen-Zwenkau und dem 1937 erschlossenen Tagebau Espenhain abgebaute Braunkohle nach dem Verbundsystem, d. h. der Rohstoff Braunkohle sollte möglichst vollständig direkt im Werk veredelt werden. Dafür entstanden bis 1942 auf dem 180 ha großen Werksgelände Brikettfabrik, Schwelerei mit Nebenanlagen, etwas später Teerverarbeitungsanlage und Schwefelgewinnung sowie gleichzeitig ein Großkraftwerk in zwei Ausbaustufen (Kraftwerk I Espenhain und Kraftwerk II Mölbis). Alle wichtigen Betriebsteile waren doppelt vorhanden und auf dem Gelände aus luftschutz-technischen Gründen räumlich voneinander getrennt; eine Konzeption, die bereits strategische Aspekte berücksichtigte und somit ganz im Zeichen der Kriegsvorbereitung stand.
In Espenhain entstand eines der größten Werke seiner Art im damaligen Deutschland. Da die ASW die enormen Investitionen nicht allein aufbringen konnte, gründete sie gemeinsam mit dem Deutschen Reich 1940 die Aktiengesellschaft für Kraftstoff-Anlagen (AKA), Dresden, welche die Anlagen wiederum an die ASW verpachtete. Zeitweilig besaß der damals aufgeschlossene Tagebau die größte Abraumförderbrücke in Europa. Für den Aufbau und Betrieb des Braunkohlewerkes wurden ab Oktober 1939 zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt (gegen Kriegsende fast 80% der Belegschaft), die westlich des Bahndamms in einem eigenen Barackenlager (Wohnlager I) auf dem Gelände des von der ASW aufgekauften früheren Vorwerks Aspe untergebracht waren. Südwestlich der Leipziger Straße entstand mit dem Wohnlagerkomplex Margaretenhain (Wohnlager II-V) mit bis zu 10.000, streng nach Herkunft getrennten Zwangsarbeitern der vermutlich größte nationalsozialistische Lagerkomplex in Sachsen.
Durch die planmäßige Bombardierung von Werken der Treibstoffindustrie in Deutschland wurde auch der Standort Espenhain in den letzten Kriegsmonaten durch über 3.300 Sprengbomben, davon knapp 1.400 direkten Treffern, erheblich zerstört. Dank der weiträumigen Verteilung der doppelt vorhandenen Anlagen auf dem Gelände war ein Wiederaufbau vorstellbar, den die sowjetische Militäradministration ab 1946 vorantrieb. Die Betriebsanlagen wurden durch Befehl Nr. 187 des Chefs der SMA des Landes Sachsen vom 19. Juli 1946 auf Konto der Reparationen Deutschlands durch die UdSSR übernommen. Dabei wurde das Werk Espenhain auf zwei SAG´s aufgeteilt: Die Kraftwerke I und II gingen zum 1. August 1946 in das Eigentum der Sowjetischen Elektrotechnischen AG über. Ebenfalls 1946 entstand das Kombinat Espenhain der SAG für Brennstoffindustrie in Deutschland. Es umfasste die Bergbau-Bereiche des ehemaligen Espenhainer ASW-Betriebes. Nach Liquidation der ASW firmierten die Kraftwerke Espenhain ab 1947 unter der Sowjetischen Staatlichen AG für Brennstoffindustrie „Brikett“ Kraftwerke I und II. Der Wiederaufbau erfolgte über einige Jahre, wobei trotz schwieriger Ausgangslage bereits am 7. Juni 1945 der erste Kessel und die erste Turbine im Kraftwerk II wieder in Betrieb gehen konnten. Der Wiederaufbau dauerte jedoch bis zum Jahre 1950, bis das schwer beschädigte Kraftwerk wieder mit der elektrischen Leistung von knapp 300 MW angefahren werden konnte. Ab 1954 firmierte das Werk als VEB Kombinat Espenhain, zwischen 1968 und 1990 folgten weitere Umbenennungen und Reorganisationen. Nach 1990 wurden die Werksteile sukzessive stillgelegt und bis zum Jahr 2003 rückgebaut.

Die Anordnung der Gebäude und Anlagen des Espenhainer Braunkohlenveredlungswerkes folgte funktionalen und kriegstechnischen Kriterien und lässt sich grob in drei Zonen aufteilen: einem Eingangs- und Anlieferungsbereich an der Leipziger Straße, einem breiten mittleren Bereich mit den gedoppelten Anlagen für die Verarbeitung und Verstromung der Kohle sowie dem an die Halde Trages anschließenden Bereich der Gewinnung von Folgeprodukten und der Abwasserreinigung.
In der Eingangs- und Anlieferungszone nordöstlich der Leipziger Straße entstanden der an die Güterbahngleise angeschlossene Komplex der Zentralwerkstatt mit vorgelagertem Zugang für den Güterverkehr, südöstlich davon der Verwaltungskopf aus Verwaltungsgebäude mit anschließenden Nordflügel mit Waschkaue, Poliklinik und Konsumverkausstelle sowie dem Südflügel des Gefolgschaftshauses mit Feuerwehr und Sporthalle. Hofseitig kamen nach dem Zweiten Weltkrieg kleinere Versorgungsgebäude und die Großküche dazu. Dem Verwaltungsgebäude vorgelagert befand sich der Parkplatz für den Werksbusverkehr, von dem aus die bis zu 6.000 Angestellten durch den Personaleingang am nordwestlichen Durchgang des Verwaltungsbaus das Betriebsgelände betraten. Südöstlich schließen der Bau der Betriebsberufsschule, verschiedene Lagergebäude und der Komplex der Wasseraufbereitung und die Fischaufzuchtanlage an. Von diesem Teil des Werkes Espenhain sind noch die meisten Gebäude erhalten.
Nordöstlich der Eingangszone und der Bahngleise, die vom Tagebau Espenhain zum Kraftwerk Thierbach führten, entstand das große mittlere Areal mit den doppelt vorhandenen Anlagen für die Verarbeitung und Verstromung der Kohle, deren einzelne Funktionsbereiche über eine Gleisharfe an die Bahn angebunden waren. Hier befanden sich auf beiden Seiten der Hauptstraße die Stränge für die Brikettfabriken I (Südostseite)) und II (Nordwestseite) mit ihren zugehörigen Bestandteilen. Zum Teil noch im Gelände nachvollziehbar sind die jeweiligen Rampen und Anliefergleise zu den beiden Hochbunkern, die als große langgestreckte Baukörper mit glatten Mauerwerksflächen aus rotem Klinker die Anlage räumlich prägten. Nicht weniger imposant waren die großen kubischen Nassdienstgebäude mit den Siebhammermühlen zur Zerkleinerung der Rohkohle. Nordöstlich anschließend befanden sich die beiden Pressenhäuser mit darüberliegendem Trockendienst, zwei hohe, langgestreckte Gebäude mit gegliederter Klinkerfassade und markanten blechernen Wrasenschloten auf dem Dach. Zur technischen Ausstattung gehörten 14 Röhrentrockner im Trockendienst und 15 Vierstrang-Doppelzwillingspressen mit Elektroantrieb im Pressenhaus, gebaut von der Firma ZEMAG und der Firma Bukau in Zeitz. Die hergestellten Industriebriketts wurden über Brikettrinnen auf der Nordostseite der Pressenhäuser zu den Bahnverladeanlagen befördert. Zum Komplex der Brikettfabrik I gehörten noch weitere Gebäude wie Werkstätten und Sozialgebäude mit Waschkaue, Küche, Speisesaal und Versammlungsraum.
Nordöstlich der Brikettverladeanalgen befanden sich die Schwelereigebäude, deren Ofenhäuser mit zwölf (Schwelerei I) bzw. 24 (Schwelerei II) LURGI Spülgas-Öfen ausgestattet waren. Insgesamt existierten vier Kühltürme zur Rückkühlung des Kühlwassers der Schwelereien. Zu beiden Einheiten gehörte noch eine Anlage zur Schwefelgewinnung mit zugehörigen Verwaltungs- und Sozialgebäuden sowie Gleisanbindung. Als Produkte entstanden Teere, Öle und Schwelkoks, die im Werk weiterverarbeitet und gelagert oder an andere Standorte in Böhlen, Leuna und Zeitz verladen wurden. So schlossen sich nordöstlich ein langgestrecktes Kokshaldebecken mit Verladekran, die Koksverladeanlage für den Bahntransport und eine größere Fläche mit unterschiedlichen Tanklagern an. Dieser Teil der Anlage wurde 1941 in Betrieb genommen und war bis 1990 in Funktion, als neben den Schwelereien auch die Brikettfabriken I und II (mit Ausnahme einer Restproduktion von Trockenkohle bis 1996) außer Dienst gestellt wurden. Die baulichen Anlagen wurden entfernt um eine neue Nutzung als Gewerbepark zu ermöglichen.
Südöstlich des Stranges I entstand der Komplex der Verstromung mit dem noch vorhandenen langgestreckten Gebäude der Schaltwarte. Diese begrenzt nach Südosten die große Fläche mit den symmetrisch angeordneten sieben Kühltürmen und war an die beiden separaten Gebäudekomplexe der Industriekraftwerke I und II angebunden. Die Gebäudekomplexe der Kraftwerke I und II, jeweils bestehend aus Kesselhaus und Maschinenhaus, waren in Stahlbetonskelettkonstruktion mit roter Klinkerfassade mit vielgliedriger Fenstergliederung gestaltet und dominierten in ihrer kubischen Formgebung das eindrucksvolle sachliche Erscheinungsbild der Anlage. Zur technischen Ausstattung gehörten Krupp-Rohrmühlen im Kesselhaus und sieben Dampferzeuger und fünf Turbogeneratoren der Firma AEG im Maschinenhaus. Im vorwiegend als Industriekraftwerk genutzten Standort wurde Rohkohle, Schwelkoks und Schwelgas verbrannt. Den beiden Kraftwerksblöcken zugeordnet waren im Süden zwei, im Norden drei jeweils 300 Meter hohe ortsbildprägende Schornsteine, die als gegossene Stahlbetonkonstruktion mit rundem Schaft ohne Sockel von der Entstehungszeit bis 2003 bestanden. Die Kühltürme der beiden Kraftwerke waren die ersten Bauten eines hyperbolischen Naturzugkühlturmes in Stahlbeton in Deutschland, die von der Firma Wayss & Freytag mit der Bochumer Maschinenbaufirma Balcke ab 1938 errichtet wurden. Sie wurden mit den Kraftwerken 2003 abgerissen.
Nordöstlich des Kraftwerks II schloss sich das Areal mit den Anlagen zur Phenolgewinnung und Teerverarbeitung an. Von der noch heute existierenden Straße An der Halde erschlossen, befanden sich auf der kraftwerkszugewandten Seite verschiedene Labor-, Büro- und Sozialgebäude. Auch von den Richtung Halde Trages errichteten Anlagen der Rohsäurefabrik mit den zugehörigen Tanklagern und Halden ist mit Ausnahme der durch aktive Filterbrunnen nachvollziehbaren Kalkhalde kein bauliches Zeugnis mehr erhalten. Ähnlich verhält es sich mit dem Bereich der Teerverarbeitung, deren Anlagen zur Herstellung der kriegswichtigen Produktn Dieselöl und Heizöl für die Marine und Weichparafin für die Motorölproduktion 1943 in Betrieb gingen. Auch von den nach dem Zweiten Weltkrieg hier errichteten Werkstätten, Laboren und der Zentrifugenanlage ist nichts mehr erhalten. Die Rückstände aus der Teerproduktion, aber auch Asche und Kalk wurden auf der Halde Trages verkippt, die als weithin sichtbare Erhebung die Landschaft prägt.
Am Ende des Produktionsprozesses im Braunkohleveredelungswerk Espenhain stand die Wasseraufbereitung und Leitung der Abwässer in die Gösel. Dafür wurde das nördliche Gelände zwischen den Bahngleisen und der langen Rampe zur Halde Trages genutzt. Verschiedene Absetzbecken, ein Pumpenhaus und der Kohleschlammbunker sind noch erkennbar. Die in den 1970er Jahren in Betrieb genommene biologische Abwasserreinigungsanlage wurde umgerüstet und dient zur Reinigung kommunaler Abwässer.

Das Espenhainer Braunkohlenveredlungswerk stellte eine Industrieanlage von überregionaler Bedeutung dar. Es war ein Zeugnis großer technischer Leistungen der ausgehenden 1930er Jahre und signifikant bzw. Leitbild späterer Anlagen, da die hier angewandten Techniken das technische Niveau in anderen Braunkohlestandorten nachhaltig beeinflussten. Das Verwaltungsgebäude und die Schaltwarte belegen als denkmalgeschützter Teil für das Ganze (pars pro toto) die Existenz des Werkes, das mit der Zentralwerkstatt, den Gebäuden der ehemaligen Waschkaue und Poliklinik sowie dem früheren Haus der Gefolgschaft mit der Feuerwehr weitere bedeutende Zeugnisse aufweist. Somit verkörpern sie einen hohen zeit-, technik- und wirtschaftsgeschichtlichen Dokumentationswert, der nur im nationalen Rahmen vergleichbar ist. Nach Kriegszerstörung, Teildemontage und Wiederaufbau diente die Werksanlage in DDR-Zeiten zur Gewinnung von Primärenergie und Produkten der Kohlechemie. Nicht zuletzt wegen der enormen Umweltbelastung und der damals aufkommenden Umweltproteste („Eine Mark für Espenhain) sind die noch vorhandenen baulichen Zeugnisse der Braunkohlenindustrie sozial-, orts- und regionalgeschichtlich von Bedeutung.

(Nils Schinker, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, 2021)

Datierung:
  • Erbauung 1937–1943

Quellen/Literaturangaben:
  • Baumert, Martin: Autarkiepolitik in der Braunkohlenindustrie: Ein diachroner Systemvergleich anhand des Braunkohlenindustriekomplexes Böhlen-Espenhain, 1933 bis 1965; 1. Auflage, Berlin/München/Boston 2021, S. 130ff.
  • Berkner, Andreas/Pro Leipzig e. V. (Hgg.): Auf der Straße der Braunkohle. Exkursionsführer; 3. Aufl., Leipzig 2016, S. 199-203.
  • Barteld, Frank: Kohlebahnen im Bornaer Revier: Witznitz - Böhlen/Zwenkau - Espenhain; Berga/Elster 2011, S. 113-159.
  • Sperling, Wolfgang: 700 Jahre Espenhain 1322-2022; Espenhain 2022, S. 189-206.
  • Betriebschronik VEB Kombinat Espenhain. Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in den Jahren 1946-1953; Espenhain 1953.
  • Röhser, Reinhard/Franke, Karin: Der Tagebau Espenhain 1937-1994; Leipzig 1994.
  • Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20640, Nr. 008.
  • Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20640, Nr. 020.

Bauherr / Auftraggeber:
  • Bauherr: Aktiengesellschaft Sächsische Werke (GND: 355314-0)

BKM-Nummer: 30100035

Braunkohlen- und Großkraftwerk Espenhain (ehem.); VEB Kombinat Espenhain; Braunkohlenveredelungswerk Espenhain

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Ort
Espenhain
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Denkmalpflege
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„Braunkohlen- und Großkraftwerk Espenhain (ehem.); VEB Kombinat Espenhain; Braunkohlenveredelungswerk Espenhain”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/BKM-30100035 (Abgerufen: 15. März 2025)
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