Historischer Weinbau im Rheingau

Spuren des historischen Weinbaus sichtbar machen

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Landeskunde
  • Weinberge bei Lorch im Mittelrheintal. Blick aus nördlicher Richtung entlang des "In Vino Veritas-Wisper-Trail"-Wanderwegs (2020).

    Weinberge bei Lorch im Mittelrheintal. Blick aus nördlicher Richtung entlang des "In Vino Veritas-Wisper-Trail"-Wanderwegs (2020).

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  • Blick auf Lorch aus südlicher Richtung entlang des "In Vino Veritas-Wisper-Trail"-Wanderwegs (2020).

    Blick auf Lorch aus südlicher Richtung entlang des "In Vino Veritas-Wisper-Trail"-Wanderwegs (2020).

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  • Nahaufnahme von Rieslingtrauben vor der Reife (2010).

    Nahaufnahme von Rieslingtrauben vor der Reife (2010).

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  • Nahaufnahme eines Weinblatts der Rebsorte Riesling mit dem Schatten einer Ranke (2010).

    Nahaufnahme eines Weinblatts der Rebsorte Riesling mit dem Schatten einer Ranke (2010).

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  • Nahaufnahme von Weintrauben (2010).

    Nahaufnahme von Weintrauben (2010).

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  • Die katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul in Hochheim aus östlicher Richtung (2020).

    Die katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul in Hochheim aus östlicher Richtung (2020).

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  • Eine Stele unterhalb von Schloss Johannisberg markiert den 50. Breitengrad, der lange Zeit als nördlichste Grenze des Qualitätsweinbaus galt (2020).

    Eine Stele unterhalb von Schloss Johannisberg markiert den 50. Breitengrad, der lange Zeit als nördlichste Grenze des Qualitätsweinbaus galt (2020).

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  • Blick aus östlicher Richtung durch die Weinberge auf Kloster Johannisberg, welches unter Schloss Johannisberg liegt (2010).

    Blick aus östlicher Richtung durch die Weinberge auf Kloster Johannisberg, welches unter Schloss Johannisberg liegt (2010).

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  • Blick auf Schloss Johannisberg aus südlicher Richtung. Im Vordergrund sind Nebengebäude der Johannisberger Klause zu sehen (2010)

    Blick auf Schloss Johannisberg aus südlicher Richtung. Im Vordergrund sind Nebengebäude der Johannisberger Klause zu sehen (2010)

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  • Fördermittelgeber des Projekts "Weinhistorische Plattform für den Rheingau" (2020)

    Fördermittelgeber des Projekts "Weinhistorische Plattform für den Rheingau" (2020)

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Der Rheingau – Inbegriff einer Kulturlandschaft, die seit Jahrhunderten vom Weinbau geprägt wird. Auch wenn seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts moderne Siedlungen und Industrieflächen zunehmend gewachsen sind, so ist doch der Weinbau bis heute das charakteristische Element der Gegend geblieben. Spuren des historischen Weinbaus sind noch immer weithin sichtbar und stellen bekannte Sehenswürdigkeiten dar.

Das Projekt „Weinhistorische Plattform für den Rheingau“ will diese Geschichte sichtbar machen, indem Artefakte des historischen Weinbaus exemplarisch vorgestellt und sukzessive ergänzt werden. Das Projekt bezieht sich auf die Zeit vor 1900. Initiiert und umgesetzt wurde es vom Verein zur Förderung des Historischen Weinbaus im Rheingau e.V. und vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, gefördert durch Mittel des LEADER-Programms, des Landes Hessen/HMUKLV und des Förderungsfonds der Landwirtschaftlichen Rentenbank.

Wie lassen sich die sehr unterschiedlichen und zahlreichen Artefakte des historischen Weinbaus einordnen? Der nachfolgende Text dient als Einstieg in die abwechslungsreiche Geschichte des Weinbaus im Rheingau seit dem 8. Jahrhundert bis heute. Am Ende werden die einzelnen thematischen Kategorien vorgestellt, welchen die Artefakte beziehungsweise Einzelobjekte zugeordnet sind.

Geographische Abgrenzung
Beginn des urkundlich belegten Weinbaus
Die Rolle der Klöster für die Entwicklung des Weinbaus
Expansion und wirtschaftliche Blüte des Weinbaus im Hoch- und Spätmittelalter
Niedergang des Weinbaus zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
Säkularisierung und struktureller Wandel ab dem 19. Jahrhundert
Der Rheingau heute
Thematische Kategorien der Geschichte des Weinbaus

Geographische Abgrenzung
Der Rheingau befindet sich im Rheingau-Taunus-Kreis im Westen Hessens. Der Altkreis Rheingau erstreckt sich von Walluf bis Lorchhausen und reicht vom rechten Rheinufer bis zum Taunuskamm. Das Weinanbaugebiet Rheingau ist jedoch gemäß dem Weinbaugesetz (§ 3 Abs. 1, Nr. 9) weiter gefasst: Es schließt den östlichen beziehungsweise oberen Rheingau ein und umfasst damit auch Rebflächen in und östlich von Wiesbaden, in Mainz-Kostheim, Hochheim am Main und Flörsheim-Wicker. Per Definition erstreckt sich das Weinanbaugebiet bis zum Lohrberger Hang und schließt auch den nördlichsten Weinberg Hessens - den Böddiger Berg bei Felsberg im Edertal - ein. Zum Weinanbaugebiet Rheingau zählt zudem die ehemalige Weinstadt Rüsselsheim, der älteste belegte Ort, an dem Riesling angebaut wurde.

Eine geologische Gegebenheit macht die Besonderheit des Rheingaus aus: Der Quarzit des Taunushauptkamms ist härter als das umgebende anstehende Gestein und kann damit weniger leicht durch den Rhein erodiert werden. Durch diesen Härtlingszug wird der Rhein von seinem vorherrschenden nördlichen Fließverlauf abgelenkt, sodass er sich zwischen Wiesbaden und dem Binger Loch in weicheres Gestein einschneidet. Auf 36 Kilometern Länge fließt der Rhein gen Westen und folgt erst wieder seinem weitgehend nördlichen Verlauf, nachdem er den Taunuskamm auf Höhe des Binger Lochs hinter sich gelassen hat. Ab dieser Stelle fließt er durch das steilere Mittelrheintal. Diese Änderung des Richtungsverlaufs ist die maßgebliche Voraussetzung für das Renommee des Weinanbaugebiets Rheingau: Die Ablenkung nach Westen führt dazu, dass die rechtsrheinischen Hänge nach Süden ausgerichtet sind und dementsprechend hohe Einstrahlungswerte von Sonnenlicht aufweisen, die dem Wärmeanspruch von Weinreben zuträglich sind. Der Rheingau ist gekennzeichnet durch ein sommerwarmes, wintermildes Klima mit relativ geringen Niederschlägen von 500 bis 800 mm pro Jahr und einer Jahresdurchschnittstemperatur zwischen 8 und 11 °C.
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Beginn des urkundlich belegten Weinbaus
Das mildere Klima der Gegend wurde schon früh als besonders geeignet für den Anbau von Wein erkannt. Der Legende nach beobachtete Karl der Große (747-814) von seiner Pfalz in Ingelheim auf der anderen Rheinseite aus, dass die Schneeschmelze am Bischofsberg (dem Ort des späteren Schlosses Johannisberg) früher einsetze als andernorts. Er ordnete daraufhin an, an dieser Stelle Reben zu pflanzen.

Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass bereits zuvor die Römer Weinreben im Gebiet des heutigen Rheingaus kultivierten, wo sie zwischen 12 v. Chr. und etwa 350 n. Chr. siedelten. Allerdings war ihre Präsenz, verglichen etwa mit dem Gebiet der Mosel, weniger ausgeprägt und der Rheingau findet in Urkunden kaum Erwähnung. Der Weinbau zu dieser Zeit kann daher nur anhand vereinzelter Funde (bspw. ein bei Rüdesheim gefundenes Rebenschnittmesser aus dem 2.-3. Jahrhundert n. Chr.) angenommen werden, belegt ist er jedoch nicht.

Urkundliche Nachweise für den Weinbau im Rheingau mehren sich ab dem späten 8. Jahrhundert: Für den Bischofs- bzw. Johannisberg (Weinberge zu Elisa, zwischen Geisenheim und Winkel) ist der Anbau von Wein seit 817 belegt. In Walluf wird er bereits im Jahr 779 in einem Güterverzeichnis des Klosters Lorsch aufgeführt. In diese karolingische Zeit fallen die ersten Ortserwähnungen (Walluf: 770, Geisenheim: 772, Winkel: 850). Im Jahr 772 wird auch der Rheingau („Rinechgowe“) in einer Schenkungsurkunde eines gewissen Alwalach an das Kloster Fulda erstmals erwähnt: „... zu meinem Seelenheil und zur Abwaschung meiner Sünden“ (zit. in Dietz-Lenssen 2013: S. 19).

Die große Wende kam für den Rheingau, und damit auch für den Weinbau, jedoch erst im Jahr 983: Mit der Veroneser Schenkung durch Otto II. (955-983) gingen Gebiete des fränkischen Königslandes, unter ihnen der Rheingau, als Lehen in den Besitz des Erzbischof Willigis von Mainz (940-1011) über. Die Schenkung stellte eine wichtige Grundlage für den Kurstaat Kurmainz dar, über den der Erzbischof als Landesherr regierte. Der vorherige territoriale „Flickenteppich“ im Rheingau wurde nun zu einem zusammenhängenden Gebiet und damit wurden die territorialen und politischen Voraussetzungen geschaffen, mit denen das Erzbistum Mainz an Macht und Einfluss gewann. Der Rheingau sollte für die nächsten gut 800 Jahre unter geistlicher Territorialherrschaft bleiben. Mainz hatte Rechte an allen Nutzbarkeiten der Weinberge, Wälder, Gewässer, Weiden und Wiesen, Wegen und Straßen, wie auch über die Höfe und Leibeigenen des Rheingaus. Im 12. Jahrhundert kontrollierte der Kurstaat zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Die Geschichte des Weinbaus im Rheingau ist damit untrennbar mit seiner geistlichen Geschichte verknüpft.
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Die Rolle der Klöster für die Entwicklung des Weinbaus
Der Einfluss der Klöster war für die Entwicklung und Verbreitung des Weinbaus entscheidend, sie gehörten seit frühester Zeit zu den aktivsten Förderern des Weinbaus. Die Gründe hierfür waren durch die Herstellung von Messwein religiöser Art, vor allem aber wirtschaftlich motiviert. Zunächst handelte es sich im Rheingau um Klöster, die Abteien außerhalb des Rheingaus angehörten, wie Fulda, Lorsch oder Bleidenstadt. Sie wurden angelockt durch die naturräumlich und landwirtschaftlich günstigen Gegebenheiten.

Ein wichtiges Mittel, die Mainzer Politik im Rheingau durchzusetzen und aufrecht zu erhalten, war die Gründung eigener Klöster vor Ort. So entsandten Mainzer Klöster und Stifte ab dem frühen 12. Jahrhundert Ableger in den Rheingau. Dies geschah auch aus Reformbewegungen innerhalb der Kirche heraus, die eine Trennung von staatlichen Einflüssen anstrebten: Adlige und Herrscher waren häufig Stifter neuer Klöster und behielten sich Einfluss auf die Arbeit der Klöster vor. Die Kirche und ihre Klöster wollten wieder zurück zu ihren Ursprüngen, sich der staatlichen Bevormundung entziehen und einzig dem Erzbischof unterstellt sein.
Die ersten der insgesamt zwölf Klöster waren das Benediktinerkloster Johannisberg (heute Schloss Johannisberg) zwischen 1106 und 1108, das Zisterzienserkloster Eberbach (zunächst 1116 als Augustiner-Chorherren-Stift durch den Mainzer Bischof Adalbert I von Saarbrücken gegründet, ab 1136 im Orden der Zisterzienser) und das Kloster Mittelheim (1158).
Insbesondere die Klöster Johannisberg und Eberbach entwickelten sich im Laufe der Zeit immer mehr zu Innovationszentren in der Erprobung weinbaulicher Methoden: „Eberbach war führend auf den Gebieten der Arrondierung, Bodenbearbeitung und Rebkultur, Selektion der Rebbestände, Kellerwirtschaft (Cabinet) und Handel, während sich Johannisberg mit der Bevorzugung des Rieslings und neuen Lese- und Kellerausbaumethoden (Spätlese) hervortat. Mit ihrer Vorreiterrolle sowie ihrer Organisation wirkten die Klöster vorbildlich für die Weinbau treibende Bevölkerung“ (Söder 2014, S. 31). Siehe hierzu auch die Einträge Spuren des Weinbaus in der Klosterlandschaft Eberbach und Weinbaulandschaft Johannisberg.

Eberbach übte bis zur Säkularisierung den nachhaltigsten Einfluss auf die Rheingauer Landschaft aus.
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Expansion und wirtschaftliche Blüte des Weinbaus im Hoch- und Spätmittelalter
In der hochmittelalterlichen Periode des inneren Landesausbaus, durch die Rodung und Urbarmachung von durch den Menschen ungenutzter Natur, wurden die wertvollsten und ertragsreichsten Weinberge für den Weinbau erschlossen. Neben den weiten fruchtbaren Mittelterrassen waren dies auch die Steillagen, die aufgrund ihrer Sonnenexposition und der leicht erwärmbaren Schieferböden ein für die Reben besonders förderliches Mikroklima haben. Um sie trotz der großen Hangneigung bewirtschaften zu können, wurden sie terrassiert. Im Mittelrheintal wurde damit in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begonnen, bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts war dieser Vorgang weitgehend abgeschlossen.

Die Wirtschaftlichkeit des Weinbaus mitsamt seinen hohen Erträgen und Erlösen führte dazu, dass sich die Weinbaufläche immer weiter ausdehnte. Bald reichten die Weinberge an die Ufer des Rheins, sogar bis auf einige Rheininseln, und häufig wurden zuvor ackerbaulich genutzte Niederterrassen umgewidmet. Nach zweieinhalb Jahrhunderten war der Ausbauprozess des Weinbaus so weit vorangeschritten, dass andere landwirtschaftliche Nutzungen zurückgedrängt waren und die Kulturlandschaft ein anderes Gesicht bekommen hatte. Dies führte dazu, dass im Spätmittelalter bisweilen nicht genügend Brotgetreide erzeugt werden konnte. Die Gründe für die Fokussierung auf den Weinbau liegen sowohl in seiner hohen Flächenproduktivität (die Rebstöcke standen zu damaliger Zeit dichter als heute und brachten großen Ertrag), als auch in den deutlich höheren Zehnterträgen des Weinbaus im Vergleich zur Acker-, Wiesen- oder Weidewirtschaft.

Der Weinbau prägte in entscheidendem Maße die Wirtschaft im Rheintal und ein Großteil der Bevölkerung war von der Erzeugung oder der Verarbeitung des Weins abhängig. Die hohen Erträge zogen auch Arbeitskräfte aus dem In- und Ausland an, weswegen der Rheingau bereits seit dem 10. Jahrhundert dicht besiedelt war. Dies lag auch an den relativ großen Freiheiten und Rechten, über die die Bewohner des Rheingaus zum Teil bereits seit fränkischer Zeit verfügten, und die 1324 im „Rheingauer Weistum“ festgehalten wurden.

Das 14. und 15. Jahrhundert markiert die Phase der wirtschaftlichen Blüte des Rheingaus, der zuvor mit seinen begehrten Weinen bereits Berühmtheit erlangt hatte. Die Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Rheingaus wurde von nun an durch das „Rheingauer Gebück“ verdeutlicht. Dabei handelte es sich um eine Ende des 15. Jahrhunderts angelegte Landwehr mit Bollwerken und Toren, die das Gebiet bis zum Jahr 1771 umspannte: „Das Land insgesamt scheint ganz auf sich selbst gerichtet gewesen zu sein, ein durch das sogenannte Gebück, eine alte, aus Buchenbeständen zu einer lebendigen Mauer verflochtene Landbefestigung, geschützter und abgesperrter Wein- und Obstgarten“ (Korn 1956, S. 7). Die Befestigung markierte ebenfalls eine Abgrenzung des katholischen, vom Weinbau geprägten Rheingau von dem später eher protestantischen, weniger wohlhabenden Untertaunus.
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Niedergang des Weinbaus zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
Erst im späten Mittelalter mehrte sich Unmut in der Bevölkerung, die zu große Eingriffe durch Mainz, die Unterbindung einer eigenständigen Entwicklung sowie Übergriffe des geistlichen Gerichts beklagte. Zudem folgten auf einen katastrophalen Frost des Jahres 1483, der zu Totalschäden im Weinbau geführt hatte, im Jahr 1525 im Zuge der Bauernkriege auch Aufstände von Bewohnern des Rheingaus.
Aufständische Bürger bewaffneten sich und besetzten die Wacholder Heide, einen symbolischen Ort, an dem schon ein halbes Jahrhundert zuvor Johann von Wesel über das Unrecht der Zehnten gepredigt hatte. Sie stellten Forderungen an das Mainzer Domkapitel, die unter anderem eine Abschaffung steuerlicher Privilegien für Adel und Klerus und wirtschaftliche Erleichterungen für die Bürger beinhalteten. Außerdem forderten sie die Auflösung der Klöster. Die Aufständischen verharrten in ihrem Protest und verpflichteten die Eberbacher Mönche, sie zu versorgen. So wurde das große Fass, ein riesiges Weinfass, das bis zu 100.000 Liter Wein fasste, binnen weniger Tage geleert. Letztlich wurden die Aufstände durch den kaisertreuen „Schwäbischen Bund“, der auch die Aufstände von Bauern im Süden Deutschlands schon niedergeworfen hatte, gewaltsam niedergeschlagen.
Der Rheingau unterwarf sich, sämtliche in den vorherigen Jahrhunderten erworbenen Rechte der Bevölkerung waren damit erloschen, die Obrigkeit ging mit erweiterten Privilegien aus dem Aufstand hervor.

Ein Jahrhundert später brachte der Dreißigjährige Krieg großes Elend über die Region und reduzierte die Bewohnerschaft wie auch die Bausubstanz der meisten Städte und Dörfer erheblich. Der Rheingau wurde durch die Schweden erobert, anschließende Besetzungen durch französische Truppen führten zwischen 1644 und 1689 zu nochmaligen Zerstörungen. Neben kriegerischen Zerstörungen wütete 1666/67 zudem die Pest, die zahlreiche Todesopfer forderte. Nicht nur die Zerstörungen des Krieges, sondern auch die daraus resultierende finanzielle Belastung der Region und der Rückgang der Bevölkerung hatten einen negativen Einfluss auf den Weinbau, der nach Jahrhunderten der Entwicklung und des Wohlstands in dieser Zeit an seinen Tiefpunkt gelangt war.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigte sich zunehmend die soziale Schichtung in arm und reich. Einer Vielzahl Privilegierter, die keine Abgaben leisten mussten, stand die einfache Bevölkerung gegenüber, die sowohl unter den Kriegslasten und der allgemeinen Verschuldung als auch unter den normalen Abgaben litt. Die Klöster hatten ihren ehrenwerten Ruf als Institutionen des Fortschritts und der sozialen Hilfe zu dieser Zeit stark eingebüßt.
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Säkularisierung und struktureller Wandel ab dem 19. Jahrhundert
Nach der Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen kam es auch zur Säkularisierung des Rheingaus. Aus dem Reichdeputationshauptschluss von 1803 und der Rheinbundakte von 1806 folgte die Neuordnung des Gebiets, das nun zum Herzogtum Nassau gehörte, und die Auflösung der Klöster und Stifte. Ihr Besitz wurde zerstört oder umverteilt, die kirchliche Bindung an Mainz nach rund 800 Jahren gemeinsamer Geschichte aufgelöst. Von der einstigen Klosterlandschaft sind heute nur noch das Kloster Marienthal als Wallfahrtsziel mit ununterbrochenem Klosterleben und die Neugründungen Tiefenthal und St. Hildegard erhalten. Im Jahr 1866 fiel das Herzogtum Nassau im Zuge des preußisch-österreichischen Krieges Preußen zu.

Das 19. Jahrhundert war durch weitere Veränderungen geprägt. So wanderten in der ersten Hälfte des Jahrhunderts viele Winzer ab, gleichzeitig nahm die Bevölkerung über das gesamte Jahrhundert betrachtet deutlich zu. Dies ist nicht zuletzt auf die zu jener Zeit stattfindende Industrialisierung zurückzuführen, die dem Weinbau landwirtschaftliche Arbeitskräfte entzog. Einbußen in der Größe der Weinanbauflächen lagen gleichzeitig am Weggang der Winzer und daran, dass die Eigenversorgung des Rheingaus mit Grundlebensmitteln nach der nahezu ausschließlichen Fokussierung auf den Weinbau gestärkt werden sollte. Zwischen 1750 und 1850 wurde daher der Ackerbau ausgedehnt. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vergrößerten sich die Siedlungsflächen und auch der Obstbau gewann an Bedeutung. Weinberge wurden zurückgedrängt und verfügten nur noch über weniger als die Hälfte des gesamten Acker- und Gartenlands.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in vielen Orten Winzergenossenschaften gegründet. Der Weinhandel nahm deutlich zu – zwischen 1869 und 1900 stieg die Zahl der Weinhandlungen von 45 auf 156. Auch neue Sparten der Weinverarbeitung eröffneten sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts, wie die Sektkellerei und Weinbrennerei.
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Der Rheingau heute
In heutiger Zeit hat sich die Weinbaufläche wieder vergrößert und beträgt aktuell circa 3.200 Hektar, die von knapp 600 Weinbaubetrieben bewirtschaftet werden. Der Rheingau ist zwar ein kleines, aber eines der renommiertesten Anbaugebiete in Deutschland. Er genießt aufgrund seiner langen Geschichte, seiner weinbaulichen Innovationen und der Qualität seiner Weine, allen voran seiner Rieslinge, internationale Berühmtheit. Über viele Jahrhunderte hinweg hat der Weinbau seine Bedeutung für den Rheingau beibehalten, während sich die Landschaft sowie ökonomische, soziokulturelle und technologische Rahmenbedingungen fortwährend verändert haben. Und auch trotz ihrer eigentlichen Auflösung im Jahr 1803 spielen manche Klöster für den Weinbau auch in der Gegenwart noch eine besondere Rolle: Die aus dem säkularisierten Klosterbesitz Eberbachs unter Ankauf weiterer großer Anbauflächen hervorgegangenen Hessischen Staatsweingüter mit Sitz in Eltville sind mit etwa 200 Hektar Rebfläche heute der größte Weinbaubetrieb Deutschlands.
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Thematische Kategorien der Geschichte des Weinbaus
Artefakte des Weinbaus sind äußerst vielgestaltig und reichen von historischen Weingütern und Klöstern, über historische Arbeitsgeräte bis hin zu historischen Rebsorten. Um sie in ihren jeweiligen Kontext einzubetten, sind die Objekte dieses KuLaDig-Projekts sieben Kategorien zugeordnet:


Hinweis
Die Gruppe „Historischer Weinbau im Rheingau“ war KuLaDig-Objekt des Monats im Oktober 2021.

(Barbara Bernard, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 2020)
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Literatur

Dietz-Lenssen, Matthias (2013)
Die Mainzer Zeit des Rheingaus. Kurfürstliche Vergangenheit - Von Willigis bis Napoleon. Bodenheim.
Kalinke, Helmut / Gesellschaft für Geschichte des Weines (Hrsg.) (1969)
Der Rheingau, Weinkulturzentrum gestern, heute und morgen. (Schriften zur Weingeschichte Nr. 20.) Wiesbaden.
Korn, Karl (1956)
Der Rheingau. Königstein im Taunus.
Söder, Dagmar / Landesamt für Denkmalpflege Hessen (LfDH) (Hrsg.) (2013)
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen: Rheingau-Taunus-Kreis I. (Altkreis Rheingau). Wiesbaden.

Historischer Weinbau im Rheingau

Schlagwörter
Fachsichten
Kulturlandschaftspflege, Landeskunde

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Barbara Bernard, „Historischer Weinbau im Rheingau”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/SWB-322007 (Abgerufen: 25. April 2024)
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