Stadtteil Winkel (Oestrich-Winkel)

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Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Archäologie, Denkmalpflege, Landeskunde
Gemeinde(n): Oestrich-Winkel
Kreis(e): Rheingau-Taunus-Kreis
Bundesland: Hessen
Koordinate WGS84 50° 00′ 6,9″ N: 8° 00′ 16,02″ O 50,00192°N: 8,00445°O
Koordinate UTM 32.428.655,22 m: 5.539.318,67 m
Koordinate Gauss/Krüger 3.428.701,79 m: 5.541.095,02 m
Historische Siedlungsentwicklung
Die Ersterwähnung Winkels findet sich in den Fuldischen Annalen des Jahres 850; sie berichten über den Aufenthalt des Erzbischofs Hrabanus Maurus in jener villa genannt Winkela, wo er während einer Hungersnot mehr als 300 Arme versorgte. Der damals als Winkel bezeichnete Siedlungskomplex, der auch Oestrich und Mittelheim umfasste, war demnach Standort eines erzbischöflichen Herrenhofes. Um 1248 wird aus der Nennung von inferior Winkel die zuvor erfolgte Trennung in eigenständige Gemeinden erkennbar.
Der vielleicht auf das 9. Jahrhundert zurückgehenden Kapelle St. Walpurgis in Winkel wurde vor 1200 das Tauf- und Begräbnisrecht verliehen, 1220 wurde sie zur Pfarrei erhoben. Das Patronat lag bei der Familie von Greiffenclau, als deren Grablege sie diente.
Für Winkel sind ein selbständiges Gericht sowie ein Gerichtshaus (Spielhaus?) 1357 bezeugt; seit ist 1482 ein eigenes Gerichtssiegel nachweisbar, aus dem das Ortswappen hervorging.

Mainzer Ministerialen, die sich von Winkel nannten, treten seit 1108 auf. Die wahrscheinlich aus diesen örtlichen Ministerialen in den niederen Adel aufgestiegene, seit 1191 genannte und seit 1211 in Winkel bezeugte Familie Greiffenclau besaß als freies Eigengut hier ihren Stammsitz, Acker- und Rebland, Wiesen und eine Rheinmühle; weiterhin trug sie im 15. Jahrhundert den Weinmarkt in Winkel, zwei Backhäuser, zwei Rheinauen mit Fischereirechten sowie eine Badestube zu Lehen.
Wohl spätestens seit Mitte des 13. Jahrhunderts gehörte das um 1078 erbaute Graue Haus, auch Greiffenstein genannt, der Familie Greiffenclau. Diese errichtete vor 1330 weit oberhalb des Ortes, am Rand der bis dahin urbar gemachten Gemarkung, die Turmburg und das spätere Schloss Vollrads; erstmals 1332 und 1338 nannte sich ein Greiffenclau nach diesem neuen Stammsitz. Das Graue Haus verblieb weiterhin im Eigentum der Familie und diente im 16. und 17. Jahrhundert als ihr Witwensitz.

Den Bevölkerungsschwund durch die Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs dokumentieren die erhobenen Einwohnerzahlen: 204 Herdstellen im Jahr 1525 stehen noch 116 Herstätten mit 345 Einwohnern im Jahr 1671gegenüber. 1700 bilden 88 Bürger mit 15 Beisassen die Bewohnerschaft, 1800 werden 1.321 Einwohner, 1960 3.851 Einwohner gezählt.
1691 wurde die erste Apotheke des Rheingaues in Winkel eröffnet. Schulstiftungen von 1757 förderten die Knabenschule sowie den Bau einer Mädchenschule.

St. Bartholomä
Ein Ort Helise wird 817 in einer Ingelheimer Urkunde erwähnt. Noch im 16. Jahrhundert erscheint die Bezeichnung Elsser Ort, die sich vermutlich auf den Elsterbach (Klingelbach) bezieht. Dieser Bach stellte bis zur Veroneser Schenkung 983 die Grenze des erzbischöflichen Herrschaftsgebietes im Rheingau dar, später die Grenze zwischen oberem und unterem Rheingau. Die davor im oder am Rhein gelegene Lützelau diente bei den Rheingauer Landtagen im Mittelalter als Versammlungsort. Im 16. Jahrhundert fanden die Versammlungen bei der St. Bartholomäuskapelle statt.

1140 hatte das Kloster Johannisberg einen Hof in Winkel mit Zubehör und der dortigen Bartholomäuskapelle erhalten; der Hof verblieb im Besitz des Klosters bis zu dessen Auflösung 1563. 1606-1626 übergab der Mainzer Erzbischof die Kapelle mit Gebäuden und Weinbergen an das Mainzer Jesuitenkolleg. Ein in diesem Zusammenhang in der Literatur erwähntes Siechenhaus oder Hospital ist nicht sicher nachweisbar. Nach Auflösung des Jesuitenordens 1713 und Verfall der Kapelle wurde 1774 ihr Abbruch angeordnet. Das Hofgut wurde durch das Mainzer Seminar aufgekauft und blieb in dessen Besitz bis zur Säkularisation; im Laufe des 19. Jahrhunderts verfielen die Gebäude.
Einen Aufschwung erlebte das Bartholomä gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch die 1874 gegründete chemische Fabrik Geromont, Goldenberg & Co., die bis zu 80 Arbeiter beschäftigte und bis 1927 bestand.

Ortsentwicklung – historisches Ortsbild
Zwischen zwei Bächen, dem Schwemmbach im Osten und dem Elsterbach in Westen, erstreckt sich der wegen seiner Ausdehnung zeitweilig auch als Langenwinkel bezeichnete Ort entlang einer langgestreckten Bucht parallel zum Rheinufer. Die Siedlung dürfte im 15. Jahrhundert keine andere Ausdehnung besessen haben als jene, die eine Vollradser Karte von 1741 zeigt: ein einziger langer Straßenzug, beidseitig mit Hofreiten bebaut, und zum Leinpfad hin einige Hofstellen, darunter das Graue Haus. Wie das Graue Haus lagen weitere bedeutende, vielleicht schon seit dem Frühmittelalter existierende Höfe relativ nah am Rheinufer; ein Beispiel ist der Probeck'sche Hof, ein in das 16. Jahrhundert oder früher zurückreichender Adelssitz, dessen markantes Herrenhaus, damals noch malerisch an den Rheinwiesen gelegen, in den 1970er Jahren abgebrochen wurde.
Während die südlich der Rheingauer Straße gelegenen, ummauerten, überwiegend als (Wein-)Gärten genutzten Parzellen überwiegend noch großflächige, ursprünglich wenig unterteilte Areale umfassen, zeigt sich nördlich der Rheingauer Straße eine verdichtete Bebauung mit schmalen Parzellenstreifen, die nach Norden ebenfalls durch Mauern und einen Pfad begrenzt waren. Hier hat sich nach dem Bahnbau von 1856 der alte Siedlungsrand nur partiell erhalten.

Die schmale Lücke nach Mittelheim wurde im frühen 19. Jahrhundert weitgehend geschlossen. Der bauliche Anschluss des südwestlichen, kleinen Ortsteils Bartholomä folgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Ansiedlung einer Fabrik mit zugehöriger Wohnbebauung für Arbeiter und Angestellte. Die dortige kleine Wegekapelle St. Bartholomäus erinnert nicht nur an den mittelalterlichen Vorgängerbau im Bereich des ehemaligen Johannisberger Klosterhofes und die spätere Jesuitenniederlassung, sondern weist auch durch ihre Lage auf den hier erhaltenen alten Weg nach Geisenheim, der durch die nördlichere Straßenführung der Rheingauer Chaussee von 1804 oberhalb des Gutenbergs abgelöst wurde. Die Geschichte des Ortes lebt noch in der Weinlagenbezeichnung Jesuitengarten weiter. An der westlichen Gemarkungsgrenze stand unmittelbar südlich des alten Weges ein Galgen als Gerichtsstätte des Mittelamtes.

Neuere, den alten Ortskern flächenmäßig weit übertreffende Wohngebiete entstanden in der ehemaligen Weinbergsgemarkung nördlich der Bahnlinie. In den Straßennamen zeigt sich eine weitgehende Kontinuität seit 1870.

Ein wesentlicher Landschaftsbestandteil der Winkeler Gemarkung ist das Tal des Elsterbachs, das unterhalb des Johannisberges inmitten umliegender Rebflächen einen durchgängigen Grünzug von (heute teilweise in Weinberge umgewandelte) Wiesen, Weiden, Obst- und Nussbaumflächen mit einer Reihe von Mühlenhöfen bildet. 1671 werden sechs Mühlen am unteren Elsterbach aufgeführt: die bürgerliche Mühle in Bartholmes nahe am Rhein (heute Zwickmühle, Neubau); die Bischofsmühle, oberhalb der Straße gelegen, samt zugehöriger Scheuer und Stallung außerhalb der Nebengebäude und verschiedenen Herdstätten; eine freie Mühle; die Mühle des Herrn von der Frentzen; die Junker Wonsheimische Mühle (Weißmühle); Caspar Buschmanns Mühle (Ankermühle); die Mühle in der Klause, dem Herrn von Schönborn zugehörig. Während die beiden erstgenannten Mühlen heute im bebauten Ortsbereich liegen, verblieben die vier oberen Mühlen in weitgehend ungestörtem landschaftlichem Zusammenhang.

Gesamtanlage nach HDSchG
  • Gesamtanlage Alter Ortskern Winkel
  • Gesamtanlage Bartholomä
  • Gesamtanlage Mühlental Elsterbachgrund

(Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 2009/2020)

Literatur

Söder, Dagmar / Landesamt für Denkmalpflege Hessen (LfDH) (Hrsg.) (2013)
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen: Rheingau-Taunus-Kreis I. (Altkreis Rheingau). Wiesbaden.

Stadtteil Winkel (Oestrich-Winkel)

Schlagwörter
Ort
65375 Oestrich-Winkel - Winkel
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Archäologie, Denkmalpflege, Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Auswertung historischer Karten, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung, Fernerkundung
Historischer Zeitraum
Beginn 850

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„Stadtteil Winkel (Oestrich-Winkel)”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/P-CU-20091103-0005 (Abgerufen: 27. April 2024)
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