Kernstadt Geisenheim mit Marienthal

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Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Archäologie, Denkmalpflege, Landeskunde
Gemeinde(n): Geisenheim
Kreis(e): Rheingau-Taunus-Kreis
Bundesland: Hessen
Koordinate WGS84 49° 59′ 2,47″ N: 7° 57′ 59,33″ O 49,98402°N: 7,96648°O
Koordinate UTM 32.425.906,78 m: 5.537.365,86 m
Koordinate Gauss/Krüger 3.425.952,26 m: 5.539.141,44 m
Geisenheim liegt im Rheingau-Taunus-Kreis. Die Kernstadt erstreckt sich am flach ansteigenden Ufer des Rheines im Mündungsbereich des Blaubaches. Die Siedlung wurde erstmals 772 als Gisenheim urkundlich erwähnt.

Historische Siedlungsentwicklung
Der Pfefferzoll
Weinbau und Landwirtschaft
Geisenheim als Schulort
Maschinenfabrik Johannisberg
Ortsentwicklung - historisches Ortsbild
Wichtige Höfe
Ortsentwicklung im 19. Jahrhundert
Mühlen in der Geisenheimer Gemarkung
Marienthal

Historische Siedlungsentwicklung
Verschiedene archäologische Funde bezeugen die frühe Besiedlung des Gebietes. Der Ort geht auf eine fränkische Gründung aus der Zeit um 500 zurück, wie durch den fränkischen Friedhof westlich des Ortskernes (Beinstraße) nachgewiesen ist.

Bereits 772 wird Geisenheim urkundlich als Gisenheim zusammen mit dem ältesten Beleg für den Namen „Rheingau“ (Rinechgowe) im Zusammenhang mit einer Schenkung an das Kloster Fulda erwähnt. Der Ortsname leitet sich wohl von einem Personennamen, nicht jedoch von den als Giesen bezeichneten Rheinarmen her.
Seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert treten zahlreiche Adlige als Ministerialen mit dem Namenszusatz von Geisenheim auf. 1144 wird der Marktplatz als erster des Rheingaues genannt. Um 1330 ist ein wahrscheinlich seit dem 12. Jahrhundert bestehendes örtliches Gericht mit Schultheiß und sieben Schöffen nachzuweisen, zu dem 1399 ein Unterschultheiß kommt. Im 14. Jahrhundert bildet ein Rat von sieben gewählten Personen die Selbstverwaltung, 1408 treten zwei Bürgermeister auf. Das Haingericht besteht aus Bürgermeistern, Schultheißen und Adligen. 1373 erscheint das Gemeindesiegel, das die zwei Türme der Pfarrrkirche zeigt. Im 15. und 16. Jahrhundert ist, bis 1770, Geisenheim neben Rüdesheim Sitz des Rheingauer Unteramtes. Die Erhebung zur Stadt erfolgt erst 1864. Das 1481 erstmals erwähnte und 1853 durch einen Neubau ersetzte Rathaus ist dank zeitgenössischer Zeichnungen in Einzelheiten überliefert

Die 1146 vom Erzbischof dem Mainzer Domkapitel übergebene, zunächst St. Martin geweihte Geisenheimer Pfarrkirche zählt zu den ältesten des Rheingaues. Ein romanischer Türsturz, der dem frühesten Bau zugeschrieben wird, ist im Museum Wiesbaden erhalten. Chor und Schiff wurden zu Beginn des 16. Jahrhunderts neu errichtet. Die beiden romanischen Westtürme wurden 1829 abgebrochen und durch Neubauten nach Entwurf von Philipp Hoffmann ersetzt. 1819-22 wurde der Totenhof von der Kirche nordwestlich vor die Siedlung verlegt.
Der erst 1421 urkundlich bezeugte erzbischöfliche Fronhof, dessen Wurzeln jedoch ins frühe Mittelalter zurückreichen dürften, war wohl einer der ältesten Bestandteile des Ortes, ging jedoch dann in der anwachsenden Bürgersiedlung auf. Gleichzeitig besaß Geisenheim eine große Anziehungskraft für den Adel, der sich hier bevorzugt niederließ.

1337 war dem Geisenheimer Adel die Steuerfreiheit durch den Erzbischof bestätigt worden. 1588 klagt die Gemeinde über hohe Steuerverluste aufgrund des Aufkaufs steuerpflichtiger bürgerlicher Güter durch den Adel. Dieser erwarb zunehmend Grundbesitz am Ortsrand, vielfach auf Kosten schon bestehender Bebauung. Das Wohnhaus von der Leyen (heute Kronberger Hof) von 1581 mit Saal und Nebengebäuden, Baum- und Lustgarten entstand anstelle von 13 bürgerlichen Häusern. 1631 beklagen Schultheiß und Rat, dass der Herr von Stockheim 9 Hofreiten erworben und die Häuser meist abgerissen habe; 1650 werden 19 bürgerliche Häuser, eine Mühle und über 100 Morgen Land aufgezählt, die Adel und Klöster an sich gebracht und dadurch der Steuerpflicht entzogen haben. Nach anderer Quelle wurden rund 40 Häuser und entsprechend große Landflächen durch Adlige erworben. Zahlreiche (heute nicht erhaltene) Epitaphien in der Pfarrkirche, teilweise aus einem Verzeichnis von 1614 bekannt, erinnerten an die hier bestatteten Mitglieder der am Ort ansässigen adligen Familien.

1528 wurden in Geisenheim 258 Herdstellen (Häuser) gezählt; mit etwa 1240 Einwohner war es damit größter Rheingauort nach Eltville. Um 1660 verblieb nur noch rund die Hälfte der vor dem Dreißigjährigen Krieg ansässigen Einwohnerschaft, die 1666 durch die Pest weiter dezimiert wurde und um 1670 nur noch bei etwa 530 Personen liegt. Von diesem Zeitpunkt an folgte ein stetiger Anstieg mit etwa 1.900 Einwohnern um 1800 und rund 2.500 Einwohnern 1840. Der Wachstumsphase der Siedlung bis um 1840 folgte eine Periode der Stagnation und Auswanderung bis um 1860. 1960 hatte Geisenheim etwa 7.500 Einwohner, heute (2001) in der Kernstadt etwa 10.000 Einwohner.
1532 war die Wohnbevölkerung in vier Brunnennachbarschaften nach den folgenden Brunnen eingeteilt: auf dem Marktplatz, in der Marktstraße, auf dem Behl und im Westrich. 1734 war die Zahl der Nachbarschaften auf 13 angewachsen. 1820-23 entstand eine öffentliche Wasserleitung, die 18 Brunnen speiste. 1902 gab es 11 Gemeinde- und 185 Privatbrunnen.

1484 wird erstmals das dem hl. Geist geweihte Hospital genannt, das für Pilger, Reisende, kranke und alte Leute bestimmt war; es wurde 1782 verkauft.
Ein Backhaus bestand 1343, zwei gemeine Backhäuser werden 1501 genannt. Das Backrecht als ursprünglich kurfürstliche Gerechtsame ging im 16. Jahrhundert an die Gemeinde über.

Außerdem gab es im 17. Jahrhundert zwei gemeine Schmieden. Um 1700 organisierten sich die nun zahlreichen Handwerker in Zünften. Im 18. Jahrhundert hatten sechs Zünfte in Geisenheim ihren Sitz; sie wurden 1819 aufgehoben. 1767 befanden sich unter 139 Bürgern und 23 Beisassen 97 Gewerbetreibende mit 24 Berufen. Alle waren gleichzeitig im Weinbau tätig. 1780 lebten außerdem 31 Wingertsleute in Geisenheim, davon 7 keine Bürger.
1800 wurden, überwiegend auf adligen Höfen und daher steuerfrei, 17 Bierbrau- und 18 Branntweinkessel gezählt. Gewerbe und Handel nahmen in nassauischer Zeit weiter zu, 1828 gab es 141 Handwerker und Gewerbetreibende in 29 Berufen, die den allgemeinen Lebensbedarf abdeckten. Die soziale Schichtung geht aus der Einteilung in Steuerklassen von 1854 hervor, als nur 10 Personen der 1. Abteilung (Gutsbesitzer, Weinhändler) und 43 Personen der 2. Abteilung (diverse Händler und Handwerker) der großen Mehrheit von 145 Personen der 3. Abteilung (mit 49 Winzern und 79 Tagelöhnern) gegenüberstehen.
Der Pfefferzoll
Der Zoll zu Geisenheim, erstmals 1194 urkundlich genannt, bestand schon vor 1165. Rheingraf Wolfram (+1220) trug laut seinem Lehnsverzeichnis um 1206 mit dem Grafenbann im Rheingau vom Reich in Geisenheim ein Pfund Pfeffer als Abgabe jedes Schiffes, das den Rehin herauf- oder herabfuhr, zu Lehen.

Damit war Geisenheim, neben Ehrenfels, einzige Schiffszollstätte innerhalb des Rheingaues. Die Wild- und Rheingrafen wurden durch den Kaiser wiederholt mit dem Zoll belehnt, der jedoch zusehends an Bedeutung verlor. Ein Zollschreiber wird 1580 noch genannt, 1596 soll die Zollstätte verfallen gewesen sein. Versuche der Fürsten Salm, auf die 1623 der Pfefferzoll übergegangen war, diesen wieder als gewöhnlichen Zoll zu etablieren, scheiterten bis 1747 endgültig.
Weinbau und Landwirtschaft
Vor 1806 war der Grundbesitz weitgehend in der Hand geistlicher Institute und des Adels. Eine überragende Stellung nahm dabei das Mainzer Domkapitel als Zehntherr ein. Der ihm zustehende Weinzehnte wird seit 1329 in zahlreichen Urkunden erwähnt, über die Form der Erhebung wurden genaue Richtlinien erlassen. Für die großen Mengen des zu verarbeitenden Weines waren im Jahr 1700 im Zehnthof vier große Baumkeltern vorhanden. 1794 wurde der Weinzehnte an 9 Stationen, meist vor den Toren, erhoben. Daneben wurde auch der Fruchtzehnte gefordert. Die Besitzungen zahlreicher anderer geistlicher Institute und Stifte aus Mainz waren dagegen von geringerer Bedeutung.
Auch auswärtige Klöster – im Mittelalter die Abtei Fulda und das Domstift Hildesheim, im 17. Jahrhundert die Abtei Brauweiler bei Köln – waren hier begütert. Hinzu kamen Besitzungen der benachbarten Klöster Johannisberg und Eibingen. Das Kloster Eberbach erhielt schon vor 1150 einen Weinberg. Die Eberbacherer Besitzungen unterstanden genauen Regelungen und Kontrollen über die Kultivierung der Weinberge, die meist für die Abgabe von einem Drittel der Ernte an Pächter ausgegeben waren.
Den Großteil des Landbesitzes nahmen die Güter des Adels ein; an erster Stelle standen hier im 18. Jahrhundert die Grafen von Ostein und von Schönborn.

Zu Ausgang des 17. Jahrhunderts wurde durch Edle und Bürger jährlich ein Weinmarkt abgehalten, der Wein vielfach zum Niederrhein, nach Belgien und den Niederlanden exportiert. In den Geisenheimer Wirtschaften durfte nur Rheingauer Wein verzapft werden. Auch 1823 heißt es, dass die Einwohner sich hauptsächlich vom Weinbau und Weinhandel nähren. 1851 ist der Betrieb von sechs Straußwirtschaften gestattet. Mit 565 ha Rebfläche werden heute 14% des Stadtgebietes durch Weinbau genutzt. Von 41 Lagennamen 1951 wurden nach 1971 noch acht geführt.

Neben dem Weinbau wurde auch stets der Obstanbau in größerem Umfang betrieben, dabei jedoch das Baumrecht auf bestimmte Lagen beschränkt. In kurmainzischer Zeit zeichneten sich die Höfe des Adels durch ihre Obstanlagen aus. So kultivierte der Freiherr von Zwierlein 600 Traubensorten in seinem Garten.
Von der gesamten landwirtschaftlich bearbeiteten Gemarkungsfläche wurde etwa die Hälfte als Weinberg, der Rest überwiegend als Acker und wenige Flächen als Wiesen genutzt. Der Anbau von Brotgetreide reichte nicht für die Eigenversorgung der Geisenheimer Bevölkerung aus. Die Viehhaltung diente nicht nur der Ernährung, sondern vorzugsweise der für den Weinbau wichtigen Düngerproduktion. Hinzu kam der umfangreiche Gemeindewald.

Zu Beginn der nassauischen Zeit lag der Weinhandel vor allem bei Frankfurter Kaufleuten. Im 19. Jahrhundert entstanden bedeutende Weingüter und -handlungen von internationalem Ruf (Dresel, Lade), deren Inhaber gleichzeitig eine wichtige Rolle im kulturellen Leben Geisenheims und des Rheingaues spielten. 1812 hatte sich Lade als Weinhändler niedergelassen, 1862 wird von Lade als „große inländische Weinhandlung“ erwähnt. Der geschäftlich äußerst erfolgreiche Eduard von Lade erbaute als Wohnsitz die Villa Monrepos, wo er sich besonders der Gärtnerei und Obstzucht widmete. Er gründete die Lehranstalt für Obst- und Weinbau in Geisenheim.
Geisenheim als Schulort
Die Geschichte Geisenheims als zentraler Schulort des Rheingaus hat eine weit zurückreichende Tradition. Eine Schule ist seit dem 15. Jh., eine Lateinschule seit dem 16. Jahrhundert belegt. 1692 besaß das Schulhaus zwei große Stuben. Eine 1752 gestiftete Mädchenschule war im Frühmesserhaus untergebracht. 1812 wurden in einem Haus an der Zollbrücke drei Schulzimmer und drei Lehrerwohnungen eingerichtet. Die 1845 gegründete Realschule für Knaben nutzte Räume im neuen Rathaus. Es folgten die Gründung einer Gewerbeschule 1851 und der höheren Töchterschule 1857. 1883 entstand der Neubau des Realprogymnasiums. 1904 waren für die Volksschule zwei Gebäude im Zoll mit je zwei Schulzimmern, drei Schulzimmer im Rathaus und ein Schulzimmer in der alten Schule bei der Kirche vorhanden; 1909 wurde der für 600 Schüler projektierte Neubau an der Winkeler Straße eingeweiht. Das seit 1911 zu einer Vollanstalt erweiterte Gymnasium erhielt 1928 sein Gebäude am Kapellengarten. Die 1894 eröffnete St.Ursula-Schule ermöglichte den höheren Bildungsweg auch für Mädchen. Um 1930 gab es neben Kindergarten und Vorschule eine Höhere Handelsschule und eine Haushaltungsschule. Die Gewerbeschule wurde nach 1937 zur zentralen Kreisberufsschule erweitert.

Die bedeutendste Lehreinrichtung Geisenheims war die auf Initiative von Eduard Lade 1872 eröffnete „Königliche Lehranstalt für Wein- Obst- und Gartenbau“, seit 1925 „Versuchs- und Forschungsanstalt für Wein- und Gartenbau“, die nach kontinuierlichem Ausbau heute als Hessische Lehr- und Forschungsanstalt überregionalen Ruf genießt.
Maschinenfabrik Johannisberg
Die Maschinenfabrik Johannisberg (Druckmaschinen) ließ sich 1892 im Osten der Geisenheimer Gemarkung nieder. Die Maschinenfabrik Valentin Waas von 1887 und weitere Betriebe (Fritz Werner) ließen Geisenheim zum wichtigsten Industriestandort des Rheingaues werden. Seit 1892 förderte das Geisenheimer Kaolinwerk auf dem Rothenberg Kaolin.
Ortsentwicklung - historisches Ortsbild
Der ehemalige Fronhof, ein ausgedehnter Komplex südlich der Winkeler Straße zwischen Rheinstraße, Römerberg und Behlstraße, auf dessen Gebiet die Pfarrkirche errichtet wurde, bildet möglicherweise den ursprünglichen Siedlungskern. Bei der westlich anschließenden Beunde (Beinstraße) handelte es sich um zugehöriges, eingehegtes, grundherrliches Land, in dessen Umfeld die vom Fronhof abhängigen Bauernstellen anzunehmen sind. Hier fanden sich als ältere Siedlungsspuren Reste des fränkischen Gräberfeldes. Die schon zu einem frühen Zeitpunkt außerordentlich weiträumige Ausdehnung des Ortes wird belegt durch das romanische Haus im Norden (Bierstraße), einen 1292 erwähnte Adelssitz als Vorgänger des Eberbacher Hofes (Rüdesheimer Straße) im Westen und einen 1258 genannten Hof in der Behlstraße.

Zunächst besaßen wahrscheinlich Fronhof und Kirche Wehrcharakter. Die Kirchhofmauer begrenzt auch heute noch den erhöht gelegenen Kirchhof nach Osten zum Blaubach hin. Auch für die frühen Adelssitze ist bis zu einem gewissen Grad eine eigene Wehrfähigkeit anzunehmen. Die Befestigung der gesamten Siedlung erfolgte im Mittelalter zu einem unbekannten Zeitpunkt. Wie auch in Lorch und Rüdesheim war sie – im Gegensatz zu Eltville – nicht mit einer Stadtrechtsverleihung verbunden. 1549 und 1588 wird die gemeine Mauer erwähnt. Mehrere Pforten werden im 15. Jahrhundert genannt: Holzpforte (1479, 17. Jh.), Mittelpforte (1484 bis um 1800), Winkeler Pforte (1484; 1693), Eibinger Pforte (17. Jh., im 18. Jh. Viehtor, Kuhpforte), Tor nach Rüdesheim (1794), Enggassenpforte (17. Jh.). Ein Plan auf der Rheinstromkarte von 1715 zeigt, wenn auch schematisch, eine vollständige Ringmauer bis zum Rhein. Ein Stück der Ortsmauer soll heute noch im Bereich Kirchspiel/Bierstraße erhalten sein.

Innerörtliche, ehemals grundherrliche Flächen wie die des Fronhofes wurden nach und nach durch bürgerliche Hofreiten besiedelt und baulich verdichtet. Der Mittelpunkt der Bürgergemeinde entwickelte sich um den Lindenplatz, wo bei der alten (Gerichts)Linde das Rathaus errichtet wurde. Auch diente der Lindenplatz als Marktplatz neben dem später bei der Kirche gelegenen Hauptmarkt (Oberer und Unterer Markt).

1525 werden in Geisenheim 258 Häuser bei 1200-1300 Einwohnern gezählt, 1577 beträgt die Zahl der zu besteuernden Häuser (ohne Adelshöfe) 269. Die 1652 genannte, wohl erst kurz zuvor angelegte Neugasse durchschnitt das ehemalige Fronhofgelände. Der Marktplatz an der Pfarrkirche scheint im 17. Jahrhundert vergrößert worden zu sein; seit dieser Zeit bleibt die Bebauung des nun annähernd rechteckigen Platzes hinter einer Baulinie zurück, die von einem älteren Gebäude (Bischof-Blum-Platz 10) noch nicht eingehalten wurde.
Aus der Vielzahl der Straßen- und Distriktbezeichnungen des Ortskernes lässt sich dessen Ausdehnung und starke Besiedlung erkennen. Ein Verlauf der ehemaligen Ortsbefestigung ist im Grundriss jedoch nicht eindeutig festzustellen. Möglicherweise war der Bering so weit gefasst, dass er genug Raum für Wachstum bot. Es scheint, dass eher die Grundstücksgrenzen der um den Ortskern gelagerten großen Landgüter dessen Form und Ausdehnung bestimmten.

1812 führt das Häusersteuerkataster 254 (steuerpflichtige) Gebäude (außer Kirche, Schul- und Rathaus) auf; die Zahl der Gebäude steigt auf 672 im Jahr 1865. 1844 wird auf Gemeindebeschluss Bauland außerhalb der alten Pforten ausgewiesen.

Adel und Obrigkeit erwarben zunehmend großflächigen Grundbesitz am Ortsrand und errichteten großzügige, teilweise prächtige Bauten, die das Bild des Fleckens prägten und ihm seinen stadtähnlichen Charakter verliehen, auf den frühe Beschreibungen immer wieder hinweisen. Zu den Landsitzen alteingesessener Familien kamen im 19. Jahrhundert große Weingüter, Villen und schließlich die Gebäude und Freiflächen der Forschungsanstalt, die mit ihren ausgedehnten Parkanlagen das Umfeld und die Gesamtansicht des Ortes bestimmten.
Wichtige Höfe
Zu den wichtigsten (teilweise nicht erhaltenen) Höfen gehörten:
  • Burgberg, vermuteter ursprünglicher Sitz des Rheingrafen, erwähnt im 15. Jahrhundert; Fronhof, erwähnt seit 1421. Zehnthof des Domkapitels, Ersterwähnung im 14. Jahrhundert, im Westrich neben Hof von der Leyen, 1773 Verkauf an Graf Ostein, neuer Zehnthof errichtet in der Breitgasse (Rheinstraße 7).
  • Hof des Klosters Eberbach, 1292 Schenkung eines adligen Hofes (Kapellenhof) mit St.Nikolaus-Kapelle, neues Hofhaus erbaut 1705-08. Nach Aufhebung des Klosters mit Weingarten Kappelgarten an Graf Ostein. Hof des Mainzer St. Klarenklosters mit Hauskapelle im Kirchspiel.
  • Hof der Jesuiten, Winkeler Straße 47. Smiedeberger Hof des Henne von Hochweisel an der Holzpforte, genannt 1479. Wohnhaus von der Leyen von 1581 mit Saal und Nebengebäuden, Baum- und Lustgarten, wo zuvor 13 bürgerliche Häuser standen. 1616 Erwerb durch Erzbischof Johann Schweikard von Kronberg, genannt Cronberger Hof, Ende 18. Jahrhundert an Graf Metternich, heute Ursulinenschule.
  • Hof des Grafen Degenfeld, Lage etwa Rosengarten-/Müller-Thurgau-Straße; hufeisenförmige Anlage mit Hofhaus, Stallung, Kelterhaus und altem Turm; 1812 auf Abbruch versteigert. Bierhof, ein gräflich Ingelheimisches Herrenhaus aus dem Erbe der Adligen von Riedt, errichtet in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts als schlichter zweigeschossiger Massivbau, Abbruch um 1970.
  • Ehemals Stockheimer Hof von 1550, seit 1654 Schloss Schönborn (Winkeler Straße 64). Ingelheimer Hof, 1681-83 durch Erzbischof Anselm Franz von Ingelheim erbaut. Zwierleinshof mit zugehörigem Lustgarten, im 18. Jh. erbaut anstelle eines Hofes der Adligen von Stockheim.
  • Palais Ostein, erbaut 1766-71, heute Ursulinenschule.
  • Zahlreiche weitere Höfe und Güter in adligem Besitz werden in der Literatur ohne genaue Ortsangabe genannt (Besitzungen der Schütz von Holzhausen, von Sickingen, von Schönburg, von Nassau, von Vorster u. a.).


Ortsentwicklung im 19. Jahrhundert
Wichtige Faktoren der Ortsentwicklung im 19. Jahrhundert waren der Ausbau der Rheingauer Chaussee und der Eisenbahnbau. Die Straßenführung durch den Kernbereich, wie sie im Plan um 1810 (mit drei Varianten) dargestellt ist, nutzte weitgehend schon vorhandene Straßen und durchquerte nur zwischen Behlstraße und Burggraben privates Gelände ohne nennenswerte Verluste an Bausubstanz. Erst ihre spätere Verbreiterung und Anpassung an das gestiegene Verkehrsaufkommen führte zu Abbrüchen historischer Bauten, die das Ortsbild entscheidend änderten. Dazu gehörte etwa die Eckbebauung Winkeler-/Behlstraße mit dem alten Gasthaus Zum Weißen Ross, einem wohl noch aus dem 16. Jahrhundert stammenden Fachwerkbau. Schon 1853 hatte alte Rathaus einem zurückgesetzten Neubau weichen müssen.

Wie in anderen Rheingauorten brachte auch hier der Bahnbau nach 1850 eine durchgreifende Änderung der Ortsstruktur mit sich. Unter Verlust von 13 Häusern durchschnitt die Trasse die alte Siedlung im nördlichen Teil und trennte diesen vom Kern ab – es entstand eine städtebauliche Zäsur, die bis heute nicht bewältigt wurde. Die bereits bestehende Lücke vergrößerte sich in der Folge immer weiter durch zusätzliche Abbrüche entlang der zunehmend belasteten Bahnstrecke.

Nördlich der Bahn wurde an der Mühlstraße seit 1860 ein Wohngebiet für über 200 wenig bemittelte Familien angelegt. Der vorhandene Lehmboden wurde an Ort und Stelle zu Ziegeln gebrannt und als Baumaterial genutzt, teilweise auch für den Anbau am Rheinufer verwendet. 1863 wurde ein weiteres Wohngebiet mit 52 Bauplätzen östlich der Altstadt zwischen Römerberg und Schmittstraße erschlossen. Zwischen 1895 und 1905 entstand im Pflänzer, zwischen Kernstadt und Maschinenfabrik, ein Stadtteil von Arbeiterhäusern mit über 600 Einwohnern.

Starke Veränderungen erfuhr das Rheinufer durch Flussregulierungsmaßnahmen. Die ehemaligen Inseln der Schönborn’schen Aue und der Lach-Aue wurden seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Dämme und Aufschüttungen (Rheinanbau, Geisenheimer Anbau) mit dem Ufer verbunden und so der Fluss weiter vom Ort abgerückt. Der Ausbau der Bundesstraße 42 sowie die Fertigstellung des Südrings im Jahr 2001 verstärkten die räumliche und optische Trennung der Stadt vom Rhein.

Das an der Winkeler Straße vor 1900 entstandene Industriegebiet wuchs weiter in Richtung Johannisberg; auch die Ortseingänge im Osten wie im Westen werden zunehmend durch Gewerbe- und Verkehrsflächen vereinnahmt. Jüngere Wohngebiete dehnen sich um den Fuß des Rothenberges aus, der mit seinen großflächigen, flurbereinigten Rebhängen den Hintergrund der Stadtansicht bildet. Dem „Rheingauer Dom“ mit seinen Türmen als markantem Mittelpunkt der Altstadt machen die in den 1970er Jahren im Nordosten der Stadt entstandenen Wohnhochhäuser als weithin sichtbare Landmarken Konkurrenz.

Mühlen in der Geisenheimer Gemarkung
Um 1700 gab es sieben Mühlen in der Geisenheimer Gemarkung, am Elsterbach insgesamt 14 Mühlen. Einige davon wurden um 1700 erbaut. Dazu gehören: die Marienthaler Mühle, die Schleifmühle (erbaut 1696/99), die Ingelheimer Mühle (vorher auch Atzelmühle und Weihermühle, unterhalb der Schleifmühle), die Schönbornsche Mühle, genannt Brückmühle, die Mühle des Mathias Bambach, Peter Vatters Mühle, die Osteinische Mühle (1704) und spätere Zwierleinsche Mühle.
Marienthal
Der Ortsteil Marienthal besteht heute aus dem auf eine im frühen 14. Jahrhundert gestiftete Wallfahrtskapelle zurückgehenden, gleichnamigen Kloster und einer modernen, nach dem Zweiten Weltkrieg nördlich von Geisenheim entstandenen Wohnsiedlung. Der ausgegangene Ort Düppenhausen war eine Hofsiedlung etwa 400 m südöstlich von Marienthal. In der Flurkarte von 1878 heißt das Tal Töpferhausen. Urkundlich wird es 1440 als Besitz der Adligen Gerhard, Konrad Schaffrath von Eppelsheim und Konrad von Morsheim genannt.

Erzeugnisse seiner Töpferei, von denen die Siedlung ihren Namen herleitete, sind bereits aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bekannt. Hier wurden Töpfe und Gefäße, Fässchen und Kannen, Schalen und Trinkbecher hergestellt, auch Wasserleitungsrohre, Hohlziegel und Gebrauchsgegenstände aus Ton. Die vornehmlich aus der 2. Hälfte des 13. und aus dem frühen 14. Jahrhundert stammenden Produkte wurden bis nach Bingen, Wiesbaden, Mainz und Worms verkauft. In der Folgezeit scheint Düppenhausen die Produktion weitgehend eingestellt zu haben; im 16. Jahrhundert arbeitete dort noch ein Hafner.
(Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 2009)

Literatur

Söder, Dagmar / Landesamt für Denkmalpflege Hessen (LfDH) (Hrsg.) (2013)
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen: Rheingau-Taunus-Kreis I. (Altkreis Rheingau). Wiesbaden.

Kernstadt Geisenheim mit Marienthal

Schlagwörter
Ort
65366 Geisenheim
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Archäologie, Denkmalpflege, Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Auswertung historischer Karten, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung, Fernerkundung
Historischer Zeitraum
Beginn 772

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„Kernstadt Geisenheim mit Marienthal”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/P-CU-20091109-0002 (Abgerufen: 25. April 2024)
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