Heutige Kulturlandschaften bieten nicht nur den Lebensraum für den Menschen, die hier leben und arbeiten, sondern auch für die Natur. Wildnisgebiete sind sehr selten, viele Pflanzen- und Tierarten sind an die heutige historisch gewachsene Kulturlandschaft angepasst.
Eine solche Landschaft ist das Ergebnis von Veränderungen durch den Menschen in Wechselwirkung mit der Natur und den naturräumlichen Gegebenheiten. Sie ist aus kulturhistorischer Sicht dann als besonders wertvoll zu betrachten, wenn sich besonders viele der historischen Veränderungen noch heute ablesen lassen und viele historische Landschaftsstrukturen noch erhalten sind.
Im Projektgebiet Uedemerbruch / Uedemerfeld ist das heute noch der Fall. Die historisch wertvolle Kulturlandschaft bildet damit auch ein grundsätzlich wertvolles Gerüst mit hohem Potenzial für Tier- und Pflanzenarten der Kulturlandschaft.
Betrachtet man die einzelnen Kulturlandschaftselemente oder Lebensräume wie Grünland, Gräben, Äcker, Wald oder Hohlwege, wird das Bild differenzierter. Während aus kulturhistorischer Sicht das Vorhandensein der besonders alten Strukturen entscheidend ist, ist aus Naturschutzsicht zusätzlich von Bedeutung, wie und mit welcher Intensität die Flächen heute genutzt werden. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen: Wenn eine Grünlandfläche seit 500 Jahren existiert und in historischen Karten nachweisbar ist, ist sie unzweifelhaft kulturhistorisch sehr wertvoll. Für eine Pflanze wie die Kuckucks-Lichtnelke reicht das nicht aus. Für sie ist nicht die bloße Existenz der Fläche als Grünland wichtig sondern entscheidend, dass die Fläche feucht ist und nicht zu stark gedüngt wird. Sonst ist ihr Vorkommen schnell erloschen. Wenn die Standortbedingungen passen und der Samen der Kuckucks-Lichtnelke auf eine neue Grünlandfläche gelangt, kann auch diese schnell besiedelt werden. Ähnliches gilt für den Kiebitz. Kiebitze werden mit bis zu 15-18 Jahren zwar recht alt, mangels historischer Kenntnisse ist es für sie aber nicht entscheidend, dass die Fläche für ihr Nest einfach seit Jahrhunderten da ist. Vielmehr ist zusätzlich wichtig, ob sie dort ungestört brüten können, ob das Nest durch Traktoren oder Vertritt zerstört wird oder ob es genug Futter für sie und ihre Jungen gibt. Hierfür ist die heutige Nutzungsintensität einer Grünland- oder Ackerfläche von höchster Bedeutung.
Die mitteleuropäische Kulturlandschaft als Ganzes und die historisch wertvollen, reich gegliederten Kulturlandschaften - wie im Uedemerbruch im Besonderen - bilden auch für den Naturhaushalt ein unverzichtbares und hochwertiges Grundgerüst. Im Sinne der Artenvielfalt erlangt eine solche Kulturlandschaft aber erst dann eine hohe Bedeutung für den Naturschutz, wenn der Aspekt der Nutzungsintensität berücksichtigt wird. Das Beispiel der Kuckucks-Lichtnelke oder des Kiebitz lässt sich auf viele andere Arten und Elemente der Kulturlandschaft übertragen.
Die Betrachtung der Kulturlandschaft Uedemerbruch aus kulturhistorischer wie aus naturschutzfachlicher Sicht liefert unterschiedliche Ergebnisse. Einerseits zeigen die Vorkommen seltener und gefährdeter Arten und die kulturhistorische Bewertung an, dass die historische Kulturlandschaft ein grundlegender gemeinsamer Wert ist.
Andererseits sind die betrachteten Zeitskalen unterschiedlich. Aus kulturhistorischer Sicht ist die Persistenz über Jahrhunderte hinweg entscheidend, die betrachteten Zeiträume sind entsprechend lang. Aus naturschutzfachlicher Sicht sind aber eher die Veränderungen in Populationen wichtig, die sich innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte vollziehen. Wegen des hohen Untersuchungsaufwands für verschiedene Pflanzen- und Tiergruppen liegen Untersuchungen häufig nur lückenhaft oder nur aus einzelnen Jahren vor, sodass oft selbst die Entwicklung der Populationen nur schwer nachvollziehbar ist. Hinzu kommt, dass die wissenschaftliche Grundlage zur sicheren Unterscheidung von Tier- und Pflanzenarten erst ab dem 18. Jahrhundert entstand (Linné, 1753, 1758). Als das Gebiet Uedemerbruch historisch nachweislich im ausgehenden 13. und frühen 14. Jahrhundert geschaffen wurde, konnte man die vorkommenden Tier und Pflanzenarten noch gar nicht unterscheiden, sondern frühestens erst 400 Jahre später. Drittens ist der aus kulturhistorischer Sicht entscheidende Aspekt der Existenz von historischen Kulturlandschaftselementen aus Sicht des Naturschutzes zu ergänzen um den Aspekt der Nutzungsintensität dieser Elemente.
Dazu wäre es besonders interessant, über das Alter bzw. die Persistenz der historischen Kulturlandschaftselemente hinausgehend deren Nutzungsgeschichte genau zu recherchieren. Wie wurden Acker- oder Grünlandflächen früher genutzt (Mehrfelderwirtschaft mit einer Brachephase oder Fruchtfolgewirtschaft ohne Brachephase)? Welche Getreidearten wurden angebaut, mit welchen Geräten und um welche Jahreszeit wurde der Boden bearbeitet, wurde gesät und geerntet (Winter- und Sommerfrucht)? Wie wurde gedüngt? Oder im Falle von Wald: wie sahen die historischen Waldnutzungsformen aus? Wann und warum wurden sie aufgegeben?
Eine Erweiterung der kulturhistorischen Betrachtung von der Geschichte der Nutzungsart auf die Geschichte der Nutzungsintensität könnte die inhaltliche Verknüpfung zwischen Kultur- und Naturgeschichte noch wesentlich verbessern und das Verständnis der Kulturlandschaft als Resultat des menschlichen Wirkens in einem gegebenen - aber dennoch grundsätzlich dynamischen - Naturraum deutlich erhöhen. Die Betrachtung historischer Nutzungsformen und –intensitäten kann zudem wertvolle Hinweise auf mögliche Empfehlungen liefern, nach denen man nicht für intensive Nutzung benötigte Wald- oder Offenlandflächen entwickeln könnte.
(Naturschutzzentrum im Kreis Kleve e.V. und Peter Burggraaff, Universität Koblenz-Landau, 2012)
Literatur
Linné, Carl von (1758)
Systema naturæ per regna tria naturæ, secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus, differentiis, synonymis, locis. Stockholm.
Linné, Carl von (1753)
Species plantarum, exhibentes plantas rite cognitas, ad genera relatas, cum differentiis specificis, nominibus trivialibus, synonymis selectis, locis natalibus, secundum systema sexuale digestas. Stockholm.
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