Warenhaus Leonhard Tietz

Kaufhaus der Leonhard Tietz KG (später AG), ab 1933 Westdeutsche Kaufhof AG (vorm. Leonhard Tietz AG), dann Galeria Kaufhof GmbH

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Landeskunde, Architekturgeschichte
Gemeinde(n): Köln
Kreis(e): Köln
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 50° 56′ 8,63″ N: 6° 57′ 19,52″ O 50,93573°N: 6,95542°O
Koordinate UTM 32.356.340,89 m: 5.644.668,54 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.567.203,84 m: 5.644.931,80 m
  • Das ab 1912 von der Leonhard Tietz AG erbaute und zum 14. April 1914 eröffnete Warenhaus Tietz in der Kölner Hohe Straße in seinem Eröffnungsjahr. Das Warenhaus-Unternehmen Tietz wurde während der NS-Zeit "arisiert" und zu "Kaufhof" umgewandelt.

    Das ab 1912 von der Leonhard Tietz AG erbaute und zum 14. April 1914 eröffnete Warenhaus Tietz in der Kölner Hohe Straße in seinem Eröffnungsjahr. Das Warenhaus-Unternehmen Tietz wurde während der NS-Zeit "arisiert" und zu "Kaufhof" umgewandelt.

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  • Das Warenhaus der Galeria Kaufhof GmbH in der Kölner Hohe Straße (2009), ursprünglich 1912-1914 erbaut als "Warenhaus Leonhard Tietz", Architekt Wilhelm Kreis.

    Das Warenhaus der Galeria Kaufhof GmbH in der Kölner Hohe Straße (2009), ursprünglich 1912-1914 erbaut als "Warenhaus Leonhard Tietz", Architekt Wilhelm Kreis.

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  • Das Grab der Familie Tietz auf dem jüdischen Friedhof Köln-Bocklemünd (2017). Auf Leonhard Tietz (1849-1914) geht das gleichnamige Warenhaus-Unternehmen zurück, das während der NS-Zeit "arisiert" und zu "Kaufhof" umgewandelt wurde.

    Das Grab der Familie Tietz auf dem jüdischen Friedhof Köln-Bocklemünd (2017). Auf Leonhard Tietz (1849-1914) geht das gleichnamige Warenhaus-Unternehmen zurück, das während der NS-Zeit "arisiert" und zu "Kaufhof" umgewandelt wurde.

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Die im späten 19. Jahrhundert von dem Kaufmann und Warenhaus-Unternehmer Leonhard Tietz (1849-1914) begründeten Kaufhäuser, darunter auch das 1891 eröffnete Warenhaus Tietz auf der Kölner Hohe Straße, revolutionierten seinerzeit den Einzelhandel.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das inzwischen von Tietz' Nachkommen geführte Unternehmen wegen seiner jüdischen Herkunft „arisiert“, das heißt de facto enteignet und der Besitz in nichtjüdische Hände überführt. Nach der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg ging aus den vormaligen Tietz-Warenhäusern das Unternehmen Kaufhof hervor, die spätere Galeria Kaufhof GmbH.

Der Ursprung der Tietz-Warenhäuser und frühe Standorte
Das erste Kölner Warenhaus Tietz
Die Umwandlung zur Aktiengesellschaft
Das zweite Kölner Warenhaus Tietz und der Architekt Wilhelm Kreis
Die „Arisierung“ während der Zeit des Nationalsozialismus
Gedenken an Angehörige der Familie Tietz
Die weitere Kaufhof-Unternehmensgeschichte
Baudenkmal
Internet, Literatur

Der Ursprung der Tietz-Warenhäuser und frühe Standorte
Der 1849 in Birnbaum im heutigen Polen geborene Unternehmer Leonhard Tietz betrieb ab 1878/79 ein kleines, lediglich 25 Quadratmeter Verkaufsfläche einnehmendes Geschäft für Garne, Knöpfe, Stoffe und Wollwaren an der Ossenreyer Straße 31 in Stralsund.
Im Jahr 1882 gründete Tietz eine erste Filiale in der Elberfelder Herzogstraße, die sich jedoch rasch als zu klein für die eng benachbarten Großstädte Elberfeld und Barmen erwies, die 1929/1930 zur Stadt Wuppertal vereinigt wurden. Nach nur wenigen Monaten zog Tietz in ein größeres Haus in derselben Straße um, wo schon im ersten Jahr 40 Angestellte arbeiteten. Eine weitere Niederlassung in Elberfeld folgte 1889, wo sich zwischen 1890 und 1897 auch der Unternehmenssitz befand.
In den 1880/90ern eröffnete Tietz weitere Geschäfte, darunter im unterfränkischen Schweinfurt (1884) und im ostbayrisch-oberpfälzischen Amberg (1888), im Rheinland folgten weitere Häuser unter anderem in Aachen (1892) und in Düsseldorf (1899).

Ein Novum für die nach französischem Vorbild geführten Mehrsparten-Warenhäuser war der Verkauf von qualitativ hochwertigen Produkten zu festen Preisen, Barzahlung und einem Umtauschrecht für die Kundschaft. Was für uns heute vollkommen normal klingt, war im damaligen deutschen Einzelhandel eine Revolution und der Grundstock für den Erfolg des Familienunternehmens Tietz. Bis dahin waren die Spezialisierung auf bestimmte Waren und das Aushandeln des Preises an der Kasse üblich.

Im Jahr 1893 wurde das Unternehmen in die Kommanditgesellschaft Leonhard Tietz KG umgewandelt.
Durch Neugründungen und Übernahmen weiterer Warenhäuser wuchs das Unternehmen rasant. Bereits 1899 erfolgte die Einrichtung einer Betriebskrankenkasse, 1906 ergänzt um einen Unterstützungsfonds für „Notleidende“ und 1911 sogar ein eigenes Erholungsheim für die weiblichen Angestellten in der Eifel (Soénius 2016). In Bitburg in der Eifel hatte Tietz 1912 eine eigene Eifeler Strumpfwarenfabrik G.m.b.H. gegründet und unterhielt in Berlin und Chemnitz eigene Einkaufshäuser, um von der dortigen Textilindustrie direkt deren Produkte zu erwerben.
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Das erste Kölner Warenhaus Tietz
Im Jahr 1891 hatte Leonhard Tietz auf der Kölner Hohe Straße 23-25 ein kleines Filialkaufhaus mit 180 Quadratmeter Fläche eröffnet. Dieses befand sich südlich des späteren Standorts jenseits der Pipinstraße in Richtung Hohe Pforte, Sternengasse und Stephanstraße. Leider weisen zeitgenössische Stadtpläne das Haus nicht eigens aus (vgl. landkartenarchiv.de).

Auch dieses Haus war von Beginn an sehr erfolgreich: „Schon nach fünf Tagen ist der Laden wieder dicht, alles ist leer gekauft. Weitere Läden folgen in der Breite Straße, der Weyerstraße, der Ehrenstraße oder am Eigelstein.“ (www.express.de)
Das Sortiment des Hauses umfasste „neben dem Ursprungssortiment u.a. Porzellan, Küchenartikel, Pelzwaren, Parfüms und Spielwaren ... [und] bot z.B. vollständige Einrichtungen für Küchen, die aus mehreren Hundert Einzelteilen bestanden, zu einem Festpreis an. Eine eigene Versandabteilung lieferte die Waren zum Kunden. Zudem fungierte das Warenhaus als Großhandelsunternehmen, das Hotels und Gaststätten sowie Lebensmittelgeschäfte belieferte. ... Das Kölner Haupthaus wurde durch geschickte Grunderwerbspolitik stetig erweitert und 1902 durch einen großen Neubau mit einer überdachten Passage nach dem Vorbild der Mailänder Galleria ersetzt.“ (Soénius 2016)

Der Firmensitz wurde 1897 von Elberfeld in die Domstadt verlegt.
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Die Umwandlung zur Aktiengesellschaft
Im Jahr 1905 wurde die Kommanditgesellschaft zur Aktiengesellschaft Leonhard Tietz AG umgewandelt. Zwei Schwäger und zwei Cousins Tietz', die jeweils Filialen leiteten, wurden Aktionäre der AG. Das Gründungskapital betrug zehn Millionen Mark, wovon Tietz selbst 60 % übernahm.

Für das Jahr 1914 führt das Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften das Unternehmen wie folgt (Bd. 1, S. 1842-1843):

Leonhard Tietz Akt.-Ges. in Cöln, Bruckenstr. [sic! offenbar die etwa 200 Meter nördlich in die Hohe Straße mündende Brückenstraße, Verf.]
Zweiggeschäfte in Cöln: Ehrenstrasse, Weyerstrasse u. Eigelstein. Zweigniederlassungen in Aachen, Barmen, Bonn, Cassel, Coblenz, Crefeld, Düren, Düsseldorf, Elberfeld, Eschweiler, Mainz, Mülheim-Rhein, Remscheid u. Stralsund.
Gegründet: 17./3. 1905 mit Wirkung ab 1./1. 1905; eingetr. 23./5. 1905. Die Einzelfirma Leonhard Tietz wurde im J. 1879 in Stralsund errichtet.
Zweck: Ankauf, Verkauf u. Herstell, von Handelswaren aller Art, Erricht. ... Bei der Gründung der Akt.-Ges. wurden übernommen die Tietzschen Geschäfte in Aachen. Barmen, Bonn, Coblenz, Crefeld, Cöln, Düren, Düsseldorf, Elberfeld, Eschweiler, Mainz, Remscheid, Stralsund.
1909 hat die Ges. das alte Geschäftshaus in Düsseldorf verlassen u. verkauft: sie führt jetzt ihr Geschäft daselbst in einem neuerrichteten, gemieteten Gebäude. ...
Die von der Tietz-Ges. betriebenen Geschäfte erstrecken sich auf den Verkauf aller in Warenhäusern üblichen Artikel und unterliegt die Ges. der Warenhaus-Steuer. Beschäftigt sind ca. 4500 Personen. ...
Direktion: Leonhard Tietz, Max Baumann, Sally Baumann, Alfr. Tietz, Cöln; Louis Schloss, Coblenz; Willy Pintus. Mainz.
Prokurist: Max Grünbaum.
Aufsichtsrat: (3-9) Vors. Komm.-Rat Th. Hinsberg, Barmen; Stellv. Stadtverordneter Louis Eliel, Cöln; Bankier Fritz Andreae, Komm.-Rat Alb. Dzialoszynski, Berlin; Justizrat Dr. Martin Ephraim, Rechtsanw. Friedr. Reinach, Frankft. a. M.: Bank-Dir. Max von Rappard, Düsseldorf.


Zu dem 1907 zunächst um 2,5 Millionen und 1911 nochmals um weitere 5 Millionen auf 17,5 Millionen Mark erhöhten Kapital der AG wird angeführt, dass der Zweck dazu die „Verstärk[ung], der Betriebsmittel aus Anlass der Erweiter[ung]- der Geschäfte, insbes. der durch die Neubauten in Mainz u. Aachen erweiterten Betriebe“ war.

Zeitgleich war auch Leonhards jüngerer Bruder Hermann Tietz (1837-1907) mit dem Aufbau seines eigenen Textilwarenhaus-Unternehmens beschäftigt, dessen Niederlassungen ebenfalls bereits wesentliche Merkmale moderner Warenhäuser aufwiesen. Während Leonard seine Filialen im Westen Deutschlands betrieb, konzentrierte Oscar seine Geschäfte auf den Süden und Osten des Deutschen Reiches. Im Zuge der auch für diesen Konzern während der NS-Zeit erfolgten „Arisierung“ (vgl. nachfolgend), wurde aus der vormaligen Hermann Tietz OHG im Juli 1933 die aus den Anfangsbuchstaben gebildete Kaufhausmarke Hertie Kaufhaus-Beteiligungs-Gesellschaft m.b.H.
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Das zweite Kölner Warenhaus Tietz und der Architekt Wilhelm Kreis
Leonhard Tietz hatte offenbar für den Erfolg seines Kölner Hauses vorgesorgt und bereits ein 1.000 m2 großes Grundstück an der Hohe Straße 45 gekauft. Zu den Kosten des Grundstücks führt das Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften 1914 (Bd. 1, S. 1842) an: „Im J. 1912 traten auf Immobil.-Kto M. 4 772 279 für weitere Zahlungen auf die neuen Grundstücke in Köln-Hohestr., sowie für Kosten des Neubaues in Düren.“
Der größte Anteil der genannten Summe dürfte dabei auf den Dürener Neubau entfallen sein, vgl. ebd. nachfolgend: „Die neuen Grundstücke in der Hohestr., die im Frühjahr 1912 übernommen wurden, waren teils bebaut, teils unbebaut. Sie bedecken eine Grösse von 2165 qm u. kosteten rund M. 6 000 000. Mit der Ausführung des Um resp. Neubaues ist Mitte 1912 begonnen worden: Vollendung im April 1914.“

Begleitetet von professionellen Werbeaktionen eröffnete Tietz am 14. April 1914 Europas seinerzeit größtes und modernstes Warenhaus in einem vierstöckigen Gebäude im historischen Stil. Die äußere Fassade ist bis heute mit Veränderungen erhalten.
Im Jahr 1925 wurden im Kaufhaus an der Hohe Straße - wo sonst als bei Tietz in Köln?! - 33 Jahre nach deren Erfindung durch den US-Ingenieur Jesse W. Reno die ersten Rolltreppen Deutschland installiert: „Viele reisen eigens an, um das Novum zu bestaunen. Und manch einer betritt die bewegten Stufen beim ersten Mal mit mulmigem Gefühl in der Magengegend“ (www.express.de und www.koelnisches-stadtmuseum.de).

Das Geschäftsgebäude war zwischen 1912 und 1914 nach Plänen des deutschen Architekten und Hochschullehrers Wilhelm Heinrich Kreis (1873-1955) erbaut worden. Im Architekturwettbewerb hatten Kreis' Entwürfe „Agrippa“ und „Wahrzeichen der Zeit“ den ersten und den zweiten Preis erzielt.
Als Direktor der Kunstgewerbeschule und der Kunstakademie Düsseldorf (1908-1919) sowie als Professor der Kunstgewerbeschule beziehungsweise Kunstakademie Dresden (ab 1902 und erneut ab 1926) hatte Wilhelm Kreis maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Architektur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Bereits 1906/07 war Kreis mit einem Entwurf an dem Architekturwettbewerb für das Düsseldorfer Warenhaus Tietz beteiligt. Auf ihn geht auch das Tietz-Warenhaus in der Elberfelder Neumarktstraße (1911/12, teilweise erhalten als Kaufhof) zurück sowie ein Warenhaus für Hermann Tietz in der Chemnitzer Bahnhofstraße (1912/13, erhalten als Kulturzentrum DAStietz).
Ferner beruhen auf seinen 1899 prämierten Wettbewerbsentwurf „Götterdämmerung“ für einen Bismarckturm der Deutschen Studentenschaft - mit Abweichungen durch lokale Architekten - alleine etwa 40 Bismarcktürme.

Nachdem Leonhard Tietz nur sieben Monate nach der Eröffnung seines neuen Kaufhauses an einer Krebserkrankung verstorben war, entwarf Wilhelm Kreis auch das Familiengrabmal der Tietz auf dem Kölner jüdischen Friedhof Bocklemünd.
„Leonhard Tietz besaß eine Kunstsammlung mit Werken u.a. von Vincent van Gogh und Paul Cezanne. Er war mit Schenkungen, Leihgaben und Spenden für Museumsankäufe mäzenatisch tätig, ebenso stiftete er für jüdische Sozialeinrichtungen und war Vorstandsmitglied der Kölner Synagogengemeinde.“ (Soénius 2016)

Nach dem Tod des Vaters Leonhard leitete dessen ältester Sohn Alfred Leonhard Tietz (1883-1941) zusammen mit Gerhard Tietz (1894-1978) ab 1914 die Leonhard Tietz AG und setzten nach dem Ersten Weltkrieg den Expansionskurs fort. Das Unternehmen unterhielt Mitte 1914 in Deutschland 18 Geschäfte und weitere sechs in Belgien mit zusammen 40.000 Quadratmeter Verkaufsfläche und etwa 5.500 Mitarbeitenden. Die belgischen Tietz-Warenhäuser wurden nach dem Ersten Weltkrieg vom belgischen Staat „sequestriert“, das heißt unter dortige Verwaltung gestellt.
In den 1920ern war die Tietz AG an der Gummiwarenfabrik Radium in Dellbrück beteiligt, die für sie Massenwaren wie Badehauben und Wärmflaschen herstellte. Anfang der 1930er-Jahre beschäftigte die Tietz AG an knapp 50 Standorten etwa 15.000 Menschen.
Auch das nach einem Umbau Ende 2018 fertiggestellte Einkaufszentrum „Kalkhof“ an der Köln-Kalker Hauptstraße wurde erstmals 1929 als Kaufhaus Leonard Tietz eröffnet).
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Die „Arisierung“ während der Zeit des Nationalsozialismus
Bereits kurz nach der „Machtergreifung“ drängte das NS-Regime in der frühen Phase seiner Herrschaft auf die sogenannte „Arisierung“ jüdischen Besitzes mit dem Ziel, solchen durch de-facto-Enteignungen in nichtjüdische Hände zu überführen.

Nach dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 blieb Alfred Leonhard Tietz zunächst noch Vorstandsmitglied der AG. Er wurde jedoch durch SA-Terror gegen mehrere Niederlassungen und Drohungen der Banken, sämtliche Kreditlinien zu kündigen, noch im selben Monat zum Rücktritt gezwungen, um die im Rahmen der „Arisierung“ geforderte „arische Vorstandsmehrheit“ zu ermöglichen. Tietz bat seinen „arischen“ Freund Otto Baier (1896-1942), die Geschäftsführung des Warenhauskonzerns zu übernehmen und trat am 3. April 1933 aus dem Ehrenvorstand sowie am 25. September 1934 aus dem Aufsichtsrat des Konzerns aus.
Die Familie Tietz wurde gezwungen, ihre durch die NS-Hetzkampagne im Wert verfallenen Aktien und Anteile deutlich unter Marktwert an ein Bankenkonsortium von Commerzbank, Deutscher Bank und Dresdner Bank zu verkaufen. Zunächst wurde das Unternehmen im Juli 1933 in Westdeutsche Kaufhof AG (vorm. Leonhard Tietz AG) umbenannt - ab 1936 entfiel dann der Zusatz, um den Namen des jüdischen Gründers endgültig zu verbergen.
Die seinerzeitige Größe des Konzerns und damit auch der Umfang der Enteignung wird aus der Aufstellung im Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften von 1934 ersichtlich (Bd. 3, S. 3102-3105):

Westdeutsche Kaufhof Aktiengesellschaft (vorm. Leonhard Tietz A.-G.)
Sitz in Köln, Gürzenichstraße 2.
Verwaltung: Vorstand: Vors.: Dr. Otto Baier, Köln; Christian Rensing, Köln; Stellv.: Paul Brandt, H. G. Lange, H. Liffers.
Aufsichtsrat: Vors.: Präs. Abraham Frowein, Wuppertal; stellv. Vors.: Bankier Fritz Andreae (Hardy & Co. G.m.b.H.), Berlin; sonst. Mitglieder: Björnsen-Schaar, Berlin; Bank-Dir. J. B. Rath (Deutsche Bank u. Disconto-Gesellschaft) Köln; Bank-Dir. Dr. Walter Seidel (Dresdner Bank) Köln; Bank-Dir. Dr. W. A. Wolff (Commerz- u. Privatbank) Köln.
Der Gesamtgrundbesitz
[hier nur Köln, Verf.] umfaßt 17 ha, 56 a, 43 qm.
Organisation: Hauptgeschäft in Köln: Hohe Straße - Gürzenichstr. - An St. Agatha. - Stadtfilialen in Köln: Weyerstraße, Severinstr. u. Eigelstein, Mülheim, Nippes u. Kalk. - Zweiggeschäfte in Aachen, Barmen, Bonn, Breslau, Darmstadt, Düren, Düsseldorf, Elberfeld, Eschweiler, Frankenthal, Frankfurt a. M., Glogau, Hamborn, Hanau, Kassel, Kleve, Koblenz, Krefeld, Bad Kreuznach, Ludwigshafen, Lüdenscheid, Mainz, Mayen, Mülheim (Ruhr), M.-Gladbach, Oberhausen, Offenbach, Remscheid, Rheydt, Siegen, Solingen, Stralsund und Worms; ferner gehört der Ges. die Firma Gebr. Kaufmann G.m.b.H. in Aachen. - Einkaufshäuser u. Fabrikationsbetriebe in Berlin, Bitburg, Chemnitz, Plauen u. Siebenbrunn bei Augsburg.
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Alleine für den Firmensitz in Köln werden dabei gleich mehrere Beteiligungen und Tochtergesellschaften angeführt, darunter die Ehape A.-G. für Einheitspreise mit 74 Geschäften an 55 Orten und einer 100-%-Beteiligung über 6 Millionen Reichsmark (RM), eine Union Mode-Großhandel A.-G. mit einem Aktienkapital von 1,1 Millionen RM, eine Handelsstätte Mauritius G.m.b.H. als Eigentümerin des Grundstücks Humboldtstraße 48 (100-%-Beteiligung, Geschäftskapital 200.000 RM), die von der nunmehrigen Kaufhof AG für die Unterbringung von Einkaufszentralen gemietet wurde sowie eine „Patria“ Versicherungs-A.-G. für Handel und Industrie, die „mit sämtlichen Sachversicherungen, wie Feuer-, Einbruchdiebstahl-, Transport-, Fahrzeug-, Glas- u. Aufruhrversicherung“ befasst war.
Für das Geschäftsjahr wird „trotz erheblicher ‚außerordentlicher Erträge'“ für die AG eine erstmalig negative Bilanz mit einem Verlust von 5.842.253 RM bedauert. Dieses Ergebnis sei allerdings „vornehmlich die Folge eines durch besondere Umstände bedingten, außergewöhnlichen Umsatzrückganges, den wir um so schmerzlicher empfanden, als sich dank der tatkräftigen Maßnahmen der Reichsregierung im ganzen übrigen deutschen Wirtschaftsleben während des Jahres 1933 in steigendem Maße eine entschiedene Wendung zum Besseren vollzogen hat.“ - man lese und staune!
Während des Zweiten Weltkriegs wurden 35 der Tietz-Warenhäuser durch Bomben zerstört.

Der vorab genannte Vorstandsvorsitzende Dr. Otto Baier, auf den Alfred Leonhard Tietz bis zuletzt große Stücke hielt, galt den NS-Machthabern als „Judenknecht“ da er als Generalsdirektor des Kaufhof vermutlich noch heimlich Weisungen von Tietz folgte. Obgleich er aufgrund seiner Stellung eigentlich als unabkömmlich legitimiert war, starb Baier 1942 als Soldat an der Ostfront (Korfes 2004).
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Alfred Leonhard Tietz floh mit seiner Ehefrau Margarete 1933 zunächst von Köln in das bis 1935 unter Aufsicht des Völkerbundes stehende Saargebiet und emigrierte dann 1934 nach Amsterdam, wohin sich bereits im April 1933 seine Mutter Flora und seine drei Kinder geflüchtet hatten. Unmittelbar vor dem Einmarsch der Wehrmacht nach Amsterdam konnte er durch glückliche Umstände mit dem letzten auslaufenden Schiff nach Palästina entkommen, wo er 1941 in Jerusalem starb.

Die etwa 1909 errichtete und bereits vom Vater Leonhard Tietz bewohnte noble Villa mit einem umgebenden großen Park in Köln-Marienburg (Parkstraße 61) blieb nach der Flucht der Familie Tietz zunächst unbewohnt. 1940 wurde sie gegen eine Ablösesumme von 100.000 RM durch einen Konsul Gustav Valentin Roosen erworben. Laut der familiären Überlieferung wurde eigens ein Syndikus damit beauftragt, bei den „unverzichtbar[en] Verhandlungen und Klärungen bei Behörden ... die Fäden für den ordnungsgemäßen Erwerb des Anwesens“ zu spinnen. Der „noble Wohnsitz ... war die Krönung aller bisherigen Domizile“ der Roosens (www.bnv-bamberg.de). Im Zweiten Weltkrieg brannte die Villa am 24. Oktober 1944 bis auf die Grundmauern nieder. Nachdem die Stadt für den Wiederaufbau gesorgt hatte, zog hier 1954 die Hauptverwaltung des britischen Soldatensenders British Forces Broadcasting Service mit einem Radiostudio und einem Plattenarchiv ein.

Nach dem Krieg und der Nazizeit wurden die verbliebenen Angehörigen der Familie Tietz 1951 mit gerade einmal 5 Millionen DM entschädigt. Währenddessen expandierte das aus den Warenhäusern hervorgegangene Unternehmen Kaufhof im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit - die Kaufhof-Gruppe erwirtschaftete alleine im Jahr 1977 einen Umsatz von knapp 10 Milliarden DM.
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Gedenken an Angehörige der Familie Tietz
Auf dem jüdischen Friedhof Bocklemünd in Köln erinnert eine Gedenktafel an das Ehepaar Alfred Leonhard und Margarete.

Am 18. März 2019 wurden vor dem ehemaligen Wohnhaus in der Marienburger Parkstraße vom dem Künstler Gunter Demnig (*1947) Stolpersteine zur Erinnerung und zum Gedenken an Mitglieder der Familie Tietz verlegt. Die Inschriften lauten:

  • Hier wohnte / Dr. Alfred L. / Tietz /Jg. 1883 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina / Tot 4.7.1941
  • Hier wohnte / Herta Gabriele / Tietz / verh. Frenkel / Jg. 1915 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina
  • Hier wohnte / Margarete / Tietz / geb. Dzialoszynski / Jg. 1887 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina
  • Hier wohnte / Ulrich Albert L. / Tietz / Jg. 1920 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina
  • Hier wohnte / Wolfgang L. / Tietz / Jg. 1913 / Flucht 1933 / England

Am gleichen Tag wurde auf Initiative der Sektion Rheinland Köln des Deutschen Alpenvereins ein weiterer Stolperstein vor dem Kaufhof an der Gürzenichstraße 2 für Alfred Leonhard Tietz verlegt:

  • Hier arbeitete / Dr. Alfred L. / Tietz / Jg. 1883 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina / Tot 4.7.1941
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Die weitere Kaufhof-Unternehmensgeschichte
Zum 1. Oktober 2008 wurde die Kaufhof Warenhaus AG, die u.a. durch zahlreiche Zukäufe zur Kaufhof-Holding wurde und 1996 mit der Metro Cash & Carry (heute Metro AG, Düsseldorf) fusionierte, in die Galeria Kaufhof GmbH umgewandelt. Diese wiederum wurde 2015 durch Verkauf von dem kanadischen Handelskonzern Hudson's Bay Company übernommen, welche 2018 einen Mehrheitsanteil an das österreichische Immobilien- und Handelsunternehmen Signa Holding GmbH verkaufte, das 2019 zur Alleineigentümerin wurde.
Zum Jahreswechsel 2019/20 fusionierte die Galeria Kaufhof GmbH dann mit der 1881 in Wismar als Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt gegründeten Karstadt Warenhaus GmbH in Essen. Mit dem nunmehrigen Nachfolgekonzern Galeria Karstadt Kaufhof GmbH entstand der zweitgrößte Warenhauskonzern Europas, was in der traditionsreichen und mittlerweile 141 Jahre währenden Geschichte des Kaufhof als eigenständiges Warenhausunternehmens eine Zäsur darstellte. Die beteiligten Investoren planten einen Neuanfang des seit Jahrzehnten in der wirtschaftlichen Krise befindlichen Warenhaus-Einzelhandels durch eine letztlich nicht verwirklichte Deutsche Warenhaus AG.

Bereits im Sommer 2020 wurde am Essener Landgericht für Galeria Karstadt Kaufhof ein Insolvenzverfahren angemeldet, das am 30. September 2020 erfolgreich abgeschlossen wurde. Mit Ablauf des Verfahrens zum 30. Juli 2024 benannte sich das Unternehmen in nunmehr Galeria S.à.r.l & Co. KG um, die neue Muttergesellschaft Naboo Holdings S.à r.l hat ihren Sitz in Luxemburg und gehört internationalen Investmentgesellschaften.

Der von der Krise betroffenen Belegschaft teilte das Unternehmen im März 2023 mit, dass 52 der verbliebenen 129 Warenhäuser geschlossen werden sollen (wenig später korrigiert auf 47 dann 42). Dieses bedeutete für rund 11.000 Mitarbeitende eine Weiterbeschäftigung, während das Unternehmen zugleich die Schließung weiterer 38 Filialen in zwei Etappen für Juni 2023 und Januar 2024 ankündigte.
Von den 2024 noch vorhandenen 92 Filialen sollten dann im Zuge des Insolvenzplans bis zum 31. August 2024 weitere 16 schließen, wobei dies letztlich in 9 Filialen erfolgte. Mit Stand September 2024 gibt es noch 83 Galeria-Warenhäuser.

Bei der Signa Holding GmbH mit ihrem schier undurchschaubaren Konstrukt zahlreicher Tochtergesellschaften trat 2022 Zahlungsunfähigkeit ein, ein 2023 nachfolgendes Insolvenzverfahren wurde 2024 in ein Konkursverfahren abgeändert.
Gleichzeitig beschäftigten sich gleich mehrere Strafrechtsbehörden und Staatsanwaltschaften in Österreich, Deutschland, Liechtenstein und Italien mit den Geschäften des Signa-Gründers und ehemaligem Immobilienmilliardär René Benko (*1977). Juristische Untersuchungen zu mehreren Insolvenzdelikten, schwerem Betrug und Geldwäsche mündeten schließlich in einem Europäischen Haftbefehl wegen des Verdachts der Organisierten Kriminalität. Zu Jahresbeginn 2025 wurde Benko festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft.
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Baudenkmal
Die Fassade/Einfriedung des in privatem Eigentum stehenden Gebäudes „Gürzenichstraße 2 / Hohe Straße 27-53 / An St. Agata, ... Baujahr 1913 bis 1914, Architektur von Wilhelm Kreis, Geschäftshaus (nur Fassaden)“ wurde mit Eintragung vom 12. Mai 1989 unter der Nummer DE_05315000_A_4964 unter Denkmalschutz gestellt.

(Antonia Frinken und Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2025)

Internet
de.wikipedia.org: Leonhard Tietz (abgerufen 05.09.2025)
de.wikipedia.org: Oscar Tietz (abgerufen 05.09.2025)
de.wikipedia.org: Alfred Leonhard Tietz (abgerufen 05.09.2025)
de.wikipedia.org: Galeria Köln (abgerufen 05.09.2025)
de.wikipedia.org: Galeria Kaufhof (abgerufen 05.09.2025)
de.wikipedia.org: Liste der Stolpersteine in Köln (abgerufen 05.09.2025)
www.dnb.de: Personensuchen „Tietz“ in der Deutschen Nationalbibliothek (abgerufen 05.09.2025)
www.deutsche-biographie.de: Personensuchen „Tietz“ in der Deutschen Biographie (abgerufen 05.09.2025)
deu.archinform.net: Dr. h.c. Wilhelm (Heinrich) Kreis, Architekt (abgerufen 08.09.2025)
www.rheinische-geschichte.lvr.de: Wilhelm Kreis, Architekt (1873-1955) (Text Lothar Weiß, abgerufen 08.09.2025)
www.bnv-bamberg.de: Die Roosen's in Köln (Text Gustave Roosen, Stand 06/2002, abgerufen 12.09.2025)
www.landkartenarchiv.de: Verschiedene Pläne der Stadt Köln 1912-1923, u.a. Stadtplan von Köln (Mai 1912), Stadtplan Cöln (Februar 1914), Stadtplan von Cöln (Beilage zum Offiziellen Führer durch die Deutsche Werkbund-Ausstellung, Februar 1914), Stadtplan von Cöln (Februar 1921) und Stadtplan von Cöln (Januar 1923) (abgerufen 08.09.2025)
altes-koeln.de: Hohe Straße (abgerufen 12.09.2025)
www.koelnisches-stadtmuseum.de: Lange Samstag en d'r City (Text Rüdiger Müller, abgerufen 05.09.2025)
www.express.de: Vor 111 Jahren Heftiger Andrang für Laden-Eröffnung in Köln - noch heute an gleicher Stelle (Text Thomas Werner, Kölner Express von 20.01.2025, abgerufen 05.09.2025)
www.stadt-koeln.de: Interaktive Denkmalkarte Köln (abgerufen 05.09.2025)
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Literatur

Korfes, Gunhild (2004)
Im Kampf gegen den Eigenwillen - ein Fall für die Kriminologie? In: Kari-Maria Karliczek (Hrsg.), Kriminologische Erkundungen: wissenschaftliches Symposium aus Anlass des 65. Geburtstages von Klaus Sessar, S. 107-122. S. 113-114, Münster.
Leonhard Tietz AG (Hrsg.) (1929)
50 Jahre Leonhard Tietz: 1879-1929. Köln.
Ludwig, Johannes (1992)
"Wartet nur - wir kommen schon!": Der große Boykott vom 1. April 1933. Aus dem "Traditionskaufhaus" Leonhard Tietz wird die "Kaufhof AG". In: Ders. (Hrsg.), Boykott, Enteignung, Mord: die "Entjudung" der deutschen. Wirtschaft, S. 104-127. München u.a..
Soénius, Ulrich S. (2016)
Tietz, Leonhard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 26, S. 272-274. Berlin.
Verlag A. Schumann (Hrsg.) (1897)
Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften. Ein Hand- und Nachschlagebuch für Bankiers, Kaufleute. Industrielle, Kapitalisten etc. (zeitweise auch: Das Spezial-Archiv der Deutschen Wirtschaft, verschiedene Verlage ab Ausgabe 1896/97 bei A. Schumann's Verlag, Leipzig, erschienen 1897-1998). Leipzig u.a.. Online verfügbar: digi.bib.uni-mannheim.de, 1896/97-1949, abgerufen am 20.01.2025

Warenhaus Leonhard Tietz

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Gürzenichstraße, Hohe Straße, An St. Agata
Ort
50667 Köln - Altstadt-Nord
Gesetzlich geschütztes Kulturdenkmal
Ortsfestes Denkmal gem. § 3 DSchG NW
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Landeskunde, Architekturgeschichte
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung, Auswertung historischer Schriften, Auswertung historischer Karten
Historischer Zeitraum
Beginn 1891 bis 1914, Ende nach 1933

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„Warenhaus Leonhard Tietz”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-355909 (Abgerufen: 12. September 2025)
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