Das Unternehmen und die Familie Tietz
Die Villa Tietz in der Villenkolonie Marienburg
Enteignung durch die Nationalsozialisten im Zuge der „Arisierung“
Sitz des Radiosenders der britischen Streitkräfte BFN / BFBS
Gedenken an die Familie Tietz: Stolpersteine
Internet, Literatur
Das Unternehmen und die Familie Tietz
Der Kaufmann Leonhard Tietz (1849-1914) begründete im späten 19. Jahrhundert ein Warenhaus-Unternehmen, das seinerzeit den Einzelhandel revolutionierte. Schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert wurde der Sitz der Firma von ursprünglich Elberfeld (heute Wuppertal) nach Köln verlegt, wo das im Besitz der Familie befindliche und von dieser geleitete Unternehmen 1905 in die Aktiengesellschaft Leonhard Tietz AG umgewandelt wurde (vgl. ausführlicher dort).
In der Domstadt wurde 1914 das für die Tietz AG zentrale und überaus prestigeträchtige Kaufhaus in der Hohe Straße eröffnet, das in Teilen mit Veränderungen bis heute als Galeria Kaufhof erhalten ist.
Nach dem Tod von Leonhard Tietz setzten die nun verantwortlichen Familienmitglieder den Expansionskurs des florierenden Unternehmens fort. Als im Jahr 1914 das Kölner Prachtkaufhaus in der Hohe Straße eröffnete, unterhielt die Tietz AG in Deutschland 18 Geschäfte und sechs weitere in Belgien mit zusammen 40.000 Quadratmetern Verkaufsfläche und etwa 5.500 Mitarbeitenden. Anfang der 1930er-Jahre beschäftigte die Tietz AG an knapp 50 Standorten etwa 15.000 Menschen.
Die Villa Tietz in der Villenkolonie Marienburg
Die Villa der Familie Tietz wurde 1909 im seinerzeit schon als elitär und fein geltenden Kölner Stadtteil Marienburg erbaut, der auch heute noch als eines der exklusivsten und bedeutendsten Villenviertel in Deutschland gilt. Die auch so genannte „Villenkolonie Marienburg“ erstreckt sich im Wesentlichen über den heutigen Stadtteil, dessen Areal vor dem in den 1860/70ern begonnenen Ausbau zum südlichen Nobel-Vorort der Domstadt lange Zeit fast ausschließlich landwirtschaftlich geprägt war.
Die Entwicklung zum Villenvorort beschleunigte sich mit der Eingemeindung der kleinen Siedlung Marienburg nach Köln zum 1. April 1888, intensivierte sich ab etwa 1895 und war im Wesentlichen um 1925 abgeschlossen. Die Ansiedlung von Villen des „kölschen Adels“, also durchaus begüterten Familien der Oberschicht, erfolgte vor allem in der Lindenallee und der angrenzenden Parkstraße.
Ausweislich Greven's Adressbuch von 1906 (II. Teil, S. 705) lebte Leonhard Tietz zuvor nördlich des Kölner Volksgartens in der Hardefuststraße Nr. 3, wo sich heute ein Nachkriegs-Wohnbau befindet.
Die repräsentative Tietz'sche Villa wurde 1909 errichtet und war von einem großen Park in Richtung der Militärringstraße und des nur 350 Meter von der Villa entfernten Rheins umgeben. Auf historischen Karten wie etwa der Preußischen Neuaufnahme von 1891-1912 ist zu erkennen, dass sich innerhalb dieser Parkanlage weitere Villen befanden (vgl. Kartenansicht); es ist anzunehmen, dass sich die Anlieger vor Ort die Nutzung des Parks exklusiv teilten.
Nach dem Tod des Vaters Leonhard Tietz wurde die Villa Tietz ab 1914 von seinem Sohn Alfred Leonhard und dessen Familie bewohnt.
Enteignung durch die Nationalsozialisten im Zuge der „Arisierung“
Schon kurz nach der „Machtergreifung“ drängte das NS-Regime auf die sogenannte „Arisierung“ jüdischen Besitzes, um diesen durch Enteignung in nichtjüdische Hände zu überführen. Da die Familie Tietz jüdischen Glaubens war, wurde das Unternehmen im Juli 1933 an ein „arisches“ Bankenkonsortium überführt und in Westdeutsche Kaufhof AG (vorm. Leonhard Tietz AG) umbenannt, während die Mitglieder der Familie Tietz zum Ausstieg aus der Geschäftsleitung gezwungen wurden.
Der die Tietz AG bis dahin führende Sohn des Gründers Leonhard Tietz, Alfred Leonhard, floh mit seiner Ehefrau Margarete 1933 über das Saargebiet und Amsterdam nach Palästina, wo er 1941 in Jerusalem starb.
Die Marienburger Villa blieb nach der Flucht der Familie Tietz zunächst unbewohnt. 1940 wurde sie gegen eine „Ablösesumme“ von 100.000 Reichsmark (RM) durch einen Konsul Gustav Valentin Roosen erworben. Laut der familiären Überlieferung wurde eigens ein Syndikus damit beauftragt, bei den „unverzichtbar[en] Verhandlungen und Klärungen bei Behörden ... die Fäden für den ordnungsgemäßen Erwerb des Anwesens“ zu spinnen. Der „noble Wohnsitz ... war die Krönung aller bisherigen Domizile“ der Roosens (www.bnv-bamberg.de).
Im Zweiten Weltkrieg brannte die Villa am 24. Oktober 1944 bis auf die Grundmauern nieder.
Darüber, inwieweit der vorab genannte Kaufpreis für Roosen „üblich und fair“ war, oder ob der Konsul im Zuge einer Übernahme der Villa unter Preis finanziell profitierte, lässt sich mangels eines belastbaren Wechselkurses für das zwischen 1924 und 1948 gesetzliche Zahlungsmittel im Deutschen Reich nur bedingt eine Aussage treffen. Zudem kam es während der Kriegsjahre 1939-1945 zu einer massiven Ausweitung des Geldvolumens zur Finanzierung der deutschen Rüstungsproduktion. Entsprechende Umrechnungen von historischen Preisen und Währungen sind stets mit Vorsicht zu betrachten und können nur als grobe Annäherung Verwendung finden.
Der Kaufkraftrechner der Österreichischen Nationalbank nennt auf der Basis einer Umrechnung von RM 1940 / Euro 2021 ein Äquivalent von 716.450 Euro für die vorab angeführten 100.000 RM. Eine Bundestagsdrucksache führt hingegen mit Stand 2016 für RM 1940 / Euro 2016 einen Faktor von 3,9 an, was also einen Gegenwert der Villa von lediglich 390.000 Euro entsprechen würde. Zum Vergleich: Für heutige Berechnungen der Rentenversicherung wurde das jährliche Durchschnittsentgelt für 1940 mit 2.156 RM festgestellt und für 2025 mit 50.493 Euro (vgl. finanzbildung.oenb.at, www.bundestag.de und www.gesetze-im-internet.de).
Anzumerken sei an dieser Stelle aber auch, dass es während der NS-Zeit vereinzelt auch gutwillige Käufer gab, die jüdischen Verkäufern über den „vereinbarten“ Preis hinaus freiwillig mehr zahlten, um diesen zu ermöglichen, an den Kontrollen vorbei frei über die Summe zu verfügen.
Wie dem auch sei: Der finanzielle Ertrag für die Villa ging nicht an die längst enteignete und aus dem Nazireich geflohene Familie Tietz, sondern an die deren früheren Besitz nach der abgeschlossenen „Arisierung“ treuhänderisch verwaltende NS-Behörde.
Nach dem Krieg und der Zeit des Nationalsozialismus wurden die verbliebenen Angehörigen der Familie Tietz 1951 mit gerade einmal 5 Millionen DM entschädigt. Währenddessen expandierte das aus den Warenhäusern hervorgegangene Unternehmen Kaufhof im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit - die Kaufhof-Gruppe erwirtschaftete alleine im Jahr 1977 einen Umsatz von knapp 10 Milliarden DM.
Sitz des Radiosenders der britischen Streitkräfte BFN / BFBS
Nachdem die Stadt für den Wiederaufbau der vormaligen Villa Tietz gesorgt hatte, zog hier 1954 die Hauptverwaltung des britischen Soldatensenders British Forces Network (BFN, ab 1964 British Forces Broadcasting Service, BFBS Germany) mit einem Plattenarchiv und Radiostudio mit zugehöriger Sendetechnik ein. Im Erdgeschoss brachte BFN seine umfangreiche Tonträger-Sammlung der Record Library unter und in der ersten Etage die Studios A (mit einem Steinway-Piano für Studioaufnahmen) und D für Live-Sendungen. In benachbarten Haus Lindenallee 1 waren die Verwaltung und das technische Lager untergebracht. Die erste Sendung aus den Kölner Studios wurde am 26. Februar 1954 ausgestrahlt.
Der BFBS residierte hier bis Oktober 1990, als der Hauptsitz von Köln-Marienburg in die britische Wentworth-Kaserne in Herford verlegt wurde. Trotz der fast vollständigen Reduzierung der 2010 noch in Deutschland stationierten 20.000 britischen Soldaten bis in die 2020er-Jahre , sollen einige hundert Soldaten bis auf weiteres in Deutschland bleiben. Aus diesem Grund ist BFBS weiterhin in Deutschland zu empfangen.
Wie aktuelle Adressverzeichnisse ausweisen, ging die nicht als Baudenkmal geschützte Villa nach dem Auszug des britischen Militär-Radiosenders offenbar in private Hände über.
Gedenken an die Familie Tietz: Stolpersteine
Vor Ort auf der Marienburg erinnern seit dem 18. März 2019 von dem Künstler Gunter Demnig (*1947) verlegte Stolpersteine an Mitglieder der Familie Tietz. Die in Versalien gehaltenen Inschriften der Steine lauten:
- Hier wohnte / Dr. Alfred L. / Tietz /Jg. 1883 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina / Tot 4.7.1941
- Hier wohnte / Herta Gabriele / Tietz / verh. Frenkel / Jg. 1915 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina
- Hier wohnte / Margarete / Tietz / geb. Dzialoszynski / Jg. 1887 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina
- Hier wohnte / Ulrich Albert L. / Tietz / Jg. 1920 / Flucht 1933 / Holland / 1940 Palästina
- Hier wohnte / Wolfgang L. / Tietz / Jg. 1913 / Flucht 1933 / England
Am gleichen Tag wurde ein weiterer Stolperstein für Alfred Leonhard Tietz vor Galeria Kaufhof an der Gürzenichstraße 2 verlegt. Ferner erinnert auf dem jüdischen Friedhof Bocklemünd in Köln eine Gedenktafel an das Ehepaar Alfred Leonhard und Margarete Tietz. Die südlich vom Kölner Cäcilienstift gelegene Leonard-Tietz-Straße wurde nach dem Kaufhausgründer benannt.
(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2025)
Internet
de.wikipedia.org: Leonhard Tietz (abgerufen 15.09.2025)
de.wikipedia.org: Alfred Leonhard Tietz (abgerufen 15.09.2025)
de.wikipedia.org: Villenkolonie Köln-Marienburg (abgerufen 15.09.2025)
de.wikipedia.org: British Forces Broadcasting Service (abgerufen 15.09.2025)
de.wikipedia.org: Liste der Stolpersteine im Kölner Stadtteil Marienburg (abgerufen 12.09.2025)
museenkoeln.de: NS-Dokumentationszentrum, Stolpersteine in Köln, Mitglieder der Familie Tietz (abgerufen 12.09.2025)
www.bnv-bamberg.de: Die Roosen's in Köln (Text Gustave Roosen, Stand 06/2002, abgerufen 12.09.2025)
finanzbildung.oenb.at: Österreichische Nationalbank, Historischer Währungsrechner (abgerufen 15.09.2025)
www.bundestag.de: Kaufkraftvergleiche historischer Geldbeträge, Sachstand WD 4 - 3000 - 096/16 (PDF-Datei 292 kB, abgerufen 15.09.2025)
www.gesetze-im-internet.de: Sozialgesetzbuch, Buch VI, nach Bundesgesetzblatt I 2002, S. 869-870 (abgerufen 15.09.2025)
www.stadt-koeln.de: Interaktive Denkmalkarte Köln (abgerufen 12.09.2025)