Das „Milchkannen-Gesetz“ und der Standort Poll
Die Produktion von 1927-1935
Niedergang und Produktionsende ab 1934/35
Citroën in Köln seit 1949/50
Quellen, Internet, Literatur
Das „Milchkannen-Gesetz“ und der Standort Poll
Die seit 1919 in Fließbandproduktion hergestellten Modelle von Citroën in Paris waren nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland erfolgreich, zumal französische Fahrzeuge seinerzeit gegenüber den deutschen Automobilen als technisch überlegen, zuverlässig und günstig galten.
Das so genannte „Milchkannen-Gesetz“ (auch „Milchkannen-Tarif“) belegte jedoch die Einfuhr von Importgütern mit hohen Schutzzöllen, um die deutsche Wirtschaft in der ökonomisch schwierigen Nachkriegszeit zu stärken. Importierte Einzelteile und „schmiedeeiserne Teile“ waren jedoch durch einen niedrigeren Zolltarif davon ausgenommen.
Als der Weg für Auslandsinvestitionen durch den Abzug der britischen Besatzung aus dem Rheinland Anfang 1926 erleichtert wurde, kaufte die Citroën Automobil AG das 38.000 Quadratmeter große Areal der 1919 hier angesiedelten, aber bereits um 1925/26 wieder aufgegebenen Poller „Fabrik für Eisenbahnbedarf Rheinwerk Waggonwerk GmbH“ unweit des Gremberger Wäldchens und ließ die weiträumigen und hellen Produktionshallen „innerhalb eines Jahres zu einer Fahrzeugfabrik mit einem modernen Automobil-Montagebetrieb und eigenen Gleisanschlüssen“ umbauen (amicale-citroen.de). Hierhin transportierte Citroën die Fahrzeugteile zur Endmontage der mit „Made in Germany“ beworbenen Automobile.
„Auch eine ovale Probefahrtstrecke, eine Lackiererei, Lager, der Motorenbau und eine Sattlerei gehören zum Betriebsgelände. Das Herzstück ist eine Montagehalle, in der Fahrgestelle mit Motoren und Karosserien bestückt werden.“ (ksta.de 2019)
Die Produktion in Poll startete am 15. Februar 1927 – also noch vor dem amerikanischen Ford-Konzern, der 1929 ein Werk in Niehl eröffnete. Laut dem Automobil-Historiker und ehemaligen Citroën-Pressesprecher Immo Mikloweit war der Standort in Poll aus mehreren Gründen für Citroën attraktiv: „Entscheidende Pluspunkte waren die Nähe des Rheins, die gute Eisenbahn-Anbindung und die nicht allzu große Entfernung zu Paris.“ Auch ließen die Franzosen sich von der „frankophilen Freundlichkeit des Kölner Raums“ anziehen (ksta.de 2015).
Das im Jahr 1888 nach Köln eingemeindete Dorf Poll profitierte seinerzeit von seiner Nähe zum Deutzer Hafen und wurde nach dem Ersten Weltkrieg zu dem Kölner Vorort mit der größten Wohnungsbautätigkeit. Die Einwohnerzahl des zuvor landwirtschaftlich geprägten Orts verdoppelte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1930 auf etwa 5.000 (HbHistSt NRW 2006).
Die Objektgeometrie für das Citroën-Werk ist hier entsprechend der topographischen Karten TK 1936-1945 eingezeichnet (vgl. Kartenansicht, nach Osten hin ergänzt entsprechend Plänen im Archiv Mikloweit).
Die Produktion von 1927-1935
Während die Citroën-Hauptverwaltung 1930 nach Berlin umzog, produzierten in Poll bis zu 500 Beschäftigte für zwei Reichsmark pro Stunde plus einem Pfennig pro produziertem Auto – ein Lohn, der rund 20 Prozent über dem üblichen Facharbeitersatz der Zeit lag. Pro Tag entstanden bis zu 32 Fahrzeuge, die als „robust, wartungsfreundlich und günstig“ galten (ksta.de 2015).
Als erster Kölner Citroën wurde der von 1926 bis Herbst 1928 produzierte Typ B14 montiert (insgesamt 8.933 Fahrzeuge, ksta.de 2019), später dessen Nachfolger C4 (1928-1932) und C6 (1928) sowie Fahrzeuge der 1932 bis 1938 produzierten Rosalie-Reihe. Die Typen Rosalie wurden in den Jahren von 1932 bis 1934 in der Ausführung „Ganz Deutsch“ gefertigt, d.h. sie wurden vollständig in Poll hergestellt und bestanden zudem ausschließlich aus deutschem Material. Die Motoren stammten von Siemens in Berlin (Hinweis Herr Mikloweit).
Genau 1.823 Modelle des Typs Traction Avant (französisch für Vorderradantrieb) der Reihen 7A, 7B und 7C wurden ab 1934 am Rhein montiert. Dieses Automobil war für seine Zeit technisch überaus innovativ – es verfügte unter anderem über eine selbsttragende Karosserie, Frontantrieb und doppelte Querlenker mit Drehstabfederung, die eine „hervorragende Straßenlage und ausgezeichneten Komfort“ bewirkten. Citroën bewarb den bis 1957 (!) produzierten Wagen mit dem Spruch „La Traction Avant dompte la force centrifuge“ („Der Traction Avant zähmt die Zentrifugalkräfte“, vgl. de.wikipedia.org). Bekannt wurde der Wagen später vor allem als so genannte „Gangsterlimousine“ – in Deutschland nannte man ihn aufgrund seiner kölschen Herkunft aber auch „Poller“.
Bis zum Produktionsende entstanden in Poll insgesamt 18.710 Fahrzeuge. Ferner wurden hier weitere 1.541 Einheiten wie Omnibusse, Pritschenwagen, Sattelschlepper, Viehtransporter und Citroën Kégresse P17 Halbkettenfahrzeuge gefertigt (Hinweis Herr Mikloweit).
Niedergang und Produktionsende ab 1934/35
Nur kurz nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurde das deutsch-französische Handelsabkommen 1934 von Deutschland aufgekündigt und in der Folgezeit wurden weitere Handelsbeschränkungen gegen ausländische Firmen erlassen. Citroën ging daher zunächst dazu über, zunehmend auch Teile aus deutscher Produktion zu verwenden. Als schließlich auch das Citroën-Stammwerk in Frankreich in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, stellte man die Kölner Produktion zum 4. Dezember 1935 ein.
Zunächst versuchte der französische Hersteller noch über ein ab 1936 vor Ort betriebenes Reparaturwerk einen Kundendienst und die Ersatzteilversorgung aufrecht zu erhalten. Der Betrieb wurde jedoch 1939 als Feindvermögen beschlagnahmt und die Hallen ab 1940 für die Kriegsproduktion der Werke von Klöckner-Humboldt-Deutz genutzt: „Am Poller Holzweg wurden fortan Panzer repariert – die Zeit der Gangsterlimousinen war vorüber.“ (ksta.de 2015)
Citroën in Köln seit 1949/50
Die Beschlagnahme aus der NS-Zeit wurde 1949 aufgehoben. Der Citroën-Konzern hatte jedoch kein Interesse an einem Wiederaufbau des stark kriegszerstörten Werks und ließ sich mit Grundstücken in der Aachener Straße und Köln-Westhoven entschädigen (Kölner Stadt-Anzeiger 2016).
Das Areal der ehemaligen Citroën-Automobil AG in Porz-Poll übernahm Mitte der 1950er Jahre das Autohaus Jacob Fleischhauer, Generalvertreter für die Marken Volkswagen und Porsche in den Regierungsbezirken Köln und Aachen.
Im Jahr 1950 begann Citroën in Köln mit dem Wiederaufbau der Vertriebsorganisation. Im gleichen Jahr eröffnete eine Verkaufsniederlassung im Belgischen Haus in der Kölner Altstadt sowie ein Kundendienst- und Ersatzteilzentrum, das von 1950-1952 in der Sülzburgstraße 105 (in Köln-Sülz) betrieben wurde. Ein deutsches Vertriebszentrum wurde dann 1952 in der Aachener Straße 243-247 in Lindenthal errichtet, wo sich heute noch eine Citroën-Niederlassung befindet.
1959 wurde Köln zum Sitz der Citroën Deutschland GmbH, als die Firma ihre neue Zentrale auf einem zuvor von dem Fahrzeugbauer Mannesmann-MULAG AG und dem Landmaschinenhersteller Massey Harris bzw. Massey Ferguson genutzten Gelände an der Nikolausstraße (später in André-Citroën-Straße umbenannt) in Porz-Westhoven bezog.
Seit dem Mitte 2013 erfolgten Umzug der Firmenverwaltung ist Citroën in der Edmund-Rumpler-Straße in Gremberghoven ansässig – nach wie vor nur wenige Kilometer vom 1927 eröffneten ersten Standort in Köln entfernt.
Eine Abzweigung der Westhovener Kölner Straße, die Nikolausstraße, wurde später zu Ehren des Firmengründers André Gustave Citroën (1878-1935) in „André-Citroën-Straße“ umbenannt.
(Franz-Josef Knöchel, LVR-Redaktion KuLaDig, 2016/2022)
Quellen
- Kölns geheimnisvolle Orte: „Franzosen vom Fließband“, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 24./25.03.2016, S. 26.
- Auto BILD klassik, Nr. 2/2017, S. 71.
- Freundliche Hinweise von Herrn Immo Mikloweit (Automobil-Historiker und ehemaliger Pressesprecher von Citroën Deutschland) und Materialien aus dessen Archiv, Köln, 2017.
Internet
amicale-citroen.de: 85 Jahre Citroën in Poll – die Ausstellung (März 2012, abgerufen 09.01.2017)
www.ksta.de: Citroën Traction Avant Six: Das legendäre Gangsterauto aus Köln Poll (Kölner Stadt-Anzeiger vom 19.02.2015, abgerufen 08.01.2017)
www.ksta.de: Spurensuche in Köln: „Als in Köln-Poll ein Citroën-Werk stand“ (Kölner Stadt-Anzeiger vom 24.03.2016, abgerufen 09.01.2017)
www.ksta.de: 100 Jahre Autobau bei Citroën „Köln als Keimzelle für Automobilhersteller“ (Kölner Stadt-Anzeiger vom 29.08.2019, abgerufen 18.09.2019)
www.ksta.de: Kölns geheimnisvollste Orte: „Als Citroën in Köln-Poll Autos baute“ (Kölner Stadt-Anzeiger vom 04.02.2019, abgerufen 12.08.2020)
www.koeln-lotse.de: Das „Gangsterauto“ aus Köln: Die Citroën-Fertigung in Poll (Uli, der Köln-Lotse vom 20.07.2019, abgerufen 23.07.2019)
de.wikipedia.org: Citroën-Montagewerk Köln-Poll (abgerufen 08.01.2017)
de.wikipedia.org: Citroën Traction Avant (abgerufen 09.01.2017)
de.wikipedia.org: Citroën-Kégresse P17 (abgerufen 05.05.2020)