Später produzierte hier von 1928 bis 1958 der Landmaschinenhersteller Massey-Harris bzw. Massey Ferguson und von 1959 bis 2013 war das Gelände Sitz der Citroën Deutschland GmbH.
Die Fahrzeugbau Mannesmann-MULAG AG
MULAG-Flugzeugbau und der „Riese von Poll“
Direktorenvilla
Quellen, Internet, Literatur
Die Fahrzeugbau Mannesmann-MULAG AG
Von 1918 bis 1928 befand sich an der damaligen Nikolausstraße eine Niederlassung der vornehmlich im Automobil- und Nutzfahrzeugbau tätigen Mannesmann-MULAG AG (Abkürzung von Motoren und Lastwagen AG).
Um die Jahrhundertwende baute die in Aachen ansässige Firma MULAG in Nachfolge einer vormaligen Fritz Scheibler Motorenfabrik bzw. Scheibler Automobil-Industrie GmbH in Aachen und Gremberghoven Lastkraftwagen und motorisierte Ackerschlepper.
Bereits seit 1908 hatten sich die Remscheider Brüder Reinhard Mannesmann jr. (1856-1922) und Carl Mannesmann (1861-1950) an der Aachener MULAG beteiligt. Diese wurde dann 1913 von der zwei Jahre zuvor ebenfalls in Aachen gegründeten Mannesmann-Auto Co. mbH unter der Leitung ihres Bruders Max Mannesmann (1857-1915) aufgekauft.
Kerngeschäft des 1776 als Feilenfabrik gegründeten späteren Industriekonzerns war in diesen Jahren eigentlich die 1885 von Mannesmann erfundene Herstellung von nahtlosen Stahlrohren durch Walzen aus einem angebohrten Block (Schrägwalzverfahren). Offenbar versprach man sich von der neuen Mannesmann-MULAG AG mit dem Geschäftszweck „Bau von PKW, LKW und Motoren“ eine lohnende Erweiterung des Geschäfts. Die 4- bis 5-Tonner waren im In- und Ausland begehrt und beliebt und der Mannesmann-MULAG galt als „der“ Lastwagen schlechthin in den Balkankriegen von 1912 und 1913 sowie im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 (Mikloweit 2002, S. 85).
Wann genau die Fahrzeugproduktion in Westhoven aufgenommen wurde, scheint unklar. Während des Ersten Weltkriegs lag der Tätigkeitsschwerpunkt wohl noch auf der Reparatur von Militärfahrzeugen. Nach dem Krieg wurde die MULAG-Fahrzeugherstellung dann durch Reinhard Mannesmann jr. von Aachen nach Porz-Westhoven verlagert - vor allem wohl aus Furcht vor Restriktionen der französischen Militärverwaltung. Das Unternehmen war in der Nachkriegszeitzeit offenbar zunächst profitabel. Der Abstieg begann 1925 durch preiswertere Konkurrenz aus den USA. Trotz Stützung der MULAG durch Mannesmann-Kredite stand Mannesmann-MULAG 1926/27 kurz vor dem Konkurs. Von über 1.000 Beschäftigten wurde etwa die Hälfte entlassen und 1928 erfolgte die Schließung des MULAG-Montagewerks. Die Immobilien, Maschinen und Patente wurden von der Familie Mannesmann an die Büssing AG in Braunschweig verkauft und das Porz-Westhovener Gelände vom Landmaschinenbauer Massey-Harris übernommen.
MULAG-Flugzeugbau und der „Riese von Poll“
Neben dem Fahrzeugbau unterhielt das MULAG-Werk in Porz-Westhoven zeitweise eine eigene Flugzeugabteilung, die sich „hauptsächlich im Auftrag des Reichsmarineamtes um die Entwicklung eines ferngesteuerten Lufttorpedos mit dem Decknamen Fledermaus kümmerte. Die Erprobung fand auf dem Truppenübungsgelände in der Wahner Heide statt.“ (de.wikipedia.org, Mannesmann-MULAG)
Von hier stammte auch der nach dem Ersten Weltkrieg in einem Mannesmann-Hangar in Köln-Poll aufgefundene „Riese von Poll“. Teile des unvollendeten Dreidecker-Großflugzeugs wurden bei einer Routinekontrolle der britischen Armee zur Einhaltung des Versailler Friedensvertrags im September 1919 in einem wegen seiner Größe auch „Zeppelin-Halle“ genannten Hangar entdeckt.
Der Rumpf des auch als „Mannesmann-Poll-Dreidecker“, „Poll Giant Triplane“, „Forssman Tri-Plane“, „Brüningsches Riesenflugzeug“ oder „Brüningscher Riese“ bezeichneten Fluggeräts hatte eine Länge von 45,70 Metern und eine Tragflächen-Spannweite von 50,30 Meter und verfügte über zehn Motoren.
Hätte man dieses gigantische Flugzeug jemals fertiggestellt, dann wäre es mit seiner damals nahezu undenkbaren Reichweite von 10.500 Kilometern bei 80 Stunden Nonstop-Flug möglicherweise das erste Transozeanflugzeug gewesen.
Gebhard Aders, früherer Leiter der Außenstelle Porz des Historischen Archivs, beurteilte die Flugfähigkeit jedoch mehr als kritisch: „Die Motoren waren sehr unzuverlässig und das ganze Ding viel zu schwer für solch einen langen Flug, wahrscheinlich wäre es sofort nach dem Start abgestürzt.“ (Kölner Stadt-Anzeiger 1998)
Die Entwicklung des „Poller Riesenflugzeugs“ begann um 1914/16 bei der Firma Brüning und Sohn in Großauheim (heute Stadt Hanau im hessischen Main-Kinzig-Kreis) unter dem schwedischen Flugzugkonstrukteur Villehad Henrik Forssman (1884-1944). Ab 1917 wurde das Projekt dann von Reinhard Mannesmann jr. gefördert und finanziert (ebd.), der Forssman 1918 zum Leiter des MULAG-Flugzeugbaus in Westhoven und Poll machte. Später wurde die Entwicklung des Riesenflugzeugs sogar durch das Reichsmarineamt unterstützt - obgleich der „Riese“ voraussehbar keinerlei militärische Aufgabe hätte erfüllen können. Wohl auch durch die Nähe zu den seinerzeit bereits genutzten Flugfeldern am späteren Flugplatz Butzweiler Hof wurden der Rumpf des Riesenfliegers und weitere Teile für ihre Erprobung aufwendig nach Köln transportiert.
Die Spuren des „Riesen von Poll“ verlieren sich zum Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Auffindung seiner Teile durch die Briten. Erhalten geblieben sind einzig die 2,40 Meter hohen Fahrwerksräder des Riesenflugzeugs, die bis heute im Museum of Science and Industry im englischen Manchester ausgestellt werden.
Direktorenvilla
Die Direktorenvilla in der heutigen Oberstraße 89 ist dem Mannesmann- / MULAG-Komplex zuzurechnen. Sie wurde 1912 bis 1914 für den Blitzgeräte für Fotoapparate produzierenden Firmenzweig „Dr. Ing. Mannesmann Apparatebau“ erbaut und später von der MULAG genutzt.
Das bis heute erhaltene Gebäude ist seit dem 11. November 1985 eingetragenes Baudenkmal (Nr. 3316, stadt-koeln.de).
(Franz-Josef Knöchel, LVR-Redaktion KuLaDig, 2017/2021)
Quellen
- Freundliche Hinweise von Herrn Immo Mikloweit, Köln, 2017.
- Katasterkarte des Geländes (undatiert, vor 1934) und Zeitungsartikel „Der Poller Riese hat nie abgehoben“ vom 10.09.1998 (wohl Kölner Stadt-Anzeiger, beides eingesehen im Archiv Immo Mikloweit).
Internet
www.stadt-koeln.de: Suche in der Denkmalliste (abgerufen 27.01.2017, Inhalt nicht mehr verfügbar 18.01.2024)
www.stadt-koeln.de: Interaktive Denkmalkarte Köln (abgerufen 18.01.2024)
ortus.rtu.lv: The Forssman Tri-Plane, the largest Aeroplane of World War I (Text G. Sollinger, Volltext-PDF mit Abbildungen, 796 kB, 08.06.2009, abgerufen 16.07.2021)
de.wikipedia.org: Köln-Westhoven, Gewerbe (abgerufen 27.01.2017)
de.wikipedia.org: Mannesmann-MULAG (abgerufen 27.01.2017)
de.wikipedia.org: Mannesmann-Poll-Dreidecker (abgerufen 16.01.2017 und 16.07.2021)
de.wikipedia.org: Villehad Forssman (abgerufen 27.01.2017)