Auswanderung aus der Stadt Edenkoben

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Fachsicht(en): Landeskunde
  • Inserat einer Auswanderer-Agentur (1883)

    Inserat einer Auswanderer-Agentur (1883)

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Bis zur Zugehörigkeit zur Französischen Republik, 1798, existierten auf dem Gebiet der heutigen Pfalz zahlreiche weltliche und kirchliche Herrschaften. Wer auswandern wollte, benötigte die Erlaubnis seines Landesherrn. Das bedeutete, dass er oder sie sich von der Leibeigenschaft freikaufen musste (die sogenannte „Manumssion“). Dazu kam eine Steuer, der „zehnte Pfennig“ genannt, sprich 10% auf das Eigentum, soweit die Kandidaten solches besaßen; außerdem Schreib- und Kanzleigebühren und Ersatz für nicht geleisteten Kriegsdienst. 1752 zahlte z. B. Niclas Leonhard aus Edenkoben 35 fl (Gulden) Manumission, 31 fl Zehnter Pfennig und 7 fl an die Militärkasse, um seinen Erbteil zu retten - damals eine beachtliche Summe. Manche Obrigkeit willigte ein, die „Armen“ einfach abziehen zu lassen - so war man nämlich der Fürsorge um sie entledigt. Ein Wilhelm Leonhard konnte 1749 ohne Zahlung nach Nordamerika auswandern, weil man ihn als „ohnartigen und liederlichen Supplicanten“ einschätzte. Die meisten wanderten „heimlich“ aus, was für zurückgebliebene Angehörige mitunter Konsequenzen nach sich zog. Unter diesen Umständen mussten viele alle Brücken zu ihrer Heimat abbrechen.
Die Ursachen ihrer Auswanderung waren Armut, Natur- und Hungerkatastrophen, Kriege, lange Militärdienstzeiten, übermäßige Steuerlast und Unterdrückung durch die Obrigkeit. Religiöse oder rassistische Verfolgung, wie z. B. im Fall von Franz Weidenreich.

Zehntausende wandern aus
Trotz Auswanderungsverbot und/oder erdrückender Auflagen verließen 1709/10 zwischen 11.000 und 13.000 Menschen Rhein abwärts über Rotterdam die deutschen Länder - davon fast 8 600 aus der Kurpfalz - mit dem Ziel Großbritannien. Dort (und später in Nordamerika) nannte man die Zuwanderer, auch wenn sie beileibe nicht alle aus der Kurpfalz stammten, „Palatines“, sprich Pfälzer. Ob auch Menschen aus Edenkoben darunter waren, ist noch nicht abschließend erforscht. Auf Auswanderer- und Schiffspassagierlisten - soweit vorhanden oder rekonstruiert - tauchen aber viele Familiennamen auf, die damals auch in Edenkoben gängig waren. Allerdings wurde deren Herkunftsort nicht genannt.
Auslöser der „Massenauswanderung“ war der voraufgegangene Winter 1708/09 - wie es heißt, der strengste der letzten 1000 Jahre! Die Wintersaat, Rebstöcke und Obstbäume erfroren, im Juli gab es noch Frostnächte, Vögel sollen tot vom Himmel gefallen sein. Die Folge waren Hungersnot und Teuerung. Für großes Leid sorgten auch die Auswirkungen des „Spanischen Erbfolgekrieges“ (1701- 1714) - vor allem in der Südpfalz wo französische Soldaten einfielen und plünderten.
Großbritannien, das von der Wetterkatastrophe nicht betroffen war, bot sich als Zufluchtsort an. Jedem Einwanderer (ob Mann, Frau oder Kind) wurden per Gesetz Land, zehn Jahre Steuerfreiheit und Einbürgerung versprochen. Der gewaltige und plötzliche Zustrom abertausender Emigranten warf aber alle Pläne über den Haufen. Tausende Ankömmlinge mussten außerhalb London auf freiem Feld unter miserablen Verhältnissen campieren, wodurch viele starben. Das Einbürgerungsgesetz wurde im April 1711 wieder aufgehoben. Katholiken wurden abgeschoben und rund 4.400 Palatines nach Rotterdam zurückgeführt. Wer konnte, machte sich von dort auf den Weg nach Nordamerika. Die allermeisten zog es in das nach dem englischen Quäker William Penn (1644 - 1718) benannte Pennsylvanien (die heutigen US-Staaten Pennsylvanien und Delaware betreffend). Penn hatte 1681 riesige Gebiete in Nordamerika gekauft und 1683 weitere im Tausch gegen europäische Waren von den Delaware-Indianern erworben. Seit 1681 war Penn Gouverneur und gründete die Hauptstadt der neuen Kolonie: Philadelphia. Penns Idee war, den Siedlern in der neuen Heimat politische Eigenverantwortung, Liberalität und religiöse Freiheiten zu gewähren. Sein Konzept floss später in die amerikanische Verfassung ein.

Immer wieder Krieg, Naturkatastrophen, Not
Der Siebenjährige Krieg (1756 - 1763) hatte unserer Heimat erneut großes Leid gebracht. Der nasse Sommer 1762 ließ Getreide und Feldfrüchte verfaulen - Armut, Teuerung und Hunger waren die Folgen. Nach dem Friedensschluss, am 10. Februar 1763 in Paris, erreichte das „Auswanderungsfieber“ einen neuen Höhepunkt. Im
19. Jh. kamen Überbevölkerung, Mangel an Grundbesitz und hohe Arbeitslosigkeit hinzu - und natürlich die Hoffnung auf ein besseres Auskommen im Zielland. Zwischen 1822 und 1912 verließen rund 1500 Personen ihre Heimatstadt Edenkoben!
Um 1820 setzte eine immense Auswanderung aus der Pfalz nach den USA ein. Dazu gab es verschiedene Gründe: Die im Code civil unter Napoleon Bonaparte 1804 festgeschriebenen Gesetze galten hier auch nach dem Ende der französischen Herrschaft weiter. Das Erbschaftsgesetz war demnach auf alle Erben anzuwenden, was zu einer Zersplitterung des Besitzes führte - oder, falls der Erstgeborene die Miterben ausbezahlte, zu dessen Verschuldung. Von dem Ererbten konnte man (besonders die Winzer) kaum noch leben. Das Ehegesetz erlaubte fortan die Eheschließung ohne Einwilligung von Eltern und Geistlichkeit. Die Menschen heirateten dadurch früher und bekamen auch früher Kinder. Die Folge: Überbevölkerung.
Dazu kam 1815 die Explosion des Vulkans Tambora auf Java, der 1816 Europa das „Jahr ohne Sommer“ bescherte. Folgen: Missernten und schlimmste Hungersnot in Europa. Missernten und Hungersnöte gab es auch in den 1840er und 1850er Jahren wieder.
Vor allem wanderten Bauern/Winzer aus; im letzten Drittel des 19. Jhs. überwiegend Handwerker, die im Zuge der Industriealisierung, der Aufhebung der Zünfte und Einführung der Gewerbefreiheit arbeitslos geworden waren. Weil bereits ausgewanderte Familienangehörige oder Freunde mit positiven Berichten lockten und als verlässliche Anlaufstelle bzw. Bürgen dienten, sprach man von „Kettenwanderung“. Außerdem konnte man in den USA das Mehrfache verdienen als hierzulande. Man kann also von „Wirtschaftsflüchtlingen“ sprechen.

Politischer Druck
Aber auch politische Gründe spielten nun vermehrt eine Rolle bei der Auswanderung. König Ludwig I. hatte mit Repression (Pressezensur, Verhaftungen, Einkerkerungen) die freiheitlichen Bestrebungen der „Rheinbaiern“ unterdrückt. Sein Sohn, Maximilian II., ließ den Pfälzischen Aufstand durch herbeigerufene preußische und sächsische Truppen im Sommer 1849 niederschlagen. Die bayerische Regierung belegte die Einfuhr pfälzischer Waren (besonders Wein) ins Mutterland mit hohen Zöllen. Ein weiterer Grund des Missmuts und Anlass zur Auswanderung war die 1871 reichseinheitlich eingeführte Militärpflicht (die, aktiv und als Reserve, bis zu sieben Jahren dauerte). Die Euphorie über Deutschlands Sieg über Frankreich, 1871, hatte hierzulande (nicht zuletzt wegen der französischen Reparationszahlungen in Höhe von 5 Milliarden Goldfrancs) einen Wirtschaftsboom ausgelöst - die sogenannte „Gründerzeit“. Doch der „Börsenkrach“, 1873, führte zum Zusammenbruch hunderter Firmen und Banken, mit dem Ergebnis hoher Arbeitslosigkeit, Armut und Auswanderung.

Auf die vielen Einzelschicksale der Auswanderer einzugehen ist unmöglich Beispielhaft sollen hier einige Personen aus Edenkoben und ihr weiteres Leben in der neuen Heimat exemplarisch skizziert werden. Soweit durch Überlieferung dokumentiert, erschließen ihre Schicksale ihre Lebenswirklichkeit. Diese kann - je nach Beruf/Tätigkeit, Region/Einsatzgebiet oder persönliche Verhältnisse - sehr unterschiedlich sein.

(Herbert Hartkopf, Edenkoben, 2024)

Quellen (auch für untergeordnete Einträge)
Hartkopf, Herbert: Vom Kellner zum Manager (August Voelcker), Die Rheinpfalz, 16.06.2006
Hartkopf, Herbert: Alkohol verkauft, erschossen (Nicolaus Ochsner), Die Rheinpfalz 22.12.2008.
Hartkopf, Herbert: Aus der Südpfalz in die neue Welt, Die Rheinpfalz 07.01.2009.
Hartkopf, Herbert: Hab viel Ungemach erlebt, Die Rheinpfalz 16.01.2016.
Die Gegenwart, Edenkoben. Standesamtsakten Edenkoben. Wikipedia, Family Search. Ancestry.
Hartkopf, Herbert: Auf der Suche nach dem Paradies - Pfälzer in Andalusien, Ev. Kirchenbote, Speyer 10,12,2017.

Literatur

Defoe, Daniel (2017)
Kurze Geschichte der Pfälzischen Flüchtlinge. München.
Hartkopf, Herbert (2016)
Der Scout vom Mohawk - ein pfälzisches Auswandererschicksal. Ubstadt-Weiher.
Hartkopf, Herbert (2009)
Trapper, Scouts & Pioneers. Ubstadt-Weiher.
Hartkopf, Herbert (2007)
Die Voelcker Brothers. Ludwigshafen.
Hartkopf, Herbert (2006)
Jacob Wolff ein pfälzischer Arzt, Kunstsammler und Konsul in Argentinien. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, Bd. 104, Speyer.
Hartkopf, Herbert (2005)
"Fühl mich im Geiste mehr draußen in Edenkoben". Edenkoben.
Kuby, Alfred H. (1963)
Schweizer Einwanderer in Edenkoben. Pfälz. Familien- und Wappenkunde. Kaiserslautern.
Paul, Roland; Scherer, Karl (1983)
300 Jahre Pfälzer in Amerika. Landau.
(2019)
Stadtchronik Edenkoben. 1250 Jahre. Landau.

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Herbert Hartkopf, „Auswanderung aus der Stadt Edenkoben”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/SWB-352075 (Abgerufen: 10. Mai 2024)
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