In Roggendorf/Thenhoven entstand 1974/75 eine Wohnsiedlung für Sinti mit 18 festen Häusern im Fortuinweg. Das Ziel war es, nicht-seßhafte Sinti-Familien dauerhaft in den Stadtteil zu integrieren.
Sinti und Roma Sinti sind eine Teilgruppe der europäischen Gesamtminderheit der Roma, die über Jahrhunderte andauernde Wanderbewegungen - immer wieder unterbrochen durch Phasen relativer Seßhaftigkeit - im Verlauf des 15. Jahrhunderts von Indien aus über den Balkan nach Mittel- und Westeuropa kamen. Trotz der früh einsetzenden obrigkeitlichen Ausgrenzung durch zahlreiche gegen diese ethnische Gruppe gerichtete Edikte während der Neuzeit, gelang es dem „wandernden Volk“ seine kulturelle Identität zu bewahren. Bis heute pflegen viele Roma ihre traditionelle, (halb-)nomadisierende Lebensweise mit reisegebundenen Tätigkeiten. In Köln und in Siegburg erscheinen sie erstmals 1439 in den Stadtrechnungen, im Jahr 1452 erteilt die Domstadt „den vreymden heydenschen Luden“ („fremd-heidnischen Leuten“) befristete Aufenthaltsgenehmigungen. Spätere Ratsbeschlüsse gegen die meist als „Tataren“ oder „Heiden“ bezeichneten Familien und Gruppen blieben infolge der Uneffektivität der Polizeiorgane zumeist erfolglos (vgl. Irsigler u. Lassotta 2010). Trauriger Höhepunkt der Verfolgung der während der Zeit des Nationalsozialismus als „fremdrassig“ klassifizierten „asozialen Landfahrer“ waren die NS-Maßnahmen zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“. Der nachfolgende Völkermord an den europäischen Roma (in der eigenen Sprache Romanes als Porajmos oder Porrajmos, deutsch „das Verschlingen“, bezeichnet) mit einer vermutlich sechsstelligen Opferzahl entsprach ideologisch und organisatorisch dem Versuch der kollektiven Vernichtung der Juden.
Der hier einzig im historischen Kontext verwendet Begriff „Zigeuner“ ist eine von Klischees überlagerte und untrennbar mit rassistischen Zuschreibungen verbundene Fremdbezeichnung. Mit dem als diskriminierend abgelehnten Wort haben sich Sinti und Roma niemals selbst bezeichnet, das heute üblicherweise für die Volksgruppe verwendete Wortpaar „Sinti und Roma“ taucht in Quellen bereits seit dem 18. Jahrhundert auf (zentralrat.sintiundroma.de). Heute wird die Verwendung dieses Wortpaares allgemein als respektvoll und weitgehend angemessen angesehen. Gleichwohl mögen selbst einige Sinti diese als politisch korrekt geltende Benennung nicht: „Wir wollen Zigeuner genannt werden, das ist das normale deutsche Wort für uns.“, so 2012 ein Sinti aus der Kölner Siedlung. Der Sammelbegriff „Sinti und Roma“ sei deswegen falsch, da sich in ihm andere Stämme nicht wiederfinden, etwa die Gruppen der Kale, Mansusa, Arlija oder Gurbeta (www.dw.com).
Lager für Sinti und Roma in Köln Bereits im Jahr 1929 gab es seitens der Kölner Polizeiverwaltung Überlegungen, einen „zentralen Zigeuner-Sammelplatz“ einzurichten (Fings u. Sparing 1991, S. 17). Während der NS-Herrschaft errichtete die Stadt Köln dann 1934/1935 am Bahndamm des Güterbahnhofs in Bickendorf auf dem dem vormaligen „Schwarz-Weiß-Platz“ das so genannte „Zigeunerlager Bickendorf“, welches eine Art „Vorreiterrolle“ für ähnliche Lager einnahm und das später zu einem Ausgangsort für Deportationen in die Konzentrationslager wurde (vgl. ausführlicher den dortigen Eintrag und Fings u. Sparing 1991, S. 11 u. 14). In Köln war ab Mai 1940 das Messelager Deutz als Sammellager für Sinti und Roma Ausgangspunkt von Deportationen in die KZ. Eine Gedenktafel am Deutzer Bahnhof (an der Unterführung Auenweg) erinnert an die von den berüchtigten Bahnsteigen „Deutz-Tief“ ausgehenden Transporte. Der durch seine „Stolpersteine“ für Opfer des Nationalsozialismus bekannte Künstler Gunter Demnig (*1947) legte 1990 von hier ausgehend eine Farbspur mit den Worten „Mai 1940 - 1.000 Roma und Sinti“ über eine Länge von 10 Kilometern quer durch die Kölner Innenstadt zum früheren „Zigeunerlager Schwarz-Weiß“. Anlass für die Aktion war der 50. Jahrestag der Deportation der Kölner „Zigeunerinnen und Zigeuner“ zwischen dem 16. und 21. Mai 1940.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs kehrten etwa 100 überlebende Sinti und Roma nach Köln zurück, die im Bickendorfer „Schwarz-Weiß-Lager“ in zunächst provisorischen Unterkünften lebten, die aber im Laufe der Zeit zunehmend dauerhafter wurden. Im Zuge einer kritischen Betrachtung der damaligen Lebensumstände in den beiden „Zigeunersiedlungen“ in der Domstadt, sollte erwähnt werden, dass auch der heutige Stadtteil Lindweiler auf Notunterkünfte einer provisorischen Steinbaracken-Wohnkolonie der beiden Nachkriegszeiten zurückgeht. Nach der Androhung einer zwangsweisen Räumung des Platzes 1951/52 befassten sich Planungen der Kölner Bauverwaltung mit der Einrichtung eines „neuen Zigeunerlagers“ an der Boltensternstraße in Riehl. Die Zwangsräumung des „Schwarz-Weiß-Platzes“ erfolgte schließlich im November 1958. Zu diesem Zeitpunkt lebten hier noch etwa 650 Menschen unterschiedlicher Ethnien (insgesamt 182 Familien, davon 51 „Zigeunerfamilien“). Einige Familien lebten nachfolgend in teils um eigene Anbauten erweiterten Eisenbahnwaggons auf einem ihnen von der Stadt zugewiesenen Abstellplatz an der Sinnersdorfer Straße in Roggendorf. Hierhin umgesiedelt wurden insgesamt wohl zwischen 264 und 282 Personen (Kemmerling 2008, S. 36-43).
Die Wohnsiedlung für Sinti in Roggendorf/Thenhoven Die Menschen am „Eisenbahnwagenplatz“ wurden von dem seit 1902 in der sozialen Arbeit in Köln tätigen Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) betreut, für den die damals so genannte „Zigeunerarbeit“ einen besonderen Schwerpunkt bildete (www.skm-koeln.de). Die Mehrheit der Sinti ist katholisch. 1972 trugen die Bewohner und der SKM der Stadt Köln gemeinsame Planungen für eine Wohnsiedlung in Roggendorf/Thenhoven vor, welche die Wünsche der Sinti berücksichtigten: „Das Hauptinteresse der Sinti lag allerdings nicht zwangsweise in der Ausstattung der neuen Siedlung, sondern darin, weiterhin gemeinsam in einer Siedlung wohnen zu können.“ (Kemmerling 2008, S. 45-47) Das integrative Konzept wurde vom Rat der Stadt Köln befürwortet (www.stadt-koeln.de), so dass am 2. Oktober 1974 auf einem 10.000 Quadratmeter großen Grundstück am Pletschbach mit dem Bau von 18 Wohnhäusern begonnen wurde. Ferner entstanden weitere Gebäude für eine Kindertagesstätte und eine Betreuungsstätte für Erwachsene und Jugendliche. Die Ausführung des mit etwa 2,5 Millionen DM Gesamtkosten veranschlagten Bauprojekts erfolgte durch die Kölner Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Wohnungsbau (GAG) (Kemmerling 2008, S. 49). Am 30. September 1975 erfolgte die Einweihung der Wohnhäuser im Fortuinweg.
Vorab befürchteten Bürger Schwierigkeiten im Zusammenleben mit den Sinti, wobei auch kritisiert wurde, dass man nun versuche, die seit Jahren auf ihrem abgelegenen Platz nahe der Autobahn lebenden Menschen „im Blitztempo“ zu integrieren (ebd.). Ein Sinti-Bewohner berichtet noch Jahrzehnte später: „Die Alteingesessenen wollten uns hier nicht haben.“ Ein örtlicher Wirt hatte sogar ein Schild „Für Zigeuner kein Zutritt“ an seiner Kneipe angebracht, welches er aber kurz danach aus Angst vor einer Anzeige wieder entfernt habe. Im Laufe der Jahre habe sich die Lage aber entspannt und Reibereien zwischen Sinti und ihren Nachbarn beschränken sich mittlerweile auf ganz alltägliche Dinge: „Wenn der FC verliert, dann weint hier die Hälfte der Siedlung ... Wir sind kölsche Sinti.“ (www.dw.com, 2012)
Für um 2007/08 wird berichtet, dass „sich nur selten Außenstehende in der Siedlung aufhalten“ und Kontakte zwischen Nicht-Sinti und Sinti nur sehr spärlich vorhanden sind. Zudem seien noch etwa 90 % der Sinti am Fortuinweg auf Sozialleistungen der öffentlichen Hand angewiesen. Gleichwohl zeigten sich aber auch Zeichen einer wachsenden Integration der Familien und im Einzelnen ein gutes Miteinander in der Nachbarschaft (Kemmerling 2008, S. 105-109). Die Siedlung in Roggendorf/Thenhoven gilt als „vorbildliches Beispiel für sozialen Wohnungsbau“ (Wilhelm 2008). Laut der Stadt Köln soll das Modell so erfolgreich sein, „dass die Siedlung für ähnliche Projekte andernorts Pate stand“ (www.stadt-koeln.de). 2018 hob der Kölner Stadt-Anzeiger den Gemeinschaftssinn und die Integrationskraft der Roggendorfer und Thenhover im Fall der „Zigeunersiedlung“ hervor - ein Bewohner berichtet dazu: „Die sind ins Dorfleben integriert. Mein früherer Fußballtrainer etwa war Sinti.“ (www.ksta.de, 2018)
Unter ähnlichen Umständen entstand 1977/78 eine Siedlung für Sinti und Lalleri in Weidenpesch auf dem Ginsterberg. Zuvor lebten dort bereits seit Jahren etwa 150 Angehörige der Roma-Gruppe Lalleri in behelfsmäßigen Steinbaracken, die in den 1950ern für Obdachlose gebaut worden waren (Kemmerling 2008, S. 52-58 u. www.ksta.de, 2019).
Arnold Fortuin Die Straße der Siedlung, der Fortuinweg, wurde nach dem Pfarrer Arnold Fortuin (1901-1970) benannt. Der katholische Geistliche und Gegner der Nationalsozialisten hatte während der NS-Zeit Hunderte von Sinti und Roma vor der Verfolgung gerettet und galt als „der Oskar Schindler der Sinti“. In den Wiedergutmachungsverfahren der Nachkriegszeit wirkte Fortuin als Anwalt der Interessen von Sinti. 1965 wurde er von der Deutschen Bischofskonferenz zum Seelsorger der Sinti und Roma in Deutschland ernannt.
Internet www.stadt-koeln.de: Stadtteilinformationen Roggendorf/Thenhoven (abgerufen 11.04.2023) sintiundroma-nrw.de: Landesverband deutscher Sinti und Roma NRW, Düsseldorf (abgerufen 11.04.2023) zentralrat.sintiundroma.de: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, Erläuterungen zum Begriff „Zigeuner“ (09.10.2015, abgerufen 23.05.2024) romev.de: Vereinigung für die Verständigung von Rom (Roma und Sinti) und Nicht-Rom, Rom e.V., Köln (abgerufen 11.04.2023) www.ksta.de: Veedels-Check Roggendorf/Thenhoven - Von Schloss bis Plattenbau (Kölner Stadt-Anzeiger vom 13.09.2018, abgerufen 11.04.2023) www.ksta.de: Stadt sucht Lösung. Kleine Siedlung in Köln-Weidenpesch verfällt allmählich (Text Bernd Schöneck, Kölner Stadt-Anzeiger vom 15.01.2019, abgerufen 11.04.2023) www.dw.com: Zu Besuch bei kölschen Sinti (Text Philipp Jedicke, Deutsche Welle Kultur vom 11.10.2012, abgerufen 11.04.2023) de.wikipedia.org: Roggendorf/Thenhoven (abgerufen 11.04.2023) www.skm-koeln.de: Sozialdienst Katholischer Männer (SKM Köln e.V.), Geschichte (abgerufen 12.04.2023) www.mahnmal-trier.de: Arnold Fortuin (abgerufen 12.04.2023) www.arminkoenig.de: Arnold Fortuin - der Oskar Schindler der Sinti - Persönliche Anmerkungen über einen bescheidenen Pfarrer (Text Armin König, Bürgermeister von Illingen, Blogeintrag vom 17.12.2016, abgerufen 12.04.2023)
Das Zigeunerlager in Köln-Bickendorf 1935-1958. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 3/1991, S. 11-40. o. O.
Irsigler, Franz; Lassotta, Arnold (2010)
Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt, Köln 1300-1600. (dtv 30075.) S. 167-178, München.
Kemmerling, Svenja (2008)
Die Entwicklung der Wohnsituation der Sinti und Roma in Köln seit 1945. Diplomarbeit am Geographischen Institut der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. o. O. Online verfügbar: gypsy-research.org, Kemmerling 2008
Wilhelm, Jürgen (Hrsg.) (2008)
Das große Köln-Lexikon. S. 380, Köln (2. Auflage).
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