Vor dem Hintergrund der zunehmenden Urbanisierung im 21. Jahrhundert legen die Kleingärten ihr Image als spießige Gartenzwergkolonien und Rentneridyllen zunehmend ab. Gärtnern in der Stadt ist vor dem Hintergrund zunehmender Flächenversiegelung, ökologischem Landbau und der Achtsamkeitsbewegung zurzeit mehr als ein Trend. Die Formen der städtischen „Landnahme“ sind dabei vielfältig. Sie unterscheiden sich in ihren Organisationsformen und Philosophien und reichen vom „guerilla gardening“ über das „urban gardening“ bis hin zum klassischen Kleingarten.
Wann ist ein Garten ein Kleingarten? Verbindlich wird der Begriff Kleingarten erst seit 1983 im Bundeskleingartengesetz geregelt. Ein Kleingarten ist ein von der Wohnung getrennter Garten von maximal 400 Quadratmetern Größe, der dem Pächter zur nichterwerbsmäßigen gärtnerischen Nutzung und zur Erholung überlassen wird und der mit anderen Kleingärten in einer Anlage mit Gemeinschaftseinrichtungen zusammengefasst ist (Bundeskleingartengesetz 1983, §§1, 3). In der Zeit davor war die Begriffsbestimmung weniger eindeutig: Synonyme sind zum Beispiel die Begriffe Schrebergarten, Armengarten oder Pachtgarten.
Geschichte der Kleingärten Es gibt mehrere Wurzeln des heutigen Kleingartenwesens. Sie alle fußen in den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedigungen ihrer Zeit, wobei die soziale Not ein wesentlicher Entstehungsgrund ist. Kleingärten im heutigen Sinne entstanden in größerer Anzahl und in Vereinen organisiert deutschlandweit ab ungefähr 1850. Zu dieser Zeit wurden die Wohn- und Lebensverhältnisse in den zum Teil explosionsartig wachsenden Industriestädten immer schlechter. Der Anbau von eigenem Obst und Gemüse konnte die Ernährungssituation vor allem der Arbeiterfamilien verbessern und gleichzeitig die Gesundheit fördern, da sich Familien an der frischen Luft aufhalten und erholen konnten, und den oftmals hygienischen Missständen der Wohnquartiere entkamen. Die Städte mit besonders vielen Kleingärten finden sich daher nicht von ungefähr in den Industriegebieten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts: im Ruhrgebiet, in Sachsen, aber auch in den wachsenden Wirtschaftsmetropolen Berlin, Hamburg und Köln.
Das Land für die Pachtgärten wurde von den Kommunen bereitgestellt, die darin eine entgeldlose öffentliche Armenfürsorge sahen. Die zeitgenössische Bezeichnung „Armengärten“ verweist auf diesen Hintergrund. Parallel zu den kommunalen Armengärten entstanden etwa zeitgleich vermehrt Pachtgärten auf private Initiative hin, angeregt durch die sogenannte „Schreberbewegung“. Der Leipziger Orthopäde Dr. Daniel Schreber (1808-1861) ist Namensgeber für eine Bewegung, die seine Ideen aufgriff. Schreber forderte aus pädagogischer und medizinischer Sicht die Anlage von Spielplätzen und Gärten für Kinder, um diese an die Natur heranzuführen und körperlich zu stärken. Er war vom therapeutischen Nutzen der Gartenarbeit als Gegengewicht zu einseitiger Fabrikarbeit (Kinderarbeit!) überzeugt, erhob aber selbst nie die Forderung nach Kleingartenanlagen. Erst ein 1864 in Leipzig gegründeter „Verein zur Beschaffung von Kinderspielplätzen“ verfolgte mit seinen „Kinderbeeten“ ausschließlich sozialfürsorglich-pädagogische Aspekte im Sinne Schrebers und nannte sich „Schreberverein“. Im Verlauf der Zeit wurden die Beete eingezäunt und mit Lauben bebaut – die Bezeichnung „Schrebergartenkolonie“ war geboren.
Die ursprüngliche Schreberbewegung mit ihren jugendpädagogischen Wurzeln blieb auf Mittel- und Norddeutschland beschränkt. Sie trug aber in den übrigen Regionen Deutschlands wesentlich zur Ausbreitung des Kleingartenwesens bei. Der heute oft noch synonym gebrauchte Begriff „Schrebergarten“ macht dies deutlich. Die „Schreberbewegung“ löste unter Sozialreformern und Städtebauern konzeptionelle Diskussionen aus, die in Forderungen nach der Ausweisung von Pachtgartenland als Armenfürsorge und als Ausgleich für die fehlenden öffentlichen Grünflächen in den Städten mündeten. So wurden seit den 1920er Jahren Kleingartenanlagen auch feste Bestandteile städtischer Grünflächenplanungen, wie zum Beispiel in Köln. In und nach den beiden Weltkriegen wuchsen die kleingärtnerisch genutzten Flächen in den Städten jeweils sprunghaft an. Ebenso verschwanden viele dieser Gärten mit Besserung der Ernährungslage nach den Kriegen wieder.
Kleingärten heute Heute noch sind Kleingärten Ausdruck einer typisch städtischen Soziokultur. Ihre Funktion hat sich im Laufe ihrer Geschichte in Anpassung an die geänderten Zeit- und Lebensumstände immer wieder geändert. In Zeiten der Nahrungsmittelknappheit stand die Ernährungsfunktion im Vordergrund. Regalmeter mit Eingewecktem sicherten in den Kellern ganzen Familien die Mahlzeiten. Heute steht die Erholungsfunktion und stehen ökologische Aspekte im Vordergrund. Den sozialen Aspekt sichert das Vereinsleben, in dem oftmals Inklusion gelebt wird. Denn auch die Kleingartenanlagen erleben zurzeit einen Generationenwechsel und spiegeln die heterogene städtische Sozialstruktur wider. Versuche der Stadtbaupolitik, ihre Flächen als Bauland auszuweisen um damit dem Wohnraummangel zu begegnen, führen - wie unlängst im Kölner Inneren Grüngürtel geschehen - zunehmend zu massiven Bürgerprotesten.
Quelle Bundeskleingartengesetz vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 210), zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 19. September 2006 geändert (BGBl. I S. 2146).
Literatur
Gelhar, Martina (2000)
Kleingartenanlagen in Köln. Merkmale und Ursachen unterschiedlicher Physiognomien und Raumstrukturmuster. In: Rheinische Heimatpflege 37, Heft 4, Köln.
Gelhar, Martina (1994)
Morphogenetische Typen von Kleingartenanlagen. Konzepte, räumlich-historische entwicklung und heutige Bewertung. (Unveröff. Diplomarbeit am Geographischen Institut der Universität zu Köln.) Köln.
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