Ein Stück Bayern am Rhein
Die Geschichte Bonns war seit jeher mit jener der Kurfürsten von Köln verbunden, welche die Stadt im Zuge ihres Konfliktes mit der selbstbewussten mittelalterlichen Metropole Köln ab dem 12. Jahrhundert immer wieder als Residenz nutzten, bis der Wittelsbacher Ernst von Bayern (1554-1612, Erzbischof und Kurfürst von Köln 1583-1612) sie 1597 offiziell zur Haupt- und Residenzstadt Kurkölns erklärte. Die auf Ernst im Amt des Kurfürsten folgenden Wittelsbacher wollten ihren Verwandten in Bayern in nichts nachstehen und ließen im 17. Jahrhundert im Bereich des heutigen Schlosses verschiedene Vorgängerbauten des heutigen Schlosses errichten.
Nach der weitestgehenden Zerstörung des kurfürstlichen Residenz infolge der Belagerung des von französischen Truppen besetzten Bonns durch die Reichstruppen unter Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1688-1713) im Jahr 1689, legte Kurfürst Joseph Clemens von Bayern (1671-1723, Erzbischof und Kurfürst von Köln 1688-1723), trotz einer angespannten finanziellen Situation, 1679 den Grundstein für einen großzügigen Neubau nach Plänen des Münchener Hofarchitekten Enrico Zuccalli (1642-1724). Dieser hatte eine Vierflügelanlage entworfen, dessen vier geplante Ecktürme als Landmarke in Stadt und Umland weithin sichtbar sein sollten. Unter Einfluss des französischen Hofarchitekten Robert de Cotte (1656-1735) wurde das noch unvollendete Schloss mit Küchenflügel und Buen-Retiro um weitere Seitenflügel ergänzt. Des Weiteren begannen die Bauarbeiten an einem langen Galerieflügel, der das Schloss mit einem nie errichteten Lusthaus am Rhein verbinden sollte. Die Arbeiten hieran wurden durch Joseph Clemens' Nachfolger Clemens August von Bayern (1700-1761, Kurfürst und Erzbischof von Köln 1723-1761) fortgeführt, der in den Flügel das prächtige Michaelstor einfügte, das heute gemeinhin als Koblenzer Tor bezeichnet wird.
So entstand eine komplexe Schlossanlage, deren besonderer Reiz darin besteht, dass sie in alle Himmelsrichtungen einen räumlichen Bezug zu ihrer Umgebung herstellt, der sich noch heute im Raum erkennen lässt. Sei es der repräsentative Ehrenhof im Süden, die versuchte Öffnung zur Stadt hin im Norden, die inzwischen nur noch in Ansätzen zu erkennen ist, der Buen-Retiro, der das Schloss mithilfe der Poppelsdorfer Allee durch eine Blickachse mit dem Poppelsdorfer Schloss und der Wallfahrtskirche auf dem Kreuzberg verbindet im Westen, sowie der langegezogene Galerieflügel und der Hofgartenflügel im Süden, von dem der Blick über den Hofgarten, der ursprünglich fließend in die rheinische Landschaft überzugehen schien, auf das Panorama des Siebengebirges und die Godesburg fällt.
Die Pracht dieser Anlage sollte allerdings nicht lange währen. 1777 wurde der Hauptkomplex des Schlosses durch einen tagelangen Brand zerstört, der als die verheerendste Brandkatastrophe in Friedenszeiten in die Stadtgeschichte Bonns eingehen sollte.
„Unterm Krummstab ist gut leben“
Die Aufgabe des Wiederaufbau des Schlosses fiel Max Friedrich von Königseck-Rotenfels (1708-1784, Erzbischof und Kurfürst von Köln 1761-1784) zu, dem ersten Kurfürsten seit knapp 180 Jahren, der nicht aus dem Hause Wittelsbach stammte. Als Resultat der Verschwendungssucht seiner Vorgänger, war seine Regierungszeit durch Sparbemühungen gekennzeichnet, sodass der Wiederaufbau der Residenz in bescheideneren Dimensionen erfolgte. Von der zerstörten Vierflügelanlage wurde lediglich der Hofgartenflügel mit seinen beiden Ecktürmen in voller Höhe wiederhergestellt.
Max Friedrich und insbesondere sein Nachfolger Max Franz von Österreich (1756-1801, Erzbischof und Kurfürst von Köln 1784-1801) versuchten Kurköln im Geiste der Aufklärung zu modernisieren. In Bonn bedeutete dies das Ende der großen Bauprojekte vergangener Tage. Das Schloss stellte zwar immer noch den Mittelpunkt der Stadt dar, aber, wie die frühklassizistisch gestaltete neue Schlosskirche zeigt, die als einziger Innenraum heute noch einen Eindruck von der kurfürstlichen Zeit gibt, gehörte der üppige Prunk des Rokoko der Vergangenheit an.
Doch die Tage der kurfürstlichen Herrschaft waren trotz der Reformversuche gezählt. Am 3. Oktober 1793 floh Max Franz vor den sich nähernden Truppen des französischen Heeres aus seiner Residenzstadt, in die er nicht mehr zurückkehren sollte. Für das Schloss als auch die Stadt war dies ein einschneidendes Ereignis.
Die ehemalige Residenz machte wie die gesamte Stadt einen zunehmend verwahrlosten Eindruck. Die französischen Besatzer hatten kein Interesse an seinem Erhalt als repräsentativen Bau und versuchten es so weit wie möglich für praktische Zwecke zu nutzen, wie die zeitweise Einrichtung eines Lyzeums in Form einer militaristisch ausgerichteten Knabenschule im Hofgartenflügel zeigt.
Alma Mater Bonnensis
Mit dem Wiener Kongress 1815 fiel das Rheinland an Preußen. Als dessen König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840, seit 1797 König von Preußen) in seiner neuen Provinz nach einem Standort für eine neue Universität suchte, wurde hierfür rasch die ehemalige Residenzstadt am Rhein auserkoren, unter anderem, da mit dem leer stehenden Schloss ausreichend Räumlichkeiten zur Verfügung zu stehen schienen. Daher wurde am 18. Oktober 1818 die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn gegründet, deren Hauptgebäude fortan die ehemalige kurfürstliche Residenz sein sollte. Die Universität ermöglichte den Wandel Bonns von einer unbedeutenden französischen Provinzstadt hin zu einer der reichsten Städte Deutschlands, an deren renommierten Hochschule unter anderem die Thronfolger aus dem Hause Hohenzollern studierten.
Das Schloss war nicht nur Mittelpunkt des studentischen Lebens mit den zahlreichen Bonner Studentenverbindungen, sondern wie zur Zeit der Kurfürsten zentrales räumliches Element in Stadt und Umland.
Vollends zufrieden war die neue Hochschule mit ihrem Sitz im Schloss während des 19. Jahrhunderts allerdings nicht: Als selbst nach dem Auszug einiger fachlicher Abteilungen der Bedarf an Räumlichkeiten nicht gedeckt werden konnte, fiel der Entschluss zum Ausbau des Schlosses, der zwischen 1924 und 1931 durchgeführt wurde. Dieser folgte dabei äußerlich Zuccallis ursprünglichen Entwürfen, sodass das Schloss erstmals alle vier Ecktürme aufwies, die bis heute das Stadtbild prägen.
Doch nur wenige Jahre nach Abschluss der Bauarbeiten sollte die ehemalige Residenz infolge der Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges erneut schwer zerstört werden. Wenngleich damit im Inneren des Schlosses bis auf die wieder hergestellte Schlosskirche und wenige kleinere Relikte das kurfürstliche Erbe des Gebäudes verloren ging, so wurde beim Wiederaufbau großer Wert darauf gelegt – insbesondere im äußeren Erscheinungsbild unter Berücksichtigung der Ansprüche der heutigen Zeit – Rücksicht auf die kurfürstliche Vergangenheit des Schlosses zu nehmen, wie beispielsweise die Neugestaltung der Fassade des Buen-Retiro zum Kaiserplatz hin zeigt.
Das unbekannte Wahrzeichen
Zwar weiß wohl jeder Bonner, dass das heutige Hauptgebäude der für die Stadt so wichtigen Universität einst die Residenz der Kurfürsten von Köln war; wirklich vertraut mit seiner kontrastreichen Geschichte sind aber vermutlich nur die wenigsten. Dabei ist das Kurfürstliche Schloss ein lebendiges Dokument der Entwicklungen im Bonner Raum der letzten drei Jahrhunderte, die alle – mal mehr und mal weniger – ihre Spuren am Gebäude hinterlassen haben.
Baudenkmal
Das Objekt „Kurfürstliches Schloss“ in Bonn ist ein eingetragenes Denkmal (Denkmalliste Bonn, Stand 01.01.12, Nr. A 179).
(Jost Dockter, Geographisches Institut der Universität Bonn, 2014)