„Des Kurfürsten abgetragene Kleider“
Im Schatten von Preußens Gloria
Zwei neue Türme für das Schloss
Mauern für den Studienplatz
Das Gelbe vom Ei?
Baudenkmal
„Des Kurfürsten abgetragene Kleider“
Wie für den gesamten europäischen Raum, so war auch für Bonn die Zeit der Koalitionskriege eine Phase enormer Umwälzungen. 1794 musste der letzte Kurfürst Max Franz von Österreich (1756-1801, Erzbischof und Kurfürst von Köln 1784-1801) vor den sich nähernden französischen Truppen fliehen. 1801 fiel die Stadt durch den Frieden zu Lunéville an Frankreich und 1815 wurde sie schließlich infolge des Wiener Kongresses als Teil der so genannten Rheinprovinz dem Königreich Preußen zugeschlagen.
Für König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840, seit 1797 König von Preußen) war dieser territoriale Zuwachs mit einem Versprechen verbunden, innerhalb seiner neuen Lande eine Universität zu gründen. Die Wahl hierfür fiel schließlich auf Bonn, das sich im Konkurrenzstreit gegen Städte wie Köln durchsetzen konnte, waren doch in der ehemaligen Hauptstadt Kurkölns die Chancen höher, eine paritätisch evangelisch-katholische Hochschule als Pendant zu jener in Breslau aufbauen zu können. Somit wurde Bonn bereits zum zweiten Male Universitätsstadt, hatte doch zwischen 1786 und 1789 bereits kurzzeitig eine durch die Kurfürsten ins Leben gerufene Universität existiert. Die Gründung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn im Jahre 1818 stellte einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Stadt dar, der ihr wirtschaftliches, bauliches, gesellschaftlichen und kulturelles Gedeihen im 19. Jahrhundert einleitete. Ohne diese Entwicklungen wäre der spätere Aufstieg zur zeitweiligen Bundeshauptstadt vermutlich nicht möglich gewesen.
Die Wahl Bonns wurde auch durch den Umstand begünstigt, dass mit der leer stehenden ehemaligen Residenz und dem Poppelsdorfer Schloss ausreichend Räumlichkeiten für die neue Hochschule vorhanden waren, in denen die verschiedenen universitären Einrichtungen untergebracht wurden, ohne dass größere Baumaßnahmen notwendig wurden. Die Kliniken wurden etwa im Buen-Retiro untergebracht, während die ehemalige Hofkapelle der Erzbischöfe zu Köln nun durch die Evangelisch-Theologische Fakultät benutzt wurde. Bis zum Bau der Kreuzkirche auf dem Kaiserplatz beherbergte sie zudem die seinerzeit rapide wachsende evangelische Kirchengemeinde Bonns.
Im Schatten von Preußens Gloria
Rasch entwickelte sich die Neugründung zu einer renommierten Hochschule, an der unter anderem Persönlichkeiten wie der Astronom Friedrich Wilhelm August Argelander (1799-1875), der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt (1769-1860), der Chemiker August Kekulé (1829-1896), der Schriftsteller Gottfried Kinkel (1815-1882), der Historiker Barthold Niebuhr (1776-1831), der Schriftsteller August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) und der Dichter Karl Joseph Simrock (1802-1876) lehrten. Zu den berühmtesten Studenten des 19. Jahrhundert zählten der Schriftsteller Heinrich Heine (1797-1856), der Philologe Friedrich Nietzsche (1844-1900), der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967), der Chemiker Justus von Liebig (1803-1873) und der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx (1818-1883).
Besondere Berühmtheit erlange Bonn als bevorzugter Studienort verschiedener Adels- und Königshäuser. So kam es, dass sogar Queen Viktoria (1819-1901, seit 1837 Königin des Vereinigten Königreiches) 1845 der Universität einen Besuch abstattete, hatte doch hier ihr Ehemann Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819-1861) studiert. 120 Jahre später sollte mit Elisabeth II. erneut eine britische Monarchin der Universität der mittlerweile zur Hauptstadt aufgestiegenen Stadt am Rhein einen Besuch abstatten.
Der berühmteste Alumnus in diesem Zusammenhang dürfte der spätere Kaiser Wilhelm II. (1859-1941, deutscher Kaiser 1888-1918) sein, der es sich 1902 nicht nehmen ließ, anlässlich der Immatrikulation des Kronprinzen auf der Hofgartenwiese ein „Kaisermanöver“ durchführen zu lassen.
Für Bonn war es eine Zeit großen Wohlstandes und Wachstums. Wie bereits zur kurfürstlichen Zeit, stellte auch im 19. Jahrhundert das ehemalige kurfürstliche Schloss den Mittelpunkt der Stadt dar, die zunehmend durch die Studenten und die zahlreichen ortsansässigen Korporationen geprägt wurde, die dieser Zeit ihrer Alma Mater im Lied „Bonna Perl'“ ein Denkmal setzten:
Manchen Musensohn begeistert
Hat dein brausend Zauberlied,
Deutschlands Fürstensöhn' begeistert,
Die's zu deinem Busen zieht.
Hat dein brausend Zauberlied,
Deutschlands Fürstensöhn' begeistert,
Die's zu deinem Busen zieht.
Zwei neue Türme für das Schloss
Schon im 19. Jahrhundert zeichnete sich ab, dass die Räumlichkeiten des Schlosses nicht dazu geeignet waren, eine gesamte Universität zu beherbergen, sodass die naturwissenschaftlichen und medizinischen Abteilungen in eigenen neuen Gebäuden untergebracht wurden. Doch auch danach platze das Gebäude beinahe sprichwörtlich noch aus allen Nähten, sodass bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Erweiterung der ehemaligen Residenz beschlossen wurde, mit der dann allerdings infolge der Kriegswirren erst 1924 begonnen werden konnte. Anstatt hierfür moderne architektonische Wege zu beschreiten, fiel der Beschluss, auf die ursprünglichen Entwürfe des Münchener Hofarchitekten Enrico Zuccalli (1642-1724) aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert zurückzugreifen, der eine vierflügelige Anlage mit vier Ecktürmen vorgesehen hatte.
Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass das kurfürstliche Schloss im 18. Jahrhundert nicht nach den ursprünglichen Plänen vollendet werden konnte, sodass nur drei Türme erbaut worden waren, von denen einer obendrein nach der Feuerkatastrophe von 1777 (vgl. dazu den übergeordneten Eintrag Kurfürstliches Schloss) nicht wieder aufgeführt worden war.
Das heutige Schloss spiegelt also nicht den baulichen Zustand des 18. Jahrhunderts wider, sondern vielmehr die anfängliche Konzeption Zuccallis; wenngleich in Form von Buen-Retiro, Küchen- und Galerieflügel durch die Ergänzungen des französischen Hofarchitekten Robert de Cotte (1656-1735) erweitert. Entstanden ist somit eine nun auch zur Stadtseite hin repräsentative Anlage, wie der Nordflügel an der Straße Am Hof mit seinem repräsentativen Mittelrisalit, auf dessen Attika sich die Personifikationen verschiedener Wissenschaften befinden, verdeutlicht.
Die Orientierung an den ursprünglichen Plänen beschränkte sich freilich auf die äußere Erscheinung des Schlosses. So wurden die neu entstandenen Räumlichkeiten nach zeitgenössischem Geschmack gestaltet, wobei funktionale Überlegungen im Vordergrund standen. Anstelle der 1777 zerstörten Schlosskirche im Westflügel am Innenhof entstand beispielsweise eine große Aula.
Die Erweiterungsbauten am Schloss konnten 1931 abgeschlossen werden. Nur dreizehn Jahre später sollte es in Schutt und Asche liegen.
Mauern für den Studienplatz
Es war am 18. Oktober 1944, dem 126. Gründungstag der Universität, als die Bonner Innenstadt erstmals Opfer eines schweren Luftangriffes wurde, auf den bis Februar 1945 weitere folgten. Zu Kriegsende war das gesamte Schloss ausgebrannt und teilweise durch Sprengbomben zerstört.
Dennoch konnte bereits im Wintersemester 1945/46 der Lehrbetrieb an der Universität wieder aufgenommen werden, obgleich die alliierte Militärregierung die Studentenzahl zunächst stark beschränkte. Bei den Studenten, die keinen der raren Studiengänge hatten ergattern können, ließ die Universitätsleitung allerdings rheinischen Pragmatismus walten: Wer sich nämlich für ein Semester einem der sogenannten Studentischen Bautrupps anschloss, die die Aufräumarbeiten am Schloss durchführten und in Zusammenarbeit mit gelernten Kräften dessen Wiederaufbau in Angriff nahmen, der konnte sich anschließend Hoffnungen auf die Zulassung zum Studium machen. Somit waren es zu einem großen Teil Studenten, die sich um die Instandsetzung ihrer Universität verdient machten.
Das Gelbe vom Ei?
Es sollte bis 1957 dauern, bis der Wiederaufbau des Schlosses abgeschlossen werden konnte. Vor dem Krieg noch vorhandene Reste der unbeweglichen Innenausstattung aus dem 18. Jahrhundert wurden mit Ausnahme der Schlosskirche nicht rekonstruiert, sodass von dieser abgesehen nur noch vereinzelte Relikte im Inneren des Schlosses an dessen kurfürstliche Vergangenheit erinnern. Vielmehr werden die Räume durch die Architektur der 1950er Jahre geprägt.
Bei der äußeren Gestaltung des Schlosses wurde hingegen gezielt Rücksicht auf die Geschichte der Anlage genommen, wie beispielsweise die Neuakzentuierung des Buen-Retiro durch einen Attikaaufsatz und einen Balkon zum Kaiserplatz hin zeigt.
Das Erscheinungsbild des Schlosses sollte sich allerdings noch einmal drastisch verändern. So hatten die Wandflächen der Fassaden bis dahin einen weißen Anstrich aufgewiesen, wie er bereits für die Mitte des 18. Jahrhunderts belegt ist. Beim 1960 erfolgten Neuanstrich des Gebäudes wurde jedoch – eventuell von Schönbrunn inspiriert – ein gelbockerner Farbton gewählt. Eine Entscheidung, die von Fachleuten inzwischen aufgrund ihrer Willkür kritisiert wird.
Nichtsdestotrotz dürfte das Schloss heute vielen Alumni der Universität Bonn und Besuchern der Stadt gerade wegen des leuchtenden geldb-ockernen Anstrichs und den vier Türmen mit ihren Helmen, die erst 1967/68 wiederhergestellt wurden, in Erinnerung bleiben. Letztlich haben alle Epochen ihre Spuren an der ehemaligen Residenz hinterlassen, was sie zu einem vielschichtigen Kulturlandschaftselement macht. Das Schloss bleibt ein Dokument der kurfürstlichen Macht und ein Spiegelbild der Bonner Stadtgeschichte seit Ende des 17. Jahrhunderts mit all ihren Höhen und Tiefen.
Baudenkmal
Das Objekt „Kurfürstliches Schloss“ in Bonn ist ein eingetragenes Baudenkmal (Denkmalliste Bonn, Stand 01.04.2014, Nr. A 179).
(Jost Dockter, 2015)