Im ehemaligen Regierungsviertel an der Adenauerallee liegt der ehemalige erste und aktuell zweite Dienstsitz des Bundeskanzleramtes und damit der Bundeskanzlerin / des Bundeskanzlers in Bonn, Palais Schaumburg, umgeben von einer weitläufigen Parkanlage. Zum Kanzlersitz gehören das Alte und das Neue Kanzleramt und der Kanzlerbungalow.
Baugeschichte des Areals 1857 erwarb der Aachener Textilfabrikant und Rentier Aloys Knops im Süden jenseits der Stadtbefestigung von Bonn am Rheinufer ein etwa 15.000 Quadratmeter großes Acker- und Weingartengelände, auf welchem er ein Jahr später mit dem Bau einer Villa begann. Baumeister und Bauunternehmer waren sein Schwiegervater, Andreas Hansen, und der Maurermeister Josef Porcher aus Aachen. 1860 vergrößerte er seinen Besitz durch Zukauf auf ca. 21.000 Quadratmeter und ließ den Garten anlegen, verkaufte dann allerdings im gleichen Jahr das Anwesen mit dem nicht ganz fertigen Wohnhaus an den Kaufmann Wilhelm Loeschigk. Dieser erweiterte zwischen 1875 und 1879 die Villa um einen Anbau an der Nordseite. 1890 mietete Prinz Adolf Wilhelm Victor zu Schaumburg-Lippe die Villa als Wohnsitz für sich und seine zukünftige Ehefrau, Prinzessin Viktoria Friederike Amalie Wilhelmine von Preußen, Schwester Kaiser Wilhelms II. 1894, nach dem Tod Loschigks, kaufte der Prinz die Villa mit dem inzwischen 53.500 Quadratmeter großen Grundstück, auf dem jetzt außer dem Wohnhaus, zwei Gärtnerhäuser, Treibhäuser, ein Gewächshaus, ein Weinhaus, ein Pavillon, ein Hühnerhaus, eine Portierwohnung, weitere Nebengebäude, sowie ein Wohnhaus unmittelbar am Leinpfad am Rhein standen. 1895 beauftragte er den kaiserlichen Hofarchitekten Ernst von Ihne (1848-1917) mit einer erheblichen Erweiterung um den winkelförmigen Anbau an der Nordseite und damit einhergehender aufwändigen Umgestaltung. Von Ihne vergrößerte das Raumprogramm um eine Reihe von Wohnzimmern im Erdgeschoss, Schlafzimmern im ersten Obergeschoss, Gäste- und Personalräumen im Dachgeschoss und Wirtschaftsräumen im Souterrain, verlegte den Haupteingang in den Nordflügel und gestaltete ihn durch Vorfahrt, Vorhalle und großzügigen Treppenaufgang neu. An der dem Rhein zugewandten Seite leitete nun eine Terrasse mit einer repräsentativen Freitreppe in den Park über. Nach dem Tod des Prinzen (1916) erfolgte zunächst die Teilung des Nordflügels in zwei abgeschlossene Wohnungen, nach 1930 im alten Kernbau die Einrichtung von Etagenwohnungen. Der Park, ehemals als englischer Garten nach Plänen des Hamburger Gartenarchitekten Friedrich J.C. Jürgens (1825-1903) angelegt, wurde im Laufe der Jahre durch Tennisplatz, Reitbahn, Stallungen, Kesselhaus, Garage und Springbrunnen in seinem Charakter zunehmend verändert; der verbliebene Rasen wurde 1928 parzelliert, um die Teilstücke als Gemüsegärten zu verpachten. 1939, nach dem Tod des Fürsten Adolf zu Schaumburg-Lippe, verkaufte das Haus Bückeburg die Villa an das Deutsche Reich. 1945 beschlagnahmten die Alliierten die Anlage. 1949 durch Konrad Adenauer zum Amtssitz des Bundeskanzlers bestimmt, konnte bereits 1950 nach Verlegung des Kanzlersitzes vom Museum Koenig in das Palais der Umbau zum Kanzlersitz durch den Architekten Hans Schwippert (1899-1973) abgeschlossen werden.
Auf dem nördlich benachbarten Grundstück befand sich die Villa Selve, bei der im Krieg das Dach zerstört wurde (Sonntag, S. 351-361). Zunächst von den Belgiern beschlagnahmt, wurde die Liegenschaft nach einem Brand 1949, der das Haus bis auf die Grundmauern zerstörte, vom Bund erworben und 1951 dem Palais Schaumburg zugeteilt. 1954 wurde die Ruine abgerissen und der Park mit dem des Palais Schaumburg zusammengeführt (Körner, S. 522). Bereits 1950 war Hermann Mattern (1902-1971) mit der Wiederherstellung des Parks und mit der Anlage einer Bocciabahn auf dem ehemaligen Tennisplatz beauftragt worden. 1957 entstand am Rhein über den Grundmauern der ehemaligen Gartenhalle von 1901 (auch Walhalla genannt) ein Pavillon, das sogenannte Teehaus. Ein schmiedeeisernes Tor an der Adenauerallee mit dem Allianzwappen aus der Lippeschen Rose und dem Preußischen Adler schließt heute noch das Gelände zur Straße ab. Die Bundesbaudirektion beantragte 1954 eine Erweiterung des Bundeskanzlersitzes um zwei Verwaltungsbauten (altes Bundeskanzleramt). Die Bauten waren 1955 fertiggestellt. Von 1976-1999 nutzte das Auswärtige Amt die beiden Bauten des „Alten Kanzleramtes“.
Die Verbreiterung und Untertunnelung der Koblenzerstraße 1962 ging zu Lasten des Palaisgrundstücks mit Verlust von 30 Bäumen. Da das Palais Schaumburg unter dem neuen Bundeskanzler Ludwig Erhard für Empfänge und Wohnung nicht mehr genug Raum bot, ließ die Bunderepublik als Bauherr 1963 im Park einen Bungalow für den Bundeskanzler zur „Wahrnehmung seiner dienstlichen Verpflichtungen zur Verfügung zu stellen“. Als ausführender Architekt wurde Sep Ruf auf Betreiben Erhards - ohne Wettbewerb - ausgewählt.
Ein bundesweiter Bauwettbewerb, der 1972 konkrete Planungen zum Neubau des Kanzleramtes einleitete, war auch der Auftakt zu einer Reihe von Bau- und Ideenwettbewerben in der städtebaulichen Gesamtkonzeption des Regierungsviertels. Den Baukomplex entwarf die Planungsgruppe Stieldorf (Manfred Adams, Günter Hornschuh, Robert Glatzer, Georg Pollich, Peter Türler). 1973 begonnen, war das Neue Kanzleramt 1976 bezugsfertig. Die 1979 aufgestellte Skulptur „Large Two Forms“ (1967) von Henry Moore vor dem neuen Kanzleramt wurde zur Hintergrundskulisse mit Wahrzeichencharakter durch seine mediale Präsenz. Seit 2006 beherbergt das sanierte Kanzleramt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Begründung des Denkmalwertes Das nach 1949 zusammengewachsene Areal des Bundeskanzleramtes ist bedeutend für die Geschichte der Bundesrepublik als Spitze der Exekutive von 1949-1999. Mit der Umnutzung zum Sitz des Bundeskanzlers war das Palais Schaumburg neben der Villa Hammerschmidt 50 Jahre lang ein bauliches Symbol der Bundesrepublik. Staatsrepräsentation und privates Wohnen (Kanzlerbungalow) waren auf dem weitläufigen Gelände vereint.
Bedeutung für die Geschichte der Stadt Bonn Das gesamte Objekt dokumentiert ausgehend von der als Fabrikantenvilla am Rhein errichteten und dem späteren Wohnsitz des Prinzen von Schaumburg-Lippe (Palais Schaumburg) eine Phase der Bonner Stadtgeschichte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert, in der der Bonner Süden mit der Lage am Rhein und der Nähe zum Siebengebirge bevorzugter Wohnsitz wohlhabender Bürger wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Areal in den Besitz des Bundes über und erfuhr eine stetige Erweiterung. Zusammen mit dem benachbarten Bundespräsidialamt und dem Deutschen Bundestag an der Görresstraße bildete der Komplex den Kern des Regierungsviertels und des politischen Bonn. Seine Erhaltung und Nutzung liegt im öffentlichen Interesse aus architekturgeschichtlichen Gründen. Die Bauten gehören verschiedenen Epochen an. Das Palais Schaumburg als Kern der Anlage steht für den frühen opulenten Villenbau in Bonn. Mit dem Umbau unter Prinz Adolph Wilhelm zu Schaumburg-Lippe durch Ernst von Ihne 1894 knüpft der Bau auf der Suche nach adeliger Legitimation an die Form der „Maison de Plaisance“ des 18. Jahrhunderts an nach dem Motto „Adel verpflichtet“. Es entsteht ein Bau als Mischung aus barocker Anlage mit strengem klassizistischem Formenapparat. Als Typus birgt das Haus Villa, Palais und Maison in sich mit stark französisch geprägtem Eklektizismus des ausgehenden Jahrhunderts.
Der Kanzlerbungalow stand als absoluter Kontrast mit seiner gläsernen Transparenz für „die Darstellung und Verwirklichung eines demokratischen Leitbildes“. Als „politischer Bedeutungsträger“ zeigte der Kanzlerbungalow weit reichende, auch internationale Wirkung. „Der neue leichte und transparente Baustil galt als Aushängeschild der Bonner Republik“ (Fleck, 2008, S. 6). Für den Typus des „Bungalow“ wurde der Kanzlerbungalow sprichwörtlich und reihte sich ein in die internationale Architekturgeschichte. Von seiner zeitgenössischen Umstrittenheit in der Wahrnehmung zeugen Epitheta wie „Schaumbad“ und „Ludwigslust“ in Anlehnung an seinen „spiritus rector“ Ludwig Erhard und den zentralen Swimmingpool im Privatbereich. Die Zeit hat dem Architekten Sep Ruf Recht gegeben. Heute steht der Bungalow in der Architekturgeschichte unbestritten neben den Werken Richard Neutras und Mies van der Rohes.
Das neue Kanzleramt der Planungsgruppe Stieldorf, ebenfalls von den Zeitgenossen viel gescholten („Sitz eines Stahlkonzerns“ / Helmut Schmidt), hatte sich bewusst einer Architektur der Unauffälligkeit verschrieben. Die unauffällige Bescheidenheit war zum Programm der Bonner Regierungsbauten erhoben worden und somit jeglicher Verzicht auf Signale in seiner Staatsarchitektur. So stellt sich der Bau nüchtern-funktional dar. Zum anderen gab es wie beim neuen späteren Plenarsaal von Günter Behnisch damals keine Vorbilder oder Vergleiche, an die man hätte anschließen können. Mit dem zeitlichen Abstand hat auch das neue Kanzleramt mit seiner Architektur Anerkennung gefunden. Es ist einerseits typisch für den Verwaltungsbau der 1970er Jahre und zum anderen architektonischer Ausdruck langer Zeit der Bonner Politik mit seiner „Ästhetik der geschäftigen Nüchternheit“ (zitiert nach Wefing, 2006, S. 199 (Bruno Preisendörfer). Die rein nüchterne Funktionalität der Bauten wird durch die Gesamtkonzeption und die Ausbildung der Details sowohl des Außenbaus als auch des Inneren architektonisch stimmig vollendet: Decken- und Wandlampen heben die Raumwirkung hervor; ausgewählte, abgestimmte Materialien, Farben, gezielt eingesetzte Fußbodenmuster, eine zurückhaltende ornamentale Behandlung der Wandflächen und die Verteilung der goldfarbenen Details formen harmonische Raumeindrücke und Raumabfolgen.
Politikgeschichtliche Bedeutung Durch den Beschluss des Parlamentarischen Rates vom 10. Mai 1949 wurde Bonn zur vorläufigen Bundeshauptstadt bestimmt. Am 7. September 1949 trat der Bundestag erstmals in Bonn zusammen. Für Bonn begann ein neuer Abschnitt der Geschichte mit nationaler und internationaler Bedeutung. Zentrale Regierungsfunktionen konzentrierten sich im Süden der Stadt in der Gronau am Rhein. Somit symbolisiert der Sitz des Bundeskanzlers in seiner Gesamtheit fünfzig Jahre Bonner Republik. Die Objekte sind Nachfolgebauten dieses Beschlusses und Teil des nach 1949 entstehenden Bonner Regierungsviertels. Sie sind somit auch gebaute Dokumente der Stadtgeschichte. Mit dem Neubau des Kanzleramts trat der provisorische Charakter des Ortes stärker in den Hintergrund, und der Hauptstadtstatus festigte sich zugunsten der Stadt Bonn.
Mit der Umnutzung Bonns als Regierungssitz gewann die Gronau als Regierungsviertel bundesweite Bedeutung. Innerhalb des Viertels war das Kanzleramt zentraler Ort wichtiger politischer Entscheidungen. So sprechen für die Erhaltung historische und politikgeschichtliche Gründe, insbesondere die politische Entstehung und Entwicklung der Bundesrepublik und die Nachkriegsgeschichte der Stadt Bonn betreffend. Über die Medien wurde das Palais Schaumburg als Sitz des Kanzlers zu einem Sinnbild der Republik, später ergänzt durch Henry Moores Plastik „Large Two Forms“. Das Palais und die nachgeordneten Bauten waren Teil dieser symbolischen Bedeutungsebene. Die Errichtung des Neuen Kanzleramtes steht nach dem Regierungswechsel 1969 und dem damit einhergehenden Wandel des Selbstverständnisses der Bundesrepublik am Beginn einer Neukonzeption des Regierungsviertels und leitet die planerische Umsetzung ein. Eine der zentralen Regierungsfunktionen, der Aufgabenbereich des Bundeskanzlers, wurde durch die neue Regierung nicht nur inhaltlich im bildungs- und gesellschaftspolitischen, im sozialen, wirtschaftlichen und technischen Gebiet ausgedehnt, sondern entsprechend dem gestiegenen Raumbedarf auch baulich mit Auswirkungen auf die stadträumliche Gestaltung erweitert.
Städtebauliche Bedeutung In der Reihe der repräsentativen Solitärbauten an der Ausfallstraße von Bonn, in der Reihe der qualitätsvollen Villen in großzügig bemessenen Parkanlagen ist der Sitz des Bundeskanzlers zunächst Teil der Bonner Stadterweiterung des 19. Jahrhunderts. Nach 1949 wurde eine neue funktionale und stadträumliche Situation geschaffen. Es entstand ein neues architektonisches und gartenarchitektonisches Gesamtgefüge. Trotz der zurückhaltenden Gestaltung des Neuen Kanzleramtes wurde städtebaulich durch den voluminösen Baukörper ein neuer Akzent gesetzt. Die direkte Verbindung von der Reuterbrücke zum Rhein wurde unterbrochen, die Adenauerallee erhielt durch die Reihung von Villa Hammerschmidt, Palais Schaumburg und Kanzleramt eine stärkere Betonung.
Gartenarchitektonische Bedeutung Der Landschaftspark, ca. fünf Hektar groß, ehemals mit Gewächshäusern, großem Rosenbestand und Obstplantage, umfasst seit 1951 auch den ehemaligen Park der niedergelegten Villa Selve. Nach Anweisungen des Bundeskanzlers Adenauer wurde der Park durch den Gartenarchitekten Hermann Mattern (1902-1971) wiederhergestellt und teilweise neugestaltet. Das Areal um das neue Kanzleramt gestaltete Hans Luz + Partner/Stuttgart.
Baudenkmal Das Areal des ehemaligen Bundeskanzleramts ist ein eingetragenes Baudenkmal (LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Nr. 71808 / Denkmalliste der Stadt Bonn, laufende Nr. A 3972).
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