Im „Gesteins“
Das Aussehen vor 200 Jahren
Der Name Neandertal
Die Bezeichnung Hundsklippe
Die Maler der Düsseldorfer Malerschule
Das Kleine Buch Wanderung zur Neandershöhle von Johann Heinrich Bongard
Auf welchen Weg kamen die Wanderer ins Gesteins?
1843 – Ein Ausflug ins Gesteins
Ab 1850 – Großräumiger Kalksteinabbau
1856 – Der Fund eines urtümlichen Menschen
Die Steinbrucharbeiter
Der Parteitag der Sozialdemokraten 1887 im Neandertal
Der Alte Kalkofen
Die Neanderhöhle
Die einzigartigen Grabungen der Jahre 1997 und 2000
Der Fundplatz Feldhofer Grotte und das Neanderthal Museum
Quelle / Internet
Im „Gesteins“
Das kurze Wegstück zwischen dem Neanderthal Museum und dem Parkplatz am Alten Kalkofen, also die Mettmanner Straße entlang der Düssel, nannten die Bewohner „Das Gesteins“. Heute wandert ein Besucher 15-20 Minuten über diese Wegstrecke, findet sie ganz nett, kann aber nichts Besonderes entdecken. Es sei denn, er weiß, dass hier der homo neanderthalensis gefunden wurde. Im besten Fall ist er nun neugierig geworden auf die Fundumstände und damit auf die Geschichte.
Das Aussehen vor 200 Jahren
Das Gesteins war eine Felsenlandschaft von fremdartiger Schönheit, ein wahres Kleinod unserer Region. Maler aus Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, Finnland, aus Österreich und Kanada kamen, um diese Landschaft darzustellen, Reiseschriftsteller fassten ihre Begeisterung in Worte:
„Auf dem angenehmen Wege von Düsseldorf nach Elberfeld passirt man das kleine Städtchen Medtmann, das an sich Nichts, aber in einer halbstündigen Entfernung ein äusserst sehenswürdiges Naturspiel, in der sogenannten Neanders-Höhle, darbeut. Dieser Name ist sehr uneigentlich, indem der Ort, den man damit bezeichnet, keine Höhle, sondern ein prächtiges kühnes Felsenthal ist, dessen Anblick mit Erfurcht und Entzükken erfüllt...“ (Gruner 1803).
Der Name Neandertal
Etwa ab 1800 las man in zeitgenössischen Berichten die Bezeichnungen „Neanders Höhle“ und „Neanders Stuhl“. Heute trägt das gesamte Tal seinen Namen. Der Kirchenlieddichter und Theologe Joachim Neander (1650-1680) wurde in Bremen geboren. Es heißt, dass er 1674, als er in Düsseldorf eine Stelle als Rektor der Lateinschule der reformierten Gemeinde antrat, in Glaubensfragen mit seinem Presbyterium aneinander geriet und dass er, um sich Klarheit zu verschaffen, durch das nahe Gesteins gewandert sei. Und das ist beweisbar, denn in der Ausgabe der 1718 posthum erschienenen Neanderlieder kann man in der 6. bis 9. Strophe des Liedes Nr. 44 deutliche Bezüge zum Neandertal erkennen:
Strophe 6: „GOtt/ die lufft erschall’t Von so vielen kehlen/ Echo widerhall’t; Ich auch singe dir/ Höre mein begier/ Laß mich ja nicht fehlen!“
Strophe 8: „GOtt/ wie rühmen dich Berge/ felß’ und klippen! Sie ermuntern mich: Drum an diesem ort O mein felß und hort! Jauchtzen meine lippen.“
Strophe 9: „HErr/ wie rauscht dahin Wasser in den gründen! Es erfrisch’t den sin/ Wann ich es anhör/ Heilbrunn ich begehr/ Laß mich dich auch finden.“ (Neander Lieder, Originaltext 1718)
In der Bremer Erstausgabe von 1680 wird dieses Lied ergänzt durch die Fußnote:
„Ist auch ein Reise-Lied im Sommer oder Herbst/ denen nach Franckfurt am Mayn den Reinstrohm auff und abfahrenden/ woselbst zwischen Cöllen und Maintz/ Berge/ Klippen/ Bäche und Felsen/ mit sonderbahrer Verwunderung zu sehen/ auch im Bergischen Lande in dem Gesteins nicht weit von Düsseldorff“ (Neanders Lied, Bremer Erstausgabe 1680)
Lange nach Neanders Tod im Jahr 1680 erinnerte man sich an den berühmten Mann und verwendete seinen Namen.
Die Bezeichnung Hundsklippe
Die Bezeichnung „Hundsklipp“, die man gelegentlich auch für das gesamte Tal verwendete, wurde sehr unterschiedlich erklärt: „des Hunnen Klippe“, „Räubersklippe“, „ein Ort, zu dem man sich vor den Hunnen flüchten konnte“ und so weiter. Heinrich Dittmaier (1956) führt aus, dass Flurnamen, die nach seinen Belegen das Beiwort „Hund“ enthalten, etwas Geringwertiges (zum Beispiel Land von geringer Bodenqualität) bezeichnen. Nun widerstrebt es uns, das prachtvolle Gesteins geringwertig zu nennen. Aber aus der Sicht der Bauern war es anders. Das Schatz und Lagerbuch des Amtes Mettmann von 1672 notiert für den Hof Kastein, der Länderungen im Gesteins hatte: „Die büsche sind lauter Stein Klippen, wirdt ungefehr Jährlichs 6 maaßen holtz, das Struck und fahrholtz aber mit Lebensgefahr gehauen.“ (Landesarchiv Düsseldorf) Man versteht, dass für den Bauern diese Holzung eine „Hundsklipp“, also eine elende Steinklippe war.
Die Maler der Düsseldorfer Malerschule
Die 1819 gegründete Düsseldorfer Kunstakademie war von Beginn an eine berühmte Lehranstalt. Im Jahre 1827 führte Wilhelm von Schadow die Landschaftsmalerei als akademisches Fach ein. Die Leitung übertrug er dem 20jährigen Johann Wilhelm Schirmer (1807-1863) und dem 19jährigen Carl Friedrich Lessing (1808-1880). Aus dieser Klasse gingen berühmte Maler hervor: Wilhelm von Abbema, Andreas und Oswald Achenbach, August Cappelen, Paul Karl Themistokles von Eckenbrecher, Eugen von Guérard, Hans Frederik Gude, Carl Hilgers, Werner Holmberg, Sophus Jacobson, Friedrich August Kessler, Johann Wilhelm Krafft, Friedrich August de Leuw, Rudolf von Normann, Leonhard Rausch, Alfred Rethel, Caspar Johann Nepumuk Scheuren, Friedrich Wilhelm Schreiner, Johann Baptist Wilhelm August Weber, Balduin Wolff. Die Eleven führte Schirmer in den Bilker Busch, ins Düsseltal, in die Eifel, ins Ahrtal und vor allem ins Gesteins, das die jungen Maler in ungefähr zwei Stunden erreichen konnten. Hier lernten sie das Zeichnen der Felsstrukturen, des fließenden Wassers, der vielgestaltigen Vegetation. Schirmer hielt seine Schüler zu detailgetreuen Landschaftsdarstellungen an. Immer galt seine große Liebe dem Vorbild Natur. Alle hier genannten Maler zeichneten und malten im Gesteins und beschenkten uns mit wunderbaren Bildern von der unzerstörten Landschaft (vgl. hierzu das PDF-Dokument „Das Neandertal als Motiv und Thema der Düsseldorfer Malerschule“ in der Mediengalerie).
Das Kleine Buch Wanderung zur Neandershöhle von Johann Heinrich Bongard
Der Erkrather Augenarzt Dr. Heinrich Bongard gab 1935 eine der bekanntesten Schilderungen des Neandertals heraus. Er beschreibt in einer ausführlichen topographischen Skizze eine Wanderung von drei Tagen. Sie geht von Erkrath aus, durchquert das Gesteins und endet auf der so genannten Kanzel:
„Wir haben nun das weite Thal von Erkrath aus dem Auge verloren und hören schon das Geräusch der Düssel in der engen Felsenschlucht des Kalkgebirges. Das Geräusch des Baches ist hier stärker, weil die Felsen solches vermehren und die von den Bergen herabgerollten Felsmassen den freien Fluss des Wassers hemmen….Sie Düssel fliesst von ihrem Ursprung an fast immer im Schatten und behält dadurch eine sehr tiefe, den Quellen selbst Fast gleiche Temperatur. Diese steigt im Sommer selten über 20° R(éaumur), daher sie sie auch reich an solchen Fischen, die reines und kaltes Wasser lieben. Die Forelle ist hier besonders häufig, wächst und vermehrt sich ungemein stark… In der Mitte dieses Gesteins liegt die Neandershöhle, welche der wichtigste Theil desselben ausmacht. Auf dieser Höhe, von wo wir einen großen Theil der Felsenmassen übersehen können, wollen wir einen Augenblick ausruhen und dann der untergehenden Sonne entgegen in unser friedliches Thal zurückwandern. Auch am Abend, wann die Sonne auf die nackten, mit Laub eingefassten Felsenwände scheint, ist diese Aussicht auffallend schön…“ (Bongard 1835, vgl. auch das PDF-Dokument „Das Neandertal als Motiv und Thema der Düsseldorfer Malerschule“ in der Mediengalerie).
Auf welchen Weg kamen die Wanderer ins Gesteins?
Die Mettmanner Straße/Talstraße, die Erkrath und Mettmann verbindet, gab es noch nicht. Die „Communal-Chaussee von Mettmann bis zur Station Hochdahl“ wurde erst 1856 fertiggestellt; die Fahrstraße von Erkrath bis zur „Communal-Chaussee“ wurde erst 1879 gebaut.
Johann Wilhelm Schirmer beschreibt 1863 in seinen Lebenserinnerungen den Weg von Düsseldorf in die Felsenschlucht:
„Die Neanderhöhle, oder das sogenannte Gestein’s, war eine enge einsame Felsschlucht zwischen Erkrath und Mettmann. Der gewöhnliche Weg führte auf der früheren Chausseé nach Elberfeld bis vor Mettmann; hier mußte ein Seitenweg eingeschlagen werden, der aber etwas schwer zu finden war. Man brauchte gut 2 Stunden, um von Düsseldorf per Wagen an einen oberhalb des Thals gelegenen Bauernhof bei Gouffernbruch, wie sich der Bauer nannte, zu gelangen. Hier mußte man aussteigen und einen Führer nehmen, denn für Unkundige war die Parthie unmöglich zu machen; die Wege ober- und unterhalb der Höhlen (aus Kalk mit Tropfsteinbildung) waren so verwachsen, die Pfade am Wasser (Düsselbach) so eng und abschüssig, daß man sich damals schwerlich würde zurecht gefunden haben.“ (Schirmer 1863)
Mit der „früheren Chaussee bis nach Elberfeld“ ist die heutige Bergische Landstraße/Düsseldorfer Straße, die heutige Bundesstraße 7 gemeint. Sie hieß in der Urkatasterkarte von 1830 „Chaussee von Düsseldorf“. Der „Seitenweg, der aber etwas schwer zu finden war“ ist heute nicht mehr vorhanden. Es war ein schmaler Wanderweg, der von der Düsseldorfer Straße zur Eidamshauser Straße führte. Er verließ (vor Mettmann) die Düsseldorfer Straße ungefähr bei der heutigen Straße Auf dem Hüls, folgte einem parallel zum Düsselring laufenden Weg und erreichte ungefähr bei Champagne die Eidamshauser Straße. Der „oberhalb des Thals gelegene Bauernhof Gouffernbruch“ war das (1967 abgerissene) Gasthaus Eidamshaus, das Johann Peter Juffernbruch gehörte. Viele Ausflugsgesellschaften machten bei Juffernbruch Jahr für Jahr Station. Die Eidamshauser Forellen, Krebse und die anderen Fischarten waren weithin berühmt.
1843 – Ein Ausflug ins Gesteins
Mathilde Franziska Giesler, „verehelicht gewesene von Tabouillot, spätere Ehefrau von Fritz Anneke“, gab mit dieser Bezeichnung schon eine Andeutung über ihren ungewöhnlichen Lebensweg. Ein 1817 geborenes Mädchen aus gutem Hause, das sich scheiden ließ, war zu ihrer Zeit etwas Ungewöhnliches. Später, als sie 30 Jahre alt war, arbeitete sie in Köln im „Kommunistischen ästethischen Clübchen“ zusammen mit Karl Marx, Ferdinand Lassalle, Moses Heß und Ferdinand Freiligrath. 1849 nahm sie gemeinsam mit ihrem Mann als berittene Ordonnanz am Badischen Aufstand teil und musste nach dem Scheitern der Revolution von 1848 in die USA flüchten. In der deutschsprachigen amerikanischen Zeitung erschien ein Auszug aus einem Reisebericht, den Anneke zuvor in ihrem Jahrbuch „Producte der Rothen Erde“ heraus gegeben hatte. Er enthält einen köstlichen Bericht über einen Ausflug ins Gesteins im Jahre 1843.
„Am nächsten Sonntag-Nachmittage benutzten wir in einer sehr zahlreichen Gesellschaft die Eisenbahn zu einer Landparthie bis Vohwinkel (sie meinte Hochdahl, Verf.); von dort aus machten wir den kleinen Weg zu Fuße nach dem, von Menschen wimmelnden Thale des Gesteins, oder nach dem, unter dem Namen ,Neandershöhle‘, bekanntern Felsenlabyrinth. Es ist dieses vielleicht eines der interessantesten Plätze unsers Landes, in der Nähe von Mettmann, unweit Düsseldorf. (...) Das wilde romantische Felsenthal, das wir nun erst von einer seiner höchsten Feldspitzen aus überschauen sollten, ist unten in seiner engen Ebene von dem krystallhellen Gewässer der Düssel durchbrochen. Zu ihren beiden Seiten stehen die kollossalsten Steinmassen und die engste und verwirrteste Schlucht ist etwa eine halbe Stunde lang. Ein stämmiges Buchenwäldchen grünt auf den Höhen und das Laubwerk niederer Gesträuche versteckt seine Grotten und Höhlen, die indeß, so wild verborgen sie auch scheinen, doch bei einiger Ausdauer nicht unzugänglich sind.
Zuerst nun auf die hervorragendste Spitze des einen Felsens, auf die äußerste Wölbung einer Höhle, wurden wir geführt, und Jeder setzte sich, einer nach dem andern, auf einen bemoosten Stein am schroffsten Rande, der einen ziemlich bequemen Thronsitz da in der luftigen, schwindelnden Höhe bildet. Bei der zuvorkommenden Freundlichkeit der Bewohner jenes schönen Landes gegen Fremde, durfte ich mich zunächst den Gardedamen auf diesen Ehrenplatz setzen, und alsbald hieß es zu meiner Belehrung: das ist der Neandersstuhl. Also auf des lieblichen Liederdichters Joachim Neanders Sitz saß ich hier, kühn und frei; keinen prächtigem Liederthron konnte der Poet sich erkiesen – ja, hätte er mir gehört der Stuhl, nicht hätte ich ihn vertauscht mit einem Königsthrone, seinem Glanz und seinen Schätzen; auch er hätte es nicht gethan....“ (Goebel 1984).
Ab 1850 – Großräumiger Kalksteinabbau
Die ehemalige Hundsklipper Walkmühle wurde zur Marmorschleiferei umgebaut; die „Actien-Gesellschaft für Marmor-Industrie im Neander-Thal“ wurde gegründet, die „Communal-Chaussee“ von Mettmann bis zur Station Hochdahl war 1856 fertiggestellt. Die 1847 gegründete Eisenhütte Hochdahl produzierte Eisen und brauchte als Zuschlagmaterial bei der Eisenerzverhüttung Kalkstein. Der gewerblich-industrielle Abbau der Felsen konnte beginnen. Das malerische Felsental wurde in den folgenden Jahren vollständig zerstört. Überliefert sind zahllose Postkarten, die den Sieg der Technik dokumentierten. Das einstige Aussehen der Felsenklamm interessierte niemanden mehr. Nur einige Maler schufen aus ihren Skizzen im Atelier wundervolle Bilder und nannten sie „Erinnerungen aus dem Neandertal“.
1856 – Der Fund eines urtümlichen Menschen
Im August 1856 hatten die Steinbrucharbeiter die Felsen am linken Düsselufer schon weitgehend abgebaut. Zwei der Arbeiter, zwei junge Italiener, kletterten zu den Feldhofer Grotten hinauf und bearbeiteten mit ihren Werkzeugen das Felsgestein. Die zwei Meter dicke Lehmschicht aus der Feldhofer Kirche hackten sie auf und warfen sie in die Schlucht. Ein paar Tage später kamen sie bei der Kleinen Feldhofer Grotte an. Hier mussten sie den Zugang erst erweitern. Auch den steinharten Lehm aus dieser Grotte bearbeiteten sie mit ihren Spitzhacken. Sie stießen auf Knochen. Ob sie erschraken, oder ob die schwere Arbeit solche Empfindungen gar nicht zuließ, werden wir nie erfahren. Sie warfen die aufgefundenen Teile des Skeletts zusammen mit dem Lehm „60 Fuß“ in die Tiefe. Als der Mitbesitzer des Steinbruchs, Friedrich Wilhelm Beckershoff, vorbei kam, ordnete er an, die vermeintlichen Knochen eines Höhlenbärs einzusammeln. Eine Schädelkalotte, Knochen von den Oberarmen und Oberschenkeln, vom Becken und Schulterblatt legte er in eine Holzkiste. Der Steinbruchbesitzer, Friedrich Wilhelm Pieper, schickte nach Johann Carl Fuhlrott, dem Naturforscher und Gymnasiallehrer aus Elberfeld, den er als Lehrer seines Sohnes kannte. Fuhlrott kam bald darauf in die Villa Pieper auf dem Feldhof, betrachtete den Fund und äußerte vorsichtig die Vermutung, dass es sich um ein menschliches Skelett handeln könne. Er nahm die Knochen mit nach Hause. Seine weiteren Untersuchungen brachten ihn zu der Erkenntnis, dass dieses anders aussehende Individuum in einer lange zurück liegenden Zeit gelebt haben musste. Das bedeutete aber auch, dass der Mensch wie alle anderen Lebewesen den Entwicklungsgesetzen der lebenden Materie unterworfen sein musste. 1857 trug er erstmals in einem Vortrag vor der Generalversammlung des „Naturhistorischen Vereins der Preussischen Rheinlande und Westphalens“ seine Forschungsergebnisse vor:
„Der Fund besteht in einer Anzahl zusammengehöriger menschlicher Gebeine, die durch die Eigenthümlichkeit ihres osteologischen Charakters und die lokalen Bedingungen ihres Vorkommens zu den Ansicht verleiten können, dass sie aus der vorhistorischen Zeit, wahrscheinlich aus der Diluvialperiode stammen und daher einem urtypischen Individuum unseres Geschlechtes einstens angehört haben…“ (Fuhlrott 1859, S. 134)
Aber Fuhlrott wurde nicht etwa gefeiert, sondern nur angefeindet. Fast alle Fachleute wiesen seine Erkenntnisse zurück. Seine Feststellung erschütterte das Weltbild seiner Zeit. Selbst die 1859 veröffentlichte Abhandlung des britischen Naturforschers Charles Darwin „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ half Fuhlrott nicht. Erst 1887, nach dem Fund in Spy wurde Fuhlrotts These anerkannt. Aber Fuhlrott erlebte die Bestätigung seiner Forschungsergebnisse nicht mehr. Er war 1877 gestorben.
Als „homo sapiens neanderthalensis“ (heute „homo neanderthalensis“) ging der Fund in die Geschichte ein. Er machte das Neandertal weltberühmt.
Die Steinbrucharbeiter
Der Steinbruch gehörte zu drei Bürgermeistereien; Haan, Erkrath und Mettmann. Eine polizeiliche Aufsicht wurde von der Bergbaubehörde nicht ausgeübt. Keine fühlte sich so recht zuständig. Über die Zahl der Arbeiter gibt 1876 der Bericht des Mettmanner Bürgermeisters Auskunft:
„... und werden etwa 25 – 30 Arbeiter mit Sprengen und Zerschlagen des Kalksteins beschäftigt. Es arbeiten immer 2 Mann gemeinschaftlich im Accord in einem Bruche und werden von Aufsehern überwacht. Der Betrieb ist in diesem Bruch gefährlich und sind wiederholt Unglücksfälle vorgekommen, an denen jedoch fast immer der Arbeiter die Schuld trug.“
Die Arbeiter bearbeiteten die Felswände mit Schlegel und Eisen und bohrten sie mit dem Fäustel an. Dazu wurden drei oder vier Leute benötigt. Ein Arbeiter drehte die Bohrstange mit der Hand und zwei seiner Kollegen schlugen abwechselnd auf das Stangenende. Meistens wurden diese Arbeiten in der Nacht durchgeführt, weil im Sommer die Sonne die Felswand zu stark erhitzte. Vor der Erfindung des Dynamits 1876 stopften die Arbeiter Zündschnüre in die vorgebohrten Sprenglöcher. Diese Zündschnüre mussten sie beim Schießmeister kaufen. Wenn sie zu kurze Schnüre verwendeten, brachten sie sich in größte Gefahr.
Der Bericht des Mettmanner Bürgermeisters von 1876 führt weiter aus:
„Die Unternehmer haben unter der Firma Actiengesellschaft für Marmorindustrie das Geschäft seit vielen Jahren hauptsächlich mit Arbeitern betrieben, die in der Gegend heimisch, in dieser Beschäftigung herangewachsen und deshalb erfahren sind. Trotzdem sind ... wiederholt Unfälle vorgekommen ... Die bisher seitens der betreffenden Local-Polizeibehörden und der Gendarmerie ausgeübte Aufsicht kann als ausreichend umso weniger bezeichnet werden, als der Sitz derselben überall von den Steinbrüchen weit entfernt liegt und von Seiten der Bruchbesitzer selbst bzw. ihren Aufsehern die Arbeiter meist nicht angehalten werden, die vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen pp. streng zu beachten.“ (Landesarchiv Düsseldorf: Bestand Landratsamt Mettmann).
Der Parteitag der Sozialdemokraten 1887 im Neandertal
Am 14. August 1887 fand im Neandertal ein Parteitag der Sozialdemokraten statt. Da dies die Zeit der Sozialistengesetze war, trafen die Elberfelder, Düsseldorfer und Solinger sich im Geheimen. Im großen Elberfelder Sozialistenprozess 1888 berichtete der Vohwinkeler Oberwachtmeister Rande über diese illegale Zusammenkunft. Zum „Neandertallied 1887“ sagte er, es sei – gedruckt auf rotem Papier – verteilt worden. Es habe acht Strophen gehabt und sei auf eine Melodie von Neander gesungen worden. Aus dem Gedächtnis zitierte er die erste Strophe:
„Seid gegrüßt, ihr Bürger alle hier in unserm frohen Kreis,
heut zu unsrer großen Sache bringt die Freundschaft ihren Preis.
Stets nach Einigkeit nur strebt, wie es Männern auch gebührt.
Sicher wird die Brück’ betreten, die und hier zum Ziele führt.
Jenes Ziel dann zu erreichen, das soll unsre Losung sein.
Keiner darf dem andern weichen. Einig wollen wir stets sein.
Freie Männer, keine Knechte...“
Das Lied wurde auf die Melodie des Liedes „Wer sind die vor Gottes Throne“ („Tut mir auf die schöne Pforte“) von Joachim Neander gesungen (Kuhlo 1904). Die Zuordnung verdanken wir Frau Charlotte Nink, Kirchenmusikerin in Erkrath.
Gegen viele Teilnehmer wurde ein Verfahren eröffnet. Am 1. Oktober trat das Sozialistengesetz außer Kraft. Bei der folgenden Reichstagswahl wurden die Sozialdemokraten erstmals die stärkste Partei.
Der Alte Kalkofen
Im Jahre 1820 hatte Maria Anna Antonia Gräfin von Hatzfeldt aus Kalkum ihn errichten lassen. Hinter dem Haus steigen Felsen an, ein Steinbruch, dessen Kalkstein in diesem Kalkofen verbrannt wurde. Die vor Haus und Kalkofen vorbei fließende Düssel ist durch Sträucher verdeckt. Links im Bild, neben dem Haus sieht man eine breite Straße, auf der ein zweirädriger Karren, begleitet von zwei Männern, gezogen wird.
Eine umfangreiche Prospektion durch drei Mitarbeiter des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege (Friedhelm Sackel, Wilfried Sauter, Hanna Eggerath) begann 2011. Sie wurde ergänzt durch Recherchen im Landesarchiv und Stadtarchiv Düsseldorf. Tatsächlich wurde das große Haus 1864 vom Bergischen Gruben- und Hüttenverein zu Hochdahl (BGHV) gebaut. Die Adresse lautete Neanderthaler Weg 71. Hier wohnten zwei Familien mit vielen Kindern. Die Väter waren Tagelöhner und Hüttenarbeiter. Der BGHV baute auch den Weg vom Steinbruch und Kalkofen bis zur Eisenhütte Hochdahl. Kalkstein aus diesem Steinbruch wurde zur Hütte transportiert. Die Frage, ob es sich um gebrannten oder ungebrannten Kalkstein handelte, wurde kontrovers diskutiert. Einerseits wurde der Kalkofen auf der Hochdahler Höhe erst 1867 gebaut, andererseits ist ein Kalkofen direkt neben einem Wohnhaus problematisch. Die richtige Antwort betrifft auch die Funktion des Hauses. Die Frage, ob die großen Tore als Eingänge für die Pferdefuhrwerke dienten oder ob sich hinter ihnen geräumige Lagerplätze für den gebrannten Kalk verbargen, konnte nicht endgültig beantwortet werden. Das Haus wurde 1909 wieder abgerissen.
Die Neanderhöhle
Die Neanderhöhle, die größte Höhle des Gesteins, war 27 Meter tief, 7,5 Meter breit und 4,5 Meter hoch. Bongard schrieb dazu in seinem Buch:
„Wenn Regen und Gewitter den Dichter (gemeint ist Joachim Neander, Verf.) überraschten, so ging er in diese nach ihm so genannte Neanderhöhle, welche die schönste Grotte des Gesteins ist. Hier bewunderte er wieder die Schönheit und Größe der Natur, wie sie sich im Gewitter so fürchterlich erhaben ausspricht. Ein Gewitter in dieser Höhle zu erfahren ist imposanter, als irgend in einer Gegend des Landes. Der Donner rollt hier mit ungeheuerm Getöse; der Himmel scheint ganz zu verdunkeln und die Blitze erleuchten die Felswände zu auflodernde Flammen. Die Neanderhöhle ist beiläufig neunzig Fuss lang, fünfundzwanzig breit und sechzehn hoch. Sie stellt einen Felsenbogen dar, der an beiden Seiten offen ist. Die Masse ist Kalkstein und die innere Oberfläche des Gewölbes ist mit Kalksinter überzogen. Die an den Seitentheilen stehenden Stalagtiten scheinen gleichsam den Bogen zu tragen. In heissen Sonnentagen ist der Aufenthalt in dieser Höhle sehr angenehm.“ (Bongard 1835)
Die Mettmanner Zeitung berichtet am 28.4.1886:
„Noch steht unangetastet die Neanderhöhle, ebenso sprudelt noch immer die kleine Quelle herab. Es ist dies ein kleiner, aber der schönste Theil. Die dortige Aktiengesellschaft, welcher das Ganze gehört, hat bis heute entweder aus heiliger Scheu, doch ein solches Naturwerk anzutasten oder aus liebenswürdiger Geneigtheit für ein naturliebendes Publikum diese Schönheit unangetastet stehen lassen... In wenig Jahren wird auch die bis jetzt respektierte Formation der Sprengung zum Opfer fallen. Dann werden spätere Generationen es nicht begreifen, ja für unglaublich halten können, wie eine gewöhnliche Kalkindustrie solche berühmten Stätten zerstören konnte.“
Der Fels mit der Neanderhöhle blieb noch bis etwa 1890 erhalten. Dann wurde auch die schöne große Höhle abgebrochen.
Die einzigartigen Grabungen der Jahre 1997 und 2000
Im Sommer 1997 suchten die Archäologen und Urgeschichtler Dr. Ralf Schmitz und Dr. Jürgen Thissen die verschollene Fundstelle. Es waren nicht die ersten Grabungen. Aber das Grabungsteam unter der Leitung von Professor Dr. Gerhard Bosinski hatte 1983-1985 vergebens nach dem Felsfuß der Kleinen Feldhofer Grotte gesucht.
Schmitz und Thissen beschäftigten sich gründlich mit historischen Karten, Berichten und Bildern und nahmen die Beschreibung Fuhlrotts ernst:
„Diese beiden Grotten, gegenwärtig durch Abbruch fast spurlos verschwunden, die zur Unterscheidung von den übrigen zusammen die 'Feldhofer Grotten' genannt wurden, lagen ziemlich in der Mitte der Schlucht, der eigentlichen Neandershöhle auf der anderen Düsselseite gerade gegenüber, in der fast senkrecht aufstrebenden Felswand einer halbkreisförmigen Einbuchtung, 100 bis 110 Fuß von der Düssel entfernt und etwa 60 Fuß über der gegenwärtigen Thalsohle derselben. Sie mündeten, die grössere mit portalähnlichem Eingange und unter dem Namen der 'Feldhofer Kirche' bekannt in der Richtung nach Westen, die kleinere in der Richtung nach Norden auf ein vorliegendes schmales Plateau mit unebener Oberfläche, unterhalb dessen die Felsmasse mit glatten Wänden steil in die Tiefe abschoss...“ (Fuhlrott 1859)
Und Schmitz und Thissen wurden fündig. Zwischen Schrotteilen, die der Autoverwertungsfirma Adolphi gehörten, fanden sie tatsächlich den Schuttkegel des Höhlenlehms, den die Steinbrucharbeiter aus der Kleinen Feldhofer Grotte herausgeworfen hatten. Den Felsfuß der Kleinen Felshofer Grotte konnten sie freilegen.
Das Grabungsteam fand Steinwerkzeuge aus der Altsteinzeit und Knochenstücke. Die bei der Grabung anfallende Erde wurde, wie es üblich ist, in weiße Säcke abgefüllt und mit den Fundkoordinaten genau beschriftet. Lange nach Beendigung der Grabung wurde die Erde in wochenlanger mühsamer Arbeite durch ein Sieb geschlämmt. Im Jahre 1999 kam hier ein Knochenstück zum Vorschein, das zu einer Sensation wurde: es war das abgeplatzte Teilstück vom Kniegelenk des linken Oberschenkelknochens des Neandertalers – des 1856 gefundenen Skeletts! Im August 200 erhielten die beiden Archäologen die Erlaubnis, die Grabungen fortzusetzen. Im Juni 2000 war das Team, das von ehrenamtlichen und studentischen Helfern unterstützt wurde, bis in vier Meter Tiefe vorgedrungen.
Am 26. Juni 2000 fanden die Archäologen in einer Tiefe von 70,16 Meter über dem Meeresspiegel einen schlammverschmierten Brocken von besonderem Aussehen. Sie wussten sofort: „Das ist Mensch!“ und die herbeieilenden Schmitz und Thissen riefen: „Das ist Neandertaler!“. Sie erkannten das Jochbein. „Jetzt kann er gucken“.
Im Römisch-Germanischen Museum in Köln, wo sich gerade die Originalkalotte in einer Ausstellung befand, hielten sie das Jochbein an die Augenwulst an und stellten fest: Es war das fehlende passende Stück.
Der Fundplatz Feldhofer Grotte und das Neanderthal Museum
Das Gelände mit dem Fundplatz wurde im Rahmen der „Euroga 2002plus“ neu gestaltet und am 10. Juli 2002 der Öffentlichkeit übergeben. Es gehört zum 1996 eröffneten neuen Neanderthal Museum. Durch das Areal zieht sich ein Plattenweg, der den langen Weg der Evolution verdeutlichen soll. Die Geschichte beginnt vor zweieinhalb Millionen Jahren und endet im 20. Jahrhundert. Rot-weiß gestrichene Vermessungsstäbe markieren die wieder verfüllte Ausgrabungsstätte.
Der Neandertaler lebte hier vor etwa 42.000 Jahren. Die Kleine Feldhofer Grotte war wohl sein Begräbnisort. Der Mann war etwa 40 Jahre alt und sein Arm war verkümmert. Dass er noch eine längere Zeit mit einer Verletzung leben konnte, verdankt er der Fürsorge der Menschen seiner Gruppe.
Nach neuesten Untersuchungsergebnissen tragen wir 4 Prozent der Neandertaler-DNA in uns. Zur Demonstration präsentierte das Neanderthal Museum im Mai 2012 einen modern gekleideten Neandertaler: den „Mr. 4%“.
(Hanna Eggerath, Bergischer Geschichtsverein Erkrath, 2013 / Kurzfassung aus „Im Gesteins“ 2012)
Das Neandertal war KuLaDig-Objekt des Monats im März 2017.
Quellen
Neanders Lied Nr. 44 in der Bremer Erstausgabe von 1680 mit der Notiz zum Gesteins.
Neander Lieder. Originaltext des Liedes Nr. 44 „Unbegreiflich gut/Wahrer Gott alleine“ in der Ausgabe der Neander-Lieder von 1718.
Landesarchiv Düsseldorf:
- Bestand Landratsamt Mettmann, BR 0034, Nr. 24.
- Schatz- und Lagerbuch des Amtes Mettmann 1672, Hondschaft Laubach, Jülich-Berg III R Mettmann Nr. 61, Bl. 35 V.
Internet
www.rheinische-geschichte.lvr.de: Joachim Neander (1650-1680), Pastor und Kirchenlieddichter (abgerufen 20.02.2017)