Der Name „Judenbüchel“ geht wohl auf das althochdeutsche Buhil bzw. das mittelhochdeutsche Bühel für „Hügel“ zurück. Der Begräbnisplatz wurde vor Ort auch „Am Toten Juden“ bzw. „Dude Jüd“ genannt.
Aufgrund seiner Lage und Größe wurde das Gelände im Mittelalter auch für größere Veranstaltungen wie Hochzeiten und Turniere sowie als Hinrichtungsstätte genutzt. Ferner wird hier 1463 auch ein Siechenhaus erwähnt, ein spezielles Quarantänehaus für Leprakranke.
Die jüdische Gemeinde Köln und der Judenbüchel
Die Wiederentdeckung des Judenbüchel
Der Judenbüchel in historischen Karten
Aktuelle Situation
Das Willi-Ostermann-Lied „Am dude Jüdd“
Quellen, Internet, Literatur
Die jüdische Gemeinde Köln und der Judenbüchel
Eine „nicht ganz kleine“ jüdische Gemeinde in Köln ist bereits für die Kostantinische Zeit im Jahr 321 belegt. Synagoge und Mikwe (Ritualbad) der „bedeutendsten Gemeinde des Reiches nördlich von Mainz“ datieren auf das 8. bzw. 9. Jahrhundert (HbHistSt NRW). Das jüdische Viertel lag nahe dem Rathaus (zeitgenössisch inter Judeos, heutige Judengasse). Im Jahr 1096 erfolgte eine Plünderung des Judenviertels durch Kreuzfahrer, wobei auch die Synagoge zerstört wurde.
Hingegen ist weder der Zeitraum seiner Entstehung noch die genaue Ausdehnung des mittelalterlichen Friedhofs der Kölner Juden verlässlich belegt. Eine erste schriftliche Quelle belegt den neben einer Hofanlage gelegenen Platz für die Mitte des 12. Jahrhunderts, für dessen Nutzung ein jährlicher Pachtzins an das Kölner Severinstift fällig wurde. Weitere Urkunden nennen eine Erweiterung im Jahr 1174 sowie eine Versicherung Erzbischof Engelberts II. von 1266, der den Juden „gerechte Behandlung und die ungestörte Benutzung ihres Friedhofes“ zusagte.
Im Zuge der Judenverfolgungen infolge der Pest von 1348/49, für die auch in Köln die Juden mit dem Vorwurf der Brunnenvergiftung verantwortlich gemacht wurden, kam es zu zahlreichen Pogromen. Diese führten in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1349 zur erneuten Stürmung des Judenviertels, welches dabei verwüstet und geplündert wurde, zahlreiche Juden wurden ermordet. Auch der Judenbüchel wurde geschändet und dortige Grabsteine als Baumaterial weiter verwendet – solche finden sich zweckentfremdet auf Burg Lechenich, auf Burg Hülchrath sowie im Hansa-Saal des Kölner historischen Rathauses vermauert.
Erst zwanzig Jahre nach der Pogromwelle von 1349 kamen Juden nach Köln zurück. Der neuen jüdischen Gemeinde wurde der Friedhof 1372 erneut übergeben. Nach der endgültigen Ausweisung up ewige tzyden („auf alle Zeiten“) aus Köln 1424 siedelten viele Juden in den rechtsrheinischen Raum um – unter anderem nach Deutz, wo allerdings erst Ende des 17. Jahrhunderts eine eigene Begräbnisstätte entstand. Der linksrheinische Judenbüchel wurde bis dahin auch von Deutz aus genutzt.
Die Zerstörung des jüdischen Friedhofs bei der Belagerung Kölns durch Karl von Burgund im Jahr 1474 unterbrach möglicherweise die Belegung des Judenbüchel, doch verzeichnet das um 1580 angelegte Deutzer Memorbuch für die Jahre 1597 bis 1696 wiederum eine Vielzahl von Beerdigungen von Deutzer Juden auf dem Friedhof „auf der Seite von Köln“ (Jellinek 1881, S. 18f.).
„Nach 1700 scheint der Friedhof in Vergessenheit geraten zu sein.“ (www.uni-heidelberg.de)
Das Gebiet rund um den vormaligen Judenbüchel gehörte zu der in nachfranzösischer Zeit ab 1815/16 im Landkreis Köln gebildeten Bürgermeisterei Rondorf, für die ein Ort „Todtenjud“ im Verzeichnis vom 20. April 1816 mit 10 Einwohnern angeführt wird (Kisky u.a. 1966).
Die Wiederentdeckung des Judenbüchel
Erst bei Bauarbeiten am Güterbahnhof im Jahr 1922 wurde der Friedhof wiederentdeckt und freigelegt, wobei auch einige Umbettungen erfolgten. Hierbei wurden auch Skelette von Hingerichteten gefunden, was darauf schließen lässt, dass der Judenbüchel vor 1266 und dann wieder nach 1474 – nun durch das Gericht der Stadt Brühl – als öffentliche Hinrichtungsstätte genutzt wurde.
Nachweislich wurde auf dem seit dem 13. Jahrhundert als Richtstätte belegten Judenbüchel südlich der Stadt vor dem Severinstor der Kaufmann Hermann von Goch (?-1398), Kölner und Neusser Bürger sowie vormaliger Privatsekretär und Siegelbewahrer des Kölner Erzbischofs, am 7. Mai 1398 hingerichtet. Die näheren Umstände - möglicherweise die Beteiligung an einer Verschwörung zur Konterrevolution? - sind allerdings bis heute unklar. Im Kölner Stadtmuseum lagern die Alltagsgegenstände, die man von Goch bei seiner Festnahme abgenommen hat (www.koeln-lotse.de).
Bereits vor der NS-Zeit begannen Friedhofsschändungen, die sich über die Jahre 1928 bis 1934 zogen. 1936 wurde schließlich die Enteignung und Schließung des Begräbnisplatzes verfügt. Zahlreiche Grabstätten samt Gebeinen und Grabsteinen des mittelalterlichen „Judenbüchel“ wurden umgebettet und werden in dem 1936 erbauten Lapidarium („Steinhaus“) auf dem neuen jüdischen Friedhof in Köln-Bocklemünd verwahrt.
Noch im gleichen Jahr – und seitens der NS-Machthaber möglicherweise als bewusste Provokation gegenüber der jüdischen Tradition eines Friedhofs als „ewigem Haus“ gedacht – begann man auf dem Gelände des Judenbüchels mit dem Bau der Kölner Großmarkthalle.
Am Zugang zum Großmarkt in der Sechterner Straße befindet sich heute eine Informationstafel des Kulturpfades Rodenkirchen zum Großmarkt auf der Fläche des ehemaligen jüdischen Friedhofs.
Der Judenbüchel in historischen Karten
Die Lage und der Name des früheren Judenfriedhofs ist auf verschiedenen historischen Karten verzeichnet.
Der Begräbnisplatz befand sich am Schnittpunkt von Wegen des um die Stadt Köln herum führenden mittelalterlichen Bischofswegs, der die Grenze zwischen der Reichsstadt Köln und den erzbischöflichen Territorien markierte – gut zu erkennen auf der so genannten „Schweid(t)karte“ oder „Cöllnischer Schweidt“ des Abraham Hogenberg (~1578-1653). Die kartographische Erfassung der Stadt samt Umland mit den Vororten von 1609 zeigt deutlich den „Bischoffs Weg“ und den „Juden Büchel“ südlich der Stadt Köln (in der gewesteten Karte links, vgl. Abbildung).
Da der „Judenbüchel“ zum Zeitpunkt der Erarbeitung jüngerer Karten längst untergegangen war, ist er in diesen flächenmäßig nicht eindeutig als jüdischer Friedhof abgegrenzt, so etwa in der Topographischen Aufnahme der Rheinlande von Tranchot / von Müffling (1807/08). Die hiesige Objektgeometrie folgt dem Eintrag eines preußischen Exerzierplatzes im inneren Kölner Grüngürtel, der als „Ex. Pl. Todtenjuden“ in der historischen Karte der Preußischen Neuaufnahme (1891-1912) verzeichnet ist (vgl. Kartenansicht und Mediengalerie).
Aktuelle Situation
Außer der Informationstafel gibt es keine Hinweise auf die ehemalige Nutzung des Geländes. Man kann den Großmarkt zwar besuchen, aber aufgrund seines Alters und des bevorstehenden Abrisses (geplant für 2020) ist das gesamte Gelände in keinem einladenden Zustand (Taubenkot, Ratten, Müll, Gestank und großer Anlieferverkehr) (Begehung Juni 2013).
Das Willi-Ostermann-Lied „Am dude Jüdd“
Der Friedhof ist heute noch – zumindest ein wenig – über ein durch den Volkssänger und Karnevalisten Willi Ostermann (1876-1936) bekannt gewordenes Lied im Kölner Gedächtnis lebendig geblieben. Ostermann schrieb einen kölschen Text zu dem populären französischen Chanson von 1906 über eine kleine Tokanese-Katze „La petite Tonkinoise“ (Musik Vincent Scotto, Texte von Georges Villard und Henri Marius Christiné), der vor allem über eine Interpretation von Josephine Baker (1906-1975) um 1930 bekannt wurde.
Ostermanns Version „Am dude Jüdd / De lila lila Söckcher“ – das Copyright wurde erst posthum 1937 eingetragen – erzählt von einem Tanzlokal „zum Dude Jüdd“, in dem neben vielen anderen auch „das rothaarige Julchen mit den lila, lila Söckchen“ tanzt: „Will man lachen – sich vermachen, muss zum “Dude Jüdd„ man gehen …“
Eine Version des Lieds wurde 1985 von der Kölner Mundartband Bläck Fööss auf dem Album „Em richtije Veedel – De Bläck Fööss singe Leeder vum Willi Ostermann“ eingespielt. Laut Aussage des Bläck Fööss-Bassissten Hartmut Priess bezieht sich der Text auf ein Tanzlokal gegenüber eines Judenfriedhofs in der Kölner Südstadt – offenbar dem „Judenbüchel“. Ob der Wirt aber tatsächlich Jude war (so wie im Video etwas stereotyp dargestellt, vgl. youtube.com), geht aus Ostermanns Text nicht eindeutig hervor.
(Franz-Josef Knöchel, LVR-Redaktion KuLaDig, 2012/2024 / Pascal Dornes, Geographisches Institut der Universität zu Köln, 2013)
Quellen
- Freundliche Hinweise von Frau Dr. Monika Grübel, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte Bonn, 2015.
- Freundliche Hinweise zum Willi-Ostermann-Lied von Herrn Jost Dockter, Bonn, 2015.
- Freundliche Hinweise zu Hermann von Goch von Herrn Uli Kievernagel, Köln, 2024.
Internet
de.wikipedia.org: Judenbüchel (abgerufen 16.04.2012)
de.wikipedia.org: Jüdische Geschichte in Köln (abgerufen 16.04.2012)
www.rheinische-geschichte.lvr.de: Lepra und Leprosorien in den Rheinlanden (abgerufen 29.02.2016)
www.rheinische-geschichte.lvr.de: Willi Ostermann, Volkssänger und Karnevalist (Autor: Björn Thomann, abgerufen 25.11.2019)
www.koeln-lotse.de: Geköpft und doch lebendig: Hermann von Goch - Finanzgenie im Mittelalter (Text: Irene Geuer; Uli, der Köln-Lotse vom 24.05.2024, abgerufen 28.05.2024)
koelnding.podigee.io: Das Köln Ding der Woche - Am Dude Jüdd (Uli, der Köln-Lotse, Podcast vom 26.04.2024, abgerufen 29.04.2024)
www.deutsche-biographie.de: Goch, Hermann von (abgerufen 03.05.2024)
museenkoeln.de: Bild der Woche, Der „Nachlass“ des Hermann von Goch (Bild der 16. Woche - 20. bis 26. April 2009, abgerufen 03.05.2024)
www.youtube.com: „Am Dude Jüdd“ in einer Version der Bläck Fööss mit King Size Dick, vermutlich 1980er Jahre (abgerufen 23.04.2015)
www.koelsch-akademie.de: Kölsche Lieder-Sammlung, Text „Am dude Jüdd / De lila lila Söckcher“ (abgerufen 23.04.2015, Inhalt nicht mehr verfügbar 15.02.2018, recherchierbar über ebd. www.koelsch-akademie.de/liedersammlung, abgerufen 15.02.2018)
www.uni-heidelberg.de: Köln, mittelalterlicher Friedhof (abgerufen 16.04.2012, Inhalt nicht mehr verfügbar 29.04.2024)