Patrozinium: Gereon und Gregor. Orden: Kollegiatstift (Männerkloster / Frauenkloster). Geschichte (Gründung und Entwicklung bis um 1200): Es scheint archäologisch gesichert, dass der Bau der ersten Basilika vor der Nordwestecke der römischen Stadtmauer aus dem 4. Jahrhundert stammt und schon damals mit Märtyrern in Verbindung gebracht wurde. Wenig wahrscheinlich geht das Bauwerk, wie die Legende will, auf die Kaiserin Helena zurück, allenfalls die von ihr noch nicht eingeführte Bauplanung. Die Ausstattung des Zentralbaues mit Marmorverkleidung und Gewölbemosaik brachte der Kirche schon früh die Kennzeichnung „ad aureos sanctos“ ein. Das Motiv des Erbauers, möglicherweise eine römisch-christliche Senatorenfamilie Kölns, dürfte die Annahme gewesen sein, auf dem benachbarten Gräberfeld befänden sich auch Märtyrer. Gregor von Tours, mit dem Kölner Bischof Eberigisil gut bekannt, erwähnte noch 590 die „Kirche der goldenen Heiligen“. Nach der Schlacht bei Zülpich (612) jedoch wurde dem Sieger Theuderich in der „Basilica sancti Gereonis martyris“ gehuldigt, die erste Nennung dieses Patroziniums. In einem Martyrologium des 7. Jahrhunderts findet sich Gereon zum 9. Oktober mit 392 Gefährten genannt; zum 10. Oktober ist die „depositio sanctorum martyrum Maurorum cum aliis 330“ erwähnt, womit die Weichen für die Anschauung gestellt waren, Gereon sei ein Heerführer in Nordafrika mit Soldaten aus Mauretanien gewesen. Vom 9. Jahrhundert an erscheint er in doppelter Funktion. Als traditioneller Merowingerheiliger wurde er in den Königslaudes der Karolinger und der Sachsenherrscher als Helfer des Reiches angerufen. Ebenfalls seit Beginn des 9. Jahrhunderts wurde Gereon in den Anrufungen der Allerheiligenlitanei mit den Märtyrern Viktor sowie Cassius und Florentius zu einer Gruppe zusammengefaßt und in Verbindung mit der Legion des hl. Mauritius in Agaunum gebracht. Es sollte nur bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts dauern, dass wie Mauritius auch Gereon zum Mitglied der Thebaischen Legion mit seinen nunmehr 50 Mohren gerechnet wurde. [Anm.: Die Verwendung des rassistisch konnotierten Begriffs „Mohr“ durch den Autor erfolgt hier und an weiteren Stellen im Kontext der historischen Benennungen.]
Wann an der Kirche ein Kanonikerstift angesiedelt wurde, ist schwer zu sagen. Möglicherweise existierte schon zu Beginn eine Klerikergemeinschaft unbekannter Observanz, zumal bereits vor 804 vorhandener Grundbesitz bekannt ist. Deshalb dürfte diese Gemeinschaft im Laufe des 9. Jahrhunderts die Aachener Kanonikerregel von 816 übernommen haben, zumal um die Mitte dieses Jahrhunderts vom Amt des Propstes die Rede ist. 866 wird St. Gereon unter den vom Kölner Erzbischof abhängigen Stiften im Privileg König Lothars II. genannt. Das Stift erfreute sich bis zum Ende des 11. Jahrhunderts einer florierenden Existenz. Der Konvent zählte 40 Kanoniker, bis sich im 11. Jahrhundert der Chorraum der Stiftskirche als zu eng erwies und einschließlich der Krypta erweitert werden mußte. Es war der dem Stift sehr gewogene Erzbischof Anno II., der 1067 die alte Memorienkapelle zu Ehren der mauretanischen Märtyrer im Gefolge des hl. Gereon einweihte. Dem Weihetitel gingen in der Nennung voraus: der Salvator und sein heiliges Kreuz, Maria sowie der hl. Clemens und die Unschuldigen Kinder; den Mohren folgten sodann die heiligen Severus, Nikolaus und Maria Magdalena. Zugleich weihte Erzbischof Anno auch die Krypta mit den Weihetiteln: Salvator und sein heiliges Kreuz, Maria, Georg, Pancratius und die heiligen Mohren. 1069 erfolgte die eigentliche Kirchweihe, jetzt mit einem Weihetitel in der Reihenfolge: Salvator, heiliges Kreuz, Maria, Johannes Baptist, Petrus und Paulus, Johannes Evangelist, Gereon, Viktor, Cassius und Florentius mit Gefährten, Cyriacus, Dionysius, Rusticus, Eleutherius, Laurentius, Christophorus, Symphorianus, Hermes und die heiligen Mohren, in der Hauptsache also Märtyrer des 2. und 3. Jahrhunderts; sodann die Bekenner Martin, Severin, Speus, Fortunatus, Gallus, Scholastica, Anastasia, Eulalia, Agatha, Walburga und Sabina. Die Vielzahl und ihre Reihenfolge sagen auch über das Frömmigkeitsprofil etwas aus; vorwiegend handelte es sich um fränkische Heilige. Nicht weniger interessant für die Reliquiengläubigkeit der Zeit ist auch die Aufzählung der im neuen Altar des Chores geborgenen Reliquien: Kreuzpartikel, Teil vom Schweißtuch und vom heiligen Grab sowie vom Gewand (und Grab!) Mariens, von Gewand und Haaren Johannes des Täufers, ein auf den hl. Stephan geworfener Stein sowie ein Stein, auf dem St. Gereon enthauptet wurde, und sogar eine Reliquie vom Propheten Elisäus; insgesamt handelte es sich wohl um Stücke, die von Jerusalempilgern stammen könnten.
Im frühen 12. Jahrhundert steigerte sich das Ansehen des Stiftes, zumindest auf den ersten Blick. 1121 erschien Norbert von Xanten in Köln, wo er Hofkapellan des Erzbischofs Friedrich I. gewesen war, und suchte in St. Ursula nach Überresten der heiligen Jungfrauen, bat aber auch das Stift St. Gereon um Überlassung von Märtyrerreliquien der Thebaischen Legion für seine 1120/21 in Prémontré gegründete religiöse Gemeinschaft. Gleich zu Beginn der Grabung stieß er „in medio monasterii“ auf einen Sarkophag mit einem Mann in militärischer Tracht, dessen Haupt oberhalb des Kinns abgeschlagen worden war. Keiner zweifelte daran, dass es sich um Gereon, den Patron des Stiftes, handeln müsse. Die aufgebrachte Bevölkerung verhinderte, dass der für sie so wichtige Leichnam dem weithin angesehenen Wanderprediger ausgehändigt wurde. Die feierliche Erhebung der Gebeine fand noch im November durch den Erzbischof statt. Dieser Vorgang ist im Kontext des Konfliktes zu sehen, den St. Gereon gegen das Bonner Stift Cassius und Florentius zu bestehen hatte. Es ging um die Rangordnung im Priorienkolleg, dem Beratergremium des Erzbischofs, dem die Stiftspröpste und anfangs auch die Äbte der Klöster im Kölner Bistum angehörten. In der Aufzählung rangierte seit 1003 St. Gereon stets direkt hinter dem Domstift, da sich die Rangordnung nach dem Alter des Stiftes richtete; St. Gereon galt ja als eine Gründung der hl. Helena. Das Prinzip dieser Anciennität jedoch drohte mit der Einführung der Landdekanate obsolet zu werden. Sie unterteilte den wesentlich älteren und auch größeren Jurisdiktionsbezirk des Archidiakons. Archidiakon des südlichen Teils der Diözese war schon länger der Bonner Propst, und Archidiakon des mittleren Teils der Diözese waren der Dompropst und der Domdekan (seit 1103). Das war der springende Punkt, denn auf dieser Ebene folgte der Bonner Propst direkt den beiden Dignitären des Domstifts, während der Propst von St. Gereon 1080 nur das Landdekanat des Gilgaues erhalten hatte. Folglich forderte das Bonner Stift den Vorrang vor St. Gereon im Priorenkolleg. Das ältere Amt entwickelte sich nun an Stelle der Anciennität der Stiftsgründung zum Kriterium des Vorranges.
Die Rivalität dauerte im 12. Jahrhundert an. Erzbischof Friedrich I. war ein Gegner des Bonner Propstes und stützte den Propst von St. Gereon; das Priorenkolleg selbst verhielt sich zurückhaltend. Ein deutliches Zeichen für die Unterstützung durch den Erzbischof war die Tatsache, dass nicht nur der Kardinallegat Kuno von Praeneste 1115 die Bannsentenz gegen Kaiser Heinrich V. statt im Dom in der Stiftskirche von St. Gereon verkündete, sondern um diese Zeit auch den Propst Hermann von St. Gereon in das vakante Amt des Xantener Propstes einwies, der zugleich Archidiakon des nördlichen Teils der Diözese war. Hermann nahm keinen Anstand, auf die Propstei St. Gereon zu verzichten. Im Gegenteil, seinen Xantener Titel führte Hermann nur, wenn Angelegenheiten des Stifts am Niederrhein anstanden und auch dann an Stelle des Titels „archidiaconus“ den antiquierten Titel Chorbischof. Folglich ging es ihm nicht um seine Person, sondern um die Behauptung des Vorranges von St. Gereon. In dieser Situation mußte die Entdeckung des Gereongrabes sehr gelegen kommen, konnte das Kölner Stift doch auch mit diesem Märtyrer dem Bonner Stift Paroli bieten. Der Mitpatron Gregor schien demgegenüber als Anführer der heiligen Mohren nur störend und schied aus. Mit dem Tod Propst Hermanns (1127) erlosch der Widerstand gegen das Bonner Stift nicht. Sein Nachfolger wurde Bruno von Berg, der jedoch 1132 zum Kölner Erzbischof aufstieg und den Domdekan Hugo von Sponheim als neuen Propst von St. Gereon bestätigte. Mit diesem ging der beanspruchte Rang im Titel des Domdekans auf, so dass der Streit vorerst ruhte. Eine endgültige Lösung erreichte erst der Erzbischof Arnold II., auf dessen Betreiben 1138 eine Kölner Synode zugunsten der außerkölnischen Archidiakone entschied, dem Archidiakontitel komme ein höherer Wert zu, womit St. Gereon zum Verzicht gezwungen war, zumal Arnold II. 1153 den Entscheid nochmals bestätigte. Noch ca. 1140 hatte das Gereonstift in zäher Trotzhaltung die Flankentürme der Chorpartie der Bonner Stiftskirche an gleicher Stelle der eigenen Basilika als Ausdruck seines Anspruches nachgeahmt. Im Stift wurde in den Jahren 1131-37 ein Memorienbuch für das liturgische Gedenken am jeweiligen Todestag angelegt, das zum Namen des Verstorbenen auch das von ihm ausgeübte Amt und seinen Weihetag vermerkt. Da die Lebensdauer des Einzelnen nicht angegeben ist, läßt sich nicht feststellen, ob die Zahl der Kanoniker konstant geblieben ist. Interessant jedenfalls ist, dass für ein Amt offenkundig kein bestimmter Weihegrad erforderlich war. Von den Kanonikern besaßen elf nur die niederen Weihen; 23 waren Subdiakone und 50 Diakone sowie 124 Priester. Von den insgesamt 40 Pröpsten besaßen nur 17 die Priesterweihe, sieben waren Diakone und einer Subdiakon; und von den 20 Stiftsdekanen waren zwei Diakone. Offenbar nicht nur hier klafften Weihe und Amt auseinander, so dass der Vollzug der Liturgie als Hauptaufgabe der Kanoniker beeinträchtigt erscheint. Andererseits ist es nicht nebensächlich zu wissen, dass 14 Kanoniker von St. Gereon das Bischofsamt erlangten; es sei denn hauptsächlich nur aufgrund ihrer adligen Herkunft. Man behalf sich mit der Anstellung von Vikaren, deren Stellenwert zwangsläufig wuchs. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass Kirchen im Bereich des stiftischen Fernbesitzes bedient werden mußten, dessen Umfang man dem Privileg Papst Honorius III. von 1223 entnehmen kann. St. Gereon zählte in der Umgebung Kölns und Bonns sowie am oberen Niederrhein 20 Höfe mit je eigener Kirche und sechs Kirchen im Bergischen Land sowie St. Christoph, die Pfarrkirche in der Nachbarschaft des Stifts, ohne zugeordneten Hof. Dieser auswärtige Besitz wurde nicht von Mitgliedern des Stifts verwaltet, sondern von zinspflichtigen Verwaltern.
1219 beschloß das Kapitel von St. Gereon, die einsturzgefährdete Rotunde der Stiftskirche zu erneuern und die Gelegenheit zur Prachtentfaltung zu nutzen. Man hoffte damit, der ärgerlichen Benachteiligung entgegenwirken zu können, zum Beispiel dass 1151 auf einer Bittprozession durch die Stadt die Reliquien der heiligen Severin, Kunibert und Agilolf mitgeführt wurden, nicht jedoch des hl. Gereon; seit 1164 verdunkelten ohnehin die Heiligen Drei Könige das Ansehen des Stiftsheiligen. Vollendet war die Kuppel der Rotunde 1227; wenig später, 1230/40, fand ein Umbau bzw. Ausbau der Stiftsgebäude statt, dem das Hospital zu Ehren der hl. Maria Magdalena angeschlossen wurde. St. Gereon war ein vergleichsweise reiches Stift (Text vorab: Engels 2006).
Gegründet: Wohl merowingisch, belegt zu 839 (Stift), aufgehoben 1802 (Bönnen / Hirschmann 2006).
Seit dem Jahr 1920 trägt Sankt Gereon den Ehrentitel einer Basilica minor („kleinere Basilika“). Diese an die vier „großen“ Basilicae maiores in Rom angelehnte Auszeichnung wird seit dem 18. Jahrhundert vom Papst der römisch-katholischen Kirche als besonderer Ehrentitel an bedeutende Kirchengebäude verliehen. In Deutschland gibt es 78 Basilicae minores (Stand 2023). St. Gereon darf als eines der bedeutendsten Stifte des Rheinlandes, wenn nicht des gesamten Abendlandes, angesehen werden. In seinem Selbstverständnis und seiner Geschichte, aber auch Bedeutung und Besitz sowie angesichts des außergewöhnlichen Gotteshauses stand St. Gereon vielen Domstiften in nichts nach. Für das Dekagon formulierte Hugo Borger: „Nirgendwo sonst hat im Mittelalter ein römischer Bau eine solche Fortschreibung und Erfüllung gefunden.“ (Klosterführer Rheinland 2004).
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