Heute leben im Dorf rund 600 Einwohner. Die Gemarkung umfasst 2426 ha. Der Ort liegt inmitten der landwirtschaftlich genutzten Flächen des südlichen Gemarkungsteils, während der nördliche bewaldet ist und etwa zwei Drittel des Gemeindegebietes ausmacht. Land- und Forstwirtschaft sowie damit verbundene Gewerbe waren traditionell die Haupterwerbsquellen der Oberkailer Einwohner. (Statistisches Landesamt o.J., S. 86.)
Frühgeschichte und Antike
Bevölkerungsentwicklung
Mittelalter und Neuzeit - das Dorf unter den Manderscheider Ortsherren
Mittelalterliches und neuzeitliches Gemeindeleben
Lokale Geschichte anhand der Rechtstexte
Oberkail im 19. Jahrhundert
Oberkail im 20. Jahrhundert
Kirchliches Leben
Dörflicher Baubestand
Oberkail heute - auf dem Weg in die Zukunft
Quellen / Internet
Frühgeschichte und Antike
Die ersten Spuren menschlicher Besiedlung im Gemeindegebiet stammen bereits aus der Mittelsteinzeit vor 9000 Jahren. Steinwerkzeuge, die man an früheren Werk- und Wohnplätzen im sogenannten Rodecken nördlich des Ortes gefunden hat, sind Relikte dieser Zeit. (Gerten 2001, S. 13-15; Jacobs 2001, S. 16-19.) Danach hinterließen die Römer Spuren auf der Oberkailer Gemarkung. Gebäudereste und Grabstätten fanden sich an den Hanglagen östlich des Dorfes oberhalb des Kailbachs. In spätrömischer Zeit verlief auch die sogenannte Langmauer über den Westteil der Gemarkung. Sie umschloss einst die Kalkhochflächen östlich der Kyll. Für die Zeit des frühen Mittelalters fehlen in Oberkail Hinweise auf eine Besiedlung. Der Ortsname selbst leitet sich vom Kailbach ab, dessen Name vermutlich keltischen Ursprungs ist. Erstmals im 12. Jahrhundert erwähnt, wurde das Dorf bis in die Neuzeit ausschließlich als Kail bezeichnet. (Gerten 2001, S. 20-23.)
Bevölkerungsentwicklung
Für das späte Mittelalter sind die Namen mehrerer Höfe in Oberkail überliefert. (Schmitz-Kallenberg 1908, S. 23.) Im 16. Jahrhundert gab dort meist um die 25 Haushalte. Zusätzlich lebten ungefähr 30 Personen in der Oberkailer Burg. Nimmt man an, dass ein Haushalt aus fünf Personen bestand, wie es für die Neuzeit oft geschätzt wird, und addiert die Burgbewohner, dürfte die Bevölkerungszahl in dieser Zeit bei etwa 150 gelegen haben. (Petit 2013, S. 1009, 1142 und 1207.) Bedingt durch die Hexenprozesse des 16. und die Kriegsfolgen in der Mitte des 17. Jahrhunderts sank die Einwohnerzahl zeitweise um ein Viertel bis ein Drittel. (Schätzung anhand AGRBrx, La Nr. 5369) Dagegen führte im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts die Neubesetzung von Hofstellen durch die Grafen zu einem neuerlichen Bevölkerungsanstieg. (Vgl. Pfarrarchiv Oberkail, Güterverzeichnis von 1698) Die nachfolgenden Einwohnerzahlen beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf das heutige Gemeindegebiet. Auf diesem Areal lagen auch die heute aufgegebenen Siedlungen Karls- bzw. Korneshütte und das Haus Burbach. Die ersten genauen Zahlen für Oberkail stammen aus der luxemburgischen Volkszählung von 1766, die zeitgleich mit der Aufnahme der Grundgüter im sogenannten Maria-Theresia-Kataster durchgeführt wurde: 1766 lebten in Oberkail 326 Einwohner, 1806 waren es 364 und bis 1843 wuchs die Bevölkerungszahl auf 661 Personen an, einschließlich der 19 Bewohner in Karlshütte. (AGRBrx, 326-342; ANL B. 384, 4425; Bärsch 1846, S. 161.) Danach stieg sie bis 1871 auf 754 und bis 1905 auf 779 Personen, wobei in den beiden letzteren Zahlen die Bewohner der Karls- bzw. Korneshütte und des Ortsteils Eisenschmitt-Überscheid enthalten sind (Vgl. Gerten 2006, S. 71.) Im Jahr 1939 lag die Einwohnerzahl bei 812 und 1950 bei 827 Einwohnern. Danach sank sie auf 782 im Jahr 1970 und 702 im Jahr 1997. Heute hat Oberkail rund 600 Einwohner. (Statistisches Landesamt o.J., S. 86.)
Mittelalter und Neuzeit - das Dorf unter den Manderscheider Ortsherren
Die enge Verbindung Oberkails mit dem Haus Manderscheid zeigt sich bereits in der Ersterwähnungsurkunde des Dorfes im Jahr 1201. (Gerten 2001, S. 26-27. Die Urkunde ist überliefert unter LHAK 96, 2204.) Dort ist erstmals von dem manderscheidischen Hof „zu Keyle“ die Rede. Um 1339 wurde der ursprüngliche Gutshof zu einer Burg erweitert. (Gerten 2001, S. 36; Baums 2011, S. 471-487.) Um das Jahr 1400 verlegten die Herren von Manderscheid zeitweise ihren Wohnsitz nach Oberkail. Der Aufstieg des Adelsgeschlechtes zeigte sich 1457 in der Erhebung der Manderscheider Edelherren in den Grafenstand. Nach der innerfamiliären Erbteilung regierten in Oberkail dann ab 1481 die Grafen von Manderscheid-Kail als eigenständige Linie. (Gerten 2001, S. 43-45.) Über Erbschaften und Heiraten kamen sie in den Besitz zahlreicher Herrschaften in der Eifel, in Luxemburg und der Pfalz sowie von Weingütern an Mosel und Rhein. Zu Beginn waren die Herrschaft Oberkail, die Dörfer Salm und Musweiler, die Hälfte des Dorfes Lüxem, ein Viertel an der Herrschaft Daun und ein Drittel der Herrschaft Bettenfeld-Meerfeld im Familienbesitz. In der Folge kamen die Herrschaften Bettingen, Falkenstein an der Our, Dollendorf, die Hälfte der Herrschaft Neuerburg sowie die Stammgrafschaft (Nieder-)Manderscheid hinzu. Daneben gehörten zum Manderscheid-Kailer Besitz Grundgerichtsbezirke an Nims und Sauer. Zeitweise besaßen die Grafen die Herrschaften Everlingen und Fischbach im heutigen Luxemburg, Falkenstein am Donnersberg und Reipoltskirchen in der Pfalz sowie die Herrschaft Bretzenheim. (Gerten 2001, S. 358-359.)
Aus dem Kailer Zweig der Manderscheider Grafenfamilie stammten Eifel-Dynasten wie Graf Dietrich II., der ein skrupelloser Hexenverfolger war und unter massivem Druck neue Rechtsvorschriften zum Nachteil seiner Untertanen durchsetzte. (Gerten 2001, S. 51; Rech 2001, S. 52-56; Voltmer 2001, S. 47-52 und 402-403.) Graf Philipp Dietrich stand um 1636 als stellvertretender Gouverneur an der Spitze der Verwaltung des Herzogtums Luxemburg und ließ unter dem Eindruck der Pestjahre die nahe Oberkail gelegenen Frohnertkapelle erbauen (Gerten und Kreutz 1996, S. 18-23 und 25-31). Graf Karl Franz Ludwig stand in Diensten der französischen Armee und war der Gründer des um 1700 errichteten und bis um 1750 betriebenen Eisenwerkes Karls- bzw. Korneshütte (Gerten 2001, S. 71-72.). Mit Gräfin Maria Anna verabschiedete sich das Haus Manderscheid-Kail. Als Witwe half sie den Armen und Kranken und hinterließ zahlreiche Stiftungen. (Gerten 2001, S. 73-75.) Nach ihrem Tod gelangte der Kailer Besitz zunächst an die Linie Manderscheid-Blankenheim und später an das Haus Sternberg-Manderscheid, bis der Einmarsch der französischen Revolutionsarmee 1794 die Grafenherrschaft beendete. (Rech 2001, S. 75-76 sowie 78-82.) Die Herrschaft Kail war seit dem Mittelalter ein luxemburgisches Lehen (HCAD, BMB, 3, 3, 9v-10v, vgl. Schmitz-Kallenberg 1908, S. 9.) Als Teil des Herzogtums Luxemburg unterstand sie von 1443 bis 1482 den burgundischen Herzögen und gehörte von 1482 bis 1683 zu den spanischen und von 1714 bis 1794 zu den österreichischen Niederlanden. Zwischen 1684 und 1698 war Luxemburg von Frankreich annektiert und stand von 1700 bis 1714 unter französischem Einfluss. (Meyers 1948, passim.) Während die Burg anfangs von Vögten verwaltet wurde, leiteten seit dem Ende des 15. Jahrhunderts in Oberkail Amtmänner und Rentmeister die gräfliche Verwaltung. (Vgl. Gerten 2001, S. 30-32.) Die Manderscheider Herren und Grafen waren im Besitz der hohen, mittleren und niederen Gerichtsbarkeit, wobei die lokale Rechtsprechung in der Herrschaft zunächst in der Hand von sieben Schöffen und eines Richters lag; im 18. Jahrhundert gab es sieben Schöffen, von denen einer als Vizemeier amtierte. (Zum Richter: HCAD, BMB, 3, 3. Zum Vizemeier vgl. HCAD, BMB, 11, 4, und 6, 40.)
Mittelalterliches und neuzeitliches Gemeindeleben
Schon in der Ersterwähnungsurkunde ist von der Gemeinde Oberkail die Rede. Zu der mittelalterlichen Gemeinde zählten die Bauern, die ihre vom Grundherren erhaltenen Erbgüter („erve“) bewirtschafteten, sowie die Königsleute, deren Stellung jener der luxemburgischen Freileute geähnelt haben dürfte. (Schmitz-Kallenberg 1908, S. 9; Neu 1972, S. 87.) Der Gemeindevorsteher wird in älteren Quellen als Schultheiß oder Zender und im 18. Jahrhundert als Bürgermeister bezeichnet. (HCAD, BMB, 11, 4; AGBrx, FA, La 5706, unpag.) Er wurde jährlich von der Gemeindeversammlung gewählt. (Peters 1955, S. 68.) Wie die Weistümer berichten, verfügte die Gemeinde über weitgehende Holz- und Weidenutzungsrechte im Wald. Besondere Belastungsproben ergaben sich für die Gemeinde insbesondere durch die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts im Ort geführten Hexenprozesse sowie die zahlreichen Kriege des 17. Jahrhunderts. (Voltmer 2001, S. 47-52 und 402-403; Rech und Voltmer 2001, S. 364-368; dazu auch AGRBrx, FA, La Nr. 5369, unpag.) Zusätzlich litten die Gemeindemitglieder unter den stark erhöhten Abgaben und der Ausweitung von Frondiensten, die Dietrich II. von Manderscheid-Kail durchsetzte. Zwischen 1589 und 1595 wehrten sich die Einwohner in Prozessen vor dem Luxemburger Provinzialrat erbittert gegen diese Maßnahmen. Doch trotz ihres Widerstands konnte der Graf mit erheblichem Druck und weitere von ihm initiierte Hexenprozesse letztlich seine Interessen durchsetzen. Dies führte zu einer drastischen Ausweitung der gräflichen Grundherrschaft in Oberkail. (HCAD 11, 4; AGBrx, FA, La 5706, unpag.)
Im 18. Jahrhundert entstanden erneut juristische Auseinandersetzungen zwischen der Gemeinde und dem Grafenhaus über die Frage der gemeindlichen Rechte in und am Wald. (Vgl. z.B. AGBrx, FA, La 2223, unpag.; LHAK 15, 646, S. 612-615.) Daneben ergaben sich wiederholt Streitigkeiten zwischen Oberkail und den Nachbargemeinden in der Frage der Übertriftrechte für die Viehherde. (So z.B. in LHAK 15, 646, S. 666-668.) Bis zum Ende des Alten Reiches standen ein Hirt und ein Förster im Dienste der Gemeinde. Seit circa 1700 wurde die Dorfschule von der Gemeinde betrieben. (Gerten 2001, S. 255-263. Formular der Gemeinde Oberkail in LHAK 15, 1052.)
Lokale Geschichte anhand der Rechtstexte
Eine Reihe von Rechtsdokumenten regelte das Leben im Dorf und der Herrschaft Oberkail:
- Grenzweistum von 1409: Das Weistum beschreibt das Gebiet der Herrschaft Oberkail und des Waldes Hochscheid östlich der Salm. Es erwähnt den später wüst gefallenen Hof Aspe und die Siedlung Unter-Rackenbach auf der Oberkailer Gemarkung. (HCAD, BMB, 3, 3.)
- Grenzbeschreibung von 1707: Sie war die im 18. Jahrhundert gültige Beschreibung des Territoriums der Herrschaft. Wie das Grenzweistum enthält sie zahlreiche Flurbezeichnungen. (LHAK 15, 271.)
- Schöffenbefragungsprotokoll, Mitte des 15. Jahrhunderts: Darin geben die Schöffen unterschiedliche Auskünfte, ob der Gemeinde oder der Herrschaft die Strafgelder bzw. Bußen zustehen, die bei den Jahrgedingen anfielen. In späterer Zeit erhielt der Ortsherr diese Gelder. (HCAD, BMB, 3, 3.)
- Waldreglement, wahrscheinlich wahrscheinlich Ende des 15. Jahrhunderts: Dieses Dokument, das als Fragment erhalten ist, regelt die Aufgaben der Förster und die Höhe der Strafgelder für das unerlaubte Fällen von Bäumen im Wald. (AGRBrx, FA, 5086, unpag.)
- Das Schöffenweistum, stammt wahrscheinlich aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts: Darin erwähnt werden die Rechte des Ortsherrn, Bestimmungen zu den Waldnutzungsrechten und zur „Gerechtigkeit und Freiheit, womit sich der Mann ernähren kann, es sei mit Weinzapfen, Kaufmannschaft oder ansonsten“ sowie zur Instandhaltung der Wege durch die Untertanen. (HCAD, BMB, 11, 4.)
- Weistum von 1594 (bzw. 1595): Es entstand nach den Auseinandersetzungen zwischen dem Grafen Dietrich II. von Manderscheid-Kail und den Untertanen in Oberkail unter anderem in der Frage der Gerichtshoheit des Ortsherrn, der Frondienste, der Waldnutzung, der grundherrlichen Abgaben, des Besitzrechtes an den Schaft- und Vogteigütern, des Mühlenbanns und der Leibeigenschaft. Unter erheblichem Druck hatten die lokalen Schöffen in diese neuen Bestimmungen eingewilligt, mit denen der Graf ältere Rechte der Oberkailer Einwohner massiv einschränkte. (HCAD, BMB, 11, 4.)
- Kriminalordnung, um 1590: Dieses Regelwerk behandelt straf- und zivilrechtliche Fragen. Es entstand wahrscheinlich in der Zeit der unter Dietrich II. geführten Hexenprozesse. (HCAD, BMB, 11, 4.)
- „Attestation“ zu den Schaft- und Vogteigütern und der Leibeigenschaft, 1596: Dieses Rechtsdokument sicherte dem Grafenhaus das Obereigentum über alle Güter in der Herrschaft Kail zu. (HCAD, BMB, 11, 4.)
- Aus dem Jahr 1588 stammt außerdem das durch Philipp II. von Spanien erteilte Marktprivileg für Oberkail. (Schaus, o.J., S. 75.)
Oberkail im 19. Jahrhundert
Die französische Herrschaft von 1794 bis 1814 führte zur Modernisierung der Verwaltung, des Rechtswesens und der Wirtschaft sowie der kirchlichen Organisation. Oberkail wurde zur Mairie. Der adlige und geistliche Grundbesitz des Hauses Sternberg-Manderscheid und der Abtei Himmerod wurde beschlagnahmt und später zum Teil als Nationalgut veräußert. Durch die Verkäufe entstand in Oberkail eine neue Eigentümerstruktur. (Rech 2001, S. 87-95, bes. S. 91-95.) Mit Beginn der preußischen Herrschaft wurde aus der Mairie die Bürgermeisterei Oberkail, die bis ins 20. Jahrhundert durch Eingliederung mehrerer Gemeinden vergrößert wurde. Oberkail blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein Marktort. Nachdem der Wald 1814 an das Haus Sternberg-Manderscheid zurückgegeben worden war, entstanden zahlreiche Prozesse um die Waldnutzungsrechte. Die Gemeinde erhielt schließlich 1836 bzw. bis 1843 den heutigen Gemeindewald als Entschädigung für die Berechtigungen der früheren Stockbesitzer. Wichtige Ereignisse des 19. Jahrhunderts waren den preußische Katasteraufnahme von 1828 bis 1832, der Straßen- und Wegebau ab etwa 1840, der regen Geschäfts- und Reiseverkehr durch den Ort leitete, sowie der Ausbau von Gewerbe und Handel. Einwohner betätigten sich in der Pottasche-Herstellung, Kalkbrennerei, Schnapsbrennerei und Holzverarbeitung oder eröffneten Gaststätten und kleine Geschäfte. Allerdings führte die seit der französischen Herrschaft praktizierte Realteilung zu einer zunehmenden Verarmung der überwiegend landwirtschaftlichen Bevölkerung. Aufgrund sozialer Probleme und großer Unzufriedenheit mit der preußischen Verwaltung kam es während der Revolution von 1848 im Ort zu heftigen Protesten und einer starken Politisierung. (Rech 2001, S. 96-105; I. Kreutz 2001, S. 106-109.) Die wachsende Armut wurde schließlich zum Hauptgrund für eine große Auswanderungswelle in die USA zwischen 1865 und 1885. Allmähliche Verbesserungen brachten hingegen die agrarwirtschaftlichen Fortschritte und die Gründung von Genossenschaften. Der Bau der Kylltal-Eisenbahn sorgte für eine bessere Anbindung, auch wenn der Fuhrverkehr im Ort abnahm. Ein Rückschlag in der Ortsentwicklung war der verheerende Ortsbrand 1895, nach dem ein Wiederaufbau folgte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konsolidierten sich die dörflichen Verhältnisse im Kaiserreich. Die Elektrifizierung, der Bau von Wasserleitungen und die Motorisierung veränderten das Ortsbild. Im Rückblick betrachtete man die Jahre nach 1900 oft als „gute alte Zeit“. (Rech 2001, S. 110-117; Gerten 2001, S. 118-132.)
Oberkail im 20. Jahrhundert
Der überwiegend landwirtschaftliche Charakter des Dorfes erhielt sich bis in die 1960er Jahre. Allerdings hatten die beiden Weltkriege tiefgreifende Auswirkungen auf Oberkail und seine Bewohner. Bereits im Ersten Weltkrieg verloren viele Männer ihr Leben. Während der Weimarer Republik blieben die Zeiten wirtschaftlich unsicher. Neben einer kleinen Zahl von gut gestellten Landwirten, lebten im Dorf zahlreiche Kleinlandwirte, die ihr Auskommen durch zusätzliche Arbeit im Wald oder in den Oberkailer Sägewerken fanden. Der Zweite Weltkrieg brachte noch mehr Leid als der Erste. Neben den Zerstörungen waren am Ende des Krieges eine große Zahl an gefallenen und vermissten Soldaten sowie Opfer der Verfolgung durch das NS-Regime und Ziviltote zu beklagen. (Gerten 2001, S. 134-142; I. Kreutz 2001, S. 143-153.) Nach dem Krieg begann der Wiederaufbau, und die Wirtschaft erholte sich. Die bis in die 1960er Jahre herrschende Aufbruchstimmung wurde jedoch durch die einsetzenden sogenannten Strukturreformen gebremst. Die Verbandsgemeinde Oberkail wurde aufgelöst und die Gemeinde in den Kreis Bitburg-Prüm eingegliedert. Nacheinander schlossen die Amtsverwaltung, die Molkerei und die arenbergische Forstverwaltung; eine nennenswerte Ansiedlung neuer Gewerbebetriebe fand nicht stand. In den 1970er Jahren stagnierte die Entwicklung, aber in den 1980ern gab ein Dorferneuerungskonzept neue Impulse zur Dorfentwicklung. Straßen und Wege wurden neu gestaltet, zusätzliche Wohnhäuser entstanden in einem Neubaugebiet. (Gerten 2001, S. 154-168) Dennoch setzte sich der Trend des Verlusts ländlicher Arbeitsplätze bis nach der Jahrtausendwende fort: Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sank noch einmal erheblich. Geschäfte, Gaststätten, die Post-Agentur, die Raiffeisen- und die Sparkassen-Filiale sowie die Tankstelle wurden geschlossen, einhergehend mit einem weiteren Bevölkerungsrückgang. Die 800-Jahrfeier im Jahr 2001 bewirkte jedoch wiederum eine Mobilisierung des Dorfes, indem sie einen Anstoß gab für verstärktes privates und kommunales Engagement. Zahlreiche Vereine und Privatpersonen sind auch heute daran beteiligt, das dörfliche Leben zu gestalten.
Kirchliches Leben
Die katholische Pfarrei Oberkail wird erstmals im 12. Jahrhundert in einem Echternacher Prozessionsverzeichnis erwähnt. Aus dem Jahr 1292 stammt die erste urkundliche Erwähnung eines Pfarrers, und um 1330 wird die Kirche in einer Steuerliste des Trierer Erzbischofs genannt. Seitdem gab es durchgehend Pfarrer und Kapläne im Ort, im 18. Jahrhundert zeitweise sogar vier Geistliche. Die Besetzung der Pfarrstelle (Kollatur) lag seit dem Spätmittelalter beim Grafen von Manderscheid. Als Pfarrort war Oberkail der Mittelpunkt für mehrere Filialen, die sich mit der Zeit verselbständigten. Um 1660 lösten sich Bettenfeld und Meerfeld, und 1793 wurde Eisenschmitt selbständig. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts deuten Hinweise zumindest auf die Duldung des Protestantismus in der Herrschaft Kail. (J. Kreutz 2001, S. 185-204 und 208-250.) Die Pfarrei war traditionell Teil des Erzbistums Trier, unter Napoleon jedoch zeitweise dem Bistum Metz zugeordnet, bevor sie wieder zum Bistum Trier zurückkehrte. Die Kirche in Oberkail wurde durch das Grafenhaus gefördert, das Paramente und Kultgegenstände schenkte. Der Besitz der Pfarrkirche, die sogenannte Kirchenfabrik, umfasste auch Ländereien. Weitere Landstücke, das Wittum, standen dem Pfarrer zur Bewirtschaftung zu. Auch dieser Kirchenbesitz profitierte bis 1794 von gräflichen Zuwendungen. (J. Kreutz 2001, S. 185-204 und 208-250, zur Kirchenfabrik S. 201-203 und zum Pfarrwittum S. 213-214.)
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte das kirchliche Leben eine Erneuerung. Die „Rekatholisierung“ erfolgte durch die Gründung kirchlicher Vereine und Bruderschaften, teilweise als Reaktion auf den Kulturkampf. Im 20. Jahrhundert war Oberkail zeitweise Sitz eines Dekanats (1924 - 1971). Bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts hatte das kirchliche Leben einen volkskirchlichen Charakter. (J. Kreutz 2001, S. 185-204 und 208-250, passim.) Heute werden Glaube und Frömmigkeit eher als private Angelegenheit betrachtet. Oberkail ist bis jetzt eine eigenständige Pfarrei, wird aber in naher Zukunft mit den anderen Pfarreien der heutigen Pfarreiengemeinschaft Kyllburg zu einer neuen Pfarrei fusioniert werden. Protestantische Christen wohnen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Oberkail und Juden waren von 1877 bis 1929 im Ort ansässig. Personen anderer Konfessionen und Konfessionslose leben seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert im Ort. (Pfarrarchiv Oberkail, Lagerbuch von 1873, S. 10. Zu den jüdischen Einwohnern siehe LHAK 734, 1104; LHAK 736, 2291, und LHAK 736, 3427.)
Dörflicher Baubestand
Der älteste Teil des Dorfes besteht aus dem Gebiet der mittelalterlichen Burg und dem Siedlungskern nahe der Kirche südwestlich des Kailbachs. Bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde, wohl durch die langsam anwachsende Bevölkerung, auch das Gebiet des Kuhbergs auf der nordöstlichen Kailbach-Seite besiedelt. (Vgl. Hausnamen in LHAK 15, 1052.) Aus der Zeit der gräflichen Herrschaft haben sich in Oberkail bis heute zahlreiche Bauten erhalten. Hierzu gehören vor allem die Reste der im Kern mittelalterlichen Burg. Die Burg hatte zunächst einen quadratischen Grundriss. Ihre Ostseite lag am Kailbach. Um 1700 wurde das sogenannte Neue Schloss errichtet, wobei man einen Teil des bisherigen Westflügels der alten Burg nutzte und zwei weitere Flügel anbaute, die sich westlich davon um einen nach Südosten hin offenen Innenhof gruppierten. (Wackenroder 1982, S. 243-250) Ab 1636 begann Graf Philipp Dietrich mit dem Bau der oberhalb des Ortes gelegenen Frohnert-Kapelle. Auch die Pfarrkirche sowie die Kreuzigungsgruppe in der Ortsmitte stammen aus der Grafenzeit. Der Turm der Kirche wurde 1587 errichtet, der Bau des alten Kirchenschiffs erfolgte 1787 und seine Erweiterung 1969. Die Kreuzigungsgruppe nahe der Kailbach-Brücke geht auf eine Stiftung durch den Hofkaplan Johann Josef Pickart im Jahr 1752 zurück. Der Friedhof, Wegekreuze und die Reis-Kapelle zeugen von den religiösen Traditionen des Dorfes. (J. Kreutz 2001, S. 185-250; Heinz 2001, S. 206-207, sowie Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland 1991, 143-155.) Nach dem Verkauf der Burg in den Jahren ab 1809 wurde ihr Areal aufgesiedelt sowie neue Gebäude im Bereich der heutigen Hauptstraße errichtet. (HCAD, BMB, 11, 4; LHAK, 15, 1052) Da Oberkail auch im 19. und 20. Jahrhundert Mittelpunktfunktionen für die Nachbarorte innehatte, wuchs der Ort weiter. Dies ist an den Ensembles zahlreicher Bauernhäuser zu erkennen, die nun entlang der Kyllburger, Bitburger und Wittlicher Straße errichtet wurden und das Ortsbild bis heute prägen. Ebenso entstanden markante Einzelbauten wie die Gasthöfe in der Ortsmitte, das frühere Amtsgebäude, das ursprünglich ein bürgerliches Wohnhaus war, und die ehemalige arenbergische Oberförsterei. (Reck 1991, S. 144-155.) Die meisten älteren Häuser sind Streckhöfe oder Quereinhäuser. Von den ursprünglich zahlreichen Treppengiebelhäusern hat sich nur ein Haus in der Bitburger Straße (Nr. 16) im Ursprungszustand erhalten. Daneben zählen mehrere Breitgiebelhäuser zum dörflichen Baubestand. (Reck 1991, S. 143-144.)
Oberkail heute - auf dem Weg in die Zukunft
Zwar schmerzt der Verlust zahlreicher dörflicher Einrichtungen, dennoch bieten sich Oberkail auch zahlreiche Chancen für die Zukunft. Zu nennen sind die gute Anbindung an die A 60, der fortschreitende Ausbau des Internets und die Natur der Umgebung. Hinzu kommt die Attraktivität des Ortes für junge Familien durch das Vorhandensein eines Kindergartens und der Grundschule, für deren Bestand sich die Gemeinde einsetzt. Zudem findet auch heute ein Teil der Einwohner Beschäftigung im lokalen Gewerbe sowie in der Land- und Forstwirtschaft, während andere das Dorf als Wohnort schätzen und zu den Arbeitsstätten pendeln. Ein besonderer Standortfaktor ist das rege Vereinsleben sowie das Engagement von privater und kommunaler Seite. Privatpersonen organisierten nach dem Jahr 2000 rund ein Jahrzehnt die sogenannten „Geil-in-Kail“-Festivals, zu denen zahlreiche Musikbegeisterte nach Oberkail kamen. Seit zwei Jahrzehnten findet alle zwei Jahre außerdem die „Adventliche Burgstraße“ als kunsthandwerklich ausgerichteter Weihnachtsmarkt statt. (Vgl. Beiträge des TRIERISCHEN VOLKSFREUNDS.)
Die Gemeinde Oberkail hat in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um den Auswirkungen der Flutkatastrophe von 2021 und dem Klimawandel zu begegnen. Dazu gehören die Entsiegelung von Flächen, die Renaturierung von Wasserläufen und die Förderung erneuerbarer Energien. Darüber hinaus stellt sich die Gemeinde den Herausforderungen, die durch die zurückliegenden Strukturveränderungen entstanden sind. Bürger setzen sich in Fördervereinen engagiert für den Erhalt des kirchlichen Lebens sowie die Unterstützung der Grundschule ein. Die Gemeinde hat sich in den letzten Jahren wiederholt an Programmen und Maßnahmen zur Dorferneuerung beteiligt, zum Teil mit Auszeichnung. Im Rahmen der Dorfentwicklung wurden Projekte zur Belebung des Ortskerns, zur Schaffung altersgerechter Wohnmöglichkeiten und zur Aufwertung historischer Bausubstanz gestartet. (Dorferneuerungskonzept Oberkail 2023.) Auf der Agenda stehen außerdem die Ansiedlung von Gastronomie und die Förderung des Tourismus. Dies zeigt sich unter anderem in der Anlage einer Waldwanderroute oder der Oberkail-Himmerod-Schleife als Wanderweg. Der Ort hat sich auf den Weg gemacht, neue Möglichkeiten für die Gestaltung der Zukunft zu erkunden und zu nutzen. (Vgl. Berichte des TRIERISCHEN VOLKSFREUNDS.)
(Claus Rech, Ortsgemeinde Oberkail, 2024)
Quellen
- AGRBrx (Archives générales du Royaume à Bruxelles / Generalstaatsarchiv Brüssel): Fonds d`Arenberg (FA), La Nr. 5369; AGRBrx, FA, 5086, unpag.; Bestand luxemburgische Volkszählung, Seite 326-342; FA, La 5706, unpag.; FA, La 5706, unpag., Prozessakten.
- ANL (= Archives Nationales de Luxembourg / Nationalarchiv Luxemburg) B. 384, 4425.
- LHAK (Landeshauptarchiv Koblenz) LHAK 15, 1052, Formular der Gemeinde; LHAK 15, 271; 96, 2204, Urkunde zur Ersterwähnung; LHAK 587, 5; LHAK 587, 8; LHAK, 732, 1104, UNr. 014; LHAK, 15, 1052.
- HCAD (Herzog von Croy'sches Archiv zu Dülmen), BMB (Bestand Manderscheid-Blankenheim), 11, 8, 3, 3, 9v-10v, Manderscheider Protokollbuch; Die Jahrgedingsprotokolle, BMB, 11, 4, und 6, 40; HCAD, BMB, 3, 3; HCAD 11, 4, undat. Schöffenweistum u. Kailer Weistum von 1594.
- Pfarrarchiv Oberkail, Güterverzeichnis von 1698.
- Archiv Gemeinde Oberkail, Flurplan 12, genannt das Dorf, Blatt 1, 1828-(1869).
Internet
www.oberkail.de: Ortsgemeinde Oberkail (abgerufen 20.09.2024)
www.bitburgerland.de: Oberkail (abgerufen 20.09.2024)
www.eifel.de: Oberkail (abgerufen 20.09.2024)
de.wikipedia.org: Oberkail (abgerufen 20.09.2024)