Lage und Gebäude
Ursprünge
Gastwirtschaft
Gesellschaftliche Bedeutung für Oberkail
Eigentümer
Früheres Aussehen
Quellen
Lage und Gebäude
Das Haus mit der Anschrift Kirchstraße 6 grenzt mitsamt seinen Nebengebäuden und dem Hofgrundstück nordwestlich an das Gelände der Pfarrkirche und des Pfarrhauses. Die dazugehörige Scheune samt Schuppen ist auf einer Seite direkt an die ehemalige Friedhofsmauer angebaut. Das heutige Wohnhaus steht traufseitig parallel zur Straße, ist zweigeschossig und besitzt fünf Fensterachsen. Die beiden linken und die drei rechten Achsen unterscheiden sich aber deutlich voneinander. Rechts schließen sich Stall und Scheune an, die ebenfalls wie das Wohnhaus vollständig aus Stein gebaut sind. Auf der linken Seite schließt sich rechtwinklig ein Schuppen mit offener Durchfahrt an, der bis zur Kirchhofsmauer reicht und überwiegend aus Holz besteht.
Ursprünge
Vermutlich befand sich im 17. Jahrhundert an diesem Standort die Jäbges-Vogtei, die 1716 neu vergeben und anschließend aufgeteilt wurde. Einen Teil davon erhielt die Familie Rondé. Anton Rondé, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts gräflicher Oberjäger in Oberkail war, stammt der Familienüberlieferung folgend aus der französischsprachigen Schweiz. Dessen Sohn Theodor Rondé heiratete 1735 eine Frau namens Maria Susanna. Vermutlich sind diese beiden die Erbauer eines neuen Hauses im Jahr 1746. Dies ist der linke, zweiachsige Teil des heutigen Hauses. Der Schlussstein eines früheren Haustürgewändes mit einer gekippt geschriebenen Ziffer „4“ lässt die Zahl 1746 erkennen. Er ist heute im Treppenhaus innerhalb des Hauses vermauert.
Gastwirtschaft
Aus der Zeit kurz danach ist Theodor Rondé auch als Gastwirt bekannt. Seine Gaststätte war wahrscheinlich eine reine Schankwirtschaft im neu errichteten Haus. Im Maria-Theresia-Kataster von 1766 wird Theodor Rondé, der auch beruflich seinem Vater folgte, als „Jäger Dietz“ bezeichnet. Dessen Sohn Johann Jakob Rondé (der im Gegensatz zu seinem Bruder Johann Theodor den Beruf des Försters nicht mehr ausübte) und seine Ehefrau Elisabeth geb. Simon erweiterten 1781 das Haus durch einen Neubau, der die drei rechten der heutigen Fensterachsen umfasst. Über der Haustüre war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts der Schlussstein mit der Inschrift „1781 Jacobus Ronde“ sichtbar. Bei sogenannten Modernisierungen wurde dieser entfernt. Heute ist er im Badezimmer innerhalb des Hauses verbaut. Die Eheleute Rondé-Simon führten die Gastwirtschaft im alten Wohnhaus fort. Die Getränkevorräte wurden im ebenerdigen Gewölbekeller im rückwärtigen Bereich gelagert, der heute noch erhalten ist. Nach dem Tod ihres Ehemannes 1788 betrieb Elisabeth als Witwe die Gastwirtschaft weiter, sie wird 1793 als „halbe Wirtin“ besteuert.
Der Hausname „Gerjens“, der bis zum Ende des 20. Jahrhunderts verwendet wurde, geht auf Friedrich Goergen (1774-1840) zurück. Er heiratete 1803 Susanna Rondé (1778-1805), eine Tochter der Eheleute Rondé-Simon, die jedoch wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes Jakob Goergen (1803-1886) verstarb. Dieser wird im Urkataster 1828 als Besitzer des Hauses genannt, ebenso in einem Gerichtsurteil von 1835, das ihn mit der Berufsbezeichnung „Wirth“ als Besitzer des „Jägershauses“ aufführt.
Gesellschaftliche Bedeutung für Oberkail
In der Gaststube des Gerjens-Hauses dürfte in den Jahren 1848/49 ähnlich viel und heiß über die Politik der Nationalversammlung in Frankfurt und des preußischen Pendets in Berlin bzw. Brandenburg diskutiert worden sein wie in den Gaststuben von Goergens politischen Gegenspielern in Oberkail: Gerhard Becker und Nikolaus Probst. Die Tatsache, dass es sich bei den drei führenden Oberkailer Männern der Revolutionszeit um Wirte handelte, lässt erahnen, wie wichtig die mündliche Informationsweitergabe und der gemeinschaftliche Meinungsbildungsprozess waren. Die Uneinigkeit der Oberkailer Bevölkerung (nur die rund 80 Männer durften wählen) zeigte sich darin, dass jeweils drei Wahlgänge notwendig waren. Bei den Wahlen der Oberkailer Wahlmänner setzte sich noch im Mai 1848 Goergen nach politischem Kampf im dritten Wahlgang gegen Becker durch. Doch schon im Januar 1949 war Goergens politischer Stern gesunken: Er erhielt im ersten Wahlgang nur noch vier Stimmen. Becker siegte schließlich im dritten Wahlgang gegen Probst.
Eigentümer
Jakob Goergen hatte mit seiner Ehefrau Katharina Bares (1804-1880) neun Kinder. Die älteste Tochter, Katharina Goergen (1830-1910) übernahm zusammen mit ihrem Ehemann Peter Kuhn (1830-1901) das Elternhaus. Ihnen folgte ihr Sohn Adam Kuhn (1872-1951) mit seiner Ehefrau Eva Schneider (1880-1966). Deren Sohn Josef Kuhn (1907-1972) und seine Ehefrau Agnes Pesch (1914-1981) waren die letzten Landwirte in diesem Anwesen. Nach dem Tod des kinderlosen Ehepaares verkauften deren Erben das Haus und die Hofstelle an die heutigen Besitzer: Familie Josef und Ursula Greisinger.
Früheres Aussehen
Im Gebäudeverzeichnis von 1910 werden auf dieser Parzelle das Wohnhaus, ein Abort, die Scheune mit Stallung, ein Holzschuppen sowie ein Futter- und Strohschuppen aufgeführt. Auf einem alten Foto kurz vor dieser Zeit sind folgende Elemente gut zu erkennen: 1.) Zumindest der ältere Hausgiebel des Gebäudeteils von 1746 hat als Abschluss Treppengiebel, die für Oberkail durchaus typisch waren. 2.) Das Haus war mit Stroh eingedeckt. Bei dem großen Brand 1895, dem unter anderem 31 Wohnhäuser zum Opfer fielen, wurden vornehmlich strohgedeckte Gebäude zerstört, in geringerem Maße aber auch ziegel- bzw. schiefergedeckte. Deshalb geschah der Wiederaufbau generell strohlos. Dieses Haus hatte also die Brandkatastrophe unbeschadet überlebt und wurde erst später mit einem neuen Dach versehen. 3.) Die Haustüre war zweigeteilt. So konnte die direkt dahinter liegende Küche gelüftet werden, ohne, dass Vieh eindringen konnte. 4.) Der Schlussstein über der Haustüre von 1781 war noch intakt. 5.) Der Stall, der rechts ans Haus anschließt, war damals noch fast ein Stockwerk niedriger als das Wohnhaus.
1926 wurden links vom Haus Stall und Holzschuppen neu errichtet. Nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte 1948 der Umbau der rechts vom Wohnhaus gelegenen Ökonomiegebäude Scheune und Stall. Dabei wurde das halbkreisförmig abschließende Scheunentor durch das heute noch vorhandene ersetzt. Diese Gebäudeteile wurden auch nach hinten erweitert und aufgestockt. Damit war ein Zustand erreicht, der die Grundsubstanz des heute sichtbaren Gebäudeensembles darstellt.
(Jörg Kreutz, Oberkailer Zeitspuren - geschichtlicher Arbeitskreis der Ortsgemeinde Oberkail, 2024)
Quellen
• Kreisarchiv Bitburg: Akten des Standesamtes Oberkail.
• Pfarrarchiv Oberkail und Bistumsarchiv Trier: Kirchenbücher der Pfarrei Oberkail.
• LHAK 15, 1052, Maria-Theresia-Kataster 1766.
• LHAK 15, 280, Steuerliste 1793.
• LHAK, Außenstelle Kobern-Gondorf; Bestände 734-1104, 736-2291 und 736-3427.
• Urteilsschrift des Rheinischen Appelations-Gerichtshof zu Cöln in seiner öffentlichen Sitzung des ersten Civil-Senats vom 22. April 1835.