Ungefähr einen Kilometer Luftlinie von der alten Burg, dem Diezer Grafenschloss, entfernt liegt Schloss Oranienstein. Zur Zeit seiner Erbauung lag das Schloß in einer vornehmen Distanz zum geschäftigen Treiben der Stadt. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat sich der Siedlungskörper der Stadt Diez dem Schlossareal auf der Fläche zwischen der Lahn und dem Diezer Hain angenähert. Noch heute führt die Schlossstraße über die Lindenallee vom zentral gelegenen Grafenschloss zum neuen Schloss.
Baugeschichte des Schlosses Ursprünglich stand auf dem Grund des heutigen Schlosses das Kloster Dierstein (auch Dirstein genannt). Dieses war bereits im Jahre 1634 zur Ruine zerfallen, nachdem es während des Dreißigjährigen Krieges geplündert und gebrandschatzt worden war. Fürstin Albertine Agnes plante auf dem Gelände des alten Klosters den Neubau ihres Residenzschlosses. Das alte Grafenschloss Diez genügte den Ansprüchen eines barocken Fürstenhofes nicht mehr. Im Jahr 1676 wurde mit dem Bau begonnen. Einkalkuliert waren die Vorteile, die der Standort zu bieten hatte: Unter anderem wurden die Steine der Klosterruine teilweise in den Schloss-Neubau integriert (oranienstein.museumdiez.de).
Als zentraler Gebäudeteil wurde zuerst der Corps de Logis erbaut (1671 bis 1684). Unter Albertine Agnes‘ Nachfolgerin Henriette Amalie wurde das Schloss durch den französischen Architekten Daniel Marot (1661-1752) vollendet (wohl in den Jahren 1704 bis 1709), sodass die Fürstin es gemeinsam mit ihren Töchtern in den Jahren 1708/09 beziehen konnte.
Die Schlossanlage Schnurgerade führt die Lindenallee direkt auf die Mitte des Schlossgebäudes zu. Barocke Schlossanlagen wurden zusammen mit der dazugehörigen Landschaft auf dem Reißbrett geplant. Dies ist auch in Oranienstein gut zu erkennen. Auf Höhe der Oraniensteiner Straße teilt sich die Allee und führt um vier Rasenflächen herum, die in regelmäßigen Abständen von kegelförmigen Buchsbäumchen gesäumt werden. In der Mitte der Rasenflächen liegt ein Rondell, das von allen Himmelsrichtungen aus betreten werden kann und einen zentralen Ort innerhalb der Anlage darstellt. Inmitten dieses Rondells offenbart sich das Schlossgebäude in seiner ganzen Pracht. Ein Weg führt genau auf die Mittelachse des Corps de Logis und des dort befindlichen Eingangs zu und erzeugt eine „Sogwirkung“ auf den Besucher.
Die beiden nach Osten und nach Westen ausgerichteten seitlichen Galerieflügel sind in ihrem Aufbau spiegelbildlich gestaltet. Außen beginnend mit einem zweieinhalbgeschossigen Pavillon mit gebauchtem Walmdach nähern sich diese beiden Flügel dem Hauptgebäude durch eineinhalbgeschossige Zwischentrakte mit abgewalmten Satteldächern an, gehen dann in jeweils einen zweieinhalbgeschossigen Gebäudeteil mit Dreiecksgiebel über. Diesem folgt jeweils wieder ein Eckpavillon mit gebauchtem Walmdach, der als Verbindung zum jeweiligen Seitenflügel des Hauptgebäudes dient und wieder etwas niedriger gestaltet ist. Auf diese Weise unterliegen die jeweiligen Gebäudeteile einer Rhythmik, die in der Mitte ihren Höhepunkt erreicht. Dort befindet sich das Corps de Logis, der zentrale Gebäudeteil des Schlosses.
Der Hauptteil dominiert aufgrund seiner drei Geschosse sowie seiner seitlich angebrachten Türme die gesamte Anlage. Dadurch dass das Corps de Logis nach hinten versetzt liegt, entsteht mittig ein Ehrenhof, auch Cour d’honneur genannt. Dieser dreiseitig umschlossene Empfangshof kann als charakteristischer Bestandteil barocker Schlossarchitektur angesehen werden und durfte nur von Würdenträgern betreten werden. Folglich war und ist dieser Ehrenhof durch ein Gitter mit nach außen gewölbtem Tor umgrenzt. Auch die schachbrettartige Pflasterung des Ehrenhofes mit dem Windrosenmosaik vor dem Haupteingang verdeutlicht die Besonderheit dieses Ortes.
Die Annäherung an das Schloss von der Stadt Diez aus wurde in der Barockzeit als „ganzheitliches Erlebnis“ empfunden. Das lässt sich auch heute noch gut nachempfinden. Dieses Erleben fand die dramaturgische Einleitung beim Durchschreiten der Allee und seinen vorläufigen Höhepunkt beim Betreten des Ehrenhofes. Die Wahrnehmung, die beim Besucher hervorgerufen werden sollte, diente der Erhöhung des Herrschers. Die Symmetrie und Ordnung konnten stellvertretend als Ordnung im Herrschaftsbereich gedeutet werden (vgl. Nelle 2005, S. 110 und 122ff.).
Die Schlossgärten Eine Schlossanlage bestand nicht nur aus dem Schlossgebäude, sondern umfasste eine ganze Landschaft, Schlossgärten, Menagerien (Tiergärten), Wasserbassins und weitere Einrichtungen. So gab es auch im Schlosspark Oraniensteins einen gestalteten Außenbereich, der jedoch die Zeit nicht überstanden hat. Erhalten ist lediglich ein kleiner Garten unmittelbar hinter dem Corps de Logis, der als Dreieck ausgelegt ist und eine exzellente Aussicht auf das Lahntal bietet.
Über weitere Gärten weiß eine Textpassage aus dem „Historisch-Politisch-Geografischen Atlas“ von 1747 zu berichten: „Oranienstein, ein ganz neues und zierlich erbauetes Schloß im Nassauischen Gebiete, im Ober-Rheinischen Kreisse, nicht weit von Diez, wo sich die Eltz mit der Lahn vereiniget, gelegen. Es ist dasselbe von der letztverstorbenen Wittwe, der Fürsten von Nassau-Diez auf das prächtigste ausgeführet worden, und gewiß nicht wenig sehenswürdig, ohngeachtet es dem Ansehen und Vernehmen nach nicht völlig nach dem gemachten Entwurffe soll ausgebauet seyn. Nahe dabey sind der schöne Lust- und Baum-Garten, der plaisirliche Thier-Garten und die anmuthigen Alleen, die durchgehauenen Waldungen, und dergleichen.“ (Historisch-Politisch-Geographischer Atlas 1747, S. 1065). Anhand der Tranchot- v. Müffling-Karte 1803-1820 (siehe Abbildung in der Mediengalerie oder als historische Karte im Kartenwerk einsehbar) kann die Lage einiger Gärten nachvollzogen werden, die sich noch ins frühe 19. Jahrhundert hatten retten können. Nach den Karten befanden sich rechts vom Schloss (vom Gebäude aus) verschiedene Gartenanlagen.
Die Innenräume 318 Räume umfasst das gesamte Schlossgebäude, darunter der sog. Blau-Goldene Saal, der Marschallsaal, das Gartenkabinett, eine Schlosskapelle und viele weitere, die heute noch besichtigt werden können (www.stadt-diez.de). Der Raum, der schon zur Zeit der Fürstinnen als Sehenswürdigkeit im Schloss Oranienstein galt, ist leider nicht erhalten geblieben: das Paradeschlafzimmer der Fürstin. Beispiele anderer Paradeschlafzimmer barocker Fürstenhöfe in Deutschland zeigen, dass es sich bei derlei Zimmern nicht um wirkliche Schlafgemächer handelte, sondern vielmehr um als Staffage inszenierte Repräsentationsräume, die sogar dem Besucherverkehr freigegeben waren. In einer Reisebeschreibung aus dem 19. Jahrhundert wird dieses Paradeschlafzimmer skizziert, als Raum „[...] dessen mit blauem Plüsch ausgeschlagene Wände sechzehn lebensgroße Familienbilder in schweren Goldrahmen schmückten, während über dem Marmorkamin und den Türen allegorische Figuren eingelassen waren [...]“ (Schwendt 2016, S. 85).
Verwendung des Lahnmarmors Fürstin Amalie von Nassau-Diez ließ nach dem Tod ihres Mannes, des Fürsten Heinrich Casimir II. von Nassau-Diez, ein bereits bestehendes Schlossgebäude zwischen 1704 und 1709 nach den Plänen des Baumeisters und Lahnmarmor-Aficionado Daniel Marot in ein Barockschloss im niederländischen Stil ausbauen. Vor Ort leitete Johann Coulon den Schlossbau. Im Außen- und Innenbereich des Schlosses wurde einheimischer Lahnmarmor eingesetzt. Erhalten sind acht Marmorkamine, die wahrscheinlich alle aus der Phase des barocken Ausbaus zwischen 1707 und 1725 stammen. Als Steinmetze sind Gilles Meijne und Wilhelm Schwind nachgewiesen. Meijne arbeitete gleichzeitig an einem großen Kaminauftrag für das Schloss Oranjewoud in Friesland. Die Marmorkamine ersetzten ursprünglich eingebaute Sandsteinkamine. Die Schlossterrasse hat ein Eisengeländer mit wohlgestalteten Marmorpfosten. Die Innenräume waren mit reichem Stuckdekor ausgestattet, welches Eugenio und Cypriano Castelli, sowie Antonio Genone schufen. Die Deckengemälde des Niederländers Jan van Dyck ergänzten die Ausstattung.
An den acht Kaminen in Oranienstein lassen sich fünf verschiedene Lahnmarmorsorten nachweisen. In der Korrespondenz zur Entstehungsgeschichte der Kamine in Oranjewoud und Oranienstein werden als Lieferorte Diez, Altendiez, Muders-hausen, Seelbach und Allendorf bei Katzenelnbogen erwähnt. Der schwarze Marmor im Porzellankabinett kommt wahrscheinlich aus dem Diezer Bruch Kreuzleye. Die Kamine im grünen und gelben Saal zeigen die Farben und Musterungen, wie sie für Allendorfer Marmor von anderen Anwendungsbeispielen bekannt sind, während durch Vergleich bekannter Arbeiten aus Mudershausener und Seelbacher Marmor keine Entsprechungen in Oranienstein gefunden werden konnten. So stammt der Marmor der übrigen Kamine wahrscheinlich aus dem erwähnten Bruch in Altendiez.
Eine letzte glanzvolle Periode Mit Wilhelm V. (1748-1806, regierte ab 1766) erlebte Schloss Oranienstein noch einmal eine Periode fürstlicher Prachtentfaltung: „Am Ufer der Lahn wurde ein Yachthaus errichtet, die Orangerie mit ausländischen Gewächsen versehen, Schloß und Tiergarten verschönert. Zahlreiche Fürstlichkeiten kamen zu Besuch, eine fast ununterbrochene Reihe von Festlichkeiten fand am Hofe, großartige Volksfeste auf dem Schlossplatz […] statt, feierliche Huldigungszüge kamen aus der Grafschaft nach Oranienstein“ (Schwendt 2016, S. 85f.).
Sicherlich profitierte die Stadt Diez von der Hofhaltung Wilhelms V. in vielerlei Hinsicht. Mit dem Erstarken Napoleons in Europa jedoch, endete die glanzvolle Zeit des Schlosses als Fürstenresidenz. Der Sohn Wilhelms V., Wilhelm Friedrich von Oranien Nassau (1772-1843, regierte als Wilhelm VI. Prinz von Oranien 1806-1815 und als König Wilhelm I. die Niederlande von 1815-1840), unterlag Napoleon in Jena 1806, woraufhin der französische Kaiser ihm die Herrschaft über seine deutschen Gebiete absprach und das Inventar des Schlosses versteigern ließ. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts diente Oranienstein den Herzögen von Nassau nur noch als Jagdschloss. Nach dem Sieg Preußens über das mit Österreich verbündete Nassau fiel das Schloss an Preußen. Oranienstein wurde im Jahre 1867 in eine Kadettenanstalt (Kasernenbauten) umgewandelt.
Heute wird Schloss Oranienstein als Kaserne für eine Panzerbrigade genutzt und beherbergt darüber hinaus das Museum Nassau-Oranien, in dem auch die Geschichte des Geschlechts Nassau und Oranien thematisiert wird. Schloss Oranienstein kann besichtigt werden, unterliegt jedoch aufgrund der teilweise militärischen Nutzung des Areals besonderer Sicherheitsbedingungen (www.oranienstein.museumdiez.de).
Schloss Oranienstein wird als Kulturdenkmal in der Denkmalliste des Landes Rheinland-Pfalz (Stand 2019) geführt. Der Eintrag lautet: „Schloss Oranienstein Oraniensteiner Straße (Denkmalzone) Hauptflügel unter Wiederverwendung romanischen Mauerwerks 1671-84, Umbau der mittelalterlichen Wohntrakte zum Schloss, 1704-09, Architekt Daniel Marot, Baumeister Johann Coulon; vom niederländischen Barock stark beeinflusster Bau im Louis XIV-Stil; Kasernenbauten der preußischen Kadettenanstalt, 1900-1914.“
Lahn-Marmor-Route Dieses Objekt ist Teil der Lahn-Marmor-Route von Wetzlar nach Balduinstein.
(Florian Weber, Universität Koblenz-Landau, 2019)
Internet www.stadt-diez.de: Barocke Pracht und niederländische Geschichte – Schloß Oranienstein (abgerufen 17.12.2019) oranienstein.museumdiez.de: Das Museum Nassau-Oranien Diez (abgerufen 17.12.2019)
Nachrichtliches Verzeichnis der Kulturdenkmäler, Rhein-Lahn-Kreis. Denkmalverzeichnis Rhein-Lahn-Kreis vom 18. Oktober 2019. Mainz.
Nelle, Florian (2005)
Künstliche Paradiese. vom Barocktheater zum Filmpalast. (Film - Medium - Diskurs; 13.) Würzburg.
Schwendt, Georg (2016)
Als Karl Baedeker durch das Lahntal reiste. Norderstedt.
Wabel, Willi / Historische Kommission für Nassau (Hrsg.) (2015)
Form, Farbe, Glanz. Lahnmarmor im Barock. Eine umfassende Darstellung der Erschließung und Verbreitung des Lahnmarmors sowie seiner Verwendung für sakrale, memoriale und profane Kunstwerke des 17. und 18. Jahrhunderts. (Beiträge zur Geschichte Nassaus und des Landes Hessens Band 8.) Wiesbaden.
(1747)
Historisch-Politisch-Geographischer Atlas der gantzen Welt. Oder grosses und vollständiges geografisch und kritisches Lexikon darinnen die Beschreibung des Erd-Kreises, aller Monarchien, Kayserthümer, Königreiche, Khur- und Fürstenthümer, Repunliquen, freyen Staaten, Stände und Herrschaften, Länder, Städte, Festungen, Seehäfen, Schlösser, Flecken, Aemter, Stiffter, Kölöster, Gebürge, merckwürdigen Höhlen, Bergwercke, Pässe, Wälder, Meere, Seen, Inseln, Vorgebürge, Klippen, Sand-Bänke, Meer-Engen, Quellen, Flüsse, Canäle, Gesund-Brunnen x. Nebst denen dazu gehörigen Denck- und Merckwürdigkeiten enthalten: Aus der berühmten königl. spanischen Geographi Mr. Bruzen la Martiniere, Dictionnaire geographique et critique ins Deutsche übersetzt, mit vielen tausend Artickeln vermehret und durchgängig aus den neuesten Geschichten verbessert. Achter Theil, N. - PH. Mit hoher Potentaten allergnädigsten Privilegiis. Leipzig. Online verfügbar: Link zu Google-Books
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