Im späten 19. Jahrhundert war die wirtschaftliche Entwicklung des Hinterland der Kreisstadt Siegburg zurück geblieben. Es gab eine hohe Arbeitslosenquote, bedingt durch die abgelegene und schlecht erschlossene Region im Bergischen Land, fern von der prosperierenden Rheinschiene.
Geplanter Bau einer Kleinbahnlinie Zur besseren verkehrlichen Anbindung der Kreisstadt war die Errichtung einer Kleinbahnlinie geplant, die von Siegburg nach Much und weiter ins Wiehltal führen sollte. Die Strecke sollte entweder parallel zur Zeithstraße oder im Wahnbachtal gebaut werden. Die Zeithstraße verläuft entlang des Höhenkamms, die Ortschaften und Ansiedlungen im Tal werden jeweils über Stichstraßen erschlossen. Diese Führung der Kleinbahn hätte nur einen geringen Erschließungsvorteil geboten. Es gründete sich daher der „Eisenbahnverein Wahntal“, der 1912 eine Denkschrift herausgab, in der die Führung durch das Tal mit deutlich besserer Erschließung ausführlich beschrieben wurde. Den Baubeginn verhinderte der Beginn des Ersten Weltkrieges 1914. Nach dem Ende des Krieges 1918 nahm man die Planungen wieder auf. Allerdings ergaben sich Kosten in Höhe von 4,5 Millionen Reichsmark, die „die finanzielle Tragfähigkeit des Kreises weit übersteigen würde“. Daher beschloss der Kreistag am 9. Juni 1921, die Planung für das Bahnprojekt erst wieder aufzunehmen, wenn sich die Finanzkraft des Kreises verbessert habe. Das bedeutet aber auch, dass der Plan zum Bau einer Bahnlinie keineswegs aufgegeben wurde.
Bau der Wahnbachtalstraße Der Bürgermeister Erwin Schmitz-Mancy aus Neunkirchen beantragte am 1. Juli 1924 beim Kreisausschuss des Siegkreises, eine Straße durch das Wahnbachtal von Kaldauen (bei Siegburg) nach Much zu bauen. Eine der Gründe war die Erschließung der Region, um der hohen Arbeitslosigkeit im Siegkreis entgegenwirken zu können (sie betrug 1924 durchschnittlich 17,3 %). Die Ursache hierfür lag unter anderem in der Schließung von Munitionsfabriken in Siegburg nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Für den Bau einer Straße sprach außerdem, dass dieses Projekt im Rahmen der produktiven Erwerbslosenfürsorge durch Beihilfen der Rheinprovinz gefördert werden konnte. Demgegenüber waren für den Bau einer Bahnlinie keine staatlichen Zuschüsse zu erwarten. Ein weiterer Aspekt war die Verbindung der nördlich gelegenen Kreisgemeinden an die Kreishauptstadt, da damals insbesondere Much den Anschluss an den Oberbergischen Kreis anstrebte.
Am 5. Juli 1924 beschloss der Kreisausschuss, in Anbetracht steigender Arbeitslosigkeit den Antrag des Neunkirchener Bürgermeisters zu prüfen. Gleichzeitig forderte er die Gemeinden, die durch die Straßen tangiert wurden, zur finanziellen Beteiligung auf. Bereits am 4. September 1924 erfolgte der Beschluss auf der Grundlage der Pläne, die das Kreistiefbauamt erstellt hatten, den Bau der Wahnbachtalstraße zu empfehlen. Im Vorfeld hatte die Kölner Bezirksregierung zugesagt, 90 % der Tagelöhne zu bezahlen. Der Kreistag beschloss am 17. September 1924 mit nur einer Gegenstimme den Bau der Straße. Der Kreis sollte als Baulastträger fungieren und für die Aufstellung des Projektes keine Kosten berechnen. Die durch den Straßenverlauf betroffenen Bürgermeistereien Much, Neunkirchen und Lauthausen sollten die benötigten Grundstücke unentgeltlich zur Verfügung stellen. Dabei bemaß sich die Breite der freizuhaltenen Trasse inklusive einer möglichen Erweiterung um eine parallel zur Straße geführten Eisenbahnstrecke. Bei der Planung sollte auch die künftige Talsperre im unteren Teil des Wahnbachtales berücksichtigt werden (diese geplante Talsperre hatte deutlich geringere Maße als die heutige). Die Kosten sollten die Gemeinden Much, Neunkirchen und Lauthausen tragen, abzüglich der Förderungen durch die Erwerbslosenfürsorge und der Provinzialbeihilfen.
Ende Februar 1925 wurde mit dem Bau begonnen. Der ursprüngliche Beginn der Straße lag in Münchshecke, an der Straße von Siegburg nach Kaldauen. Da jedoch die Anbindung an die Provinzialstraße von Köln über Siegburg nach Frankfurt (heutige Bundesstraße B 8) nur unzureichend war, verlegte man den Beginn der Straße an die Frankfurter Straße bei Deichhaus nahe Siegburg, was am 24. Juni 1926 durch den Landrat Dr. Eduard Wessel (1924-1933) genehmigt wurde. Damit war die Wahnbachtalstraße 23 Kilometer lang. Sie überwand einen Höhenunterschied von 139 Metern. Bei den notwendigen Erdbauarbeiten wurden rund 1 Million Kubikmeter Erde bewegt. Die Straßenböschungen hatte eine Höhe bis zu 24 Metern. Man vermied bei der Planung scharfe Kurven und Ortsdurchfahrten. Der Straßenkörper, vorgesehen für eine Nutzung durch schwere Lastkraftwagen, hatte eine Breite von sechs Metern. Hinzu kamen die seitlichen Banketten von je 2,25 Metern Breite; die gesamte Breite maß 10,5 Meter.
Interessant ist der Abschnitt nahe Siegburg: hier wurde eine Versuchsstrecke eingerichtet. Die Straße wurde auf einer Länge von vier Kilometern mit 29 unterschiedlichen Belägen ausgeführt, um diese „unter gemischtem Verkehr“ testen zu können. Eine vergleichbare Anlage ist der Nürburgring bei Adenau, dessen Bau 1925 bis 1927 ebenfalls als Notstandmaßnahme erfolgte.
Bei den Bauarbeiten wurden täglich 1200 bis 2000 Notstandarbeiter eingesetzt. Schwierigkeiten bei der Motivation der Arbeitskräfte bestand auch darin, dass sie durch lange Erwerbslosigkeit „der Arbeit entwöhnt und arbeitsunwillig“ geworden waren (Landrat Dr. Wessel). Hinzu kam der dauernde Wechsel der eingesetzten Arbeiter, die in der Regel nach zwei bis drei Monaten Beschäftigung wieder entlassen werden mussten. Diese Maßnahme sollte zum einen den Bau der Straße verbilligen und zum anderen die Erwerbslosenfürsorge in Form von Notstandsarbeitslöhnen entlasten. Den Erwerbslosen, die die Arbeit an der Straße verweigerten, wurde rigoros die staatliche Unterstützung entzogen. Aufgrund von unerwarteten technischen Schwierigkeiten beim Bau verteuerte sich dieser erheblich. Waren zunächst 1,5 Millionen Reichsmark geschätzt, kostete sie schließlich über 5 Millionen Reichsmark. In einer feierlichen Veranstaltung wurde die Straße am 7. Juli 1927 durch Landrat Wessel im Beisein des preußischen Ministers für Volkswohlfarth Heinrich Hirtsiefer (1876-1941, Minister 1921-1932) eröffnet.
Brücken Besondere Anforderungen beim Bau stellte der Wahnbach dar. Dieser musste an mehreren Stellen verlegt bzw. mit 20 Brücken gequert werden. Diese bestanden aus massivem Stampfbeton und waren mit einer Verkleidung aus Bruchsteinen versehen. Die Durchlässe wurden bereits für höchste Hochwässer des Wahnbachs berechnet. Für die Brücken veranschlagte man Kosten von 600.000 Reichsmark.
Die beiden großen Brücken über den Ummigsbach bei Seligenthal und über den Derenbach waren besondere Konstruktionen. In diesem Bereich war der geplante Bau einer Talsperre zu berücksichtigen, so dass diese Brücken deutlich höher als erforderlich ausfielen. Die Ummigsbachbrücke besaß drei Bögen mit jeweils 16 Metern Spannweite. Hingegen war die Derenbachbrücke als Dreigelenkbogenbrücke in Stampfbeton ausgeführt worden, wobei die Spannweite 70 Meter betrug. Damit war die Brücke zur Zeit ihrer Errichtung eine der größten ihrer Art in Europa. Für die Fundamente und den Bogen verwand man Beton ohne Eiseneinlage, während für die Gelenke und die Fahrbahn Eisenbeton verbaut wurde.
Die Straße 1927 bis 1955 Die Wahnbachtalstraße, die zusammen mit der Straße von Overath nach Much eröffnet wurde, sollte den Autofahrern aus rheinischen Großstädten nicht nur ein bequemes Vorankommen ermöglichen, sondern auch „ganz entzückende Landschaftbilder“ (Landrat Wessel) vermitteln. Vor allem sollte der wirtschaftliche Aufschwung der Region durch die Straße gefördert werden. Unter anderem sollte sie dem Abtransport von Grauwacke, Basalt und Ton aus dem Wahnbachtal dienen. Durch die Ausnutzung von Staustufen im Wahnbach zur Stromerzeugung sollte der Industrie Möglichkeiten zur Ansiedlung geboten werden. Mit der Schaffung von Arbeitsplätzen sollten zudem neue Ansiedlungen im Wahnbachtal entstehen.
Aber es gab bereits zur Eröffnung kritische Stimmen (Bonner General-Anzeiger vom 8. Juli 1927). Man verwies auf die zerstörerischen Auswirkungen von industriellen Ansiedlungen auf die nahezu unberührte Natur im Wahnbachtal. Zudem wurde auf die Konkurrenz der Zeithstraße hingewiesen, die ja bereits über Jahrhunderte bestand und genutzt wurde. In diesem Zusammenhang war die ursprünglich geplante Bahnlinie zu erwähnen. Zu dieser Zeit war das Autofahren keineswegs für einen gewöhnlichen Arbeitnehmer erschwinglich, sondern war noch ein Privileg der besser verdienenden Bevölkerungsschichten. Ein Alltagsgegenstand war das Auto nicht. Für die arbeitende Bevölkerung wäre eine Kleinbahn sinnvoller gewesen.
Die Straße wurde auch für den öffentlichen Nahverkehr genutzt. Reichspost und die Verkehrsgesellschaft Rhein-Wupper befuhren die Strecke. Kurios war, dass beide Gesellschaften zur genau gleichen Zeit die Haltestellen anfuhren. Dementsprechend stellte die Verkehrsgesellschaft Rhein-Wupper am 3. Juni 1929 ihren Betrieb wieder ein. Linienverkehr gab es weiter auf der parallelen Zeithstraße (damals Reichsstraße Nr. 56, heute Bundesstraße B 56). Die kritischen Anmerkungen bestätigten sich in den folgenden Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg. Es siedelten sich keine Industrien im Wahnbachtal an, noch war ein deutlich höheres Aufkommen am Verkehr und am Tourismus zu erkennen. Und weder Bahnlinie noch Talsperre wurden gebaut. 1935 zog das Landesbauamt Siegburg die Bilanz, dass bei der Planung „übertriebene Hoffnungen“ geweckt worden waren. Ab April 1935 wurde die Wahnbachtalstraße seitens der Rheinprovinz als „Landstraße I. Ordnung“ eingestuft. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten deutsche Soldaten beim Rückzug am 8. April 1945 die Ummigsbachbrücke. Da die Straße keine Verkehrsbedeutung besaß, wurde diese Brücke nicht wieder aufgebaut, sondern eine „provisorische“ Umleitung errichtet.
Bau der Wahnbachtalsperre Zwischen 1955 und 1958 wurde die Wahnbachtalsperre errichtet und der Stausee geflutet. Dieser war etwa achtmal so groß wie der in den 1920er Jahren geplante Stausee. Mit der Flutung verschwanden 6,3 Kilometer Straße im Stausee. Darunter auch die Derenbachbrücke, die jedoch nicht entfernt wurde und somit noch erhalten ist. Im Stausee ist die Lage der Brücke mit einer roten Boje markiert.
Erhaltene Abschnitte und Relikte Heute besteht die Wahnbachtalstraße aus den beiden Abschnitten zwischen Much und der ehemaligen Herkenrathermühle (Bereich B 507 / Jabachstraße / Raiffeisenstraße) in Neunkirchen-Seelscheid sowie zwischen der Talsperrenmauer und Siegburg. Die Reste der im Krieg zerstörte Ummigsbachbrücke und anschließende Straßenstrecken sind noch erhalten. Die Straße und die Derenbachbrücke sind im Wasser des Stausees gut konserviert. Dies war eindrucksvoll zu verfolgen, als im Sommer 2008 der Wasserstand erheblich gesenkt werden musste, da die Staumauer saniert wurde. Neben einigen Gebäuden (Lüttersmühle, Hof Hillenbach, Petershof) waren die Derenbachbrücke, weitere Brücken wie die Brücke am Hemmerschröcken und große Abschnitte der Straße sichtbar. Die gute Erhaltung spricht für die Qualität der Ausführung der Arbeiten in den 1920er Jahren.
Internet de.wikipedia.org: Wahnbachtalsperre (abgerufen 09.12.2016) www.strassengeschichte.de: Dieter Siebert-Gasper, Die Wahnbachtalstraße zwischen Siegburg und Much im Bergischen Land (2017) (Abgerufen 1.8.2022)
Straßenbau durch das Wahnbachtal. In: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises 1928, S. 35-39. Siegburg.
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Bergische Wege. Bewegung im Bergischen Land gestern - heute - morgen. (Geschichtsverein Rösrath e.V., Band 6.) S. 171-178, Rösrath.
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Eine Investition gegen die „Kreismüdigkeit“. Erwartungen beim Bau der Wahnbachtalstraße nach dem Ersten Weltkrieg. In: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises 2006, S. 199-218. Siegburg.
Schmidt, Paul (1996)
Das Wahnbachtal im Talsperrenbereich. Eine Bilddokumention. Neunkirchen-Seelscheid.
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Vor rund 90 Jahren als "erste Kreisstraße" gebaut ‒ die Wahnbachtalstraße. In: Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 2017, S. 82-91. Siegburg.
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