Anfängliche Komplikationen
Entwicklung im 20. Jahrhundert
Entwicklung ab den 1920er Jahren
Heute
Überblick der Brüche um Wülfrath
Anfängliche Komplikationen
1890 entsteht ein erstes Stahlwerk in Bruckhausen, heute ein Stadtteil von Duisburg. Der Betrieb um Wülfrath leidet jedoch darunter, dass Roheisen und Zuschläge, wie Kalkstein, aufgrund kartellartiger Strukturen sehr teuer zugekauft werden müssen (Haumann 2020, S. 165).
1897 gehen in Bruckhausen die ersten Hochöfen in Betrieb, die die Versorgung mit Roheisen für die Gießereien, Schmieden etc. sicheren. Um sich aus der Abhängigkeit des Monopolisten, der „Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke Dornap“ (RWK), zu befreien, erwirbt Thyssen 1899 das Gut Kocherscheidt östlich von Wülfrath, um dort mit dem Bruch Schlupkothen einen ersten industriellen Kalksteinbruch anzulegen. Thyssen hat die Vision, sich nicht nur auf den Eigenbedarf an Kalkstein zu beschränken, sondern gedenkt, die gesamte Montanindustrie des westlichen Ruhrgebiets zu beliefern (Haumann 2020, S. 166). Dazu muss der Abbau erheblich intensiviert und weitere Hüttenkonzerne eingebunden werden.
Voraussetzung für die Anlage von Steinbrüchen in den bislang ungenutzten Kalksteinvorkommen am oberen Angertal war allerdings eine leistungsfähige Transportanbindung. Bereits in den 1880er Jahren gab es Überlegungen, die dortigen Kalksteinvorkommen mit einer Bahnstrecke zu erschließen – was von den konkurrierenden Dornaper Steinbruchunternehmen zunächst erfolgreich verhindert wird. Erst nach langjährigem Gezerre und zuletzt auf das Betreiben August Thyssens, der sich 1897 in den Konflikt einschaltet, wird 1901 mit dem Bau der Bahn begonnen. Die RWK Dornap versucht zugleich, mit dem Erwerb von Schlüsselgrundstücken die benötigten Anschlussstrecken zukünftiger Konkurrenzbrüche zu verhindern. 1903 geht die Bahn von Ratingen-West nach Wülfrath endlich in Betrieb.
Im selben Jahr gelingt es Thyssen, einen 75 Hektar großen, zusammenhängenden Grundbesitz bei Flandersbach am Oberlauf des Angerbachs zu erwerben. Zur Erschließung und Ausbeutung gründet er im Oktober 1903 zusammen mit den Gesellschaftern „Schalker Gruben- und Hüttenverein AG“, „Gewerkschaft Deutscher Kaiser, Hamborn“ und „Aktiengesellschaft für Hüttenbetrieb, Meiderich“ die Gesellschaft „Rheinische Kalksteinwerke GmbH, Wülfrath“ (RKW).
Entwicklung im 20. Jahrhundert
Schon Ende 1903 beginnen die Vorarbeiten zur Einrichtung neuer Brüche sowie zur Anlage von Gleisanschlüssen. Bis 1909 ist insgesamt eine Jahresproduktion von 900.000 Tonnen geplant, zunächst ohne dafür feste Abnehmer zu haben.
Glücklicherweise kann bereits 1904 Krupp als weiterer Gesellschafter der RKW gewonnen werden. Krupp hatte ab 1895 in Rheinhausen begonnen, ein neues Stahl- und Hüttenwerk zu errichten. Die Beteiligung an der RKW kommt so zum richtigen Zeitpunkt und sichert einen Kalkstein-Absatz von 300.000 Tonnen pro Jahr (Haumann 2020, S. 196). Dadurch ist der Betrieb und Absatz des geplanten, riesigen Steinbruchs gewährleistet. In den nächsten Jahren kommen weitere Hüttenwerke, wie die Phoenix AG, die Gutehoffnungshütte und der „Gelsenkirchener Bergwerksverein“ dazu (Haumann 2020, S. 170). Der Absatz steigert sich derartig schnell, dass die RKW nicht immer die prognostizierten Mengen liefern kann und teils unter Schwierigkeiten Kalk bei der Konkurrenz zukaufen muss, um die Verträge einhalten zu können (Haumann 2020, S. 171).
1905 geht der Abbau in den Brüchen I und II bei Flandersbach in den Betrieb. Aus den beiden Brüchen wird nach dem Zweiten Weltkrieg der Bruch Rohdenhaus hervorgehen. Die geplante Jahresförderung liegt anfangs bei 300.000 Tonnen Kalkstein im Regelbetrieb (Haumann 2020, S. 167). Die Fördermenge kann in den nächsten Jahren kontinuierlich gesteigert werden.
Der Beginn des Abbaus ist von Schwierigkeiten geprägt, beispielsweise können die Hersteller nicht genügend Loks und Wagen liefern. Doch vor allem fehlt es an Arbeitskräften. Die lokale Bevölkerung um Wülfrath ist kaum an der schweren Arbeit interessiert und so werden vor allem Wanderarbeiter angestellt, viele aus Italien. Die Belegschaft unterliegt starken saisonalen Schwankungen, flexible Anpassungen an Konjunkturschwankungen sind nur schwer möglich. Es wird daher nach Möglichkeiten gesucht, durch Mechanisierung den Arbeitskräftebedarf zu reduzieren bzw. die Arbeit zu erleichtern und attraktiver zu gestalten. Thyssens RKW ist schließlich die erste Firma im Kalksteinrevier, die Pressluftbohrer zum Bohren der Sprenglöcher einführt. Während man zuvor zum Bohren von 130 Metern 40 Arbeiter benötigte, reichen nun acht (Klaß 1953, S. 24)!
Um 1906 setzt im Bruch III der Abbau ein. Die Kapazität des qualitativ guten Bruchs III ist allerdings begrenzt, da er im Südwesten bald an die Bahntrasse der Angertalbahn stößt und schon 1915 stillgelegt werden muss.
Um die geplanten Kapazitäten liefern zu können, beginnt 1907 die Anlage eines weiteren Abbaus im Bruch IV südlich der Angertalbahn, später Prangenhaus genannt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird klar, dass sich dort ein größeres zusammenhängendes Kalksteinlager bester Qualität befindet. Der Schwerpunkt des Abbaus verlagert sich daraufhin von den Brüchen I und II (Rohdenhaus) nach Süden in den Bruch IV, Prangenhaus. Der Steinbruch Prangenhaus gilt bald als größter Steinbruch Europas (Haumann 2020, S. 167).
Entwicklung ab den 1920er Jahren
Der Abbau in allen Steinbrüchen wird laufend gesteigert, um die versprochenen Mengen liefern zu können – bei gleichzeitig andauernd hohen Investitionen in Vorrichtungsarbeiten und Infrastruktur (Lokomotiven, Waggons, etc.). So werden die Prognosen konzernintern durchaus kritisch gesehen, doch der von August Thyssen eingesetzte Geschäftsführer Conrad Verlohr schafft es, sich mit seinen ambitionierten langfristigen Zielen durchzusetzen (Haumann 2020, S. 169). Dazu wird die Infrastruktur der Brüche laufend erweitert und modernisiert. Eine neuartige Kettenbahn übernimmt ab 1927 die Belieferung der Schachtöfen des Kalkwerks Flandersbach ab dem Bruch IV (Prangenhaus). Eine solche Bahn wird bereits im Bruch Schlupkothen erfolgreich eingesetzt. Am Rande des Bruchs IV entstehen 1929 und 1939 zwei Schrägaufzüge mit bis zu 40 Meter hohen Brech- und Aufbereitungsanlagen, die über Jahrzehnte Wahrzeichen des Wülfrather Steinabbaus bleiben sollten. Zur Aufnahme der schlammbelasteten Abwässer aus der Kalkwäsche baut man 1930 ein erstes Sedimentationsbecken nördlich von Wülfrath. Dieses ist schnell zu klein und man beginnt daher ab 1939 mit dem Bau eines neuen Beckens im oberen Angertal. Dazu wird das Tal mit einem 500 Meter breiten Staudamm abgesperrt. Schon 1942, lange vor der endgültigen Fertigstellung des Damms Anfang der 1950er Jahre, geht das im Volksmund „Eignerbach-Schlammteich“ genannte Sedimentationsbecken in Betrieb. Erst 2001 enden die Einspülungen, danach wird die Fläche renaturiert.
Nachdem die Brüche I und II in den 1930er Jahren zugunsten des Bruchs Prangenhaus zeitweise stillgelegt wurden, gehen sie 1958 als Bruch Rohdenhaus wieder in den Betrieb. Im selben Jahr endet der Abbau im Bochumer Bruch und 1959 auch im Bruch Schlupkothen. Erst 1969 wird der Bruch Dachskuhle östlich der Angertalbahn eröffnet, welcher nur bis ca. 1983 in Betrieb ist.
Nach einer langjährigen Nutzung als Landrover-Trainingscenter wird er ab 2021 zur Deponie von Abraum aus der 2008 eröffneten Grube Silberberg genutzt.
Die Verarbeitung des gewonnenen Kalksteins erfolgt im Kalkwerk Flandersbach, welches fortlaufend modernisiert und erweitert wird. Die drei Ringöfen aus der Anfangszeit werden sukzessive durch moderne Schachtöfen ersetzt. Im Laufe der Jahre entstehen zahlreiche weitere Schachtofengruppen und zuletzt hochmoderne RGR-Öfen. Dazu gehören Brech-, Wasch- und Mahlanlagen. Dazu kommt ein Werk für die Zementherstellung, Ablöschanlagen, neue Verlade- und Siloanlagen sowie Verwaltungs- und Laborgebäude.
Heute
Heute ist der Standort Flandersbach das größte Kalkwerk Europas. Seit 1999 wird die Anlage von der Lhoist Germany-Rheinkalk GmbH betrieben.
Überblick der Brüche um Wülfrath
Name des Steinbruchs | Betriebsdauer | Letzter Betreiber |
Bruch Hammerstein | 1887-1952 | RWK Dornap |
Bruch Schlupkothen | 1899-1959 | RWK Wülfrath |
Bochumer Bruch | 1839, 1890, 1920-1958 | RWK Wülfrath |
Bruch Rohdenhaus, Brüche I-II | 1904-ca. 1939, 1958 bis heute | RWK Wülfrath, jetzt Lhoist Rheinkalk GmbH |
Bruch Prangenhasu, Bruch IV | 1907-1994 | RWK Wülfrath |
Bruch Dachskuhle | ca. 1965-ca. 1985 | RWK Wülfrath |
Bruch Silberberg | 2008 bis heute | Lhoist Rheinkalk GmbH |
Schlammteich Eignerbach | 1939-2001 | Lhoist Rheinkalk GmbH |
(Jörn Kling, 2021)