Westwallrelikte im Bienwald

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Fachsicht(en): Landeskunde
  • Übersichtskarte zu den Westwallrelikten im Bienwald (2018)

    Übersichtskarte zu den Westwallrelikten im Bienwald (2018)

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    Matthias C.S. Dreyer
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Der Bienwald ist seit Jahrhunderten Naturraum und Grenzregion zugleich. Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert hinterließ die Geschichte der beiden Nachbarstaaten Frankreich und Deutschland (bzw. Kurpfalz) umfangreiche Spuren kriegerischer Auseinandersetzungen in und um den Bienwald, die paradoxerweise mit dazu beitrugen, den grenzgeprägten Bienwald zu erhalten. Der Bienwald diente in früheren Zeiten nicht nur als Holzressource (Stichwort: Mundatwald), sondern auch als grenznahe undurchdringliche Naturgrenze.
Im Bienwald finden sich Redouten bzw. Schanzen entlang der Lauter („Weißenburger-Linien“ oder „Lauter-Linien“), die auf den Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) und den der Französischen Revolution nachfolgenden Ersten Koalitionskrieg (1792-1797) hinweisen. Am westlichen Ende des Bienwalds findet sich mit der Weißenburger Senke der Ort, an dem der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 begann.
Die häufigsten Relikte, verteilt über die gesamte Ausdehnung des Bienwaldes, stammen jedoch aus dem Zweiten Weltkrieg. Dazu zählen zahlreiche Bunker, Panzergräben und Höckerlinien. Die Bauwerke waren einst Teil des sogenannten „Westwalls“. Dadurch bekam der gesamte Bienwald, der weithin bekannt ist als wertvoller Naturraum, bis in die Gegenwart eine außerordentlich sichtbare und erlebbare historisch-kulturlandschaftliche Prägung.

Geschichtlicher Hintergrund
Der „Westwall“ zwischen Pfälzerwald und Rhein
Westwall-Relikte im Bienwald: ein Paradoxon
Bunker, Höcker und Gräben: Vielfalt und Verbreitung von Westwall-Relikten im Bienwald
Internet, Literatur

Geschichtlicher Hintergrund
Der „Westwall“ ist ein aus dem Zweiten Weltkrieg stammendes rund 600 Kilometer langes militärisches „Verteidigungssystem“ im Bereich der ehemaligen Westgrenze des Deutschen Reiches. Die Festungslinie zwischen Basel und der deutsch-niederländischen Grenze am Niederrhein war ein System bestehend aus Bunkern, Stollen, Gräben, Minenfeldern und Panzersperren. Heute sind Teile dieses Ausbaus noch als Relikte erkennbar. Der „Westwall“ wurde entlang seiner 600 Kilometer unterschiedlich stark ausgebaut. Zu den frühen Ausbauschwerpunkten zählten die drei militärisch-historischen „Einfallspforten“ von Frankreich nach Deutschland: an der Mosel bei Trier, am Isteiner Klotz bzw. der Engstelle entlang des Rheins im Markgräfler Land und schließlich im Bereich der Weißenburger Senke (so genannter Otterbach-Abschnitt).
Die Errichtung des „Westwalls“ erfolgte in den Jahren 1936 bis 1940. Bereits in den Jahren 1930 bis 1936 war die Maginot-Linie, das Pendant zum „Westwall“ auf französischer Seite, entstanden. In den elsass-lothringischen Abschnitten Belfort (bei Basel), Lauter und Metz (inkl. Verdun) war das französische Verteidigungssystem am stärksten ausgebaut (zum Beispiel das Festungsbauwerk Ouvrage Schoenenbourg südlich von Wissembourg).
Der „Westwall“ und auch die Maginot-Linie sollten, über eine psychologische Wirkung hinaus (der „Westwall“ als angeblich unbezwingbares „Bollwerk“), tatsächlich militärisch von wenig Nutzen sein. Bei der Einnahme Frankreichs durch die Wehrmacht im Sommer 1940 zeigte sich die Maginot-Linie wirkungslos, da mit dem Schlieffen-Plan der Wehrmacht die Hauptbefestigungsbereiche in den Vogesen und bei Verdun nördlich umgangen wurden. Im gleichen Zug wurde der „Westwall“ wirkungslos, da er sich nach der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht nicht mehr in Frontnähe befand. In der Folge wurde der „Atlantikwall“ entlang der französischen Nordküste (Bretagne, Normandie, Picardie) stark ausgebaut. Der „Westwall“ wurde in Teilen desarmiert zugunsten des „Atlantikwalls“, indem Bunkerwaffen dorthin verlagert wurden.
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Erst mit dem Vorrücken der Alliierten als Folge der Landung in der Normandie (Operation Overlord, ab 6. Juni 1944) erlangte der „Westwall“ erneut Bedeutung. Auf die Landung der Alliierten in der Normandie folgte die Befreiung von Paris (25. August 1944). Der „Westwall“ rückte durch den weiteren Vormarsch der Alliierten in Richtung Rhein nunmehr wieder in den Blickpunkt. Der zu diesem Zeitpunkt desarmierte „Westwall“ musste im Laufe des Jahres 1944 zunächst wieder mit Waffen bestückt werden, denn diese waren nach 1940 zum „Atlantikwall“ verlagert worden.
Bereits im November und Dezember 1944 standen die Alliierten im Abschnitt zwischen Saar und Rhein bereit, um ins Deutsche Reich einzudringen. Die „Ardennen-Offensive“ der Wehrmacht vom Dezember 1944 und eine weitere letzte deutsche Offensive im Januar 1945 verhinderten den Einmarsch der Alliierten zunächst. Erst im März 1945 begann die Besetzung des Deutschen Reiches. Innerhalb weniger Tage im März wurden die Westwall-Barrieren im Bereich des Bienwalds überwunden. Dabei wurden insbesondere die Höckerlinien bereits zu diesem Zeitpunkt in Teilen gesprengt. In der Folge schob sich die Frontlinie rasch Richtung Rhein. Noch in den letzten Märztagen wurde mittels errichteter Militärbrücken der Rhein bei Maximiliansau und Germersheim überwunden. Rheinabwärts gelang die Rheinquerung durch die Amerikaner deutlich früher, beginnend mit der Einnahme der zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprengten Ludendorff-Brücke bei Remagen am 7. März. Die weiteren Wochen im April waren gekennzeichnet vom raschen Voranschreiten der Alliierten und von der deutschen Kapitulation am 8. und 9. Mai.
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Der „Westwall“ zwischen Pfälzerwald und Rhein
Die Westwallrelikte im Bienwald stehen im größeren Kontext des Otterbach-Abschnitts des Westwalls, der einst die Weißenburger Senke sicherte. Der Otterbach-Abschnitt (oder Abschnitt des Festungspionierstabs 20) zog sich einst wie eine bandartige Festungslinie, bestückt mit unterschiedlichen Bestandteilen des „Verteidigungssystems“, vom Rhein bei Neuburg ausgehend in west-nordwestlicher Richtung bis zu den ersten Höhenzügen des Pfälzerwaldes bei Oberotterbach. Mit die größte Invasionsgefahr, wenn man auf französisch-deutsche Konflikte seit dem frühen 18. Jahrhundert zurückblickt, bestand im Bereich der Weißenburger Senke. Diese, benannt nach der heutigen französischen Stadt Wissembourg, bildete seit jeher für Armeen die am günstigsten zu durchschreitende Stelle zwischen dem gebirgigen Pfälzerwald und dem dicht bewaldeten und häufig durchnässten Bienwald.
Die Ausdehnung des Otterbach-Abschnitts erstreckte sich in Ost-West-Richtung vom Rhein bei Neuburg am Rhein durch den Bienwald (südlich von Büchelberg sowie südlich der Orte Schaidt und Steinfeld) und bis zu den östlichen Gipfeln des Pfälzerwalds oberhalb von Oberotterbach (Hohe Derst, 561 Meter). In der Süd-Nord-Tiefe war der Otterbach-Abschnitt in mehrere Verteidigungslinien von Schweigen-Rechtenbach bis in die Landauer Umgebung gestaffelt.
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Westwall-Relikte im Bienwald: ein Paradoxon
Der Bereich zwischen Pfälzerwald und Bienwald, die Weißenburger Senke, war aus damaliger militärischer Sicht die verwundbarste Stelle des „Westwalls“. An ihrer engsten Stelle bei Altenstadt und Weißenburg ist die Senke mit dem hindernisfreien Durchlass nur rund 1.500 Meter breit. Beiderseits von dieser Engstelle befinden sich mit dem Pfälzerwald bzw. den Nordvogesen und dem Bienwald natürliche Barrieren.
Die 1.500 Meter schmale Engstelle bei Wissembourg weitet sich nach Nordosten fächerförmig zum Bienwald auf. Zwischen Oberotterbach und Schaidt befand sich einst der mit Abstand am stärksten befestigte Abschnitt des gesamten 600 Kilometer langen „Westwalls“. Auf einer Strecke von rund 10 Kilometer, zwischen Oberotterbach und Schaidt, befanden sich einst 14 sogenannte „B-Werke“.

Das „B-Werk“ bildete den größten Bunker-Typ des „Westwalls“. Insgesamt gab es 32 dieser „B-Werke“ verteilt über die 600 Kilometer „Westwall“. Davon standen 14 entlang der 10 Kilometer zwischen Oberotterbach und Schaidt, um die Weißenburger Senke zu sichern. Es handelte sich demnach ohne Zweifel um den zentralen Abschnitt des gesamten „Westwalls“.

Das heutige Vorhandensein und die Erlebbarkeit des „Westwalls“ im Bereich der Südpfalz bildet ein Paradoxon. Der am stärksten befestigte Abschnitt mit den 14 „B-Werken“ wurde unmittelbar nach Kriegsende gründlich gesprengt und beseitigt. Spuren von Relikten in der heutigen Acker- und Weinbaulandschaft zwischen Oberotterbach und Schaidt sind gering.
Im Bienwald wurden zwar alle Bunker 1946 durch die französische Besatzungsmacht gesprengt. Jedoch haben Relikte die Jahrzehnte überstanden. So ist heute der Westwall-„Nebenschauplatz“ Bienwald paradoxerweise der Abschnitt zwischen Pfälzerwald und Rhein, in dem die meisten Relikte erhalten blieben.
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Bunker, Höcker und Gräben: Vielfalt und Verbreitung von Westwall-Relikten im Bienwald
Relikte des „Westwalls“ im Bereich des Bienwalds umfassen Bunker, vom Einmannbunker bis zum 90-Mann-Bunker, Panzersperren als Höckerlinie und Panzersperren in „nasser“ Form als wassergefüllte Panzergräben.
Zwischen Pfälzerwald und Rhein befanden sich im Zweiten Weltkrieg auf einer Strecke von rund 30 Kilometer über 500 Bunkerbauten unterschiedlichster Art und Größe, davon gut 300 im Bienwald (Westwall-Weg-Tafeln Steinfeld Nr.13 und Niederotterbach). Die Dichte der Bunkerbebauung betrug somit knapp 20 Bunkerbauwerke pro Kilometer „Westwall“. Im Bienwald ist ein durchgehender, der Frontlinie des „Westwalls“ entsprechender, Korridor mit Bunkerrelikten auch noch in der Gegenwart nachvollziehbar. Der Korridor erstreckt sich vom Nordwestrand des Bienwalds bei Steinfeld und Schaidt bis zu Bunkerrelikten am Ostrand des Bienwalds nahe Neuburg und Berg.
Das sogenannte „B-Werk“ war das größte Bunkerbauwerk im Bereich des „Westwalls“. „B“ bezog sich auf die Ausbaustufe „B“ mit 1,5 bis 2 Meter dicken Wänden. Es erstreckte sich über eine Fläche von 26 mal 18 Meter mit drei unterirdischen Stockwerken für 90 Soldaten. „B-Werke“ sicherten die militärisch verwundbarste Stelle der Weißenburger Senke zwischen Pfälzerwaldrand und Bienwaldrand. Nur ein B-Werk-Relikt findet sich am Nordrand bzw. innerhalb des Bienwalds. Das „B-Werk Kiefernwald“ am westlichen Ortseingang von Schaidt wurde 1946 gesprengt und später dann mit Erdreich überdeckt.

Der „Regelbau 10“ war nur rund 11 Meter lang und breit und bot Raum für 10 bis 15 Soldaten. Es handelt sich um das am „Westwall“ am häufigsten erbaute Bunker-Modell und demnach auch um das am häufigsten vorzufindende Bunker-Relikt im Bienwald. Die Relikte des „Regelbaus 10“ tragen maßgeblich dazu bei, den Westwall-Korridor im gesamten Bienwald auch noch in der Gegenwart nachvollziehen zu können. Anderthalb Meter tief, 1,20 Meter breit mit einer 80 Zentimeter breiten runden Öffnung lauteten die Maße eines Einmannbunkers, der zunächst entlang des „Westwalls“ nicht vorgesehen war. Erst im Jahr 1944, im Zuge der notwendig gewordenen Reaktivierung der Westwall-Anlagen, wurden Einmannbunker geplant und umgesetzt. Das Bauwerk bot einem Soldaten mit Maschinengewehr oder Panzerfaust Schutz vor der Gefahr, von einem Panzer überrollt zu werden. Im Bienwald findet man nur noch wenige Bunker dieses Typs, die unversehrt geblieben sind.
Der Bunker mit den geringsten Dimensionen war der Munitions„bunker“, der eigentlich ein Minendepot war. Das unbemannte Bauwerk in der Größe eines kleinen Kühlschranks bot Platz für Minen oder andere Sprengmittel, um beispielsweise beim Herannahen feindlicher Truppen eine kleine Brücke im Waldbereich zu sprengen.
Vom östlichen Rand des Pfälzerwaldes bei Oberotterbach durch die Weißenburger Senke bis zum nördlichen Rand des Bienwaldes bei Steinfeld und Schaidt erstreckte sich einst eine knapp 10 Kilometer lange Panzersperre aus Beton. Umgangssprachlich wird diese als Höckerlinie oder Drachenzähne bezeichnet.
Die Höckerlinie ist eine Panzersperre aus Stahlbeton. Die im Jahr 1938 errichtete Höckerlinie bestand zunächst aus vier Reihen und einem verbindenden Fundament. Durch eine Verstärkung im Jahr 1939 verdoppelte sich die Dimension auf acht Reihen mit einer Tiefe von 21 Meter (ehemals 7 Meter). Die Höhe der einzelnen Höcker erreichte eine Höhe von bis zu 1,5 Meter. In der ersten Ausbaustufe 1938 waren es nur ein Meter Höhe.
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Als Relikte der 10 Kilometer langen Höckerlinie zwischen Pfälzerwald und Bienwald erhalten geblieben sind nur wenige kurze Abschnitte am Bienwaldrand bei Steinfeld, bei Niederotterbach und als Höckerlinie der hinteren Verteidigungslinien in Mörzheim und Göcklingen. Am umfangreichsten blieb die 500 Meter lange Höckerlinie am Südwestrand von Steinfeld erhalten. Südlich der Bahngleise geht sie über in die sogenannte „nasse“ Panzersperre, der Panzergraben, der wiederum in den Nordrand des Bienwalds hineinragt.
Panzergräben sind wassergefüllte Gräben, die als „nasse“ Panzersperren dienten. Im Bereich zwischen Pfälzerwald und Rhein finden sich Panzergräben in Ortsrandnähe und im Übergangsbereich von Höckerlinie gesichertem Ackerland zum Wald. Die Panzergräben am Rand des Bienwalds sind rund 30 Meter breit und wenige Meter tief. Die noch heute existierenden Teilstücke bei Schaidt und bei Steinfeld haben eine Länge von rund 600 bis 800 Meter. Das längste Relikt befindet sich am östlichen rheinzugewandten Ende des Bienwaldes. Es verbindet auf einer Länge von 2,5 Kilometern den Bienwaldrand mit den Rhein-Altarm-Flussschleifen bei Neuburg.

(Matthias C.S. Dreyer, Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd, 2018)

Internet
steinfeld-pfalz.de: Steinfeld ein Dorf im Westwall (abgerufen 10.04.2018)
pwv-schaid.de: Pfälzwald-Verein Schaidt - Westwallwanderwege (abgerufen 10.04.2018)
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Literatur

Alter, Willi (1963)
Pfalzatlas. Textbände I bis IV sowie 2 Kartenbände mit Nrn. 1 bis 175. Im Auftrag der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1963-1994). Speyer.
Keddigkeit, Jürgen / Alter, Willi (Hrsg.) (1984)
Das militärische Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 II. Der Rückzug der deutschen Truppen. (Pfalzatlas. Karten, 111.) Speyer.
Keddigkeit, Jürgen / Alter, Willi (Hrsg.) (1984)
Das militärische Ende des Zweiten Weltkrieges 1945. Der Vormarsch der alliierten Truppen. (Pfalzatlas. Karten, 110.) Speyer.
Werhan, Walter / Alter, Willi (Hrsg.) (1981)
Westwall und Maginotlinie 1939 I. Landau - Weißenburg. (Pfalzatlas, Karten 93.) Speyer.
Werhan, Walter / Alter, Willi (Hrsg.) (1981)
Westwall und Maginotlinie 1939 II. Zweibrücken - Bitsch. (Pfalzatlas, Karten 94.) Speyer.

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Matthias C.S. Dreyer, „Westwallrelikte im Bienwald”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/SWB-277941 (Abgerufen: 26. April 2024)
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