Der Zollverein-Komplex in Essen erhält seine überragende Bedeutung durch die Zentralschachtanlage 12. Sie ist in ihrer Gesamtheit eine technisch-architektonische Spitzenleistung der 1920er Jahre und gilt als Hauptwerk der Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland.
Gesamtanlage Die Gesamtanlage der 1928-32 von Fritz Schupp und Martin Kremmer gestalteten und 1957/58 besonders in technischer Hinsicht umgebauten Zeche wird beherrscht von zwei sich kreuzenden Achsen, in deren Schnittpunkt ein rasenbegrünter Platz liegt. Im Blickpunkt der Hauptachse, die, an der Gelsenkirchener Straße beginnend, zunächst durch die kurze Zufahrtsstraße und zwei gleich große Torhäuschen definiert wird, liegt das 55,0 Meter hohe Fördergerüst. Die zweite Achse, anfangs formuliert durch zwei, eine enge Gasse bildende Werkstattgebäude, zielt auf das Kesselhaus und hatte als Blickpunkt den 106,25 Meter hohen Kamin (nicht erhalten). Der gleichmäßige Aufbau des zentral in der Gesamtanlage angeordneten Doppelstrebengerüstes inspirierte zu einer an Symmetrie und Achsenwirkung orientierten Anordnung der Gebäudekörper. Der Verzicht auf eine radikale Durchsetzung der Prinzipien Symmetrie und Axialität, führt schon bei den Bauten der Eingangszone zu gestalterisch fruchtbringenden Spannungen: die Überhöhung des Umformergebäudes an der linken Seite des zentralen Platzes antwortet auf den rechts an die Schachthalle anschließenden Schenkel des Wagenumlaufs. Durch diesen Teil des Wagenumlaufs, der zunächst im Erdgeschossbereich offen war, 1957 bei Umstellung auf Skipförderung aber unten eine geschlossene Wandscheibe an dieser Platzseite erhielt, wurde und wird das Fördergerüst nur mit der linken Hälfte vollständig sichtbar. In der anderen Achse bringen die beiden unterschiedlich großen Kompressorenhäuser, die als Flügelbauten dem Kesselhaus vorgelagert sind, Auflockerung in die Strenge der Achsenwirkung. Noch stärker spürbar wird die Variation des in der Eingangszone verwendeten Motivs im rückwärtigen Bereich. Kräftige Akzente setzen links vom Fördergerüst Wäsche und Kokskohlenturm. Diese beiden Bauten wirken deutlich in das Bild der Eingangszone hinein und sind im Sinne einer ausgewogenen Baumassengliederung wichtige Ergänzungen zu Schalthaus, Umformergebäude und Schachthalle. Die auf der anderen Seite des Wagenumlaufs durch Wipperhalle/Separation und Bergebunker erfolgte Akzentuierung der Gesamtanlage ist optisch weniger markant.
Fassaden Den ästhetischen Reiz des Baukomplexes macht die gleichmäßige Aufteilung der Fassaden aus, deren Einheitlichkeit durch das Raster des Stahlfachwerks noch gesteigert wird. Alle Gefache haben eine Höhe von 2,0 Metern und zeigen in der Regel extrem längsrechteckige Formate. Nur die Eckfelder und zuweilen die Gefache neben den Fenstern haben hochrechteckige Formate. Abweichend vom Normalfall haben die turmartige Schachthalle und das Kesselhaus vertikale Fensterbänder, wohl um die besondere Situation dieser in den Hauptblickachsen liegenden Bauteile zu unterstreichen. Zum Teil werden zur Belichtung der größeren Hallen für Kompressoren, Umformer, Fördermaschinen und die Lesebänder in der Separation große Fensterflächen in die Fassaden eingefügt. Immer sind die Fenster aber in schlanke hochrechteckige Formate unterteilt, so dass sich aus den unterschiedlichen Formaten der Fenster und Gefache ein spannungsreicher Kontrast entwickelt. Wenig Rücksicht nimmt die Wahl der überwiegend querrechteckigen Formate für Fenster und Gefache auf die innerhalb der Fassaden wirksamen statischen Kräfte. Bei den minimal bemessenen Profilen des Stahlfachwerks waren die großen Spannweiten zwischen den Stielen, besonders über den Fenstern, nur durch innenliegende Verstärkungen zu bewältigen. Um mit den leichten Stahlprofilen einen graphischen Effekt zur Gliederung der Baumassen zu erzielen, wurden bautechnisch durchaus problematische Lösungen verwirklicht. Die Leichtigkeit der Fassadenkonstruktion ist eine Illusion, die in provozierender Weise - ein Merkmal des Konstruktivismus - die hier nicht eingelösten Möglichkeiten des Materials demonstrieren.
Konstruktion Ermöglicht wurde die freie Gestaltung der Fassaden durch die generell durchgeführte Trennung von innerer Primärkonstruktion und außen vorgeblendeten, raumabschließenden Fassadenelementen. Die Primärkonstruktion besteht durchgängig aus Zweigelenkrahmen in Vollwandbauweise - eine Konstruktionsart, die auch Horizontalkräfte aus Winddruck aufzunehmen vermochte. Man erreichte dadurch eine Reduktion der queraussteifenden Diagonalstreben oder Andreaskreuze, die das klare Bild der Innenräume verunklärt und bei Anordnung der Fenster gestört hätten. Die allerdings generell dennoch nicht verzichtbaren Queraussteifungen wurden bei den doppelschaligen Wänden mit Flacheisen so in den Wandaufbau integriert, dass sie innen und außen nicht in Erscheinung treten. Bei Bauten mit einschaligem Mauerwerk sind die Andreaskreuze unter den Dachflächen angeordnet, um auch hier den ruhigen Wandaufbau der Innenwände nicht zu stören.
Kubismus Konsequent aus dem orthogonalen System des Fassadenaufbaus abgeleitet ist die kubische Gestaltung der Gebäudekörper. Die Dächer spielen im Erscheinungsbild der Anlage keine Rolle. Die Stahlfachwerkfassaden werden weit über die tragenden Binder hinweg gezogen und schließen oben mit einem U-Profil ab. Zum kubischen Erscheinungsbild tragen auch die außenbündig in die Fassaden eingesetzten Fenster mit undurchsichtigem Drahtglas und die im Farbton der Ziegelsteine gestrichenen Stahlfachwerkteile bei.
Außenanlagen Die vor und neben dem Fördergerüst befindlichen Gebäude sind überwiegend eingebunden in ein System von Rasenflächen. Die Einfasssung der Rasenflächen besteht aus hochkant gestellten Ziegeln als Kantensteine. Die Fahrwege sind gepflastert mit Blaubasaltsteinen (Kleinpflaster) und die Gehwege mit Ziegelsteinen belegt. Die Beleuchtung erfolgt mit eigens für die Schachtanlage gefertigten Laternen. Eingelassen in die Pflasterung durchzieht ein Netz von Schmalspurgleisen die Wege der Schachtanlage. Die Gleise reichen vom Schacht bis in die einzelnen Werkstätten und dienten dem Transport der Werkstücke. Nördlich der Lesebandhalle überbrückt eine lange Fußgängerbrücke die ehemals hier aus der Sieberei herausführenden Gleise. Die Brücke ermöglichte den direkten Zugang zur Lesebandhalle, zum Bergebunker und über die Verbindungsbrücke auch zur Schachtanlage 1/2/8.
Bedeutung Der Zollverein-Komplex in Essen erhält seine überragende Bedeutung durch die Zentralschachtanlage 12. Sie ist in ihrer Gesamtheit eine technisch-architektonische Spitzenleistung der 1920er Jahre und gilt als Hauptwerk der Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Wesentliche Bedeutung haben die Umbau- und Ergänzungsbaumaßnahmen aus den 1950er Jahren. Unter Beibehaltung der alten Hüllen wurde dadurch der Schacht 12 dem neuzeitlichen technischen Standard angepasst, ohne dass die Spuren der alten Fördertechnik (Wagenförderung) vollständig verloren gingen.
Baudenkmal, Hinweise Das Objekt Zeche Zollverein ist ein eingetragenes Baudenkmal (LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Datenbank-Nr. 729, Denkmalliste Essen, laufende Nr. 911). Seit 2001 gehört die Zeche Zollverein und die Kokerei Zollverein in Essen als Kulturerbe zur Liste der UNESCO-Welterbe-Stätten in Deutschland. Die Zeche Zollverin war KuLaDig-Objekt des Monats im August und September 2010.
(Walter Buschmann, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, 2010)
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