Bei Betrachtung der Silhouette der Stadt Oberwesel lässt sich die Stadtmauer mit ihren vielen Türmen und Toren als Besonderheit ausmachen, sodass es nicht verwunderlich ist, dass Oberwesel heute als Stadt der tausend Türme bezeichnet wird. Eine exakte Datierung der Bauphase lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Was jedoch außer Frage steht, ist die Tatsache, dass Oberwesel heute über eine der ältesten und umfangreichsten Stadtmauern am Mittelrhein verfügt. Zudem handelt es sich um eine der besterhaltenen Stadtmauern Deutschlands. Dies war unter anderem der Grund, das Obere Mittelrheintal als UNESCO-Weltkulturerbe auszuschreiben.
Mit dem Bau der Stadtmauer wurde nach der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert begonnen. Die Stadtmauer sollte der Bevölkerung Schutz vor Angriffen sowie vor Hochwasser und Eisgang bieten. Darüber hinaus diente die umfangreiche Wehranlage auch der Demonstration von Reichtum und Macht. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Stadtmauer einen schrittweisen Ausbau aufweist. Die Bautätigkeiten erstreckten sich über drei Jahrhunderte. Grund hierfür ist, dass die Stadt Oberwesel mehrmals von Pestepidemien heimgesucht wurde und zeitweise kaum über 1000 Einwohner verfügte.
Doch auch die aufwändige Stadtbefestigung konnte die Bewohner im Mittelalter nicht vor Brandschatzung, Plünderung und Eroberung schützen. Vor allem im „Weseler Krieg“ 1390 / 1391 erlitten die Bewohner große Verluste. Dieser Krieg resultiert aus der Tatsache, dass die Oberweseler dem Kurfürsten Werner von Falkenstein und dem Trierer Erzbischof nicht huldigen wollten. In den Folgejahren wurde die Verteidigung der Stadt durch neue Waffentechniken immer schwerer, sodass die mittelalterliche Stadtbefestigung mit der Zeit ihre schützende Funktion verlor. Auch der Dreißigjährige Krieg sowie der Pfälzer Erbfolgekrieg setzten der Stadtmauer und den Bewohnern schwer zu. In den anschließenden Friedenszeiten musste die Stadtmauer an manchen Stellen den neueren Baumaßnahmen weichen.
Dennoch ist die Stadtmauer mit ihren Türmen und Rund- sowie Spitzbogenpforten noch gut erhalten und dient heute als Zeitzeuge der Bautechnik und -kunst des Mittelalters. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Türme einst aus repräsentativen Zwecken weiß verputzt und mit grau aufgemalten Fugen profiliert wurden.
Errichtung der Stadtmauer Im Folgenden soll eine Übersicht über die Bautätigkeiten an der Stadtmauer gegeben werden. Konkrete Daten lassen sich an dieser Stelle nicht rekonstruieren, jedoch können verschiedene Bauphasen voneinander abgegrenzt werden. Bei genauer Betrachtung der Stadt Oberwesel fällt auf, das die Mauer zwischen einem steilen Berghang und dem Rheinstrom liegt. Somit haben die Topographie und das alte Wegenetz den Verlauf der Mauer größtenteils bereits vorgegeben.
Erster Bauabschnitt Etwa um 1220 wurde mit dem Bau der Stadtbefestigung begonnen. Hierbei wurde zunächst die Kernstadt zwischen dem Ober- und Niederbach inklusive der Martinskirche mit einem niedrigen Wehrgang ummauert. An dieser Stelle verfügte der Wehrgang über Zinnen. Grund für die Errichtung einer Stadtmauer war wahrscheinlich die Loslösung von Magdeburg sowie die Befreiung vom Vogteirecht der Schönburger. Dies sollte zur Reichsunmittelbarkeit führen. Es wird vermutet, dass an der Rheinseite mit dem Bau der Rheinanlage begonnen wurde. Von dort aus wurde die Stadtbefestigung sukzessive nach Süden und Norden ausgedehnt. Um 1240 wurde vermutlich die Stadtmauer um die Kernstadt herum erhöht und mit Brustweheren und Zinnen ausgestattet. Zudem wurden zusätzliche fünf Schalentürme, die zur Stadt hin offen waren, errichtet. Etwa um dieselbe Zeit schloss sich die westliche Erweiterung der Stadtmauer an. Zwischen 1220 und 1250 wurden zudem das mittelalterlichen Straßensystem sowie der Marktplatz angelegt.
Zweiter und dritter Bauabschnitt Zehn Jahre später (um 1250) wurde die südliche und anschließend die nördliche Vorstadt Niederburg in den Mauerring aufgenommen. Zusätzlich wurde der Graben um die Stadtmauer erweitert. Die stetige Erweiterung des Mauerrings hielt aufgrund der wachsenden - wenn auch durch die Pest bedingt schwankenden - Einwohnerzahlen bis 1450 an.
Vierter Bauabschnitt Der letzte Bauabschnitt, welcher der Erweiterung der Stadtmauer diente, bezieht sich auf die Ummauerung der südlich gelegenen Siedlung Kirchhausen mit der Liebfrauenkirche um 1350. Gründe für den mehrere Jahrhunderte andauernden Mauerbau waren wie bereits angesprochen, die Pestepidemien sowie die mittelalterlichen Kriege bzw. lokale Fehden. Vor allem führte die Belagerung Oberwesels (1389 / 1390) durch den Trierer Erzbischof (Kuno von Falkenstein) zu einem vorübergehenden Baustopp.
Baumaterial und Zahlen der Stadtmauer Die Stadtmauer besteht primär aus Schieferbruchsteinen. Zur Verzierung der Mauer und der Türme wurde zudem Kalksandstein, Rotsandstein sowie Basalt verwendet. Vor allem in späteren Bauphasen sowie bei den Rundtürmen wurde vermehrt der Rotsandstein, der optisch im Zusammenhang mit den Kirchenbauten steht, verwendet. Außerdem wurden für die Schießscharte, Zinnrahmungen, Gesimse, Konsolen sowie für die Bogenfriese häufig auch Ziegel verwendet.
Die Nord-Südausdehnung der innerhalb der Stadtmauer gelegenen Stadt beträgt 1200 Meter, wohingegen die Ost-Westausdehnung an der breitesten Stelle lediglich 300 Meter beträgt und an der schmalsten Stelle keine 150 Meter umfasst. Ganz abstrahiert betrachtet, bildet die Stadtmauer ein schmales Trapez. Dies ist aus strategischen Gesichtspunkten eher als ungünstig zu bewerten. Die Stadtbefestigung umfasst insgesamt eine Länge von 2575 Metern. In den steilen Hanglagen am Felsenturm oder am Michelsfeld musste die Stadtmauer auf Pfeilerfundamenten gegründet werden. Grundsätzlich wurde die Stadtmauer jedoch auf einem Seitenfundament errichtet wurde, welches 1,50 Meter unter dem heutigen Stadtniveau liegt. Die Mauerstärke beträgt in der Regel 2,40 Meter. An der Rheinseite, von wo aus weniger Gefahr drohte, ist die Mauer ca. 8,50 Meter hoch. Am Michelsfeld erreichte sie hingegen eine Höhe von 11 Metern und um die Vorstadt Niederburg herum liegt die Mauerhöhe auf 16 Metern, da von Norden lokale Fehden befürchtet wurden. Insgesamt verfügte die Stadtmauer Ende des Mittelalters über 22 Türme. Die meisten Türme waren weiß oder rot verputzt und mit Schmuckelementen verziert, um den Reichtum der Stadt zu präsentieren. Bei acht der Türme handelte es sich um Tortürme. Drei große Stadttore wurden nicht durch einen Turm flankiert. Neben den 11 Stadttoren wurden 13 Pforten in die Mauer eingelassen. Jede Gasse zum Rhein erhielt einst eine eigene Pforte, wohingegen sich auf dem Michelsfeld lediglich zwei Pforten befinden. Alle Pforten wurden durch Wehrerker gesichert.
Schutz und Erhaltung der Stadtmauer Heute sind von den einst 22 Türmen noch 16 Türme erhalten und von drei weiteren Türmen sind noch Überreste erkennbar. Hierfür ist nicht zuletzt der Bauverein Historische Stadt Oberwesel e.V. verantwortlich. Der Bauverein wurde 1993 gegründet. Die Bürger Oberwesels haben somit in Eigenleistung maßgeblich zur Sanierung und Erhaltung und Pflege der Stadtmauer beigetragen. Folgende Ziele verfolgt der Bauverein Historische Stadt Oberwesel e.V.: • Die Stadtmauer soll in ihrer Originalsubstanz möglichst unverfälscht erhalten bleiben • Notwendige Sanierungsmaßnahmen zum Erhalt und zur Pflege der Stadtmauer • Teile der Stadtmauer sollen begehbar sein • Konzeption eines Rundwegs durch Oberwesel, der die Stadtmauer, die beiden gotischen Kirchen sowie die Schönburg miteinschließt • Entwicklung eines Stadtführers - Dieser wurde mit dem Titel „Eine Zeitreise durch Oberwesel“ im Jahr 2000 veröffentlicht
Zur Umsetzung dieser Ziele erhält der Bauverein Historische Stadt Oberwesel e.V. finanzielle Unterstützung der Europäischen Union (Europäische Fonds für regionale Entwicklung), der deutschen Stiftung für Denkmalschutz, dem Land Rheinland-Pfalz, dem Rhein-Hunsrück-Kreis, der Verbandsgemeinde St. Goar - Oberwesel sowie der Stadt Oberwesel. Zwischen 1995 und 2011 wurden bereits folgende Sanierungsmaßnahmen durchgeführt: • 1995 Sanierung der rheinseitigen Stadtmauer mit Startpunkt am Steingassenturm sowie der bergseitigen Stadtmauer zwischen dem Felsenturm und dem Koblenzer Torturm • 1996 Sanierung der Stadtmauer vom Plan bis zum Steingassenturm / Begehbarmachung der Stadtmauer und des Steingassenturms • 1997 Sanierung des Mauerabschnitts zwischen dem Felsenturm und dem ehemaligen Niederburger Torturm / Rekonstruktion eines Fallgatters am Koblenzer Torturm / Provisorische Befestigung des Fußweges am Stadtgraben / Fortsetzung der Sanierungsarbeiten an der rheinseitigen Stadtmauer • 1998 Fortsetzung der touristischen Erschließung der rheinseitigen Stadtmauer / Sanierung der Stadtmauer zwischen dem Pulverturm und dem Kuhhirtenturm • 1999 Begehbarmachung der Stadtmauer an der Rheinseite / Sicherungsarbeiten an der Stadtmauer am Michelfeld / Hinweis bzw. Infotafeln zur Geschichte der Stadtmauer / Beginn der Sanierung des Zehnerturms • 2000 / 2001 weiterführende Sanierung der Stadtmauer am Michelfeld / Sanierung des Michelturms I / Weiterführung der Sanierungsarbeiten am Zehnerturm / Sanierung des Michelfeldturm II • 2002 Innenausbau des Zehnerturms (Informationsraum zur Zollfunktion der Türme) / Begehbarmachung der Stadtmauer vom Hospitalturm bis zur Münzgasse / Sanierungsarbeiten an der westlichen Stadtmauer • 2003 Sanierung und Begehbarmachung der Stadtmauer von der Münzgasse bis zum Schaarplatz • 2004 Beginn der Sanierungsarbeiten zwischen dem Michelfeldturm II und dem Kuhhirtenturm • 2005 Sanierung der Stadtmauer vom Mühlenturm (Niederbachtal) bis zum Pfaffenhütchen an der Martinskapelle • 2006 / 2007 Sanierung der Kurtine zwischen dem Pulverturm und dem Rasselberg / Säuberung und Freischneiden des Stadtgrabens • 2008 / 2009 Befestigung eines Fußwegs westlich der Stadtmauer • 2010 / 2011 Grundsanierung der Gewölbebögen zwischen dem Pulverturm und dem Kuhhirtenturm / Beginn der Sanierungsarbeiten an der Stadtmauer zwischen dem Mühlenturm und dem Niederburger Torturm
(Anne Gasper, Universität Koblenz-Landau, 2016)
Literatur
Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (1997)
Die Kunstdenkmäler des Rhein-Hunsrück-Kreises. Teil 2.2: Ehemaliger Kreis St. Goar. Stadt Oberwesel. S. 802-817, München u. Berlin.
Schwarz, Anton (2000)
Eine Zeitreise durch Oberwesel. Historischer Stadtführer. S. 29- 32, S. 56-61, Dielheim.
Schwarz, Anton; Monschauer, Winfried (2012)
Bürger im Schutz ihrer Mauern. S. 29-34, S. 97-153, Bingen am Rhein.
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