Westpfälzer Wandermusikantentum

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Fachsicht(en): Landeskunde
Napoleons Eroberungsfeldzüge und der Wiener Kongress bildeten den politischen Hintergrund für die Entstehung des westpfälzischen Wandermusikantentums. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen immer mehr Westpfälzer auf Wanderschaft, um der Not in der Heimat zu entfliehen. Viele zogen zunächst als Hausierer, später vermehrt auch als fahrende Musikanten durch die Lande. Rund ein Jahrhundert lang entwickelte sich das Wandermusikantentum stetig weiter, bis es mit dem Ersten Weltkrieg jäh ein Ende fand. Im 20. Jahrhundert wirkte es aber stark nach, wie unter anderem die Geschichte von Weltstar Frank Sinatra eindrucksvoll belegt.

Entstehung
Frühe Wandermusikanten
Blütezeit
Beim Zirkus
Wirtschaftliche Entwicklung
Niedergang
Internet


Entstehung
Die Westpfalz gehörte von jeher zu den landwirtschaftlich benachteiligten Regionen: Verkehrsanbindungen zu den Industriezentren waren im beginnenden 19. Jahrhundert nicht vorhanden, Missernten wie die der Jahre 1816/17 oder 1831 lösten regelmäßig Hungersnöte aus. Negativ für die Region wirkte sich auch der Rückgang des Bergbaus aus. Um dieser Not zu entfliehen wanderten viele Familien aus oder versuchten sich als Wanderarbeiter in den besser gestellten Regionen Europas zu verdingen. Der wirtschaftliche Aufschwung in Frankreich während der Herrschaft Napoleons zog zum Beispiel viele Deutsche nach Südfrankreich, wo sie Arbeit in den Häfen fanden. Gleichzeitig entwickelten sich Wandergewerbe verschiedener Berufszweige, die in Heimarbeit hergestellte Produkte auswärts verkauften, zum Beispiel Bürsten und Besen aus Ramberg oder Schuhe aus der Pirmasenser Gegend.
Die Gründe, warum sich die Bewohner des späteren Musikantenlandes zwischen Kusel, Kaiserslautern, Rockenhausen und Meisenheim ausgerechnet der Darbietung von Musik widmeten, sind nicht genau bekannt. Man nimmt an, dass die Bedeutung des kurpfälzischen Hofes in Mannheim als Musikzentrum Europas im 18. Jahrhundert in diese Entwicklung hineinspielte. Auch Bergleute, die für den Abbau der Bodenschätze an Königs- und Potzberg aus Sachsen, Thüringen oder dem Elsass angeworben worden waren und die in ihrer Freizeit die Volksmusik ihrer Heimat spielten, sollen zur Musikalität der Bewohner des Musikantenlandes beigetragen haben. Die Namen der Musikanten, die als erste musizierend umherwanderten und dadurch als Vorbilder gelten könnten, oder der Zeitpunkt ihrer ersten Reise sind unbekannt. Der während der Franzosenzeit eingeführte „Code civil“, der unter anderem die Gewerbefreiheit brachte, führte dazu, dass ab dem Jahr 1800 immer öfter die zusätzliche Berufsbezeichnung „Musikant“ zu finden ist.

Frühe Wandermusikanten
In den Anfangszeiten spielten die ersten Musikanten noch auf Kirchweihen oder anderen Festen in der Umgebung oder im benachbarten Ausland. Nachdem es sich wirtschaftlich offensichtlich lohnte, schlossen sich ab etwa 1830 immer mehr Kapellen zusammen, sodass auch das Reisegebiet ausgedehnt werden musste. Man bereiste anfangs vor allem die Gegenden, in denen viele Deutsche als Auswanderer oder Wanderarbeiter lebten, und kam bis Südfrankreich oder Spanien.
Die Zahl der Pässe, die für die Auslandsreisen ausgestellt wurden, stieg von Jahr zu Jahr. Auch die Bayerische Landesregierung - die Pfalz gehörte seit dem Wiener Kongress 1815 zum Königreich Bayern - wurde auf die wachsende Zahl der Musikanten aufmerksam. Da jedoch die wirtschaftliche Not in der Westpfalz somit gelindert wurde, beschloss man, nicht dagegen vorzugehen. Einzig schulpflichtigen Kindern, die immer öfter ihre Väter oder Verwandten begleiteten, wurde das Reisen verboten.
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Blütezeit
Ab dem Jahr 1850 waren es zunehmend ausgebildete Musiker, die in den Kapellen spielten. Die Kapellen bereisten nun das gesamte europäische Ausland und zogen auch nach Übersee - Asien, Australien, Afrika und vor allem Amerika waren lohnende Ziele. Überall waren sie als „Mackenbacher“ bekannt, auch wenn sie aus anderen Orten stammten: Mackenbach war jedoch ein typisches Musikantendorf, in dem zeitweise ein Viertel der Bevölkerung musikalisch tätig war. Die Zahl der Musiker und Kapellen stieg stetig an. Allein im Jahr 1909 wurden für den Bezirk Kusel anhand der Passanträge 1043 umherziehende Musikanten ermittelt. Da zu dieser Zeit in einige Länder auch ohne Reisepass gereist werden konnte - in England waren nur 100 Goldmark und ein gültiger Arbeitsvertrag vorzuzeigen - wird angenommen, dass um die Jahrhundertwende jedes Jahr um die 2500 Musikanten unterwegs waren.
Mit der Zeit wurden die Musiker professioneller und ihre Ausbildung besser. In den englischen Seebädern verbrachten wohlhabende Bürger die Sommermonate. Die westpfälzischen Musikanten waren dort willkommen, sofern sie sich den gestiegenen Ansprüchen des Publikums anpassten. Um in den Bädern und Kurorten engagiert zu werden, waren die gewöhnliche Straßenkleidung gegen Uniformen zu tauschen und die aktuellen Stücke bekannter Komponisten ins Repertoire aufzunehmen. Zur Verständigung mit Arbeitgebern und Amtspersonen musste zumindest der Kapellmeister Fremdsprachen beherrschen. Hubertus Kilian sprach beispielsweise Englisch und Französisch und verstand Italienisch und Spanisch. Es gab auch weiterhin Kapellen, die zu Fuß von Ort zu Ort durch die Auswanderergegenden zogen und auf Plätzen musizierten; die Erlöse allein aus den Straßenauftritten waren jedoch geringer. Wer sich nicht verständigen konnte und nur pfälzische Volksmusik im Programm hatte, konnte nicht auf feste Anstellungen hoffen.

Beim Zirkus
Ein anderes, krisensicheres Betätigungsfeld war der Zirkus, der auch nach dem Ersten Weltkrieg für einige Musiker noch Arbeitsmöglichkeiten bot. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich große Zirkusbetriebe, die manchmal mehrere Kapellen unterhielten. Der Bedarf an Musikern war groß, und viele Pfälzer, vor allem aus Mackenbach, fanden bei „Hagenbeck“, „Sarra Sani“ oder „Busch“ gut bezahlte Anstellungen. Die Musiker spielten den Zirkusdirektoren und Kapellmeistern im Kaiser's Saal im Gasthaus Kaiser vor, die teilweise das ganze Orchester mit Mackenbacher Musikern bestückten. Als Zirkusmusikanten kamen viele Mackenbacher bis nach Asien und in die USA. Die weite Verbreitung lässt sich auch im Baustil der sogenannten Musikantenhäuser absehen, die von fremdländischen Bauweisen und -stilen beeinflusst wurden.
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Wirtschaftliche Entwicklung
In den Heimatorten entwickelte sich der Instrumentenbau als florierender Industriezweig. Noch heute gibt es in Mackenback Instrumentenbauer, wie beispielsweise den Betrieb Molter. In Folge dessen entwickelten sich auch die Geschäfte der Tuchmacher, Färber und Schneidereien gut. Die Musik brachte der einst verarmten Region Wohlstand, viele Musiker kehrten, teilweise nach jahrelanger Abwesenheit, als wohlhabende Männer zurück. Die Musikantenhäuser, mit ihrer besonderen Architektur, sind als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins und Wohlstandes anzusehen.

Niedergang
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs begann das Ende für das Wandermusikantentum, das gerade seinen absoluten Höhepunkt erreicht hatte. Viele Männer mussten in den Krieg ziehen, die meisten Arbeitsmöglichkeiten für Musiker fielen weg, die Grenzen zum Ausland waren versperrt. Musiker, die während einer Auslandsreise vom Kriegsbeginn überrascht wurden, wurden an der Heimreise gehindert. Rudolf Mersy aus Aschbach wurde bis 1920 in Lagern in Australien und Neuseeland interniert, Otto Schwarz aus Hinzweiler und seine Kapelle, die zuvor mehrere Jahre in England lebten, auf der Isle of Man.
Nach dem Krieg war Deutschen die Einreise in nahezu alle Länder zunächst verboten; eine Ausnahme bildeten die Niederlande. Nachdem die Not der Nachkriegszeit überstanden war und das kulturelle Leben wieder aufblühte, bekamen die Wandermusiker zunehmend Konkurrenz durch Schallplatte, Radio und Tonfilm; das Gewerbe konnte nie mehr an seine Blütezeit anknüpfen. Allenfalls als Zirkusmusiker konnten einige Wandermusiker ihren Beruf noch eine Zeit lang fortführen. Manche Musiker blieben auch im Ausland, vor allem in den USA, und machten dort weiterhin Musik. Bill Henry, eigentlich Heinrich Jacob aus Mackenbach, engagierte 1932 für seine Kapelle einen jungen Sänger namens Frank Sinatra (siehe Videoclip mit Jürgen Steinhauer zu Frank Sinatras Verbindung nach Mackenbach in der Mediengalerie).
1935 wurden die verbleibenden hauptberuflich tätigen Wandermusikanten der Pfalz in die Reichsmusikkammer aufgenommen. Voraussetzung einer beruflichen Wandertätigkeit war, dass die Kapellen aus mindestens sieben Mitgliedern bestanden. Sie mussten Prüfungen ablegen und benötigten einen verantwortlichen Leiter, dem durch den Landesleiter Saar-Pfalz der Reichsmusikkammer ein Gruppenausweis ausgestellt wurde. 1938 fanden in Mackenbach und Lauterecken musikalische Leistungsprüfungen statt, bei denen insgesamt 30 Kapellen geprüft wurden. Mit Wirkung zum 1. April 1939 wurde der Erlass über die Mitgliedschaft der Wandermusikanten durch die Reichsmusikkammer aufgehoben, da ihre Tätigkeiten „nicht als Verbreitung musikalischen Kulturgutes angesehen“ wurden. Damit endete das Wandermusikantentum in der Westpfalz.
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(Bernd Paetz, Universität Koblenz, 2022)


Internet
musikantenmuseum.de: Westpfälzer Musikantenmuseum Mackenbach (abgerufen 02.11.2023)
burglichtenberg.pfaelzerbergland.de: Pfälzer Musikantenland-Museum (abgerufen 02.11.2023)
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Literatur

Mannweiler, Günter (1998)
Mackenbach. Geschichten aus dem Musikantendorf. Ramstein.

Westpfälzer Wandermusikantentum

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Fachsichten
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Bernd Paetz (2022), „Westpfälzer Wandermusikantentum”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/SWB-345885 (Abgerufen: 2. Mai 2024)
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