Im historischen Ortskern von Kaisersesch, unmittelbar neben der Pfarrkirche St. Pankratius, liegt das heute meist „Altes Gefängnis“ (oder auch „Prison“, „Büllesje“ bzw. „Bullesje“) bezeichnete ehemalige kurtrierische Amtshaus, welches im Laufe der über sieben Jahrhunderte seines Bestehens die unterschiedlichsten Funktionen erfüllte.
Mittelalterliches Amts- und Burgmannenhaus Der mittelalterliche Kern des Gebäudes und die benachbarten Teile der alten Mauer der ehemaligen Stadtbefestigung gehen noch auf die Befestigung des damaligen Dorfs Esch unter Kurfürst Balduin von Luxemburg (~1285-1354, Trierer Erzbischof seit 1307/08) zurück. Esch war seit 1294 Kurtrierischer Gerichtsort und wurde unter Balduin bereits Jahre vor der 1321 erfolgten Verleihung des Marktrechts und sonstiger Freiheiten nach dem Frankfurter Stadtrecht durch König Ludwig IV. dem Bayern (~1281/82-1357, Römisch-deutscher Kaiser ab 1328) befestigt. Als Burgmannen- und Amtshaus diente das Gebäude als Sitz der Organe des Kurstaates Trier, darunter auch dem Stadtgericht Kaisersesch als Hochgericht des Amtes Kaisersesch; diesem stand ein kurfürstlicher Schultheiss vor (zum Amt Kaisersesch und zum Gerichtswesen vgl. Werner Schumacher). In diesem Zusammenhang wurde das Haus auch als Gefängnis genutzt, den Angaben der Stadt nach ist es heute „das einzige [erhaltene, Verf.] kurtrier‘sche Gefängnis zwischen Trier und Koblenz“ (www.kaisersesch.org).
„Büllesje, Bullesje, Bulles, Bollesje“ – Versuch einer Begriffsklärung Auf die Frage nach der Herkunft des in verschiedenen Dialekten verbreiteten Begriffs „Bullesje“ für (Dorf-) Gefängnis antwortet selbst die Gesellschaft für deutsche Sprache nur mit einer „möglichen“ Herleitung. Formen von „Bulles“ sind demnach als moselfränkische Ausdrücke über Dialektwörterbücher belegt – etwa in Coblenz in seiner Mundart von 1906 oder in einem Hunsrücker Wörterbuch von 1971. Im Rheinischen wird zudem ein ungehobelt-kräftiger Mann als „Bulles“ bezeichnet (Honnen 2003). Die Endung auf -je wird als Diminutivsuffix erklärt (eine Verkleinerungsnachsilbe, ähnlich wie z.B. bei „Hündchen“ = kleiner Hund). Als möglicher etymologischer Ursprung des Stammwortes wird das französische Wort police angeführt, welches im Moselfränkischen „durchaus als Bulles ausgesprochen worden sein könnte“. Auch die Gaunersprache Rotwelsch mit bolle für Uniform bzw. Strafanstaltskleidung und das Jiddische polil für gerichtlich/richterlich wird als Erklärungsansatz angeführt. Bullesje/Bollesje bezeichnet demnach also ein „kleines Gefängnis“ (www.gfds.de). Ergänzend zu dieser immer noch eher hypothetischen Erklärung sei noch die Bezeichnung für das Verfassungsdokument des Heiligen Römischen Reiches (bzw. dessen Siegel), die „Goldene Bulle“ von 1356 zu nennen. Ferner noch der Hinweis auf die im Französischen gebräuchlichen Wörter Bulle oder auch Bulletin für amtliche Bekanntmachungen, die ebenfalls Pate für „Büllesje“ gestanden haben könnten.
Spätere Nutzungen Zur Zeit der napoleonischen Herrschaft von 1794 bis 1814 diente das Gebäude als Sitz der französischen Mairie (Bürgermeisterei) und als Versorgungsamt - weiterhin aber auch als Gefängnis (laut Tafel am Gebäude maison de la commune et d'arret), wovon zahlreiche Graffiti aus dieser Epoche in den als Zellen genutzten Räumen im Untergeschoss zeugen. Auch der in der Eifel als „Stumpfarm“ bekannte vierfache Mörder (das Urteil beinhaltete ferner einen Totschlag) Johann Mayer (1886-1923) wurde nach seiner Festnahme am 10. August 1922 zunächst im Kaisersescher „Büllesje“ inhaftiert, bevor er im Kölner Gefängnis Klingelpütz durch Enthauptung hingerichtet wurde.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfiel das Haus mangels Nutzung zusehends. Um 1980 wurde es noch kurzfristig als Obdachlosenasyl genutzt und zeitweise eine Familie von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Libanon hier untergebracht. Ein Ende der 1980er-Jahre an die örtlichen Georgspfadfinder der DPSG gerichtetes Angebot der Gemeinde, sich das Haus als Gruppenunterkunft herzurichten, mussten diese ausschlagen - der absehbare Arbeitsaufwand zur Renovierung war zu groß und für den Verein auch finanziell nicht zu leisten.
Heutige Situation Anlässlich der 1997 erfolgten Wiederverleihung der unter der französischen Herrschaft verlorenen Stadtrechte, wurde die alte Stadtmitte an der Pfarrkirche als „historischer Ortskern“ neu gestaltet. Dabei wurde auch 2001/2002 das Amtshaus umfassend renoviert und als Heimatmuseum mit Bücherei und Archiv umgebaut. Im Obergeschoss beherbergt es seit etwa 2005 ein Pilgerzimmer für Wallfahrer. Das Heimatmuseum ist regelmäßig geöffnet, Führungen außerhalb der Öffnungszeiten sind nach Absprache möglich, ebenso werden Nachtwächterführungen durch den Ort angeboten (www.stadt-kaisersesch.de).
Kulturdenkmal Das Objekt „Balduinstraße 7: Burgmannenhaus, sogenanntes altes Gefängnis; im Kern mittelalterlich, Teile der alten Mauer“ ist ein eingetragenes Kulturdenkmal (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, S. 27).
Quelle Freundliche Hinweise von Herrn Matthias Schnitzler, Kaisersesch, 2013.
Internet www.stadt-kaisersesch.de: Das alte Gefängnis (abgerufen 05.01.2022) de.wikipedia.org: Kaisersesch (abgerufen 26.01.2013) de.wikipedia.org: Johann Mayer (Serienmörder) (abgerufen 17.02.2017) www.dpsg-kaisersesch.de: Trierischer Volksfreund vom 21./22. September 1996, „Stumpfarm“ hinterließ eine blutige Fährte (abgerufen 26.01.2013) schumacher-werner.homepage.t-online.de: Historische Impressionen - Geschichte und Geschichten aus dem Landkreis Cochem-Zell, speziell der Stadt und der Verbandsgemeinde Kaisersesch (Texte von Werner Schumacher, abgerufen 30.01.2013, Inhalt nicht mehr verfügbar 18.01.2017) www.kaisersesch.org: Geschichte, Kultur (abgerufen 26.01.2013, Inhalt nicht mehr verfügbar 05.01.2022) www.gfds.de: Gesellschaft für deutsche Sprache: (Dorf-)Gefängnis / Bullesje (abgerufen 30.01.2013, Inhalt nicht mehr verfügbar 18.01.2017)
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