Bei einigen der Grabstätten handelt es sich um so genannte „Königsgräber“, in denen ein Oberhaupt eines Familienverbandes seine letzte Ruhestätte fand.
Sinti und Roma in Beuel
Besonderheiten der Bestattungskultur
Denkmalschutz, Hinweis
Quelle, Internet, Literatur
Sinti und Roma in Beuel
Sinti (auch Sinte) ist die Bezeichnung für eine der Ethnien, die im deutschsprachigen Raum unter dem Wortpaar Sinti und Roma zusammengefasst werden. Die Anwesenheit dieser kulturell heterogenen europäischen Gesamtminderheit ist in Mittel- und Westeuropa bereits seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts belegt.
Die immer wieder durch Phasen relativer Sesshaftigkeit unterbrochenen, über Jahrhunderte andauernden Wanderbewegungen der zumindest in früheren Zeiten mehrheitlich nicht-sesshafte Gruppen, hatten diese im Verlauf des 15. Jahrhunderts von Indien aus über den Balkan nach Mittel- und Westeuropa geführt. Trotz der früh einsetzenden obrigkeitlichen Ausgrenzung durch zahlreiche gegen diese ethnischen Gruppen gerichtete Edikte während der Neuzeit, gelang es dem „wandernden Volk“ seine kulturelle Identität zu bewahren. Bis heute pflegen viele Angehörige ihre traditionelle, (halb-)nomadisierende Lebensweise mit reisegebundenen Tätigkeiten.
Die Ethnien wurden historisch meist als „Zigeuner“ bezeichnet und vielfach diskriminiert und verfolgt (zu dieser Fremdbezeichnung vgl. ausführlicher hier). Heute wird allgemein die Verwendung des Wortpaares Sinti und Roma als respektvoll und weitgehend angemessen angesehen.
Sinti und Roma gehören verschiedenen Religionen oder Konfessionen an. In Westeuropa überwiegen katholische Christen, viele verehren besonders die christliche Gottesmutter Maria. Die große Bedeutung des Familienverbandes - und dabei auch die Wertschätzung der Familienoberhäupter - äußert sich in vielen Fällen weit über den Tod hinaus. Auch darüber geben die Grabstätten vielfach Zeugnis.
Da in Bonn bzw. in Beuel keine Sinti und Roma in nennenswerter Zahl leben, ist nicht abschließend geklärt, aus welchem Grund seit Mitte/Ende der 1960er-Jahre Bestattungen in beachtlicher Anzahl auf dem Friedhof am Platanenweg erfolgen (Heinz 2017, bonn.wiki und mikkameint.de).
Als am wahrscheinlichsten gilt ein Zusammenhang mit dem jährlich Ende September stattfindenden großen Volksfest „Pützchens Markt“ im benachbarten Ortsteil Pützchen-Bechlinghoven, zu dem seit jeher auch viele Sinti und Roma anreisen, die dort als Schausteller und Betreiber von Fahrgeschäften tätig sind.
Besonderheiten der Bestattungskultur
Die Bestattungskultur der Sinti und Roma weicht von der hierzulande meist gewohnten „rheinisch-christlichen“ durch besondere Eigenheiten ab.
Auffallend sind dabei vor allem die in ihrer Architektur und ihrer Ausstattung aufwendig gestalteten Grabstätten. Die üppig geschmückten Gräber wurden häufig als kleine Pavillons oder Pantheon-artige Tempel mit zierenden Säulen und weiteren Schmuckelementen erbaut. An mehreren Grabstätten befinden sich Sitzgelegenheiten, die für längere Aufenthalte der Hinterbliebenen bei ihren Verstorbenen dienen. Als Hauptbesuchstag der Sinti und Roma gilt der katholische Feiertag Allerheiligen am 1. November.
Viele Mutter-Gottes-Figuren legen Zeugnis ab für die besondere Marienverehrung katholischer Sinti. Für die regionale Bestattungskultur eher „unüblich“ sind hingegen die zahlreichen Darstellungen der Verstorbenen über teils lebensgroße (Foto-)Porträts.
An vielen Gräbern werden ferner besondere Attribute ausgewiesen, die auf die Biographie oder den Status der verstorbenen Person hinweisen, darunter in Beuel u.a. (vgl. Abb.):
- Eine Marmor-Krone mit vergoldeten Zacken oder die Gravur einer goldenen Krone als Hinweis auf den „königlichen“ Rang des Verstorbenen,
- an einigen Fotoporträts durch Goldfarbe besonders hervorgehobener Schmuck wie Gürtelschnalle, Krawattenspange oder Armbanduhr,
- ein in goldener Farbe gefasstes Karussell als Ausweis der Zugehörigkeit zum Schaustellergewerbe,
- ein auf dem Grabmal plazierter Mercedes-Stern als Reminiszenz an die Autoliebe des Verstorbenen,
- sowie die Darstellung eines Roma-Mannes mit offenbar biographischen Bezügen zu der US-amerikanischen Stadt „Fabulous“ Las Vegas.
Bei einigen der Grabstätten handelt es sich um so genannte „Königsgräber“ - das heißt, dass hier ein Oberhaupt einer der großen Familienverbände bestattet wurde. In Beuel fanden u.a. die Chefs der Familien Cyryl, Czori, Demeter und Goman(n) ihre letzte Ruhestätte.
„Besonders hervorzuheben ist das Grabmal des Sinti- und Roma-Königs Ferko Czori. Seine Grabstätte aus indischem Granit spiegelt die gesellschaftliche Stellung des Königs wider. Eine Krone ruht auf einem Podest unter einem Dachaufbau. An der Seite steht ein Heiligenhäuschen mit einer Madonna. Davor befindet sich eine Andachtsbank mit einem Tisch und einem Sitzplatz, auch für den Toten. Es heißt, die Seele kommt nachts aus dem Grab. Dafür stellen die Angehörigen dann etwas zu essen hin. Es gibt außerdem eine mannsgroße Skulptur des Verstorbenen. Die Grabstätte ist mit Pflanzen begrünt, die Ferko Czori in seinem Leben besonders gern gehabt hat.“ (www.bonn.de, vgl. Abb.)
Auf dem Friedhof im Koblenzer Stadtteil Lützel finden sich als Schmuck an den dort ebenfalls häufigen Grabstätten von Sinti und Roma sogar aufwendig gestaltete Modelle von Wohnwagen samt Zugfahrzeug (Hinweis Frau Merfeld).
Die häufig vom „üblichen“ abweichende äußere Gestaltung der Gräber bleibt dabei nicht immer ohne Anstoß. Ein Artikel zu Gräbern von Sinti und Roma in Deutschland führt als Kritikpunkte Dritter u.a. an:
„Groß, kitschig, raumgreifend … mit allerlei Nippes … Reproduktion von Klischees … Grabstätten im ‚Baumarktstil' … Protz-Gräber … die Darstellung eines Aschenbechers mit brennender Zigarette ...“ (taz.de).
In den Hintergrund gerät bei solch überspitzter - und im Einzelfall vielleicht sogar berechtigter - Kritik gerne, dass sich kulturelle Vielfalt ganz deutlich auch in der Verschiedenartigkeit von Bestattungskulturen abbildet. Diese zeigt sich regional oder international in den unterschiedlichen Arten, wie andere Kulturen oder Religionen ihre Toten bestatten.
Ferner sei darauf hingewiesen, dass auch manche Grabstätten von Herrschern, Adligen, Industriebaronen, Künstlern oder Prominenten als bedeutende Kulturdenkmäler gelten, gleichzeitig aber von vielen Menschen als geradezu scheußlich wahrgenommen werden.
Denkmalschutz, Hinweis
Der Bonn-Beueler Friedhof Platanenweg steht abgesehen vom dortigen Krieger-Ehrenmal nicht unter Denkmalschutz. Der Friedhof ist Element des bedeutsamen Kulturlandschaftsbereiches Bonn (Regionalplan Köln 429).
(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2024)
Quelle
Freundliche Hinweise von Frau Tina Merfeld, Architekturbüro Okfen & Schneiders Kaisersesch, 2024.
Internet
www.bonn.de: Friedhof Beuel Platanenweg (abgerufen 27.06.2024)
bonn.wiki: Königsgräber in Beuel (abgerufen 27.06.2024)
mikkameint.de: Königsgräber (Text Mikka Bender, 11.06.2021, abgerufen 27.06.2024)
taz.de: Grabstätten von Roma und Sinti - Endlich ist Ruhe (Text Eiken Bruhn, 03.11.2023, abgerufen 27.06.2024)
zentralrat.sintiundroma.de: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma (abgerufen 27.06.2024)
sintiundroma-nrw.de: Landesverband deutscher Sinti und Roma NRW (abgerufen 27.06.2024)