In Köln wurden zum Tode verurteilte Delinquenten vor ihrer Hinrichtung rituell - und vermutlich eher unsanft - an den so genannten „Blauen Stein“ auf dem Domhof gestoßen, der sich dort möglicherweise bereits seit dem 12. Jahrhundert befand. Der Gerichtsstein war namensgebend für das seit dem Jahr 1243 bezeugte „Haus am Blauen Stein“, den unmittelbar benachbarten Sitz des erzbischöflichen Hochgerichts in der Domstadt: „Neben dem Hochgericht stand der bekannte Blaue Stein. Auch der am Hof aufgerichtete Pranger (Kacks) scheint für den Vollzug der vom Hochgericht verhängten Strafen gedient zu haben.“ (Keussen 1910, Bd. 1, S. 137)
Symbol der erzbischöflichen Gerichtsgewalt Vom Mittelalter bis zum Ausgang der frühen Neuzeit befasste sich die so genannte Niedergerichtsbarkeit - hier sehr vereinfacht dargestellt! - mit eher leichteren Alltagsdelikten, die meist mit Geldbußen oder geringeren Ehren- oder Leibstrafen wie etwa dem Pranger gesühnt wurden. Hingegen betraf die Zuständigkeit der Hochgerichte Verbrechen, die mit Körperstrafen oder sogar dem Tod bestraft werden konnten. Die alternative Bezeichnung Blutgerichtsbarkeit geht auf die Verhängung „blutiger Strafen“ über Leib und Leben zurück. Das weltlich-vogteiliche Niedergericht der Domstadt tagte in der Großen Neugasse und das geistliche Offizialgericht hatte seinen Sitz im Saal des erzbischöflichen Palasts, dem „Reinaldschen Palais“ am Domhof (vgl. auch den Eintrag zum Hachtgericht). Unweit von diesem befand sich am südlichen Domhof der Sitz des 1032 erstmals urkundlich erwähnten erzbischöflichen Hohen Gerichts in Köln. Die Zuständigkeit der Niedergerichte orientierte sich räumlich an den Pfarrgrenzen innerhalb der Stadtmauern, die des Hochgerichts umfasste den Stadtbereich mit Burgbann und Burgmeile (Wilhelm 2008, S. 166), d.h. die Römer- und Rheinvorstadt sowie den Pfarrbezirk von Sankt Aposteln.
Der Blaue Stein war eines der sichtbaren Symbole der hochrichterlichen Gewalt der Erzbischöfe. Auch andernorts gab es solche (blauen) Steine, die sich häufig in der Nähe von Richtstätten oder Galgenplätzen, Feme- oder Gerichtsbäumen befanden. Auch auf dem Kölner Domhof befand sich der Koehlhoff'schen Stadtchronik von 1499 zufolge eine vermutlich als Gerichtsbaum dienende Linde. Der Eintrag anlässlich eines Besuchs von König Maximilian I. (1459-1519, ab 1486 römisch-deutscher König und ab 1508 römisch-deutscher Kaiser) berichtet davon, dass der Kölner Bürgermeister mit seinem Anhang auf 25 Pferden durch die Pforte der Hacht „zum Blauen Stein bis unter die Linde“ ritt, um dort den König samt dessen fürstlichem Gefolge in Empfang zu nehmen (Chronik Köln 1877, S. 890): „bald darnae quam der ander burgermeister riden mit 25 perden durch die Hachtportze langs des Steinwech bi dem blauwen stein af bis under die linde, ind do hielt he bis der konink mit sinen fursten quam.“
Stoßen der Verurteilten an den Gerichtsstein Je nach regionaler Sitte wurden Verurteilte an Gerichtssteine gestoßen - etwa, um das juristische Verfahren symbolisch abzuschließen, teils aber auch, damit sie im Angesicht ihres Todes weitere unentdeckte Straftaten gestehen oder ihre Helfer, Mittäter und Mitwisser nennen sollten (Irsigler u. Lassotta 1990, S. 235). Das Kölnische Stadtmuseum führt zur Gerichtspraxis der Domstadt aus, dass zum Tode Verurteilte ihre letzte Nacht vor der Hinrichtung im Hacht-Gefängnis verbrachten, bevor sie morgens vor das Hochgericht auf dem Domhof geführt wurden, wo sie kniend die öffentliche Verkündung ihres Todesurteils anhören mussten (koelnisches-stadtmuseum.de, Rückblick 1726): „Dann wurde der Stab über sie gebrochen und sie unter dem Läuten des Armesünderglöckchens dreimal gegen den an der Kirche St. Johann-Evangelist eingemauerten ‚blauen Stein' (eine Schieferplatte) gestoßen. Der Henker rief dem Delinquenten zu: ‚Ich stoße Dich an den blauen Stein, Du kommst zu Vater und Mutter nimmer heim.' Dann wurden die Verurteilten zum Richtplatz gebracht und das war meistens Melaten.“
Ähnlich auch die Schilderung bei Leiverkus (2005) wonach ein verurteilter Sträfling vor seiner Hinrichtung zum Zweck seiner Entehrung dreimal heftig mit dem Rücken an den Stein gestoßen wurde und der Scharfrichter - hier nun auf kölsch - sagte: „Wir stüssen Dich an den blauen Stein, Du küß Dinger Vader un Moder nit mieh heim.“ Solche Rituale - und natürlich auch die öffentliche Vollstreckung der verhängten Leib- und Lebensstrafen vor zumeist großem Publikum - dienten neben der Abschreckung nicht zuletzt auch als Machtdemonstration der Obrigkeit.
Beschreibung und Lage des Blauen Steins Der heute nicht mehr erhaltene Gerichtsstein (auch als Blutstein bzw. „perfortierter“ Stein, lapis perforatus, bezeichnet) findet sich im um 1570/71 datierten Kölner Stadtplan von Arnold Mercator (1537-1587) zentral auf dem Domhof eingezeichnet. Ob der Stein nun aus Basalt oder aus Schiefer gefertigt war - beide Angaben finden sich in der Literatur -, lässt sich wohl nicht mehr feststellen. Namensgebend soll jedenfalls das blaue Schimmern des Gesteins gewesen sein.
Ein Kupferstich aus dem Jahr 1686 im Besitz des Kölnischen Stadtmuseums zeigt einen abriß des blawen Steins uffm thumbhoff mit dem Gesteinsblock in einer 3 mal 8 Fuß großen steinernen Fassung (d.h. ca. 2,40 Meter hoch und 1,20 Meter breit), in deren oberem Bereich sich das erzbischöfliche Wappen befindet. Zur Datierung wird angenommen, dass der Blaue Stein dort „vermutlich seit dem 12. Jahrhundert“ stand (vgl. Abb. und koelnisches-stadtmuseum.de, Tafelausstellung). Ein auf diesem Stich basierendes Gemälde des Kölner Künstlers Siegfried Glos (*1943) stellt den Blauen Stein entsprechend anschaulich als eine in eine Steinfassung eingelassene große Schiefertafel dar über der sich hier das Wappen des Erzstifts - ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund - befindet (vgl. Abb. und www.das-alte-koeln.de).
Ebendort findet sich die Angabe, dass diese Tafel im Jahr 1703 rechts neben der Eingangstür der Kirche St. Johann Evangelist auf dem Domhof eingemauert worden sei. Diese zeitweise als Hauskapelle der Kölner Erzbischöfe dienende Pfarrkirche befand sich in direkter Nachbarschaft zum Kölner Dom an dessen Südchor. Die Pfarrkirche S. Johann Evangelist ist in dem „Plan von Köln nach J. V. Reinhardt 1752“ mit der Nr. 84 dargestellt (vgl. Abb.). Diese Kirche brannte 1743 nieder. Ob der Stein in den nachfolgenden Rokoko-Neubau eingearbeitet wurde, ist nicht eindeutig belegbar, „seine Funktion bei Todesurteilen verlor er aber spätestens mit der Einführung des Code civil durch die Franzosen 1804“ (koelnisches-stadtmuseum.de, Tafelausstellung).
Im Zuge der Säkularisation während der Franzosenzeit wurde die Kirche aufgehoben und um 1828/1829 bei der Freilegung der Kölner Dombaustelle abgebrochen. Der Gerichtsstein und die Tafel sollen jedoch bereits Jahrzehnte zuvor im Jahr 1794 beim Einmarsch der Franzosen durch diese zerstört worden sein (www.das-alte-koeln.de). In der Karte zum mittelalterlichen Pfarrbezirk „XIV Hacht“ (Keussen 1910, Bd. 2, vgl. Abb.) finden sich sowohl das Hochgericht wie auch der Blaue Stein mit jeweils eigenen Signaturen über dem 1674 abgebrochenen Bischofspalast dargestellt.
Größere Bekanntheit erlangte der Kölner Blaue Stein über den historischen Kriminalroman „Tod und Teufel“ des Kölner Schriftstellers Frank Schätzing (*1957), der in der mittelalterlichen Domstadt spielt und in dem der Gerichtsstein einige Male erwähnt wird.
Quelle Cronica van der hilliger stat van Coellen bis 1499, in: Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Band 14 / Die Chroniken der niederrheinischen Städte, Band 3, Cöln, Leipzig 1877, S. 641-1007 (online unter www.archive.org, abgerufen 28.05.2021)
Internet koelnisches-stadtmuseum.de: Rückblick 1726, Köln contra Köln (abgerufen 27.05.2021) koelnisches-stadtmuseum.de: Tafelausstellung Bauzaun Roncalliplatz, dort auf der Zeitleiste bei 1531-1814 (abgerufen 27.05.2021, Inhalt nicht mehr verfügbar 19.06.2024) www.das-alte-koeln.de: Ausschnitt aus dem Gemälde „Domhof mit erzbischöflichem Palast von 1164 und dem Blauen Stein“ von Siegfried Glos (abgerufen 27.05.2021) www.das-alte-koeln.de: Online-Führung „Köln - Große Stadtmauer 1180-1881“ von Siegfried Glos (abgerufen 31.05.2021) www.koeln-lotse.de: Die Hacht - ein Knast direkt am Dom (Uli, der Köln-Lotse vom 20.05.2021, abgerufen 27.05.2021) de.wikipedia.org: Kölner Gerichtswesen vom Mittelalter zur Neuzeit (abgerufen 27.05.2021) de.wikipedia.org: Domumgebung (Köln) (abgerufen 27.05.2021)
Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft im Wandel von 1500-2000. Wissenschaftlicher Begleitband zur gemeinsamen Landesausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive. (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, 98.) S. 616-626, Koblenz.
Irsigler, Franz; Lassotta, Arnold (2010)
Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt, Köln 1300-1600. (dtv 30075.) München.
Keussen, Hermann (1910)
Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, zweiter Band. (gekrönte Preisschrift, Preis-Schriften der Mevissen-Stiftung.) Bonn. Online verfügbar: www.ub.uni-koeln.de, Keussen, Topographie, Bd. 2, abgerufen am 13.09.2022
Keussen, Hermann (1910)
Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, erster Band. (gekrönte Preisschrift, Preis-Schriften der Mevissen-Stiftung.) Bonn. Online verfügbar: www.ub.uni-koeln.de, Keussen, Topographie, Bd. 1, abgerufen am 14.09.2022
Leiverkus, Yvonne (2005)
Köln - Bilder einer spätmittelalterlichen Stadt. S. 334, Köln.
Schätzing, Frank (1995)
Tod und Teufel. Köln.
Schwerhoff, Gerd (1991)
Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt. Bonn.
Wilhelm, Jürgen (Hrsg.) (2008)
Das große Köln-Lexikon. S. 166-169, Köln (2. Auflage).
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