Die Liebfrauenkirche wird aufgrund des rot gestrichenen Bruchsteins häufig auch als „rote Kirche“ bezeichnet und ragt hoch und schlank über die Dächer von Oberwesel. Mit dem Fehlen von seitlichen Stützpfeilern sowie einem Querhaus und dem Verzicht auf Schmuckformen, ist sie ein herausragendes Beispiel einer alternativen Gotik. Jedoch stellt die Liebfrauenkirche, trotz der fehlenden charakteristischen gotischen Bauelemente, eine der bedeutendsten hochgotischen Kirchen in Rheinland-Pfalz dar. Hierfür ist unter anderem der Reichtum an Kunstschätzen verantwortlich.
Geschichte der Liebfrauenkirche Der Vorgängerbau der Liebfrauenkirche war die Marienkirche, die erstmals 1213 Erwähnung fand. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Anfänge noch weiter zurückliegen. Ursprünglich standen die Liebfrauenkirche beziehungsweise ihre romanische Vorgängerkirche, die für den Bau der Liebfrauenkirche abgerissen wurde, weit vor der Stadtmauer. Die heutige Lage der Kirche begründet sich in einer frühchristlichen Tradition der Franken, ihre Kirchen und Kapellen auf ehemaligen Grabfeldern errichteten. Diese lagen für gewöhnlich außerhalb der Stadtmauern. Heute ist ein römisches Gräberfeld in der Mainzer Straße nachgewiesen, sodass diese Theorie bestätigt werden kann. Über das Aussehen der romanischen Vorgängerkirche ist nichts bekannt. Die heutige Liebfrauenkirche gilt als der einzige monumentale kirchliche Neubau in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Mittelrheintal. Die Liebfrauenkirche wurde erst lange Zeit nach ihrer Fertigstellung in die Stadtbefestigung einbezogen. Sie war ehemals eine Stiftskirche Unserer Lieben Frau. Der Baubeginn der heutigen Liebfrauenkirche kann aufgrund einer Majuskelinschrift in einem Glasfenster auf das Jahr 1308 und die Weihe des Hochalters und des Langhauses auf das Jahr 1331 datiert werden. Durch Befunde am Mauerwerk wird davon ausgegangen, dass der Bau mit dem Hochchor begonnen hat. Insgesamt wurde die Fertigstellung der Liebfrauenkirche vergleichsweise schnell (bis Ende des 14. Jahrhunderts) vollzogen, was das große Interesse des Trier Erzbischofs Balduin von Luxemburg (um 1285-1354) an dieser Stiftskirche bezeugt.
Grundriss und Baukultur Bei der Liebfrauenkirche handelt es sich um eine dreischiffige querhauslose Basilika, die über drei Chöre unterschiedlicher Länge sowie einen integrierten massiven 73 Meter hohen Westturm verfügt. Allgemein fällt bezüglich der Architektur auf, dass die einzelnen Baukörper eine klare geometrische Form aufweisen und entgegen dem gotischen Stil auf alle Schmuckformen verzichten. Grob lässt sich die Liebfrauenkirche in drei Teile gliedern. Zunächst ist der Chor im Osten der Kirche zu benennen, dieser wird nach Westen hin durch den Lettner vom Laienhaus abgegrenzt. Hinter dem Laienhaus schließt sich die Turmhalle in westliche Richtung an. Eine Besonderheit, die nicht dem gotischen Baustil entspricht, stellt das steile 55 Meter lange (je 22 Meter entfallen auf den Chor und das Laienhaus und 11 Meter entfallen auf die Turmhalle), 27 Meter Breite und 38 Meter hohe Mittelschiff, welches den Turm mit einer relativ hohen Westempore miteinschließt, dar. Wichtig zu erwähnen ist, dass das Mittelschiff über einen 5/8-Schluss und sieben querrechteckige Joche verfügt.
Der Westturm, der sich im Mittelschiff verorten lässt, übernimmt die Breite des Mittelschiffs. Auffällig ist, dass das Langhaus sowie der Turm optisch miteinander verbunden sind, da sich die hohen schmalen Fenster im ersten Turmobergeschoss fortsetzen. Die schlanken, dreibahnigen Spitzbogenfenster des Mittelchors sind am größten. Sie weisen eine Höhe von 18,5 Metern auf und enden im lanzettförmigen Bogen des Turms (Westfassade) und der Ostfassade. Der Turm wird in der Höhe von einem Viereck in ein achtseitiges Vieleck überführt. Diese Konstruktion erinnert an spätromanische Vierungstürme. An der Westfassade der Turmhalle lässt sich das zweiteilige Hauptportal der Liebfrauenkirche ausmachen. Derzeit wird jedoch primär der Seiteneingang am nördlichen Seitenchor vom Kreuzgang ausgehend genutzt.
Im Vergleich zu andern gotischen Bauten sind die Seitenschiffe der Liebfrauenkirche sehr niedrig angesetzt. Die schmaleren Seitenchöre verfügen ebenfalls über quadratische Joche und einem nicht ganz regelmäßigen 5/8-Schluss. Bei der Dachform der Seitenchöre handelt es sich um Pultdächer. Aus den Pultdächern ragen je zwei achteckige Türmchen heraus. Zur Stabilisierung lassen sich im Inneren der Kirche Strebepfeiler ausmachen, die ein Kreuzrippgewölbe bilden. An der Decke finden sich zudem breite Schildbögen. Diese Schildbögen umrahmen die zweizonige Hochschiffwand. Wichtig zu erwähnen ist darüber hinaus, dass die Seitenchöre durch Mauern vom Hochchor abgetrennt wurden. Die flachen Seitenchöre sind im Gegensatz zum Hochchor und den Nebenchören nicht polygonal.
Westlich an die Liebfrauenkirche schließt sich die Michaelskapelle an. Das Verbindungsstück zwischen der Michaelskapelle und der Liebfrauenkirche wird durch den Konventsaal beziehungsweise dessen Überreste gebildet. Nördlich der Liebfrauenkirche lassen sich Reste des Kreuzgangs ausmachen.
Kunstschätze Der Reichtum an Kunstwerken im Innenraum der Kirche lässt sich darauf zurückführen, dass die Liebfrauenkirche sowie die romanische Vorgängerkirche einem wohlhabenden Stift angehörten. Die Zugehörigkeit zu einem reichen Stift ist auch der Grund, warum der 1308 begonnene Bau der heutigen gotischen Liebfrauenkirche bereits im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts vollendet war. Als Besonderheiten der Innenausstattung lassen sich vor allem der Goldalter im Hochchor, welcher zu den ältesten gotischen Schreinaltären in Deutschland zählt, sowie einer der wenigen noch erhaltenen Lettner. Der steinerne Lettner bildet den Abschluss des Hochchores und diente einst der Raumtrennung. So saßen im Langhaus „die Laien“ und der Hochchor beziehungsweise der Altarraum hinter dem Lettner mit einem freien Blick auf den Goldaltar war den Stiftsherren vorbehalten. Zudem stellen die Barockorgel aus dem Jahr 1740, sowie die momentan 25 freigelegten mittelalterlichen Wandbilder, die von biblischen Geschichten in Lebensgröße erzählen, als Besonderheit benennen. Als weitere Besonderheiten müssen die Altarbilder, von denen noch sieben erhalten sind, hervorgehoben werden. Insgesamt verfügte die Liebfrauenkirche als Stiftskirche einst über 15 Altäre. Besonders bekannt sind hier der Nikolausaltar, der Marthaaltar sowie der Altar der Fünfzehn Zeichen, welcher Überlieferungen zur Folge das Ende der Welt veranschaulicht. Darüber hinaus muss der Figurenschmuck Erwähnung finden. Unter anderem stellen die qualitativ hochwertigeren Figuren an den Wänden der Kirche Grabendenkmäler der Ritter und reichen Stiftsherren der Schönburg dar. Außerdem stellen Epitaphe, Grabplatten sowie Wandmalereien mit Inschriften als Zeugnisse vergangener Zeiten eine Besonderheit dar. Einige Grabplatten wurden im 19. Jahrhundert aus dem Kircheninneren entfernt und in den Kreuzgangsüdflügel verlegt. Besonders die Grabplatte des Theoderich, welche aus rotem Sandstein besteht und sich vor der Treppe des Haupteingangs befindet, musste unter der Begehung der Kirchgänger sowie der Witterung leiden, sodass das Wappen sowie die Inschriften nicht mehr im Detail zu rekonstruieren sind. Das Wappen weist jedoch darauf hin, dass es sich um ein Begräbnis eines adeligen Laien gehandelt haben muss, da die Grabdenkmäler der Stiftsgeistlichkeit die Verstorbenen in einer figürlichen Darstellung abbildeten. Das Adelsgeschlecht der Schönburger wurde in einer Gruft im Chor des nördlichen Seitenschiffs begraben. Einige Grabplatten wurden auch, um sie vor der Verwitterung zu schützen, in die Seitenwände der Chöre eingelassen. Beispielsweise wurde die Grabplatte von Simon Rudolf von Schönburg und seiner Frau an der Nordwand des nördlichen Seitenchors eingelassen.
Als weitere Besonderheit kann die gotische und barocke Glasmalerei in den großen schmalen Spitzbogenfenstern hervorgehoben werden, die größtenteils im 19. und 20. Jahrhundert erneuert werden musste. Im Jahr 1991 wurde im Rahmen von Renovierungsarbeiten in einem der Fenster die Bauinschrift wiederentdeckt, die das Datum des Baubeginns für die Nachwelt festhalten sollte. Aufgrund der vielen Kunstschätze ist die Liebfrauenkirche nur unter ehrenamtlicher Aufsicht zu bestimmten Tageszeiten geöffnet.
Die Stiftskirche unserer Lieben Frau in Oberwesel. In: Katholisches Pfarramt Liebfrauen und St. Martin: 650 Jahre Liebfrauenkirche Oberwesel, Oberwesel.
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