Brikettfabrik Berrenrath

Fabrik Berrenrath, Betriebsteil Berrenrath, Kohleveredlungsbetrieb Ville/Berrenrath, Brikettfabrik Vereinigte Ville VI

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege
Gemeinde(n): Hürth
Kreis(e): Rhein-Erft-Kreis
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 50° 51′ 49,66″ N: 6° 49′ 28,08″ O 50,86379°N: 6,82447°O
Koordinate UTM 32.346.904,55 m: 5.636.933,40 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.558.088,06 m: 5.636.818,21 m
  • Kohleveredelungsbetrieb Ville/Berrenrath (2014)

    Kohleveredelungsbetrieb Ville/Berrenrath (2014)

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    Nicole Schmitz / Landschaftsverband Rheinland
    Fotograf/Urheber:
    Nicole Schmitz
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Die Brikettfabrik Berrenrath wurde 1917 auf dem Knapsacker Hügel als letzte von insgesamt sechs Brikettfabriken errichtet.

Gründungsgeschichte und Gründungsanlage
Die Erweiterungsmaßnahmen der 1930er Jahre
Heutiger Zustand und kulturlandschaftliche Bedeutung
Hinweis und Quellen

Gründungsgeschichte und Gründungsanlage
Die 1908 aus einer Fusion entstandene „Braunkohlen- und Brikettwerke Roddergrube A.G.“ (Roddergrube) gehörte zu den ältesten Braunkohlenbergwerken im Rheinland. Nach Übernahme der Gewerkschaft Vereinigte Ville 1909 baute das Unternehmen deren Tagebau zu einem leistungsfähigen Großbetrieb aus. Die aus fünf Fabrikteilen bestehende Brikettfabrik „Vereinigte Ville“ war damals die größte Brikettfabrik des rheinischen Reviers und gehörte auch innerhalb Deutschlands zu den Großbetrieben.
Am 12.11.1912 schloss die Roddergrube AG einen Kohlenlieferungsvertrag mit der Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG (RWE), die in unmittelbarer Nachbarschaft den Bau eines neuen Großkraftwerkes, der sogenannten Vorgebirgszentrale, dem späteren Kraftwerk Goldenberg, plante. Um der Lieferverpflichtung zur Kohleversorgung des im April 1914 fertiggestellten Goldenberg-Werkes nachkommen zu können, beschloss die Roddergrube AG den Aufschluss eines weiteren Tagebaus, dem Tagebau Berrenrath. Zur besseren Auslastung des neuen Grubenbetriebes wurde zusätzlich 1914 mit den Planungen zum Bau der Fabrik Berrenrath als sechster Brikettfabrik am Bertramsjagdweg begonnen. Allerdings konnte diese kriegsbedingt erst im September 1917 fertiggestellt und in Betrieb genommen werden.

Zu den Gebäuden der Gründungsanlage, die in einheitlichem (neoklassizistischem) Stil mit einfarbigen Ziegelfassaden errichtet wurden, zählten Nassdienst, Trocken- und Pressenhaus mit zwölf Röhrentrocknern sowie 16 Einfach- und zwei Doppelpressen, außerdem Kühlhaus, Rinnenfeld, Brikettschuppen sowie Kessel- und Maschinenhaus.
Die Bekohlung erfolgte per Schrägaufzügen, später auch über Bandanlagen, aus den benachbarten Tagebauen Vereinigte Ville sowie Berrenrath und über eine Schmalspurbahn aus den Tagebauen Theresia und Gotteshülfe.
Seitdem die Tagebaue des Südreviers ausgekohlt sind, versorgt die Nord-Süd-Kohlenbahn („Nord-Süd-Bahn“) den Betrieb mit Rohkohle aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler.
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Die Erweiterungsmaßnahmen der 1930er Jahre
Im Zuge der Aufrüstungsmaßnahmen musste die Kohlenversorgung des kriegswichtigen Hydrierwerks Wesseling (Union Rheinische Braunkohlen Kraftstoff AG) zur Synthese von Benzin aus heimischer Braunkohle im „Dritten Reich“ im Sinne der Autarkiebestrebungen sichergestellt werden. Nach Wesseling wurden drei unterschiedliche Sorten von Kohle geliefert. Außer der normalen Rohkohle mit 15% Wassergehalt für die Feuerung des dortigen Kraftwerks wurden zusätzlich 300 t Briketts pro Tag für die Erzeugung des für die Hydrierung erforderlichen Wasserstoffs sowie täglich rund 1.100 t speziell getrockneter Kohle mit nur noch 4% Wassergehalt als Einsatzstoff für die Hochdruckreaktoren benötigt.
Um den hohen und speziellen Kohlebedarf des Hydrierwerkes zu decken, wurde die Fabrik Berrenrath erweitert: Das vorhandene Trockenhaus wurde um einen Anbau ergänzt, in dem vier neue Röhrentrockner mit 2.100 m2 Heizfläche für die 15%-ige Kohle aufgestellt wurden. Für die Trockenkohle mit 4% Wassergehalt wurde ein neues Trockenhaus mit 14 Röhrentrocknern von Otto Gruson & Co. (Magdeburg-Buckau) und den erforderlichen Transport-, Kühl- und Verladeanlagen errichtet. Die Röhrentrockner hatten eine Durchsatzleistung von je 115 t pro Tag.
Zur Deckung des zusätzlichen Dampfbedarfs für die Trocknung von rund 300 t pro Stunde wurde außerdem ein neues Hochdruckkraftwerk errichtet (Betrieb ab 1941), ausgerüstet mit vier Hochdruck-Strahlungskesseln der „Bauart Buckau“. Zusätzlich gebaut wurden ein neuer Umschlagbunker sowie ein Kesselhaus; die Brikettpressen wurden auf elektrischen Betrieb umgestellt.
Bereits Ende der 1930er Jahre zeichnete sich ab, dass der Kohlenvorrat aus der Grube Berrenrath allein nicht ausreichte, um den kriegsbedingten Kohlenbedarf des Hydrierwerkes zu decken. So wurde 1940 der neue Tagebau Berrenrath-West aufgeschlossen.
Westlich der Fabrikanlage ließ die Betreibergesellschaft Roddergrube vor allem ab den 1930er Jahren Wohnhäuser in der Siedlung Berrenrath errichten.
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Heutiger Zustand und kulturlandschaftliche Bedeutung
Durch die vielen Umbaumaßnahmen der letzten Jahrzehnte sind von der Gründungsanlage nur das Trocken- und Pressenhaus sowie das daran anschließende Nassdienstgebäude erhalten geblieben. Dem im rechten Winkel zum heutigen Bertramsjagdweg angelegten, nach außen dreistöckigen Trockenhaus mit flachem Satteldach ist das zweistöckige Pressenhaus auf der gesamten Gebäudelänge vorgelagert. Einen Eindruck von der bauzeitlichen Gestaltung vermittelt die zur Straße hin gelegene, mit roten Ziegeln verkleidete und mit hochrechteckigen Fensterflächen gestaltete Giebelfassade.
Das heutige Erscheinungsbild der Brikettfabrik wird im Wesentlichen geprägt durch die Erweiterungsbauten der späten 1930er Jahre, die im Zusammenhang mit dem Bau des Hydrierwerks in Wesseling entstanden. Die als Stahlbetonkonstruktionen mit Fassaden aus hellroten Klinkersteinen errichteten, kubischen Baukörper wurden im zeittypischen neoklassizistischen Architekturstil monumentaler Ausprägung gestaltet, die insbesondere durch die Gliederungselemente aus Sichtbeton und die zu Fensterbändern unterhalb der Traufe zusammengezogenen Belichtungsöffnungen erreicht wird. Der Architekt der Gründeranlage gilt als unbekannt, jedoch kann der Brühler Architekt Matthias Erven junior als Urheber beider Anlagen angenommen werden (Buschmann 2008, S. 328 f).
Auch nach dem Krieg wurden kontinuierlich bauliche Erweiterungen und technische Erneuerungen an der Brikettfabrik vorgenommen. Nach einem Teilabriss des Hochdruckkraftwerks 1988, um Platz für neue Kessel mit zirkulierender Wirbelschichtfeuerung zu schaffen, wurde im Mai 2001 die Brikettproduktion eingestellt. Heute gehört die Brikettfabrik zusammen mit dem Kraftwerk Goldenberg zum Verbund Knapsacker Hügel, welcher die benachbarten Unternehmen des Chemieparkes Knapsack mit Prozess- und Fernheizdampf versorgt. Es werden keine Briketts mehr gepresst, sondern Rohkohle mittels Stabschwingmühlen zu Kohlenstaub als Brennstoff für die RWE-eigenen Kraftwerke oder andere Abnehmer verarbeitet. Die dafür benötigte Energie wird in einem fabrikeigenen Kraftwerk durch Wirbelschichtfeuerung erzeugt. Ebenfalls werden hier auch Biomasse und Sekundärbrennstoffe zur Energieerzeugung verbrannt (www.group.rwe, 2020).

Zusammenfassend sind bis heute als ältere Teile von der Brikettfabrik Berrenrath erhalten:
  • Hochdruckkraftwerk (1938-41)
  • Trockenhaus 4% (Trockenhaus II) (1938/1939)
  • Pressen- und Trockenhaus I (1916/1917/1939-40/1964)
  • Trockenkohle-Verladung 4% (Verladung II) (1938/1939) (Buschmann et al. 2008, S. 332ff)

„Als einzig erhaltene Brikettfabrik der zum ehemals größten Unternehmen des Südreviers aufgestiegenen Roddergrube AG haben die überlieferten Fabrikgebäude samt ihren technischen Erst- und Zweitausrüstungen besonderen historischen Zeugnischarakter.
Der Komplex aus Trockenhaus (Trockenhaus II) mit der vorgelagerten Verladestation besticht durch die eindrucksvolle monumentale Gestaltung der Schaufassaden. Beide Bauten sind mit nur unwesentlichen Umbauten im bauzeitlichen Zustand erhalten. Neben der etwa zeitgleich ausgebauten Brikettfabrik Fortuna-Nord liegt hiermit ein zweites Beispiel der für die ausgehenden 1930er Jahre typischen neoklassizistischen Architektur monumentaler Ausprägung vor, die ansonsten bei Fabrikbauten im Rheinland eher selten zu finden ist“
(Buschmann et al. 2008, S. 335f).
Das Trockenhaus und der verbliebene Rest des Kraftwerks sind die einzig erhaltenen Produktionsbauten der zum ehemals größten Unternehmen des Südreviers aufgestiegenen Roddergrube. Die noch vorhandenen Gebäude aus der Zeit des Ersten Weltkriegs bis in die ausgehenden 1930er Jahre veranschaulichen eindrucksvoll die Änderungen des Architekturstils im Zeitraum von 25 Jahren.
Neben der hier zitierten architektonischen Bedeutung hat die Fabrik auch aus kulturlandschaftlicher Sicht einen hohen Zeugniswert: Sie ist ein Zeugnis für die historische Entwicklung des „Knapsacker Hügels“ als Verarbeitungsstandort für die Gruben des Südreviers und Bestandteil des historisch-aktuellen Industrieensembles Knapsacker Hügel, mit dem sie bis heute funktional verflochten ist. Die Fabrikgebäude stehen entlang der Zieselsmaarstraße und entfalten hier mit ihren beeindruckenden Fassaden und monumentalen Größe als Landmarken des bedeutenden Industriestandortes Knapsack eine dominierende und landschaftsprägende Wirkung. Die Brikettfabrik ist somit von insgesamt hoher kulturlandschaftlicher Bedeutung.
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Hinweis
Das Objekt Brikettfabrik Berrenrath ist wertgebendes Merkmal des historischen Kulturlandschaftsbereiches Berrenrath, Knapsack (Kulturlandschaftsbereich Regionalplan Köln 155).

(Norbert Gilson, Büro für technikhistorische Forschung und Beratung / Aachen; Institut. Industrie - Kultur - Geschichte - Landschaft / Köln, 2021 und Nicole Schmitz, LVR-Abteilung Kulturlandschaftspflege, 2020)

Internet
de.wikipedia.org
www.group.rwe: Knapsacker Hügel (abgerufen am 19.06.2020)

Literatur

Buschmann, Walter; Gilson, Norbert; Rinn, Barbara / Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit dem Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.) (2008)
Braunkohlenbergbau im Rheinland. (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Nordrhein-Westfalen 1, Rheinland.) Worms.
Flohr, Karl-Günter (1970)
Betriebsgeschichte des Tagebaus Berrenrath. In: Revier und Werk, Jg. 20, Heft 99, S. 38-42. Köln.
Neßeler, Helmut (1999)
Werden und Wandel des Industriestandortes Knapsack. Eine Chronik von den Anfängen bis in das Jahr 1998. In: Hürther Heimat, Band 78, S. 50-63. Hürth.
Neßeler, Helmut (1997)
Die Geschichte der Brikettfabriken Vereinigte Ville in Knapsack. In: Hürther Heimat, Band 76, S. 79-97. Hürth.
Pokschewinski, Karl; Schüler, Volker; Coenen, Manfred (2004)
Brikettfabriken und Anschlußbahnen im Rheinischen Braunkohlenbergbau. S. 142-145, Gülzow.

Brikettfabrik Berrenrath

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Bertramsjagdweg
Ort
50354 Hürth - Knapsack
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung
Historischer Zeitraum
Beginn 1916

Empfohlene Zitierweise

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Empfohlene Zitierweise
Norbert Gilson, 2021, Nicole Schmitz, 2020: „Brikettfabrik Berrenrath”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-245670 (Abgerufen: 25. April 2024)
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