An der nach Westen ausgerichteten Fassade sieht man ein farbenfrohes Gemälde, welches jedoch zur Geschichte des Hauses konträr ist. Das Bauwerk erhielt seinen Namen nach dem ermordeten Erzbischof von San Salvador, Óscar Arnulfo Romero (1917-1980).
Die Errichtung des Hauses 1869
Das „Hotel Viktoria“
Die „Folterkammer“
Die Nutzung des Hauses nach 1945 bis heute
Baudenkmal
Quellen, Internet und Literatur
Die Errichtung des Hauses 1869
Da das alte Kantongefängnis in der Jakobstraße zu klein wurde und der Zustand des Gebäudes schlecht war, wurde ein neues Gefängnis auf Kosten des damaligen Landkreises Bonn erbaut. Nach langer Suche eines geeigneten Grundstückes, wurde schließlich 1867 eine Fläche „am hohlen Weg“ an der damaligen Weststraße (1902-1978, seitdem Thomasstraße) erworben (Binner u.a. 1989, S. 20). Nach zweijähriger Bauphase konnte das Gefängnis am 12. Januar 1869 bezogen werden. Es sollten lediglich kurze Zeitstrafen, die bis zu fünf Tage dauerten, von den Gefangenen abgesessen werden.
In den folgenden Jahren fanden ständig Erneuerungen oder Erweiterungen statt. So wurde das Objekt 1878 vergrößert und erhielt die noch heute bestehende Form. Außerdem wollte man für die Inhaftierten eine Kapelle anlegen. Erst nach weiteren 14 Jahren konnte das Gefängnis an die Kanalisation der Stadt Bonn angeschlossen werden.
Im Arresthaus selbst herrschten strenge Regeln für die Gefangenen, die in einer Hausordnung festgehalten wurden. So gab es eine feste Tagesordnung mit vorgesehenen Zeiten für das Aufstehen und Schlafengehen. Typische Delikte der Gefängnisinsassen waren Bettelei, Holzdiebstahl, Ruhestörung oder Tierquälerei.
Das „Hotel Viktoria“
Zum 1. April 1894 wurde aus dem Männer- ein Weibergefängnis. Nach der 1903 erfolgten Umbenennung des „hohlen Wegs“ in Victoria- bzw. Viktoriastraße (seit 1978 Heerstraße) sprach man im Volksmund von der Strafanstalt als „Hotel Viktoria“. Die Verbrechen waren beispielsweise Eigentums- und Vermögensdelikte, insbesondere Diebstahl. Des Weiteren hatten viele Frauen ihre Ehegatten oder Kinder getötet.
Die zu verrichtenden Arbeiten der Insassinnen waren sowohl ihre Wäsche als auch die des Männergefängnisses zu waschen. Zusätzlich fielen Schneiderarbeiten an, wie Flicken, Stopfen und Nähen. Diese Maßnahmen dienten der Resozialisierung und hatten gleichzeitig erzieherische Funktionen. Die Frauen sollten an regelmäßige Arbeit herangeführt werden.
Das Gefängnis hatte insgesamt 40 Plätze zur Verfügung, die sich auf zwei Etagen und den Keller verteilten. Es gab neun Einzelzellen und drei Gemeinschaftszellen, die für drei Personen bestimmt waren. Diese hatten eine Größe von 12 bis 14 Quadratmeter, die Einzelzellen waren hingegen nur 5 bis 11 Quadratmeter groß. Der Alltag der Frauen war sehr monoton. Neuzugänge und Abgänge waren Abwechslungen für sie. Laut einer Statistik von 1923 gab es in dieser Anstalt 275 Zugänge und 278 Entlassungen. Durchschnittlich dauerte ein Gefängnisaufenthalt etwas über einen Monat. Längere Strafen wurden in anderen Gefängnissen abgesessen.
Da das Frauengefängnis als veraltet galt, erfolgte 1930 auf Anordnung des preußischen Justizministeriums nach 36 Jahren die Verlagerung des Frauengefängnisses in die Bonner Wilhelmstraße, wo sich das Männergefängnis befand.
Der General-Anzeiger berichtet anlässlich der Verlegung der Frauenabteilung, dass die weiblichen Gefangenen nach „recht schwierigen“ Umbauten an dem vor 68 Jahren erbauten Gefängnis dort in „strenger Trennung der Frauen- und Männerabteilung“ untergebracht werden. Über die elf jeweils 9,5 Quadratmeter bzw. 28 Kubikmeter großen Zellen wird zudem berichtet, „daß die in den Strafanstalten bisher allgemein übliche graue Anstaltsfarbe einem angenehmen rot-bläulichen Anstrich hat weichen müssen“ und andere Annehmlichkeiten die „geräumigen Zellen fast wohnlich“ machen.
Die „Folterkammer“
Nach der Schließung der Strafanstalt am 31. Oktober 1930 sollte das Haus als Obdachlosenasyl genutzt werden. Zum 1. April 1933 wurde es jedoch an die Schutzstaffel (SS) der NSDAP verpachtet, die daraufhin das Gebäude als SS-Heim und Gefängnis nutzte.
Das Gefängnis befand sich im Keller und diente dazu, Bürger in die so genannte „Schutzhaft“ nehmen zu können – eine für die NS-Zeit typische Inhaftierung ohne richterliche Kontrolle, angeblich zum „Schutz der Bevölkerung“. Dies erwies jedoch sich rasch als NS-Propaganda, denn in Wahrheit war das Gefängnis ein „Instrument der Ausschaltung politischer Gegner“, wie z.B. Kommunisten (Binner u.a. 1989, S. 51). Unter anderem wurde der Kommunist Josef Messinger im Sommer 1933 in den Keller des Hauses gebracht und den heftigen Folterungen ausgesetzt, bis er am 11. Juli 1933 an den Folgen umkam.
Beliebte Methoden der Folter waren das Bespritzen mittels eines Hydrantenschlauches mit Wasser auf nackte Haut, das Schlagen mit einer Reitpeitsche oder einem Gummiknüppel oder andere Arten der Misshandlung. Diese Prozeduren beliefen sich zwischen 20 und 30 Minuten Dauer (Binner u.a. 1989, S. 54 f). Ab 1938 wurde die Folterstätte als Luftschutzkeller genutzt.
Die Nutzung des Hauses nach 1945 bis heute
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Stadt Bonn das Haus als Ausweichquartier in Anspruch, welches nach einem Umbau 1962 als Notunterkunft für sozial schwache Familien diente. Das Haus verkam mit den Jahren und stand kurz vor dem Abriss.
Seit dem 28. März 1973 wohnte jedoch ein neuer Mieter in dem Objekt: Der katholische Theologe und Pfarrer Martin Huthmann (1931-2019). Dieser ergriff mit einigen Studenten zusammen die Initiative und machte aus der „Ruine“ ein Wohnheim. Es wurde zu einem Treffpunkt von Gruppen, für die der damalige Erzbischof von San Salvador, der 1917 geborene Befreiungstheologe Óscar Arnulfo Romero y Galdámez, Leitfigur wurde – daher der Name des Hauses.
Der Namensgeber setzte sich stark für die Armen und die Unterdrückten ein. Er kämpfte um die Rechte der Menschen in seinem Land und wollte den Frieden bewahren. Am 24. März 1980 wurde Óscar Romero während eines Gottesdienstes ermordet – die Drahtzieher und der offenbar politische Hintergrund der Tat sind bis heute nicht abschließend ermittelt.
Durch Papst Franziskus wurde Óscar Romero am 23. Mai 2015 in San Salvador seliggesprochen, die Heiligsprechung erfolgte am 14. Oktober 2018 in Rom (www.zeit.de).
Da die Bewohner des Hauses Romero als ihr Vorbild ansahen, kam es am 7. Februar 1982 zur Gründung des Förderkreises Oscar-Romero-Haus e.V., der schließlich durch Spenden das Haus kaufte. Der Förderkreis ist noch heute in dem Haus ansässig und realisiert viele Projekte nach Vorbild des Namensgebers.
1983 wurde die Kopffassade, die zu den Bahngleisen gelegen ist, von einer Kunststudentin farbig bemalt. Es soll ein Netz, ein christliches Motiv, darstellen und ist konträr zur Geschichte des Hauses.
Der Grundriss der alten Strafanstalt im Keller ist weiterhin sichtbar und die alten Holztüren sind noch immer vorhanden. Heute hängt ein grober Plan des Hauses an der Eingangstür. Während aus den damaligen Zellen des ersten und zweiten Geschosses Zimmer für Studenten wurden, sind im Erdgeschoss Initiativen und Gruppen ansässig, wie z.B. die Initiative Kirche von unten (IKvu), die Informationsstelle Lateinamerika e.V. (ila) oder die Rosa-Luxemburg-Bibliothek.
Baudenkmal
Das Objekt „Óscar-Romero Haus“, Heerstraße 205 (ehemaliges Frauengefängnis) ist ein eingetragenes Baudenkmal (Denkmalliste Bonn, Stand 13. April 2012, Lfd. Nr. A 3169).
(Aurelia Honcza, Geographisches Institut der Universität Bonn, 2013 / Ergänzungen Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2018/2022)
Quellen
Stadtarchiv Bonn, Tageszeitungsausschnitte:
- „Studenten kaufen ehemaliges Frauengefängnis“, in: Bonner Rundschau vom 12.02.1983, Signatur 135/555.
- „Examensarbeit an die Hausfassade gepinselt“, in: Rhein-Sieg-Anzeiger vom 05.10.1983, Signatur 135/555.
- „Wer erinntert sich an das 'Hotel Viktoria'“, in: General-Anzeiger vom 20.12.1988), Signatur 140/95.
- „Neuerungen im Bonner Gefängnis. Verlegung der Frauenabteilung“, in: General-Anzeiger vom 31.10.1930.
Internet
www.oscar-romero-haus.de: Homepage des Förderkreises Oscar-Romero-Haus e.V. (abgerufen 05.12.2012)
de.wikipedia.org: Óscar Romero (abgerufen 08.01.2013)
de.wikipedia.org: Martin Huthmann (abgerufen 11.09.2019)
stadtplan.bonn.de: Online-Stadtplan und Straßenverzeichnis der Bundesstadt Bonn: Weststraße, Straßenschlüssel 10578 / Viktoriastraße, Straßenschlüssel 10595 (abgerufen 23.05.2022)
www.zeit.de: Papst spricht ermordeten Erzbischof heilig (ZEIT-online vom 14. Oktober 2018, abgerufen 15.10.2018)