Kleinbahn von Farge nach Wulsdorf

Niederweserbahn

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Landeskunde
Gemeinde(n): Bremen, Bremerhaven, Hagen im Bremischen, Loxstedt, Schwanewede
Kreis(e): Bremen, Bremerhaven, Cuxhaven, Osterholz (Niedersachsen)
Bundesland: Bremen, Niedersachsen
Koordinate WGS84 53° 21′ 33,88″ N: 8° 31′ 38,3″ O 53,35941°N: 8,5273°O
Koordinate UTM 32.468.541,40 m: 5.912.357,54 m
Koordinate Gauss/Krüger 3.468.599,74 m: 5.914.282,34 m
Die normalspurige Kleinbahn von Farge nach Bremerhaven-Wulsdorf bediente von 1911 bis 1964 den Personen- und Güterverkehr auf dem rechten Ufer der Unterweser. Im Süden hatte sie Anschluss an die Farge-Vegesacker Eisenbahn, in Wulsdorf an die Hauptbahn von Bremen nach Bremerhaven.

Die Geschichte bis 1911
Die Zeit bis 1945
Die Zeit nach 1945
Betriebsstellen
Fahrzeuge
Hinweis, Quelle, Links, Literatur

Die Geschichte bis 1911
Das Königreich Hannover (1814-1866) eröffnete 1847 die Bahnverbindung von der Landeshauptstadt Hannover nach Bremen. Der wichtige Überseehafen Geestemünde (Bremerhaven) erhielt 1862 Anschluss nach Bremen. Diese Bahn führte jedoch über die Geest weit an den Orten an der Unterweser vorbei. Der Verkehr wurde hier per Schiff und per Postkutsche abgewickelt.
Im hannoverschen Geestemünde hatte sich ein Kleinbahnkomitee gegründet, das einen Plan für eine Kleinbahn Geestemünde – Osterstade (Osterstader Marsch) ausarbeitete. Der bedeutende Fischereihafen Geestemünde war 1895 Kreisstadt geworden. Im Hafen und fischverarbeitenden Fabriken gab es einen großen Bedarf an Arbeitskräften, die aus dem südlich gelegenen Land rekrutiert werden sollten. Zusätzlich konnten die landwirtschaftlichen Produkte des Landes in die großen Städte gebracht werden. Dazu gehörten Schlachtvieh, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Ziegeleisprodukte. Das Land war mit Düngemitteln und Brennstoffen zu versorgen.
Trotz der guten Voraussetzungen versprach man sich keinen großen wirtschaftlichen Gewinn. Deshalb wurde zunächst ein schmalspurige Bahn mit 750 Millimeter Spurweite geplant.
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1899 griff die Firma Havestadt & Contag, Berlin die Pläne erneut auf. Diese hatte zeitgleich die Kehdinger Kreisbahn an der Unterelbe geplant und gebaut. Jetzt war eine meterspurige Bahn geplant. Jedoch verweigerten die beiden Kreise Geestemünde und Blumenthal finanzielle Zusagen, das Projekt ruhte weiter.
1904 versuchte es Havestadt & Contag erneut, diesmal als normalspurige Bahn. Ausgangspunkt war nicht mehr Geestemünde, sondern Wulsdorf an der Bahnstrecke von Bremen nach Bremerhaven und weiter nach Cuxhaven sowie seit 1902 nach Bremervörde/Stade. Der Bahnhof Wulsdorf war 1899 neu angelegt worden, als die Umgehungsbahn um Geestemünde und Bremerhaven in Betrieb genommen worden war. Die innerstädtische Verbindung von Wulsdorf West nach Bremerhaven stellte die Straßenbahn her (1911-1914, Linie 3). Die Kosten von 1,8 Millionen Mark sollten sich der preußische Staat, die Provinz Hannover und lokale Kommunen teilen.
Die Konzession für den Bau und Betrieb der Bahn des Großherzogtums Oldenburg datierte vom 23. Oktober 1908; die der Bezirksregierung Stade für den preußischen Anteil vom 11. Januar 1909. Die Kleinbahn Frage – Wulsdorf GmbH etablierte sich am 9. Januar 1909. Die Eröffnung der Strecke erfolgte in zwei Abschnitten: am 2. August 1911 von Wulsdorf nach Stotel und am 5. September 1911 von Stotel nach Farge.
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Die Zeit bis 1945
In den Anfangsjahren gab es nur einen geringen Verkehr auf der Strecke, die Erwartungen in die Wirtschaftlichkeit wurden nicht erfüllt. Es wurden zunächst vier tägliche Zugpaare angeboten. In der Zeit des Ersten Weltkriegs stiegen die Beförderungen von Personen und Gütern an. Die Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre ließen die Zahlen wieder sinken.
Mit der Gründung des Landeskleinbahnamtes der Provinz Hannover 1921 ging die Betriebsführung am 1. Januar 1922 auf dieses Amt über. Die Folgen waren Entlassungen von Personal und die Reduzierung des Bahnverkehrs: es wurden nur noch drei Zugpaare wöchentlich angeboten. Nur die Sandlieferungen für den Bau der Columbuskaje (Fertigstellung 1926) in Bremerhaven retteten die Bahn vor der Einstellung.
Der Berufsverkehr nach Vegesack und Bremerhaven ließ die Beförderungszahlen in den späten 1920er Jahre wieder ansteigen. Doch in der Wirtschaftskrise 1930/31 gingen die Fahrgastzahlen rapide zurück. Die Gesellschaft sah keine Möglichkeit der Einsparungen mehr. Entsprechend wurde der Personenverkehr am 4. Juni 1931 eingestellt. Der Güterverkehr wurde nur noch bedarfsweise durchgeführt. Der Verkehr wurde auf Busse und Lastwagen verlagert.
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Auch der Güterverkehr konnte die Bahn nicht retten. Der Abschnitt von Farge nach Sandstedt wurde zum 1. September 1938 stillgelegt und von Sandstedt bis Neuenkirchen abgebaut. Den Abschnitt von Farge nach Neuenkirchen verkaufte man an die Marineverwaltung. In Reckum war der Anschluss zur Baustelle eines riesigen U-Boot-Bunkers an der Weser entstanden. Zudem wurde von hier das Wehrmachtsarsenal Schwanewede bedient (zur weiteren Geschichte dieses Abschnittes siehe Farge-Vegesacker Eisenbahn).
Im Zweiten Weltkrieg musste die Kleinbahn den Personenverkehr zwischen Wulsdorf und Sandstedt wieder aufnehmen. Gründe waren fehlende Brennstoffe für die Busse, erhöhter Berufsverkehr, Flüchtlinge und Evakuierungen bombengeschädigter Städter. Ab dem 15. Juli 1943 wurden wieder Personenzüge zwischen Wulsdorf und Sandstedt gefahren. Die erforderlichen Personenwagen wurden von anderen Bahngesellschaften zur Verfügung gestellt.
Durch Bombenabwürfe und Tieffliegerbeschuss kam es zu erheblichen Schäden, es gab Tote und Verletzte. Der Verkehr musste am 15. April 1945 eingestellt werden.
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Die Zeit nach 1945
Nach Beseitigung der Kriegsschäden konnte der Betrieb am 1. Juli 1945 wieder aufgenommen werden, es fuhr ein tägliches Zugpaar. Die Fahrt wurde zum 5. November 1945 zum Bremerhavener Hauptbahnhof verlängert. Die erforderlichen Verbindungsgleise in Wulsdorf waren bereits 1944 hergestellt worden.
In der Nachkriegszeit gab es einen erheblichen Betrieb auf der Bahn durch Pendler, Flüchtlinge und Hamsterer. 1948 wurde der Firmennamen in Niederweserbahn GmbH geändert. In den 1950er Jahren fuhren noch etwa 200.000 Fahrgäste mit der Bahn. Der Güterverkehr blieb jedoch schwach. Die Gesellschaft betrieb den Umstieg auf Diesel und beschaffte 1950 drei Dieseltriebwagen und zwei Diesellokomotiven. Die Dampflokzeit endete auf der Niederweserbahn 1955.
1959 löste das Land das Niedersächsische Landes-Eisenbahn-Amt (NLEA) auf, die Betriebsführung übernahm die Osthannoverschen Eisenbahnen (OHE). In dieser Zeit gingen auch die Zahlen der Fahrgäste zurück, zudem musste der nicht kostendeckende Schülerverkehr aufrecht werden. Die Straßen waren noch nicht für einen durchgehenden Busverkehr ertüchtigt. Die Bahn erhielt erhebliche Zuschüsse vom Land.
Im Fahrplan 1963 waren noch sechs werktägliche Zugpaare zwischen Bremerhaven und Sandstedt angeboten worden. Die Fahrzeit betrug knapp eine Stunde für 24 Kilometer.
Nach endgültigem Ausbau der Bundesstraße B 6 konnte die Gesellschaft über die Einstellung der Bahn abstimmen. Der Personenverkehr wurde zum 26. September 1964 eingestellt; im selben Jahr auch der Güterverkehr. Die Gleisanlagen wurden 1965 abgebaut, die Niederweserbahn GmbH am 17. Juli 1981 gelöscht.
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Betriebsstellen
Die Strecke weist eine Länge von rund 38 Kilometern auf. Die Streckenkilometrierung beginnt in Farge.
(Bf = Bahnhof, Hp = Haltepunkt, Klbf = Kleinbahnhof; jeweils aktuelle bzw. letzte Bezeichnung)
Bahnkilometer
Name
0,0
Bf Bremen-Farge Ost (ursprünglich Frage Klbf [Kleinbahnhof], Übergang zur Farge-Vegesacker Eisenbahn)
2,5
Hp Rekum (Verbindungen zum Tanklager Farge, zur Lützow-Kaserne und zur Marinebahn)
3,8
Hp Neuenkirchen
6,5
Bf Rade
10,0
Bf Wurthfleet-Aschwarden
12,2
Bf Rechtebe
14,5
Bf Wersabe
15,3
Bf Offenwarden
17,8
Bf Sandstedt
20,4
Bf Rechtenfleth
24,4
Bf Neuenlande
26,3
Bf Büttel
28,2
Bf Holte-Speckje
30,5
Bf Stotel
31,5
Bf Nesse
34,1
Hp Welle
35,1
Bf Welle-Lanhausen
36,5
Bf Wulsdorf Hp (Bremerhaven-Wulsdorf West; Übergang zur Bremerhavener Straßenbahn 1911-1914)
38,3
Bf Wulsdorf Klbf (Bremerhaven-Wulsdorf Süd) (Verbindung zur Strecke nach Bremerhaven)
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Fahrzeuge
Bei der Betriebseröffnung gab es vier Dampflokomotiven, zwei neu gekaufte der Firma Hanomag (Hannoversche Maschinenbau AG) und zwei gebraucht erworbene der Firma Henschel und Sohn, Kassel. Es waren kleine, dreiachsige Tenderlokomotiven. Die alt gebrauchten Lokomotiven wurden 1914 wieder verkauft, dafür kamen fabrikneu eine zweiachsige und eine dreiachsige Dampflokomotive (Firmen Henschel und Hanomag). Die zweiachsige Tenderlokomotive war zu schwach für den Betrieb und so wurde sie 1917 wieder verkauft. Für den normalen Betrieb reichten zwei Lokomotiven aus. 1939 wurde eine kleine zweiachsige Diesellokomotive der Firma Deutz (Gasmotoren-Fabrik Deutz AG in Köln) erworben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste der Fahrzeugpark vergrößert werden. Gekauft wurde 1946 von der Deutschen Reichsbahn eine dreiachsige Dampflokomotive der Firma Hanomag (Baureihe T3). 1955 erwarb man eine gebrauchte zweiachsige Diesellokomotive der Firma Deutz. Sie wurde 1965 an die Buxtehude-Harsefelder Eisenbahn weitergegeben (siehe hier)
Zur Vereinfachung des Personenverkehrs wurden Triebwagen beschafft, die mit weniger Personal bedient werden konnten. 1949 war es ein vierachsiger Dieseltriebwagen 161 der Firma Waggonfabrik Wismar von 1939. Von der Deutschen Bundesbahn kam der Triebwagen 157 von der Firma DWK (Deutsche Werke Kiel) von 1925, ohne Motor und Getriebe. Die eigene Werkstatt baute den Wagen modernisiert wieder auf und setzte ihn bis zur Betriebseinstellung ein. Als dritter Triebwagen kam 1954 der Wagen 113 der Firma van der Zypen & Charlier in Köln-Mülheim von 1925 hinzu.
An Personenwagen gab es zu Beginn drei Wagen für die 2./3. Klasse und sechs für die 3. Klasse. Nach Einstellung des Personenverkehrs 1931 wurden sie verkauft bzw. verschrottet. Ein Packwagen kam von der Bremervörde-Osterholzer Eisenbahn.
Den wieder aufgenommenen Personenverkehr ab 1943 wickelte man zunächst mit gemieteten Wagen der Deutschen Reichsbahn ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden für den gestiegenen Personenverkehr sieben beschädigte Personenwagen übernommen. Sie wurden in der eigenen Werkstatt wieder aufgebaut. Nach der Übernahme des Verkehrs durch die Triebwagen wurden diese Wagen verkauft oder verschrottet.
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Erhaltene Fahrzeuge
Die zweiachsige Diesellokomotive Nr. 223 wurde 1916 für das Kaiserliche Garnison-Maschinenbauamt Wilhelmshaven bei der Firma Deutz gebaut. 1952 ging sie an das Niedersächsische Landeseisenbahnamt und erhielt die Nummer 223. Sie fuhr ab 1952 auf der Ankum-Bersenbrücker Eisenbahn, ab 1954 auf der Butjadinger Eisenbahn. Im August 1955 übernahm sie die Niederweserbahn, die sie am 25. August 1965 an die Buxtehude-Harsefelder Eisenbahn abgab. Von hier kam sie am 2. November 1984 ins Stader Technik- und Verkehrsmuseum. Das Museum wurde 2012 aufgelöst, die Lok kam wohl nach Hannover, der Verbleib ist unklar.

Der Wagenkasten eines als Gartenlaube genutzten Personenwagens (Nr. 724) befindet sich nahe des ehemaligen Betriebsgeländes in Bremerhaven-Wulsdorf auf Privatgelände.
Erhalten sind auch der gedeckte Güterwagen G 101 und der offene Güterwagen O 052. Beide Fahrzeuge stammen aus der Erstausstattung der Bahn und wechselten nach der Stilllegung zur Bremervörde-Osterholzer Eisenbahn (BOE). Nach Gründung der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (evb) wurden beide Wagen übernommen. 1999 verschenkte man die Wagen an die Kleinbahn Wathlingen-Ehlershausen e. V., wo sie bis 2010 blieben. Der G 101 ging an Privat zur Nutzung auf der Museumseisenbahn Friesoythe-Cloppenburg e. V., der O 052 kehrte zurück zur EVB und ist als Denkmal am Worpsweder Bahnhof aufgestellt.
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(Claus Weber, Redaktion KuLaDig, 2025)

Hinweise
Die Kartierung der Objektgeometrie basiert auf folgenden Quellen: Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (https://www.geobasis.niedersachsen.de/); OpenStreetMap, unter der Lizenz „Open Database Licence (ODbL) 1.0”.

Quelle
Archivinformationssystem Niedersachsen und Bremen (www.arcinsys.niedersachsen.de, abgerufen 08.10.2019)

Internet
de.wikipedia.org: Niederweserbahn (abgerufen 5.6.2025)
www.bremerhaven.de: Marco Butzkus/Stadt Bremerhaven, Mit der Kleinbahn durch die Marsch: Fünf Jahrzehnte Schienen-Geschichte leben im Süden der Stadt wieder auf (2010) (abgerufen 5.6.2025)
beitraege.lokomotive.de: Ingo Hütter, Pattensen, Umfangreiche Informationen zum Fahrzeugpark (abgerufen 5.6.2025)
moorexpress.info: Lok 223 (abgerufen 5.6.2025)

Literatur

Dotzauer, Manuel (2014)
Bahnlandschaft Elbe-Weser-Region. Spurensuche in Bremerhaven sowie im Dreieck zwischen Bremen, Cuxhaven und Hamburg. S. 124-127, Bremen.
Kenning, Ludger (2020)
Reinhard Todt bei den Straßen- und Privatbahnen. Band 1: Von Nordfriesland bis in die Lüneburger Heide. S. 132-137, Fürstenfeldbruck.

Kleinbahn von Farge nach Wulsdorf

Schlagwörter
Ort
Bremen, Bremerhaven, Hagen im Bremischen, Loxstedt, Schwanewede
Fachsicht(en)
Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Auswertung historischer Karten, Auswertung historischer Fotos, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung
Historischer Zeitraum
Beginn 1911, Ende 1964

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Claus Weber: „Kleinbahn von Farge nach Wulsdorf”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-356381 (Abgerufen: 10. Juli 2025)
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