Das Kehdinger Tor war im 13. Jahrhundert als nördliches Stadttor zum Kehdinger Land hin errichtet worden. Der Stadtgraben wurde auf einer Brücke gequert. Davor lag eine größere freie Fläche, die entlang des Weges mit Häusern bestanden war.
1645 wurde die Stadt schwedisch. Im Zuge der Ausbauarbeiten der Festung durch die Schweden plante Erik Jönssen Graf von Dahlberg (1625-1703; schwedischer Ingenieuroffizier, Feldmarschall und Bremen-Verdener Generalgouverneur) 1648 den Bau eines Ravelins vor dem Tor („Kehdingertorsravelin“). Dieser Plan wurde jedoch zunächst nicht ausgeführt. Es gab lediglich einen kleinen Waffenplatz vor dem Tor. Dieser war mit der gezackten Contrescarpe verbunden, die den äußeren Rand des Festungsgrabens sicherte.
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Nach 1645 verbreiterte man den Stadtgraben immer mehr, so dass auch die Brücke zwischen Kehdinger Tor und Waffenplatz immer länger werden musste. Da die Stadt zur Unterhaltung der Brücke verpflichtet war, gab es regelmäßig Klagen bei der schwedischen Regierung auf Kostenübernahme; allerdings ohne Erfolg.Erst unter dem Druck einer bevorstehenden Belagerung des schwedischen Stade durch dänische Truppen in den 1670er Jahren nahm man den Plan von 1648 wieder auf und erweiterte 1675-1676 den Waffenplatz zu einem regulären Ravelin. Kehdingertorsravelin und Kehdinger Tor waren über eine hölzerne Brücke miteinander verbunden.
Der Ravelin wurde zwischen 1687 und 1690 durch die Schweden erweitert. Allerdings erwies sich der Boden als nicht tragfähig (Marschland), so dass Faschinen (Reisigbündel zur Befestigung des Erdbaus) als Gründung gelegt werden mussten. 1689 konnte die Hauptbrücke mit zwei Zugbrücken und Homey (hölzernes Tor oder Zugbrücke auf einer Hauptbrücke) fertig gestellt werden. Die Brücke war nun 202 Fuß (ca. 54 Meter) lang und bestand aus Föhrenholz. Bis 1699 waren auch die auf der Feindseite liegende Esplanade und Avantfossé (äußere Berme) angelegt. Damit war das Tor der damaligen Festungstechnik entsprechend gesichert.
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1712 belagerten dänische Truppen die Stadt und eroberten sie. Damit endete die schwedische Herrschaft über die Stadt. 1715 wurden die säkularisierten Herzogtümer Bremen (somit auch Stade) und Verden Teile des Kurfürstentums Hannover, seit 1814 Königreich Hannover. Stade blieb Landesfestung und Verwaltungssitz. In einer detaillierten Darstellung der Festung von 1736 (O.B. von Schwaan) ist der Aufbau des Kehdingertorsravelin im 18. Jahrhundert zu erkennen. Die Brücke vom Kehdinger Tor über den inneren Festungsgraben endete auf einem größeren freien Platz in der Kehle des Ravelins. Von hier aus führte der baumgesäumte Weg nach Osten über eine weitere Brücke zur Contrescarpe und in das Kehdinger Land.
An die Kehle schloss sich Richtung Bastionsspitze der tiefer liegende Waffenplatz an. Von hier aus gelangte man über Rampen auf den gedeckten Gang hinter den Wällen der Facen (Bastionsseiten). Kanonen und Kampftruppen konnten auf den höher liegenden Kampfplätzen aufgestellt werden.
Weitere Aufstellflächen und Kampfplätze, ebenfalls höher angeordnet, zeigten nach Süden auf die zur Stadt hin liegenden Grabenbereiche und das Kehdinger Tor. Von tief liegenden, vorkragenden Flanken mit Kampfplätzen an beiden Seiten der Kehle aus konnten der Graben und die beiden angrenzenden Bastionen (Wrangelsbastion bzw. Nicolaibastion) geschützt (bestrichen) werden.
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Spätestens nach dem Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) verlor die Festung an Bedeutung für das Königreich. Ein erster Plan für die Entfestung der Stadt wurde 1770 erarbeitet.Zwar wurden die Festungsanlagen in der Zeit der französischen Besatzung 1803-1813 nochmals erneuert, aber Mitte des 19. Jahrhunderts vereinigte man die neu entstandenen vorstädtischen Siedlungen und die Altstadt. Die Einschränkungen durch den Festungsbering wurden immer bedeutsamer für die Entwicklung der Stadt. Somit richtete die Stadt am 2. August 1852 eine umfassende Eingabe zur „Entfestigung der hiesigen Stadt“ an das hannoversche Kriegsministerium.
Die Entfestung von Stade erfolgte nach 1882. Im Zuge des Neubaus des äußeren Hafens 1880 bis 1881 ebnete man die Nicolaibastion und die anschließende Kurtine bis zum Kehdinger Tor ein. Der Umriss des Kehdingertorsravelin blieb erhalten, die darüber führende Straße ausgebaut und der Ravelin bebaut.
Die Ravelinsspitze und die beiden Facen bzw. Flanken des Ravelins sind durch beidseitige wasserführende Gräben erkennbar.
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(Claus Weber, Stade, 2024)Hinweise
Der den Ravelin einfassende Burggraben ist als Teil einer Gruppe baulicher Anlagen Denkmal gemäß § 3 Abs. 3 S. 1 NDSchG, Objekt-Nr. 632.
Vier der auf dem Ravelin stehenden Häuser sind Einzeldenkmäler gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG: Villa Salve (Objekt.-Nr. 456), Villa Freiburger Straße 1 (Objekt-Nr. 453), Villa Parkstraße 4 (Objekt-Nr. 455), Villa Parkstraße 6 (Objekt-Nr. 454).
Der Kehdingertorsravelin ist dargestellt in seiner Ausdehnung Ende des 19. Jahrhunderts, nach der Entfestung: Karte von den Festungswerken und Festungsländereien bei der Stadt Stade. Handzeichnung angefertigt nach den Grundsteuergemarkungskarten von Greihn, M 1:2000, 1880. NLA ST Karten Neu Nr. 13699 (online unter www.arcinsys.niedersachsen.de, abgerufen 3.1.2024).
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