Der Ravelin lag zwischen der Königsmarcksbastion im Norden und der Gründelsbastion im Süden. Er war den beiden Bastionen vorgelagert und schützte die Kurtine zwischen den beiden Bastionen.
Die Stadt Stade war 1642 von schwedischen Truppen unter Hans Christoph Graf von Königsmarck (1605-1663, deutscher Feldmarschall in schwedischen Diensten, Generalgouverneur von Bremen und Verden, Erbauer von Schloss Agathenburg) eingenommen und 1645 übernommen worden. Sie wurde zur Hauptstadt des bremisch-verdischen Territoriums. In der Folge war ein Ausbau der Festungsanlagen unter modernen militärischen Gesichtspunkten erforderlich.
Im Zusammenhang mit militärischen Neuplanungen in den 1670er Jahren erfolgten Ausbaumaßnahmen an den Festungsanlagen. Die Planungen von Erik Jonsson Graf von Dahlberg (1625-1703; schwedischer Feldmarschall, Architekt und Festungsbaumeister) sahen einen einheitlichen Ausbau der Ravelins vor. Unter anderem war der Neubau des Bleicherravelins vorgesehen. Er entstand zwischen 1692 und 1694, benannt nach der Bürgerbleiche, die in die Neubauten einbezogen wurde. Der Bau wurde 1694 mit Glacis und Avantfossé (äußerer Berme) abgeschlossen. Die Bleichen vor der mittelalterlichen Stadtmauer dienten zuvor den Stadern zum Bleichen von Leinen.
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Auf einem Plan von 1779 ist der Bleicherravelin dargestellt. Zentral liegt der Waffenplatz, vom dem aus eine Rampe in die Ravelinsspitze und die gedeckten Gänge hinter den Erdwällen führte. An beiden Ecken fanden sich tiefer liegende Kampfplätze mit weiteren Erdwällen, hinter denen Kanonen aufgestellt werden konnten und die die angrenzenden Festungswerke schützten. Eine Brücke war nicht vorhanden.1712 belagerten dänische Truppen die Stadt und eroberten sie. Die schwedische Herrschaft über die Stadt endete. 1715 wurden die säkularisierten Herzogtümer Bremen (somit auch Stade) und Verden Teile des Kurfürstentums, später Königreich Hannover. Stade blieb Landesfestung und Verwaltungssitz. Spätestens nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) verlor die Festung an Bedeutung. Ein erster Plan für die Entfestung der Stadt wurde 1770 erarbeitet.
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Zwar wurden die Festungsanlagen im 18. Jahrhundert unter den Hannoveranern und in der Zeit der französischen Besatzung 1803-1813 nochmals wieder hergestellt und erweitert. Größere Veränderungen am Bleicherravelin sind nicht überliefert. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vereinigte man die neu entstandenen vorstädtischen Siedlungen und die Altstadt. Die Einschränkungen durch den Festungsbering wurden immer bedeutsamer für die Entwicklung der Stadt. Somit richtete die Stadt am 2. August 1852 eine umfassende Eingabe zur „Entfestigung der hiesigen Stadt“ an das hannoversche Kriegsministerium. Da der Ravelin die städtebauliche Entwicklung nicht störte, blieb er bei der Entfestung erhalten und wurde weiter durch das hannoversche Militär genutzt. 1825 legte es eine Militärbadeanstalt an, die 1881 auf die Erleninsel verlegt wurde. 1846 kam eine erste Gastwirtschaft hinzu, die nur über einen Fährkahn erreicht werden konnte. Die Insel war dem Gastronomen zur Nutzung verpachtet worden. Im Jahre 1901 verband die neu errichtete Steinbach-Brücke, benannt nach Stadtbaumeister Gustav Steinbach (1849-1938), südlich der Insel die Neubourgstraße mit der Straße Bei der Insel und der Wiesenstraße über den Burggraben. Nach 1912 wurde auch die heutige Brücke über den ehemaligen Festungsgraben zur Anbindung des Restaurants errichtet.
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Freilichtmuseum Die Insel
Bereits 1891 hatte die Stadt Interesse gezeigt, die Insel selbst zu nutzen. Aber erst nach Kündigung des Pachtvertrages konnte das Gelände auf Initiative des Bürgermeisters Ado Jürgens, der auch Vorsitzender des Geschichts- und Heimatvereins war, erworben werden. Es wurde zum 1. April 1910 dem Verein für Geschichte und Altertümer zur Einrichtung eines Freilichtmuseums verpachtet. Die Insel verband man 1912 über eine Brücke mit der neu angelegten Inselstraße. Das Mittelteil der Brücke war schwenkbar, so dass Ewer und Schuten zur Horst-Ziegelei (heute Sportplatz) und Ausflugsdampfer und Boote queren konnten. Sie trägt heute den Namen Wohltmannbrücke. Hans Wohltmann (1884-1968) war Lehrer und Direktor des Athenaeums in Stade sowie Regionalhistoriker.
Nach Plänen des Gartenarchitekten Christian Roselius und des Architekten Prof. Emil Högg wurde das Gelände gestaltet und 1912–1914 die ersten beiden Gebäude aus Varel (bei Scheeßel) und Huttfleth (Altes Land) in die Anlage einbezogen. Im Vareler Haus, ein Halbhofhaus, wurde das Inselrestaurant eingerichtet. Es brannte 1913 teilweise ab und musste neu errichtet werden. Des Weiteren gab es zwei offene Veranden als Flügelbauten zum Gasthaus, eine Kegelbahn und einen Musikpavillon (bis 1967 an der Stelle der heutigen Mühle). Das Museum wurde 1914 mit dem ersten Stader Heimatfest feierlich eröffnet.
Das Restaurant diente seit 1945 englischen Offizieren als „Insel-Club“. Im Frühjahr 1950 war das alte Fachwerkhaus an den Stader Geschichts- und Heimatverein zurück gegeben worden.
Ab den 1960er Jahren wurden weitere historische Bauwerke auf die Insel transloziert. Das Inselhaus aus Varel brannte im Dezember 1992 durch Brandstiftung völlig ab und wurde 1993/94 durch das Haus Himmelpforten Nr. 6 mit Giebel von 1641 ersetzt.
Zurzeit finden sich folgende Anlagen im Museum:
- Inselhaus/Geestbauernhaus mit der Fassade des Hauses Himmelpforten Nr. 6 mit einem Giebel von 1641 (1993/94)
- Bockwindmühle von 1632 aus Rethmar (1967)
- Altländer Haus (Marschbauernhaus von 1733 aus Huttfleth im Alten Land, ein Kübbungshaus mit Diele, Flett und Kammerteil sowie reich verziertem, dreimal vorgekragtem Giebel mit Buntsteinmauerwerk)
- Altländer Prunkpforte aus Twielenfleth von 1791 (1972)
- Remise
- Göpelwerk aus dem 17. Jahrhundert (1969)
- Immenzaun/Bienenstöcke
- Backhaus mit Steinbackofen und Schrotmühle (1970)
- Lichtenberg-Denkmal
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Erläuterungen:
Bockwindmühle: ältester Windmühlentyp in Europa, bei dem das gesamte Mühlenhaus auf einem einzelnen dicken Pfahl (dem „Hausbaum“) steht, der senkrecht in einem hölzernen Stützgestell (dem „Bock“) befestigt ist.
Kübbungshaus: Großes, lang gestrecktes Gebäude mit Fachwerkaußenwänden, die mit Ziegelsteinen vermauert sind.
Kübbung: Seitenschiff eines niedersächsischen Bauernhauses.
Flett: Offener Wohnraum und Küche in einem niedersächsischen Bauernhaus.
Göpelwerk: Technik zur Übertragung von Muskelkraft (Tier, Mensch) auf eine senkrechte rotierende Achse, über die eine externe Arbeitsmaschine angetrieben wird (Brunnen, Mühle, usw.).
Immenzaun: überdachter, halboffener Stand, in dem Bienenstöcke wettergeschützt aufgestellt werden.
Georg Christoph Lichtenberg, Naturforscher und Philosoph (1742-1799), der sich 1773 für ein halbes Jahr in Stade aufhielt und astronomische Ortsbestimmungen durchführte.
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Hinweise
Der Bleicherravelin ist als Teil einer Gruppe baulicher Anlagen Denkmal gemäß § 3 Abs. 3 S. 1 NDSchG, Objekt-Nr. 630.
Der Ravelin ist dargestellt in seiner Ausdehnung Ende des 19. Jahrhunderts, nach der Entfestung.
(Claus Weber, Stade, 2024)
Quelle
Karte von den Festungswerken und Festungsländereien bei der Stadt Stade. Handzeichnung angefertigt nach den Grundsteuergemarkungskarten von Greihn, M 1:2.000, 1880. NLA ST Karten Neu Nr. 13699 (online unter www.arcinsys.niedersachsen.de, abgerufen 03.01.2024).
Internet
www.stadt-stade.info: Freilichtmuseum Insel (abgerufen 07.01.2024)
de.wikipedia.org: Freilichtmuseum auf der Insel (abgerufen 07.01.2024)
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