Nahe des Kölner Neumarkts steht das 1928/29 nach alten Vorbildern erbaute Richmodishaus, aus dessen Turmfenstern zwei Pferdeköpfe herausschauen. Diese erinnern an die zur Zeit der Pest spielende Sage um die Kölner Patrizierin Richmodis von Aducht.
„Am Nümaat zwei Päädsköpp“ - Richmodis von Aducht Es ist Mitte des 14. Jahrhundert. In ganz Europa sterben die Menschen an der Pest. Etwa 25 Millionen Tote rafft der „Schwarze Tod“ dahin. Das sind etwa ein Drittel der Einwohner Europas. Besonders stark trifft es die Städte, in denen die Menschen eng, zum Teil mit Vieh, zusammenleben. Infizierte bekommen zunächst starkes Fieber, dann entstehen am gesamten Körper Beulen, und innerhalb weniger Tage tritt der Tod ein. Die Ärzte sind hilflos. Regelmäßig schaden sie ihren geschwächten Patienten zusätzlich, indem sie diese zur Ader lassen oder mit Brechmittel oder Einläufen behandeln. Die Seuche erreicht im Sommer 1349 auch Köln. Das öffentliche Leben kommt - aus lauter Angst vor einer Ansteckung - zum Stillstand. Nur wenige Menschen sind bereit, den Kranken zu helfen. Darunter ist die Patrizierin Richmodis von Aducht. Sie stammt aus der angesehenen und wohlhabenden Familie Lyskirchen und heiratet 1346 den einflussreichen Kölner Bürgermeister Richolf Mennegin von Aducht, genannt Mengis. Sie pflegt Pestkranke und steht auch Sterbenden bei ohne sich anzustecken.
Zwei Schimmel auf dem Turm Doch mit der zweiten Welle der Pest, etwa sieben Jahre später im Jahr 1356, infiziert sich auch Richmodis von Aducht und stirbt an der Krankheit - das dachten zumindest alle. Wegen der Ansteckungsgefahr muss der vermeintliche Leichnam schnell aus dem Haus am Neumarkt geschafft werden. Daher wird ihr eilends ein dünnes Totenhemd angezogen, ein Sarg wird beschafft und Richmodis wird zum nahegelegenen Friedhof an der Apostelnkirche geschafft, um am Folgetag beigesetzt zu werden. Zwei Totengräbern entgeht dabei nicht, dass der Leichnam der reichen Kölnerin Schmuck trägt. Insbesondere ein wertvoller Ring weckt ihr Interesse. So gehen sie nachts in die Leichenhalle, öffnen den Sarg und wollen die Leiche bestehlen. Der erste Schreck kommt schnell, ist doch die Hand, von welcher einer der Diebe den Ring ziehen will, noch warm. Vollends panisch fliehen die beiden, als sich Richmodis mit den Worten „Mir ist so kalt.“ aufrichtet. Schnell wird ihr klar, wo sie sich befindet und dass sie nicht weit weg von zu Hause ist. Also läuft sie nach Hause und klopft an die Tür. Doch selbstverständlich lässt sie der vom Klopfen geweckte Knecht nicht rein - da könnte ja jeder kommen. Auch ihre Beteuerung, dass sie doch die Dame des Hauses sei, hilft nicht. Aber immerhin weckt der Knecht den vermeintlichen Witwer Mengis. Auch dieser reagiert verständlicherweise eher unwirsch und weist die Person vor der Tür an, zu verschwinden. Auf ihren Einwand, dass sie doch seine Frau sei, antwortet Mengis voller Trauer: „Meine Frau ist tot. Eher steigen meine beiden Schimmel die Treppe hinauf in den Turm und schauen aus dem Dach heraus, als dass Richmodis wiederkehrt.“ Kaum ausgesprochen sind im Treppenhaus die Hufgeräusche von Pferden zu hören, anschließend ein lautes Wiehern aus dem Turm des Hauses - und zwei Pferde schauten aus den Turmluken. Erst jetzt glaubt Mengis, dass tatsächlich seine von den Toten auferstandene Frau vor der Tür steht. Überglücklich schließt er seine totgeglaubte Frau in die Arme. Richmodis wird wieder vollständig gesund und bringt sogar noch drei Kinder zur Welt. Ende gut - alles gut! Übrigens auch für die Pferde. Diese wurden nicht zur rheinischen Spezialität Soorbroode verarbeitet - für Sauerbraten wird im Rheinland traditionell Pferdefleisch verwendet - sondern mit einem Flaschenzug wieder sicher vom Turm herabgelassen. Noch heute erinnert der achteckige „Richmodis-Turm“ an der Richmodstraße an diese Sage und noch immer schauen zwei steinerne Schimmel vergnügt aus den Fenstern.
Wahrer Kern der Sage Wie so oft bei solchen Sagen ist irgendwo ein wahrer Kern verborgen. Tatsächlich muss in der Stadt während der Pest das totale Chaos geherrscht haben. So starben im 14. Jahrhundert etwa 20.000 Menschen in Köln an der Seuche. Das entspricht ungefähr der Hälfte der Bevölkerung. Und deswegen ist davon auszugehen, dass es bei der Leichenschau nicht besonders genau zuging und so mancher vermeintlich Tote schneller in einer der zahlreichen Leichengruben landete als der Tod ihn tatsächlich ereilte.
Neben dem Richmodis-Turm erinnert heute das Richmodis-Kölsch an die Sage. REWE hat die alte Marke, ursprünglich 2002 eingestellt, im Jahr 2012 wieder belebt. Das Logo zeigt die beiden Schimmel und das Gebäude. Die Richmodis-Legende wurde von BAP-Chef Wolfgang Niedecken zusammen mit der Big Band des WDR für das 2004 erschienene Album „NiedeckenKöln“ mit dem Titel „Zwei Päädsköpp ahm Nümaat“ umgesetzt. Das Lied endet mit der Aufforderung „Wenn du am Neumarkt stehst, auf Bahn oder Bus wartest, grüß mir den Turm mit den zwei Pferdeköpfen in der Seitengasse.“ (www.bap.de, youtube.com).
(Uli Kievernagel, Köln, 2019/2023)
Das heutige Richmodishaus, Turm und „Päädsköpp“ Vorgängerbauten des älter anmutenden, aber heute gerade einmal 90 Jahre alten Hauses wurden ebenso wie der achtseitige Turm im Laufe der Zeit mehrfach niedergelegt und neu gebaut. Ein erstes turmgeziertes Anwesen einer Patrizierfamilie Hackeney wird bereits für um 1507/08 genannt. Die beiden Pferdeköpfe am Wendeltreppenturm sind seit frühestens 1687 bezeugt. Die aus der Neugotik von Christoph Stephan (1797-1864) stammenden hölzernen „Päädsköpp“ verbrannten im Zweiten Weltkrieg, als das Richmodishaus bis auf den Turm und Teile der Fassade fast völlig zerstört wurde. Die heute aus dem Treppenturm schauenden Pferdeköpfe stammen von 1958 und wurden vom Bildhauer Wilhelm Müller-Maus gestaltet.
Das heutige Richmodishaus samt der Nachbildung eines für das mittelalterliche Köln typischen Geschlechterturms entstand 1928/29 nach Plänen des Architekten Paul Bonatz (1877-1956) als Büro- und Geschäftshaus. Bonatz war erklärter Gegner des „Neuen Bauens“ und Gründungsmitglied der 1928 begründeten konservativ orientierten Architektenvereinigung „Der Block“, der er bis 1931 angehörte (deu.archinform.net). Sein neues Gebäude lässt durch seine gotische Anmutung deutliche Bezüge zu den historischen Vorgängerbauten erkennen. Über der Sockelzone des Turmes erinnert eine Bronzetafel an den im Richmodishaus geborenen Komponisten und Dirigenten Max Bruch (1838-1920).
Baudenkmal Das Objekt „Turm des Richmodishauses und Fassadenreste“ ist mit Eintragung in die Denkmalliste der Stadt Köln ein Baudenkmal im Sinne des Denkmalschutzgesetzes (Eintragung vom 29.01.1986, lfd. Nr. 3421, www.stadt-koeln.de, dort unter der Anschrift Neumarkt 8-10 in Altstadt/Süd geführt). „Die noch erhaltenen Gebäudereste des ehem. Richmodishauses gehören als unverzichtbarer Bestandteil zum dem Teil der Kölner Altstadt, der den Zweiten Weltkrieg überdauert hat. Mit dem Gebäude verbindet sich eine reiche stadtgeschichtliche Tradition.“ (www.bilderbuch-koeln.de)
Internet www.koeln-lotse.de: „Am Nümaat zwei Päädsköpp“ - Richmodis von Aducht (Uli, der Köln-Lotse vom 05.10.2019, abgerufen 21.11.2019) koelnding.podigee.io: Das Köln Ding der Woche - Richmodis am Neumarkt (Uli, der Köln-Lotse, Podcast vom 28.07.2023, abgerufen 07.08.2023) www.bap.de: Text „Zwei Päädsköpp ahm Nümaat“ (abgerufen 07.08.2023) www.youtube.com: „Zwei Päädsköpp ahm Nümaat“, Wolfgang Niedecken & Die WDR Big Band (abgerufen 07.08.2023) museenkoeln.de: „E jot Päd es Jold wät“ (Bild der 42. Woche - 20. bis 26. Oktober 2008, abgerufen 21.11.2019) deu.archinform.net: Paul Bonatz (1877-1956), Architekt (abgerufen 21.11.2019) www.stadt-koeln.de: Interaktive Denkmalkarte Köln (abgerufen 18.01.2024) www.richmodis.de: Richmodis-Kölsch (abgerufen 21.11.2019) de.wikipedia.org: Richmodis-Haus (abgerufen 21.11.2019) de.wikipedia.org: Richmodis-Sage (abgerufen 21.11.2019) www.stadt-koeln.de: Suche in der Denkmalliste (abgerufen 21.11.2019, Inhalt nicht mehr verfügbar 18.01.2024) www.bilderbuch-koeln.de: Turm des Richmodishauses und Fassadenreste (abgerufen 21.11.2019, Inhalt nicht mehr verfügbar 20.10.2020)
Übernahme aus externer Fachdatenbank, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung
Historischer Zeitraum
Beginn 1928 bis 1929
Empfohlene Zitierweise
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