Der Thümmlitzwald war seit Jahrhunderten der Jagdwald der Wettiner. Johann Heinrich Cotta gliederte den Wald zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seine heutige Erscheinungsform in gleichmäßige Forstabteilungen um. Die fortschreitende Industrialisierung und der damit einhergehende Hunger nach Brennstoff und Baumaterial machte eine nachhaltige Forstwirtschaft unabdingbar. Aus dieser Not entstanden im Gebiet um die Städte Grimma, Colditz und Wurzen zahlreiche Braunkohlengruben, in denen anfangs im Handbetrieb und später mechanisiert die hochanstehende Kohle abgebaut wurde, so auch im Thümmlitzwald. Hier wurde 1818 mit dem Königlichen Braunkohlenwerk am Hühnerborn einer der ältesten Braunkohlengruben im Mitteldeutschen Revier gegründet. Bis zum Jahre 1888 förderte man hier Kohle im Handbetrieb ohne technische Hilfsmittel. Nach Stilllegung dieses Werks im Jahr 1892 wurde 1901 direkt südlich das Nordwerk des Braunkohlenwerks Leipnitz angelegt. Man kann hier auch von einer Fortsetzung des bisherigen Kohleabbaus sprechen. Allerdings unterschied sich die Technologie dieses Werks komplett vom Vorgänger-Werk. So setzte man von Beginn an auf maschinelle Förderung und nutzte als Abbaumethode den Pfeilerbruchbau im Tiefbauverfahren. Das heißt, das Flöz wurde untertägig in quaderförmige Abteilungen gegliedert, die vom Ende des Flözes zum Förderschacht hin abgebaut wurden. Im archäologischen Befund erkennt man charakteristische Pingen oder Tagesbrüche, wenn das Deckgebirge zur Oberfläche durchbrach. Im Werk bediente man sich zunächst der Dampfkraft als Hauptantriebsmittel. So wurde beispielsweise die Kettenförderanlage über eine schiefe Ebene durch eine Lokomobile angetrieben. Aufgrund der Einberufungen zum Ersten Weltkrieg herrschte im Nordwerk ab 1914 ein stetiger Mangel an Arbeitskräften, weshalb das Werk nur teilweise in Betrieb war. Deshalb versuchte man die fehlendenden Arbeitskräfte durch russische sowie polnische Kriegs- und Zivilgefangene zu kompensieren. Zwischen 1915 und 1916 sind mindestens acht Zwangsarbeiter belegt. Sie wurden sowohl über als auch unter Tage eingesetzt. 1921 errichtete man eine moderne Brikettfabrik mit Trockenapparat und Presse. In den 1920er Jahren schaffte man schließlich mit zwei 300 PS Dampfmaschinen, die einen 150 KW Generator antrieben, den Sprung ins Elektrozeitalter. Während des Zweiten Weltkriegs waren durchgängig französische Kriegsgefangene sowohl im Tiefbau als auch in der Brikettfabrik beschäftigt. In der letzten Phase bis zur Schließung des Werks 1958 ging man zum Sprengabbau über. Dabei wurden mit elektrischen Handbohrmaschinen Sprenglöcher vorbereitet, mit Ladungen versehen und die Kohle herausgesprengt.
Heute sind große Teile des Werksareals wieder bewaldet, es bestehen jedoch noch diverse bauliche Reste des Werks, wie das Kontor, die Kaue, die Brikettlagerhalle und das bewohnte Steigerhaus.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Braunkohlenwerke im Thümmlitzwald die gesamte technische Entwicklung des Braunkohlenabbaus vom reinen Handbetrieb über dampfkraftbetriebene Maschinen bis zur elektrischen Förderung mit Sprengarbeiten abbilden, was so im Revier in seiner Gesamtheit nur an dieser Stelle stattfand. Das Nordwerk des Königlich-Sächsischen Braunkohlenwerks Leipzig bildet einen einzigartigen Komplex der deutschen Braunkohlenindustrie und ist eine der ältesten, in Teilen noch erhaltenen Tiefbauschachtanlagen bei Grimma. Deshalb ist es industrie-, technik- und wirtschaftsgeschichtlich von überregionaler Bedeutung.
(Christian Schmidt, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, 2023)
Datierung:
- Erbauung: 1901
Quellen/Literaturangaben:
- Galle, Horst: Historischer Braunkohlenbergbau entlang der Mulde um Colditz, Grimma und Wurzen. Eine Chronik und Inventarisierung. 2. Aufl., Beucha/Markkleeberg 2018, S. 126-132; 137-156.
- TMGS Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen mbH (Hrsg.): Beschreibung des Forsthauses Kössern. URL: https://www.sachsen-tourismus.de/fileadmin/Mediendatenbank/Bilder/AG_Doerfer_neu/7_Koessern/TMGS_FB_Spaz_Koessern_WEB.pdf (15.08.2023).
BKM-Nummer: 31200096