Stadtteil Mittelheim (Oestrich-Winkel)

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Archäologie, Denkmalpflege, Landeskunde
Gemeinde(n): Oestrich-Winkel
Kreis(e): Rheingau-Taunus-Kreis
Bundesland: Hessen
Koordinate WGS84 50° 00′ 13,15″ N: 8° 00′ 53,12″ O 50,00365°N: 8,01476°O
Koordinate UTM 32.429.396,40 m: 5.539.501,81 m
Koordinate Gauss/Krüger 3.429.443,27 m: 5.541.278,24 m
  • Luftaufnahme von Oestrich-Winkel - Mittelheim (2006)

    Luftaufnahme von Oestrich-Winkel - Mittelheim (2006)

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    Garth, Astrid und Sbrisny, Joachim / Landesamt für Denkmalpflege Hessen
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    Astrid Garth; Joachim Sbrisny
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Historische Siedlungsentwicklung
Der Name Mittelheim, 1292 erstmals erwähnt, leitet sich von seiner Lage zwischen den benachbarten Siedlungen Winkel und Oestrich ab. Näher an Winkel gelegen, schließt es dort fast nahtlos an. Es hatte wohl bereits im früheren Mittelalter Bedeutung als Endpunkt eines über die Höhe führenden Weges und als Anleger einer Fähre über den Rhein zur karolingischen Kaiserpfalz in Ingelheim.
Mittelheim wurde im 13. Jahrhundert selbständig, erhielt jedoch erst 1386 eine eigene, von Oestrich abgetrennte Waldmark. Gerichtlich blieb es weitgehend von Oestrich abhängig. Das heutige Ortswappen von Mittelheim erscheint um 1700, vorher zeigte das Gemeindesiegel den Kirchenpatron.

Das Kloster St. Ägidius
Angaben über die Gründung eines kleinen Klosters im damaligen (Groß-)Winkel, einer „cella“, werden in einer erzbischöflichen Urkunde des Jahres 1158 überliefert. Das Kloster muss vor 1129 entstanden sein; sein Gründer Wulverich aus Winkel, war „Ministeriale des heiligen Martin“, also höherrangiger Dienstmann der Mainzer Bischofskirche. Er ließ das dem heiligen Ägidius geweihte, wahrscheinlich zunächst mit Augustinerchorfrauen besetzte Kloster auf eigenem Grund und Boden errichten und stattete es mit Gütern aus.

Nach Aufnahme von aus Eberbach vertriebenen Regularkanonikern war das St. Ägidienkloster 1141 ein Augustiner-Mönchs- und Nonnenkloster. Vermutlich waren 1145 die Augustiner-Chorherren in das valle die iuxta Winchelam („im Gottestal bei Winkel“) übergesiedelt; das Chorherrenstift erlosch im 12. Jahrhundert. Vor Beginn des 13. Jahrhunderts zogen auch die Chorfrauen in das Gottestal um. Vor 1247 spaltete sich der Konvent; einige Augustinerchorfrauen kehrten zurück nach St. Ägidius in Mittelheim (conventus St. Aegidii), die Mehrzahl konvertierte zum Zisterzienserorden und blieb im Gottestal (conventus sante Marie), wo nun mit dem Bau einer Klosterkirche begonnen wurde. Um 1263 starb das Chorfrauenstift in Mittelheim nach dem Verbot, neue Mitglieder aufzunehmen, aus. Damit war die Ägidienkirche nicht mehr Klosterkirche; sie wurde zwischen 1335 und 1353 Pfarrkirche unter dem Patronat des Gottestaler Klosters.

Durch Ausgrabungen 1938 konnten Aufschlüsse über die Baugeschichte der ehemaligen Klosterkirche St. Ägidius gewonnen werden. Sie entstand anstelle einer kleineren Kirche, vermutlich Eigenkirche des Wulverich von Winkel, einem kleineren, einschiffigen Saalbau mit kleinen, hoch stehenden Rundbogenfenstern, die teilweise vor der Sanierung der Basilika bis 1952 noch in der Südwand sichtbar waren. Im Osten schloss das Gebäude mit einer halbrunden Apsis ab.

Um 1100, vor 1129, begann man mit dem Bau einer erheblich größeren, dreischiffigen Kirche. Dabei blieb die Südwand der kleinen Vorgängerkirche in der südlichen Außenwand des Seitenschiffes erhalten. Im Verlauf des 12. Jahrhunderts kam es zu Planänderungen und Umbauten. Die erste Klosterkirche war ein dreischiffiger Bau ohne Turm, dessen Seitenschiffe kürzer waren als das Hauptschiff. Später folgten der Anbau der Sakristei an das südliche Seitenschiff und eine nicht vollendete Verlängerung des nördlichen Seitenschiffs. Schließlich wurden die Querhausarme verlängert und im südlichen Arm die Non-nenempore eingerichtet. Ihre heutige Gestalt erhielt die Kirche durch Umbauten und Erneuerungen 1938 und 1952.

Wie in Oestrich gab es in Mittelheim wenig ortsansässigen Adel. 1576 betrug die Gemarkungsfläche 470 Morgen; davon gehörten dem Kloster Gottesthal 162 Morgen, den Ausmärkern (nicht in Mittelheim wohnhaften Grundbesitzern) 93 Morgen, den Ausmärkern aus Oestrich und Winkel 96 Morgen, den Mittelheimer Bürgern nur 112 Morgen.

Das zentral gelegene Rathaus wurde 1504 errichtet, auf dem Rathausplatz wurde 1600/1609 eine Linde gesetzt und 1790 gefällt. Schulen wurden 1654 (An der Basilika 1), 1820 (An der Basilika 19) und 1910 erbaut. Ein seit 1355 urkundlich erwähntes Backhaus lag wohl immer an gleicher Stelle Ecke Rathausstraße/Rheingauerstraße (früher Backhausgasse/ Hauptstraße); eine Bäckerei bestand hier bis 1988. Unterhalb des Backhauses wurde 1605 aus einem alten Stall ein Gemeindeschrothaus errichtet. Die unterhalb des Backhauses gelegene Gemeindeschmiede wurde 1714 durch den Rat verkauft. Die Frühmesserei lag 1544 in der Ruppelgaß.
Eine Laurentiuskapelle im Ort, 1353 gänzlich zerfallen, wurde durch Conrad von Oppenheim, Vicar zu Mainz, wieder hergestellt. Sie bestand bis 1594, als sie zusammenbrach. Den Platz verkaufte die Äbtissin von Gottesthal.

Nach der Brunnenordnung von 1663 gab es eine obere und untere Nachbarschaft, die sich um zwei Brunnen zu kümmern hatten; einer davon lag in der Backhausgasse.

1525 wurden 62 Einwohner, 1576 50 Herdstellen gezählt. Aufgrund einer Pestepidemie 1666 „starben in dem kleinen Orte 74 Leute“. Daher wurde in der Weinheimer Straße im 17. Jahrhundert ein Pestfriedhof eingerichtet. 1671 gab es 46 Herdstellen mit 137 Einwohnern, 1700 nur 27 Bürger und 4 Beisassen. 1820 war die Einwohnerzahl auf 400 gestiegen, 1900 auf rund 500, wohnhaft in 250 Gebäuden. Die Einwohnerzahl stieg stetig auf 985 1960 und rund 1373 Einwohner in 1992.

Weinbau
Bereits bei Ersterwähnung 1292 werden Weinberge genannt; Weinmärkte fanden zwischen 1599 und 1651 statt. Die Gründung eines Weinbauvereins erfolgte 1892, 1902 die Gründung eines Winzervereins mit 25 Mitgliedern. Eigene Kelleranlagen mit Halle wurden bis 1903 in der Taunusstraße erbaut; 1905 folgte der Konkurs des Vereins wegen der zu teuren Bauten.

Ortsentwicklung - historisches Ortsbild
In Beschreibungen des 19. Jahrhunderts wird Mittelheim als bauliche als Fortsetzung von Winkel charakterisiert; „es ist mit (Winkel) bis auf einen kleinen Raum ganz zusammen gebaut.“ (A. von Stolterfoth, 1840), ein Eindruck, der auch schon im 18. Jahrhundert vorherrschte: „Mittelheim und Winkel oder Weinzell, beide in schwesterlicher Vertrautlichkeit am blumigten Gestade ganz mah liegende Oerter...“ (J. G. Lang, 1789). Nicht nur die straßendorfartige Ausrichtung an der Rheingauer Straße, auch die Grundrissstruktur mit rechtwinklig zum Rhein ziehenden, gewundenen Gassen zwischen ummauerten (Wein)Gärten setzt sich in gleichartiger Weise von Winkel nach Mittelheim fort.

Den ältesten baulichen Bestand bildet die nahe am Rhein gelegene Basilika St. Ägidius als Rest des ehemals zugehörigen, zu Beginn des 12. Jahrhunderts gegründeten Augustinerklosters. Diesem voraus ging möglicherweise ein Herrensitz im benachbarten Gelände, wo ein heute noch als Burg(haus) bekanntes Anwesen in der Rathausstraße (früher Backhausgasse) die Erinnerung an die vermutete ottonische Turmburg wach hält, deren Reste 1870 vollständig abgebrochen wurden. Ob es sich hierbei um den Herrensitz jenes Wulverich von Winkel handelte, dessen Eigenkirche Vorgänger der Klosterkirche war, ist jedoch nicht mehr nachweisbar.

Die Struktur des Ortskernes zwischen Rheinufer und Bahnlinie hat sich bis heute nur geringfügig verändert, während das Ortsbild aufgrund von Neubauten und Eingriffen im Bestand nicht mehr gleichermaßen der Beschreibung von 1965 entspricht, die dem Ort eine „überwiegend einheitliche und maßstabsgerechte Bebauung“ mit partiellen malerische Qualitäten attestiert. Neuere Siedlungsflächen konnten sich naturgemäß nur nördlich der Bahnlinie zwischen einem dort in jüngerer Zeit entstandenen Industriegebiet und den Winkeler Neubaugebieten ausdehnen.

Gesamtanlagen nach HDSchG
  • Gesamtanlage Alter Ortskern

(Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 2009/2020)

Literatur

Söder, Dagmar / Landesamt für Denkmalpflege Hessen (LfDH) (Hrsg.) (2013)
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen: Rheingau-Taunus-Kreis I. (Altkreis Rheingau). Wiesbaden.

Stadtteil Mittelheim (Oestrich-Winkel)

Schlagwörter
Ort
65375 Oestrich-Winkel - Mittelheim
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Archäologie, Denkmalpflege, Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Auswertung historischer Karten, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung, Fernerkundung
Historischer Zeitraum
Beginn vor 1292

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„Stadtteil Mittelheim (Oestrich-Winkel)”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/P-CU-20091103-0003 (Abgerufen: 9. Dezember 2024)
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