Am Bahndamm von Rommerskirchen nach Holzheim lassen sich die wirtschaftlichen und politisch-militärischen Entwicklungen im Deutschen Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg verdeutlichen. Geplant als Braunkohlen-Abfuhrbahn gewann die Verbindung überregionale Bedeutung, als sie in die Planungen für die Ruhr-Mosel-Entlastungsbahn integriert wurde. Gebaut wurde sie dann unter militärischen Gesichtspunkten, denn sie war Teil der strategischen Planungen des deutschen Militärs für den Kriegszug gegen Frankreich. In der Zeit nach dem verlorenen Krieg 1918 fielen die Gründe für den Bau weg, es fehlten die finanziellen Mittel und die wirtschaftlichen Voraussetzungen. Man stellte den Bau im Dezember 1923 sang- und klanglos wieder ein.
Der heute erhaltene Bahndamm hat eine Länge von rund 13 Kilometer zwischen Neuss-Holzheim und Rommerskirchen. Im Gelände sind noch die Flächen für die Bahnhöfe, Brücken über Wege und Bäche und der Anschluss an die Strecke von Köln nach Rheydt bei Rommerskirchen erkennbar.
Planung einer Braunkohlenbahn Die Planungen für eine Verbindung von Rommerskirchen zum Hafen in Neuss begannen vermutlich bereits im späten 19. Jahrhundert, spätestens jedoch nach 1904. In diesem Jahr hatte die Bergheimer Kreisbahn ihre Strecke von Bergheim bis zum Bahnhof Rommerskirchen verlängert. Nun war es möglich, die im Bergheimer Revier gewonnene Braunkohle über Rommerskirchen, Grevenbroich und Neuss Hauptbahnhof zum Hafen in Neuss zu transportieren. Die Planungen sahen vor, eine eingleisige Nebenbahn von Rommerskirchen bis zum Bahnhof in Neuss-Holzheim und weiter südlich an Neuss vorbei zum Hafen zu bauen. Sie sollte vordringlich der Verkürzung der Strecke zum Neusser Hafen um rund 18 Kilometer dienen. Zugleich sollte sie der lokalen Bevölkerung ermöglichen, die Städte Rommerskirchen und Neuss und ihre dortigen Arbeitsplätze leichter zu erreichen. Mit Runderlass vom 3. Juli 1907 des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten begannen die offiziellen Vorarbeiten für den Streckenbau. Am 24. Juli 1908 fand eine erste Streckenbereisung statt. Nachdem die Kreise und Gemeinden hohe Zuschüsse für den Grunderwerb und den Bau zugesagt hatten und im Juli 1913 das Enteignungsrecht erlassen worden war, wurde noch Ende 1913 mit den Bauarbeiten begonnen.
Ruhr-Mosel-Entlastungsstrecke In einem Schreiben vom Juli 1912 an den Oberpräsidenten in Koblenz hatte das Ministerium der öffentlichen Arbeiten darauf hingewiesen, dass die Strecke von Rommerskirchen nach Neuss in die aktuellen Planungen einer Verbindung vom Ruhrgebiet bis zur Mosel und weiter in das Minette-Gebiet (Region in Luxemburg, Wallonien und Lothringen mit Eisen- und Stahlindustrie) eingebunden war. Die neue Verbindung, als „Ruhr-Mosel-Verkehr“ bzw. „Ruhr-Mosel-Entlastungsstrecke“ bezeichnet, sollte die überlasteten Eisenbahnknoten im Ruhrgebiet, in Düsseldorf/Neuss, in Köln und auf der linken Rheinstrecke entlasten. Ziel war es, die schweren Kohlen- und Erzzüge an den Knotenpunkten vorbei zwischen dem Ruhrgebiet und dem Minette-Gebiet fahren zu lassen. Förderer dieser Planungen war u. a. die Stahlindustrie im Ruhrgebiet, die zunehmend unter den verkehrlichen Belastungen und damit Verzögerungen im Umlauf der Rohstoffe litt. Zudem gab es gute wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Fabrikanten im Minette-Gebiet und im Ruhrgebiet. Die Planungen sahen vor, eine neue Strecke von Alpen über Kamp-Lintfort bis nach Osterath zu bauen, von dort bis nach Neuss-Holzheim die vorhandenen Strecken auszubauen, und dann die gerade begonnene neue Strecke zwischen Holzheim nach Rommerskirchen zu nutzen. Zwischen Rommerskirchen und Liblar (heute in Erftstadt) gab es die Strecke der 1913 verstaatlichten ehemaligen Bergheimer Kreisbahn, die für die schweren Züge ausgebaut werden mussten. Ab Liblar sah man einen Neubau über Rheinbach bis ins Tal der Ahr bei Dernau vor; eine Weiterführung bis zur Festung in Metz (Lothringen) war ebenfalls vorgesehen.
Strategische Bahn von Neuss-Holzheim bis Ahrweiler-Rech Nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich 1871 und der Gründung des Deutschen Kaiserreiches hielten sich die Befürchtungen bei den deutschen Militärs, dass die Franzosen erneut einen Krieg gegen Deutschland führen würden. Zugleich wurde die Gefahr gesehen, dass das Russische Zarenreich im Osten Deutschland angreifen könnte. Die Furcht vor einem Zweifrontenkrieg war groß. Es wurde daher der sogenannte „Schlieffen-Plan“ entwickelt. Dieser sah, grob vereinfacht, vor, zunächst innerhalb von sechs Wochen Frankreich zu besiegen, um dann die frei werdenden Truppen gegen Russland einzusetzen. Eine bedeutende Rolle in diesem Plan spielten die Eisenbahnen, die den gesamten Transport von Truppen, Ausrüstungen, Waffen und Munition sowie der Versorgung übernehmen sollten. Nach 1905 war klar, dass das Gebiet der damaligen Rheinprovinz nördliches Aufmarschgebiet für den Angriff über Belgien nach Frankreich werden sollte. Da hier die Bahnstrecken, insbesondere in der Eifel, nur ungenügend für den erforderlichen Militärverkehr ausgebaut waren, kam es zu umfangreichen Planungen für neue Strecken bzw. den Ausbau vorhandener Strecken. Einen wichtigen Bestandteil stellte die neue Verbindung von Neuss ins Ahrtal dar. Um sie den militärischen Bedingungen anzupassen, wurden die Planungen auch für den Abschnitt zwischen Holzheim und Rommerskirchen nochmals überarbeitet. Die Strecke wurde auf Dämme verlegt, um ebenerdige Kreuzungen zu vermeiden. Diese Planungen waren im Januar 1916 abgeschlossen, als ein vorläufig festgestellter Plan bekannt gegeben wurde. Gegenüber den älteren Planungen war die Strecke nochmals verändert worden, um Steigungen zu vermeiden und die Kurvenradien zu vergrößern. Ziel war es, die Militärzüge zügiger und ohne Unterbrechungen an Steigungen und Übergängen fahren zu lassen.
Der Bahndamm nach 1918 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 wurden die Arbeiten zunächst eingestellt. Im Versailler Vertrag von 1919 war geregelt worden, dass die sogenannten strategischen Eisenbahnstrecken nicht weiter gebaut werden durften. Ausnahme war nur die Ruhr-Mosel-Entlastungsstrecke, die weiterhin gebaut werden durfte, allerdings nur eingleisig und ohne Verbindung zu den bereits vorhandenen kreuzenden Bahnstrecken. Auch im Abschnitt zwischen Rommerskirchen und Holzheim wurde weiter gebaut; noch 1921 berichtete der Bürgermeister von Rommerskirchen von Arbeiten im Bahnhof Anstel. Dennoch wurden die Arbeiten im Dezember 1923 eingestellt. Gründe waren zum einen die schlechten finanziellen Möglichkeiten der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft und die fehlende wirtschaftliche Notwendigkeit für den Streckenbau. Die engen Verbindungen zwischen dem Ruhrgebiet und dem Minette-Gebiet gab es nicht mehr und der laufende Verkehr konnte über die vorhandenen Strecken abgewickelt werden. Dies erfolgt bis heute.
In den 1920er Jahren wurden die Enteignungs- bzw. Entschädigungsverfahren für die ursprünglich geplante eingleisige Strecke abgewickelt. Auch sorgte die Reichsbahn dafür, dass der Bahndamm z. B. von Huflattich befreit wurde. Aber sie verhinderte unter Androhung von Polizeigewalt auch, dass der Bahndamm für die widerrechtliche Anfuhr von Schnitt- und Abfallmassen (Schreiben der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft vom 14.05.1929) genutzt wurde und verbot das Beweiden mit Schafen durch einen örtlichen Metzger.
Die Gemeinden zwischen Holzheim und Rommerskirchen versuchten in den 1930er Jahren mehrfach, den Bahnbau wiederzubeleben, da ihrer Ansicht nach die wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Gebietes weiterhin bestanden. Letzte Bemühungen gab es vermutlich vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Diese Bemühungen, bis hin zur feierlichen Übergabe einer Denkschrift im zuständigen Ministerium in Berlin 1927, führten jedoch nicht zur Wiederaufnahme der Baumaßnahmen.
Beschreibung der Strecke Die Strecke sollte in Neuss-Holzheim aus der vorhandenen Bahnstrecke nach Düren mittels eines Überwurfbauwerkes kreuzungsfrei aufgefädelt werden. Bis zur Erft war die Strecke ebenerdig geplant, wurde in diesem Abschnitt aber nicht ausgeführt. Die Erft sollte mittels einer großen Brücke gequert werden. An dieser Stelle steht heute ein Denkmal. Südlich der Erft wurde der Bahndamm aufgeschüttet. Bei der Motte Helpenstein gibt es eine Brücke über die Grafenstraße. Zwischen Helpenstein und Münchrath war ein Bahnhof Helpenstein vorgesehen; das Bahnhofsplanum war weitgehend fertig gestellt worden. Bei Münchrath und Hülchrath gibt es weitere Brückenbauwerke, südwestlich von Neukirchen war der Bahnhof Hülchrath geplant, in einem Einschnitt gelegen, der ebenfalls im Planum angelegt wurde. Nördlich von Hoeningen sollte der gleichnamige Bahnhof liegen. Zwischen diesem und dem geplanten Bahnhof Anstel gibt es große Abschnitte, in denen der Bahndamm im Gelände gut zu erkennen ist. Der Bahnhof Anstel selbst liegt auf dem Damm, Planum und Zufahrten sind weitgehend fertiggestellt worden und erhalten. Die Strecke führt weiter auf einem Damm mit mehreren erhaltenen Brücken gradlinig nach Rommerskirchen. Dort sollte ein Turmbahnhof angelegt werden, die Brückenfundamente sind beidseitig der vorhandenen Strecke von Köln nach Grevenbroich noch erhalten. Bis 2007 gab es noch das Brückenstellwerk, das ursprünglich auf der Höhe des Bahnsteiges der Strecke nach Holzheim stehen sollte. Die Straße von Rommerskirchen nach Neuss (heute B 477) sollte auf einer schmalen Brücke gequert werden, die Strecke verlief weiter ebenerdig bis zum geplanten Bahnhof Rheidt-Hüchelhoven bzw. Gill (in den historischen Quellen gibt es beide Bezeichnungen). Wegen der Nähe zum Bahnhof Rommerskirchen (Entfernung rund 1,2 Kilometer) war hier im Wesentlichen Güterverladung und Rübenverkehr vorgesehen. Hier hatte die Bahnstrecke Anschluss an die ehemaligen Bergheimer Kreisbahn mit ihrer Strecke nach Bergheim. Die heute noch vorhandene Bahnstrecke wurde allerdings erst in den 1930er Jahren errichtet, als die alte Strecke, die mitten durch die Dörfer verlief, nach Osten auf einen eigenen Bahndamm verlegt wurde.
Auffällig ist die unterschiedliche Gestaltung von Brücken. Dazu gehören sowohl Bogenbrücken und Flachbrücken, je nach der erforderlichen Höhe des Bahndammes. Die Fundamente wurden aus Stampfbeton hergestellt, bei den Bogenbrücken sind die Kanten mit Ziegelsteinen verziert (z. B. Am Reiherbusch bei Münchrath, Lommertzweg bei Nettesheim). Bei den Flachbrücken verwendete man vorgefertigte Balken, drei davon, ineinander gesteckt, bildeten den Längsträger (Brücke Grafenstraße bei Helpenstein). Die Brückenunterseite bzw. das Tragwerk bestand aus Eisenschwellen, auf denen der Bahnkörper aufgebaut wurde.
(Claus Weber, LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, 2014)
Hinweise Das Objekt „Bahndamm der strategischen Eisenbahnlinie von Neuss-Holzheim bis Rommerskirchen“ ist wertgebendes Merkmal des historischen Kulturlandschaftsbereiches Strategische Bahnlinie (Kulturlandschaftsbereich Regionalplan Köln 070).
Der Bahndamm von Holzheim nach Rommerskichen war KuLaDig-Objekt des Monats im Juli 2014.
Quellen Historische Quellen und Karten im Landesarchiv Rheinland-Pfalz in Koblenz, im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Duisburg, im Archiv des Rhein-Kreises Neuss in Dormagen-Zons, im Museum der Deutschen Bahn in Nürnberg.
Internet de.wikipedia.org: Strategischer Bahndamm (abgerufen 04.06.2014) www.nzz.ch: „Beinah vergessene Spuren“, Neue Zürcher Zeitung vom 2. Juni 2014 (abgerufen 04.06.2014) www.adfc-neuss.de (abgerufen 04.06.2014, Inhalt nicht mehr verfügbar 21.08.2019)
Literatur
Barthels, Thomas; Möller, Armin; Barthels, Klaus (2007)
Bahnen am Niederrhein. Eine Bestandsaufnahme der Eisenbahnen am Niederrhein zwischen Arnhem und Rommerskirchen, Venlo und Oberhausen. S. 192-193, Mönchengladbach.
Essel, Paul-Rolf (1988)
Die Gillbachbahn von Neuss nach Rommerskirchen - Etappen eines gescheiterten Bahnprojektes. In: Almanach des Kreis Neuss aus dem Jahr 1988, S. 94-100. S. 35-39, Neuss.
Hoppe, Wiebke; Wegener, Wolfgang (2014)
Archäologische Kriegsrelikte im Rheinland. (Führer zu archäologischen Denkmälern im Rheinland, 5.) S. 175-179, Essen.
Kemp, Klaus (2013)
Die Ahrtalbahnen. Eisenbahnen zwischen Rhein und Eifel. S. 35-39, Freiburg.
Schweers, Hans (2011)
Eisenbahnatlas Deutschland. 8. Auflage. S. 62-63, Aachen.
Bahndamm der strategischen Eisenbahnlinie von Neuss-Holzheim bis Rommerskirchen
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