Der Landwirt Johann Peter Vogelsang ging mit 60 Jahren noch einmal das Wagnis einer Unternehmensgründung ein. Er errichtete die Brennerei in der Nähe seines Wohnsitzes und erhielt 1867 die Konzession für Branntweinherstellung. Sein Plan ging auf und die Brennerei entwickelte sich sehr erfolgreich. Die Anlage musste 1875 nach einem Großbrand in großem Umfang repariert werden, doch das Unternehmen erholte sich und war bald wieder auf Erfolgskurs. Neben den Alkoholika war auch die ausdestillierte Maische ein begehrtes Produkt: Bauern schätzten sie als eiweißreiches Viehfutter.
Nach dem Tod Vogelsangs 1878 übernahmen seine beiden Söhne den Familienbetrieb und investierten in den Ausbau der Technik. 1886 wurde die erste Dampfkesselanlage errichtet und im Folgejahr die Dampfmaschine angeschlossen.
Es handelt sich dabei um eine liegende Einkolbenfliehkraftregulator-Dampfmaschine, gebaut im Jahr 1887 mit der Fabrik-Nummer 76 von der Firma Kirberg & Hüls in Hilden. Der Zylinder ist zwei Meter lang, mit einem Durchmesser von 50 Zentimeter am Gehäuseboden.
Sie ist das älteste noch funktionsfähig erhaltene Gerät dieser Bauart im Rheinland. Über ein komplexes System aus Transmissionsbändern wurde die gesamte Mechanik der Brennerei angetrieben, darunter der Aufzug für die Getreidesäcke, die Schrotmühle und das Rührwerk im Maischbottich. Bis 1979 verrichtete sie Ihren Dienst. Heute wird der mächtige Kolben elektrisch bewegt und Besucher*innen können durch ein Sichtfenster im Zylinder das Zusammenspiel der komplexen Mechanik bewundern.
1902 gründeten Hermann und Peter Vogelsang mit weiteren Teilhabern die Firma „Vogelsang und Cie. GmbH“ und führten die Brennerei als landwirtschaftlichen Genossenschaftsbetrieb weitere drei Jahre. Bis 1927 wechselte die Anlage mehrmals den Besitzer, wurde mehrfach umfirmiert, verpachtet und 1927 wegen der schlechten Wirtschaftslage stillgelegt. 1932 wurde sie von Wilhelm Gymnich gepachtet, der wieder Gewinn erwirtschaftete, sodass er die Brennerei schließlich kaufen konnte. 1964 übertrug er die Firma seinem Sohn Wolfgang Gymnich. Dieser führte sie unter dem Namen „Vogelsang & Co., vormals J. P. Vogelsang“ weiter, bis 1979 die Produktion endgültig eingestellt wurde.
Museale Nutzung / Wilhelm-Fabry-Museum
Das Gelände blieb geschlossen und geriet in Vergessenheit, bis der „Förderkreis des Museums der Stadt Hilden“ (heutiger „Museums- und Heimatverein Hilden e. V.“) darauf aufmerksam wurde. Der Verein war schon längere Zeit auf der Suche nach einem neuen Standort für die Exponate des 1972 abgerissenen Heimatmuseums, vor allem für die wertvolle Wilhelm-Fabry-Sammlung.
Der Vorschlag des Vereins, das Gelände als Museumsstandort zu nutzen, konnte die Stadt überzeugen. Die alte Kornbrennerei wurde gründlich restauriert und unter Denkmalschutz gestellt. Das Wilhelm-Fabry-Museum fand seinen Platz in den gegenüberliegenden Verwaltungsbauten und Lagerräumen.
Als Teil des Museums ist die Brennerei für Besucher geöffnet. Führungen durch die Anlage finden regelmäßig statt und bieten eine authentische Veranschaulichung dieser 140 Jahre alten Produktionsweise.
Baudenkmal
Die Alte Kornbrennerei wurde am 10. Juli 1986 mit der Nummer 25 in die Liste der Hildener Baudenkmäler aufgenommen.
(Barbara A. Lenartowicz-Senguel und Rainer Hotz, im Auftrag des Kulturamts der Stadt Hilden, 2024)
Internet
de.wikipedia.org: Wilhelm-Fabry-Museum (abgerufen 05.07.2024)
www.youtube.com: Dampfmaschine im Wilhelm-Fabry-Museum Hilden (45 sek., abgerufen 05.07.2024)
www.albert-gieseler.de: Kirberg & Hüls, Maschinenfabrik & Eisengießerei: Dampfmaschine (abgerufen 05.07.2024)
rheinform.lvr.de: 25 Jahre Wilhelm-Fabry-Museum und Historische Kornbrennerei (Textdokument: Text Bernd Morgner, Magazin rheinform 02/20214, S. 52-54, abgerufen 05.07.2024)
wilhelm-fabry-museum.de: Die Historische Kornbrennerei (abgerufen 05.07.2024)