Hoch über dem Rurtal steht auf dem devonischen Konglomeratfelsen der Richelsley seit 1890 ein gut 6 m hohes Eisenkreuz. Es ist je nach Vegetationsstand und Blickwinkel eine weithin sichtbare Landmarke und zugleich materieller Ausdruck der Volksfrömmigkeit, die Ende des 19. Jahrhunderts weite Teile der Eifel und damit auch die Gegend um Kalterherberg prägte. Die Richelsley liegt seit 1920 in Belgien, da mit dem Versailler Vertrag Gebiete der preußischen Rheinprovinz um Eupen-Malmedy abgetreten werden mussten. Ihr Name leitet sich vermutlich von Richwin, dem Gründer der Burg Reichenstein (syn. Richwinstein; am Standort des heutigen Klosters Reichenstein) im 12. Jahrhundert ab (de.wikipedia.org: Richelsley). Wegekreuze sind in der Eifel keine Seltenheit. Dieses Symbol hier sticht jedoch durch seine exponierte Lage, seine Größe und nicht zuletzt durch die literarische Verarbeitung heraus, die ihm zu überregionaler Bekanntheit verhalfen. Denn die Schriftstellerin Clara Viebig (1860-1952) verarbeitete diesen besonderen Ort als „Kreuz im Venn“ im gleichnamigen Heimatroman (1908), der noch im selben Jahr ins niederländische und schwedische übersetzt wurde und offenbar den Zeitgeist traf. Das Buch wurde Viebigs erfolgreichste Publikation. Sie verwebt darin Bibliographisches mit Fiktivem und schildert Landschaft und Leben im Hohen Venn bei Monschau und Kalterherberg gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im „Kreuz im Venn“ sind die meisten Ereignisse historisch belegbar (Lange 2011 nach Neft 1997).
Die historische Wahrheit zum realen Kreuz im Venn ist schnell erzählt: Am Abend vor dem katholischen Feiertag „Peter und Paul“ (29.6.) im Jahr 1890 wurde es auf Initiative von Gerhard Joseph Arnoldy (1834-1914), Pfarrer in Kalterherberg von 1869 bis 1914, auf der Richelsley errichtet. Es erinnert seit dem an den „Vennapostel“ Stephan Horrichem (geboren 1607 in Erftstadt-Erp, gestorben 1686), der im 17. Jahrhundert als Prior des Prämonstratenserklosters Reichenstein für die Bevölkerung im Umfeld von Kalterherberg und Monschau wirkmächtig tätig war. 1627 trat er in die Prämonstratenserabtei Steinfeld ein, von wo aus er 1639 zum Prior von Reichenstein berufen wurde. Sein Wirken ist vor allem im Kontext des 30-jährigen Krieges zu sehen, der in der Gegend zu großen Zerstörungen, wirtschaftlicher Not und persönlichem Leid geführt hatte. Horrichem unterstützte nach dem Westfälischen Frieden maßgeblich den Wiederaufbau des Klosters Reichenstein und der Kirchen im Monschauer Land (de.wikipedia.org: Stephan Horrichem). Seine Ehrenbezeichnung „Vennapostel“ ist bereits für das Jahr 1722 belegt (Gehrke 2002 in de.wikipedia.org: Stephan Horrichem) und spiegelt die zeitgenössische Wahrnehmung seines Wirkens. Die Errichtung des Kreuzes auf der Richlesley 204 Jahre nach dem Tod Horrichems zeigt auf, wie tiefgreifend dieses Wirken noch damals in der Bevölkerung verankert war. Vierzehn Jahre nach dem Kreuz wurde wenig unterhalb in einer natürlichen Felsnische eine Mariengrotte eingerichtet. Anlass war das silberne Priesterjubiläum von Pfarrer Arnoldy. Die Grotte hat bis heute eine Bedeutung als Wallfahrtsort, wie die zahlreich aufgestellten Kerzen belegen.
Kulturhistorische Bedeutung Beim „Kreuz im Venn“ und der Mariengrotte handelt es sich um ein landschaftlich und symbolisch herausragendes historisches Kulturlandschaftselement. Es besteht ein räumlicher und historischer Zusammenhang zum Dorf Kalterherberg, von wo aus das Hohe Venn - auch im Bereich der Richelsley - bewirtschaftet wurde. Die Initiative zur Errichtung des Kreuzes ging vom Kalterherberger Pfarrer Arnoldy aus. Ein thematischer Zusammenhang besteht über die Person des Stephan Horrichem mit der Prämonstratenserabtei Steinfeld. Die topographische Lage auf einem Konglomeratfelsen wurde bewusst gewählt, um die Wirkung des mächtigen Kreuzes zusätzlich zu unterstreichen. Der Werkstoff Eisen und die Größe des Kreuzes spiegeln im Gegensatz zu Holz die technischen Möglichkeiten und den Fortschritt in der Zeit der Industrialisierung, er unterstreicht aber auch den Anspruch, etwas Besonderes zu schaffen. Das Objekt und seine Lage, die thematischen Bezüge und räumlich-funktionalen Zusammenhänge sind persistent, die Funktion als religiöses Symbol ist weiterhin ablesbar. Das Ensemble trägt zu einer lokal begrenzten, landschaftlichen Eigenart bei. Das Kreuz im Venn ist einzigartig, da eine vergleichbare Ausführung und landschaftliche Konstellation in der Eifel fehlt. Gleichzeitig ist das Element eines der regionaltypischen Wegekreuze der Eifel und wichtig für die Ausbildung regionaler Identität. Der historische Zeugniswert ist als sehr hoch einzustufen.
Internet de.wikipedia.org: Richelsley (abgerufen 23. August 2023) de.wikipedia.org: Stephan Horrichem (abgerufen 23. August 2023) Lange, Sophie (2011): C. Viebig machte 1908 das Monschauer Land berühmt. Historisches im Roman „Das Kreuz im Venn“. In: Jahrbuch des Monschauer Landes 20 (abgerufen 23. August 2023)
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Empfohlene Zitierweise
Martina Gelhar (2023): „Kreuz im Venn und Mariengrotte an der Richelsley”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-345723 (Abgerufen: 9. Oktober 2024)
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